Theodor Fontane
Kriegsgefangen
Theodor Fontane

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

2. Ankunft.

Marennes liegt nicht so unmittelbar am Meere, daß sich von hier aus die Überfahrt nach der Insel ermöglicht hätte; es bedurfte also noch eines kurzen Marsches, um die eigentliche Fährstelle zu erreichen. Diese ist ein einzeln stehendes Gehöft, das nach der Seeseite zu einen Quai bildet. An diesem Quai liegt das Dampfschiff, das den bescheidenen Dienst einer Fähre versieht.

Es regnete, als wir in das Fährhaus eintraten, und so hatten es denn die hohen, durchwärmten Räume mit ihren flackernden Feuern verhältnismäßig leicht, einen anheimelnden Eindruck auf uns zu machen. Es war aber nicht bloß der Gegensatz von draußen und drinnen, der uns hier mit einem lebhaften Behagen erfüllte; die Ordnung, die Sauberkeit, die Wohlhabenheit, die hier unverkennbar zu Hause waren, trugen das ihrige dazu bei. Inmitten des großen Gastzimmers standen zwei riesige Betten von Nußbaumholz mit grünen Decken und Vorhängen von derselben Farbe. Das Holz war spiegelblank und gab einen ordentlichen Glanz durch das ganze Zimmer hin.

Die Beherrscherin dieser Räume war eine Frau von Mitte siebzig, klein, aber mit großen, klugen Augen voll unerloschenen Feuers, unverkennbar eine Person, die vor fünfzig Jahren allen jungen Männern zwischen Marennes und Isle d'Oléron die Köpfe verdreht hatte. Sie wählte mich gleich aus der Gruppe heraus, um mir in einer liebenswürdigen, kleidsamen und ihrem Alter entsprechenden Weise den Hof zu machen. Dabei beherrschten ihre Augen mitten im Geplauder den ganzen Haushalt; nichts entging ihr, und man sah, daß alles ängstlich nach ihr hinüberfragte.

Es ist sehr interessant, derartige Frauen zu beobachten; sie bilden eine ganze Gruppe. Von Jugend auf gewöhnt, zu gefallen, Aufmerksamkeit zu erregen und eine Macht auszuüben, bleibt ihnen eine gewisse Koketterie (die nach den Jahren sich modelt) bis in ihr höchstes Alter hinein, während zugleich ihre Siegergewohnheit sich zu jener absoluten Herrschergewalt ausbildet, von der die Haushaltungen und ihre nominellen Vorstände zu erzählen wissen. Diese Alte, die mir mit Eleganz, Schelmerei und mütterlichem Wohlwollen den Kaffeetisch arrangierte, während ihr Augenzwinkern durch drei Stuben hin dirigierte, war ein Musterstück ihrer Gattung. Ein Haus- und Eheherr, den ich in Verdacht hätte haben können, der zeitige Bewohner einer jener blanken Nußbaumbettstellen zu sein, war nicht sichtbar, – ich vermute, längst seinem Geschick erlegen.

Der Regen legte sich, der Dampfer zischte, die Gendarmen mahnten zum Aufbruch. Eine Viertelstunde später schwammen wir zwischen Festland und Insel; noch zehn Minuten (durch die übliche Unterhaltung, die mich am Beobachten hinderte, leider getrübt), und wir lagen an dem Quaderdamm von Isle d'Oléron. Im Geschwindschritt, durch Neugierige wenig belästigt, ging es auf die Kommandantur zu.

Sie lag am andern Ende der Stadt; wir hielten vor einem Gartenzaun, über dessen Spitzen allerhand Baum- und Strauchwerk hinüberwuchs; das Ganze mehr idyllisch, nach Art einer Pfarrerwohnung, als kommandanturhaft-militärisch. So war auch das spalierumhegte Haus, in das wir jetzt eintraten. Wir wurden rangiert. Ich in einigem Abstand erhielt den rechten Flügel; es fehlte mir nur noch der Sponton des Unteroffiziers. Dann erschien ein freundlicher Herr in Zivil mit dem üblichen Ponceau im Knopfloch, das aber diesmal eine rotgefärbte beinerne Rosette war und aussah wie eine kleine Schachfigur. Der Herr selbst war Kapitän Forot, Bataillonschef, Kommandant von Isle d'Oléron. Er musterte uns, entließ die Kolonne und bat mich, ihm in sein Zimmer zu folgen. Hier wurde ich den Damen vorgestellt, unter denen sich neben der Frau vom Hause eine hübsche, blonde, eben erst verheiratete Elsässerin befand, deren eigentliche, stillschweigend verabredete Aufgabe dahin ging, im Verkehr mit den täglich eintreffenden Gefangenen den Interpreten zu machen, eine Aufgabe, deren sie sich aber nach Möglichkeit entschlug, indem sie, wie mir Kapitän Forot vertraulich versicherte, ihre Zeit lieber dahin anlegte, »vormittags Briefe zu schreiben und nachmittags zu weinen«. Er setzte hinzu: »So ein Krieg, der in die Flitterwochen fällt, ist allerdings das Empörendste, was man sich denken kann.«

Wir plauderten das Übliche, und der Friede (wie immer) wurde wieder auf Tag und Stunde durch mich festgestellt. Inzwischen waren einige Flaschen Straßburger Bier erschienen; die junge Elsässerin präsentierte das vaterländische Gebräu, und ich letzte mich nach sechs Wochen zum ersten Male wieder an einer Art Gerstensaft. Es war ein sehr mäßiges Produkt, aber, wie immer auch, es war doch Bier, hatte etwas von jenem nervenstärkenden Bitterstoff, der die Hauptsache bleibt, und so kam es mir vor, als ob ich Gesundheit tränke. Kapitän Forot ließ bald die Politika fallen und ging in den Ton über, der seiner feinen und liebenswürdigen Natur der entsprechendste war, in humoristische Neckerei. Sein Hauptstichblatt war die junge Blondine mit ihrem antizipierten Witwenschmerz; aber auch ich erhielt meinen Teil und mußte mir Scherze über die Gefahren des Romantizismus gefallen lassen. Ich tat es nur zu gern. Es waren doch wieder verwandte, anheimelnde Töne. »Enfin«, so schloß er, »ich sehe die Tage heraufziehen, wo Sie die Gefangenschaft auf Isle d'Oléron segnen werden; Sie werden einen guten Stoff gewinnen und ihr zukünftiger Biograph einen noch besseren.«

 


 << zurück weiter >>