Theodor Fontane
Kriegsgefangen
Theodor Fontane

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Ile d'Oléron

1. Die Insel Oléron.

Zwischen den Mündungen der Loire und Gironde, aber mehr in der Nähe dieser letzteren, buchtet der Atlantische Ozean ziemlich tief ins Land hinein und schafft hier eine Küstenformation, die eine Landung des Feindes begünstigt. Es handelte sich also seit lange darum, das Land an dieser verwundbaren Stelle festzumachen. La Rochelle und Rochefort, die an dieser Bucht gelegen sind, wurden Festungen. Dies genügte aber nicht. Die Annäherung mußte bereits erschwert werden, und hierzu boten die vorgelegenen Inseln die beste Gelegenheit. Die kleineren wurden ihrem ganzen Umfange nach in Forts verwandelt, die größeren wurden mit einem Kranz von Werken umgeben. Dieser größeren Inseln waren zwei: Isle Ré und Isle d'Oléron, von denen man jene als ein Außenfort von La Rochelle, diese von Rochefort ansehen kann. Zwischen beiden, als ein Punkt von besonderer Wichtigkeit, liegt noch die kleine Insel Aix. Zu allen Zeiten hatte diese Inselgruppe eine Bedeutung in der Geschichte des Landes; schon das Mittelalter kannte ein »Oleronisches Seerecht« (ich glaube, das älteste), und was die Befestigungswerke angeht, so fügte jede neue Regierung seit den Tagen Ludwigs XIV. das eine oder andere hinzu.

Eine ganz besondere Wichtigkeit gewannen diese Inseln während des 25jährigen Kampfes Englands gegen die Republik und das Empire. Hier spielte der letzte Akt des Kaiserreichs. Zwischen Isle Ré und Isle d'Oléron, die Ausgänge schließend, lag die englische Eskadre unter Admiral Hotham, die Auftrag hatte, eine Flucht des Kaisers zur See zu hindern; in vorderster Reihe der Bellerophon, Kapitän Maitland. Am 3. Juli war der Kaiser in Rochefort, am 12. Juli auf Isle d'Aix, wo er am 14. die berühmt gewordenen Zeilen an den Prinzregenten richtete: »En butte aux factions qui divisent mon pays, et à l'inimitié des plus grandes puissances de l'Europe, j'ai consommé ma carrière politique. Je viens, comme Thémistocle, m'asseoir sur le foyer du peuple britannique; je me mets sous la protection de ses lois, que je réclame de Votre Altesse Royale, comme celle du plus puissant, du plus constant, du plus généreux de mes ennemis.«

Den Tag darauf begab sich der Kaiser an Bord des »Bellerophon«, um Frankreich nicht wiederzusehen. Am 26. Juli lag er auf der Rhede von Plymouth; am 16. Oktober, am Jahrestage der Schlacht von Leipzig, landete er auf St. Helena.

Seit 1815 wurde die Inselgruppe vor Rochefort und La Rochelle nur immer als Detentionsort genannt, zumal während der ununterbrochenen Kriege jenes zweiten Kaiserreichs, das sich mit den Worten introduziert hatte, der Friede sein zu wollen. Anno 54 und 55 waren Russen, Anno 59 Österreicher hier in Gefangenschaft; im Winter 70 auf 71 machte die Insel die Bekanntschaft der Preußen und Bayern.

Isle d'Oléron ist 4½ Quadratmeilen groß, also ebenso groß wie Wollin, etwas größer wie Fehmarn. Die Bevölkerung, ziemlich zahlreich und wohlhabend, hat sich in zwei Städten und vier Dörfern konzentriert. Die beiden Städte sind Chateau und St. Pierre. St. Pierre ist um etwas größer, steht aber in Bedeutung hinter Chateau zurück. Hier ist die Zitadelle, hier sind die Forts und Kasernen, hier wohnen die Behörden; es ist der beherrschende Punkt, während St. Pierre als behagliche Ackerstadt inmitten der Insel liegt. Der Boden von Isle d'Oléron wechselt zwischen großer Fruchtbarkeit und Sterilität; weite Strecken sind Sumpfland wie die Marais zwischen Rochefort und der Küste, und hier wie dort hat man diese unfruchtbaren, wenn auch jetzt trockengelegten Sümpfe zur Gewinnung von Seesalz hergerichtet, ganz in der Art, wie ich es in dem Kapitel Marennes beschrieben habe. Der ärmste Teil der Bevölkerung lebt von dieser Salzindustrie; andere sind Schiffer, Fischer und versorgen den inländischen Markt mit Fischen und Austern, von denen sich die letzteren (sie sind grünlich und von einem aparten Wohlgeschmack) der besonderen Geneigtheit der Pariser Gourmands erfreuen. Die Wohlhabenden auf Isle d'Oléron sind die Ackersleute; einige wenige treiben Handel.

Dies war die Insel, für die wir bestimmt waren, der wir jetzt zufuhren.

 


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