Theodor Fontane
Kriegsgefangen
Theodor Fontane

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10. Der Überfall von Ablis.

Schleswiger Husaren und elf vom 11. Bayrischen Regiment.

Von 6 Uhr an war Plauderstunde. Dann kamen, wie schon in einem früheren Kapitel erzählt, die Avantageure, Sergeanten und Unteroffiziere (meist Kavalleristen), um, ein Glas Tee in der Hand und die Füße am Kamin, die Tagesereignisse durchzusprechen: wer krank sei, wer gestorben sei, ob es noch lange dauern werde, ob der Kantinier den Kurs des Papiertalers abermals um fünf Silbergroschen herabgedrückt habe, ob die angesagten Öfen und Strohsäcke eine Wirklichkeit werden oder eine Mythe bleiben würden? Es waren nicht gerade welterschütternde Fragen, die uns beschäftigten, und die an zweiten und dritten Abenden mit derselben Hingebung behandelt wurden wie am ersten; die Hauptunterhaltung blieben aber doch die Kriegsabenteuer, namentlich die Momente der Gefangennehmung, und aus der Fülle von Stoff, der damals vor mir ausgeschüttet wurde, gebe ich das Nachstehende.


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Sergeant Polzin erzählt:

»Unsere Division (Herzog Wilhelm von Mecklenburg) lag in Rambouillet. Wir waren fünf Regimenter stark: Brandenburgische Kürassiere, Fürstenwalder Ulanen, Zietenhusaren, – das waren die alten; dazu zwei neue: die 15. Ulanen und die 16. Husaren, beides Schleswig-Holsteiner. Ich stand bei den 16. Husaren, 3. Eskadron.

Am. 7. Oktober mittags wurden wir alarmiert und auf einer der nach Chartres führenden Chausseen (nicht auf der Hauptstraße) bis zum Dorfe Ablis vorgeschoben. Wir waren die äußerste Spitze. In Chartres stand der Feind.

Es mochte 5 Uhr sein, als wir in Ablis einrückten; es dämmerte schon. Wir suchten das Dorf ab, fanden nirgends Verdächtiges, besetzten die nach Süden zu gelegenen Gehöfte und stellten Doppelposten an die vier Ausgänge des Dorfes. Das sah sehr gut aus und konnte einen Rekruten beruhigen, aber nicht einen Alten. Es war ein Fehler von Grund aus. Unser Rittmeister behandelte uns wie Infanterie; wir waren aber nicht hierher geschickt worden, um Schützen oder Jäger zu spielen. Wir waren Husaren; wir mußten Spielraum haben. Statt dessen hatten wir Barrikaden. Unsinn. Sie kamen uns später teuer genug zu stehen.

Um 9 Uhr – wir lagen schon bei unseren Pferden – rückte noch eine Unterstützung für uns ein: sechzig Mann vom 11. Bayrischen Regiment. Nun sicherlich wäre es an der Zeit gewesen, unsere Husaren wieder zu Husaren zu machen und nach allen vier Seiten hin Vedetten zu stellen und Rekognoszierungspatrouillen auszuschicken; aber nichts von dem allen geschah. Wir sollten als »Infanterie« zugrunde gehen.

Eine halbe Stunde nach dem Einrücken der Bayern schlief alles fest. Ich allein wachte. Ich hatte in dem Gehöft, in dem wir lagen, den ganzen Abend über ein Kommen und ein Gehen bemerkt, ein Tuscheln und Flüstern und dann wieder ein rasches Abbrechen, wenn sie sich beobachtet glaubten. – Das ganze Nest war mir unheimlich vorgekommen; es stand fest in mir, daß es was geben müsse. Bei jedem Geräusch horchte ich auf; aber es war nichts. Ich hörte es noch Mitternacht schlagen; dann fiel ich in tiefen Schlaf wie die anderen.

Es mochte 3 Uhr sein, als es an die Stalltür pochte: klick, klack. Ich sprang auf und rief noch in halbem Schlaf: »Gleich, gleich«; aber während ich noch auf die Stalltür zutappte, steigerte sich das Klopfen so, daß es kein Klopfen sein konnte: klick, klack, wie wenn Steine aufs Dach fallen. Jetzt wußte ich, was los war: »Raus, Kerls, wir sind überfallen.«

In meinem Stall lagen zehn Mann. Wie ein Wetter waren sie auf, aller Schlaf wie weggeblasen; den Karabiner in der Hand, stürzten wir hinaus. Als wir in die Dorfgasse traten, stand schon alles im Gefecht. Von rechts her, aus der Mitte des Dorfes, wo die beiden Gassen sich schneiden, hörten wir das Kommando der bayrischen Offiziere, von links her blitzten die Karabinerschüsse der Unseren oder leuchtete mitunter das Blau und Weiß der Uniformen. Der Feind schien überall. Im Einverständnis mit den Bewohnern drang er weniger durch die Eingänge des Dorfs als durch die Häuser und Gärten vor; aber noch war nicht alles verloren. Die Bayern, ersichtlich, hielten stand; ja, wir konnten hören, daß sie Terrain gewannen. Wir riefen uns einander zu. Wenn wir jetzt als richtige Husaren unsere Pferde unterm Leibe in die zerstreut kämpfenden Feinde hineingefahren wären und in immer wiederholtem Auf- und Niederjagen die beiden Dorfstraßen leer gefegt hätten, während die Bayern die vier Eckhäuser am Kreuzungspunkt besetzt hielten, so wären wir vielleicht durch gewesen. Aber die verd . . . Barrikaden. Keine fünfzig Schritte freie Bewegung. Wir scheiterten, weil wir uns statt auf die Pferde auf die Karabiner verlassen mußten. Jeder kann nicht jedes.

So knatterte es hin und her. Unsere dünne blaue Linie wurde immer dünner; die anstürmenden Franktireure drängten uns von der Straße auf das Gehöft, von dem Gehöft in die Ställe. Hier standen wir jetzt ratlos bei unseren Pferden; von außen her durch Türen und Luken knallte der Feind aufs Geradewohl in die dunkeln Räume hinein. Unteroffizier Balzer, eines reichen Gutsbesitzers Sohn, unser aller Liebling, sprang, als er Mann und Pferd neben sich fallen sah, mitten in den Haufen der Draußenstehenden hinein und rief: »Pardon!« Sein gutes Gesicht, seine bittende Stimme schienen ihn retten zu sollen: Der Zunächststehende setzte das Gewehr ab und sah ihn an; aber im selben Augenblick sprang ein Zuave vor und jagte ihm mit einem Deutsch gesprochenen »Stirb, Hund« die Kugel durch den Kopf.

Wir anderen kapitulierten. Alle Offiziere waren tot; wir waren noch sechsundfünfzig Mann.«

Korporal Vollnhals erzählt:

»Wir rückten um 9 Uhr ins Dorf, drin wir die Schleswiger Husaren schon vorfanden. Wir waren sechzig Mann unter Oberleutnant Schneider vom 11. Regiment, 1. Bataillon (Regensburg). Die Ausgänge waren von den Husaren besetzt; wir verdoppelten die Posten, legten eine Feldwache von dreißig Mann nordwestlich und bezogen mit dem kleinen Rest, der uns blieb, Alarmquartiere in der Mitte des Dorfes. Ich war im Dorfe.

Um 3 Uhr knatterte es draußen. Der Feind griff von allen Seiten gleichzeitig an; so hieß es denn Knäuel bilden, um die Zurückgehenden aufnehmen und den Feind, woher er auch komme, erwarten zu können. Unsere ausgestellten Posten waren sämtlich weggeschossen worden, die zurückgehende Feldwache hatte schwere Verluste gehabt; so musterten wir denn nur noch vierzig Mann. Mit diesen galt es jetzt das Dorf zu halten. Nach Süden hin in geringer Entfernung standen die Husaren.

Eine Viertelstunde lang ging es. Wir attackierten mit dem Bajonett und drängten das, was uns gegenüber stand, mehrmals bis an die Einfassungsmauer zurück; aber jedesmal, wenn wir anschlugen, um eine volle Salve in den dichten Haufen hinein abzugeben, hieß es aus dieser Masse heraus: »Schießt nicht, Kinder, wir sind ja Preußen.« Im selben Augenblick trafen uns Kugeln von hinten her. Nun machten wir kehrt, glaubten wirklich, den Feind bloß im Rücken und in unserer Front die Preußen zu haben, aber im selben Moment, wo wir die Schwenkung gemacht, umzischten uns auch schon wieder die Kugeln unserer vermeintlichen deutschen Brüder. Wir wußten nicht ein noch aus, und zuletzt, von Wut und Todesangst getrieben, schossen wir blind in alle Haufen hinein, um dem Spiel ein Ende zu machen.

Aber das Spiel war uns bereits teuer zu stehen gekommen. Alle Offiziere tot. Als ich jetzt an dem Straßenkreuzungspunkte mich umschaute, sah ich, daß wir nur noch fünfzehn Mann waren. Ich war der einzige Chargierte und übernahm das Kommando. Von allen Seiten gedrängt, zog ich mich in das zunächst gelegene massive Haus zurück und besetzte den ersten Stock, nachdem ich die Tür unten, so gut es ging, verrammelt hatte. An jedem Fenster vier Mann. Ich postierte sie schräg hinter dem rechten Pfeiler, so daß sie gedeckt standen und einen sicheren Schuß hatten. Der Himmel war mit uns. Bis dahin war es dunkel gewesen; jetzt aber dämmerte es, und der erste über die Dächer kommende Tagesschimmer fiel so hell auf unsere Läufe, daß wir das Korn sehen und scharf zielen konnten, während die Franzosen unten im Halbdunkel standen. So ging es fort, bis alle Patronen verschossen waren; unser matter werdendes Feuer hatte ohnehin dem Feinde schon verraten, wie's mit uns stand. In diesem Augenblick rückte die Masse drüben zum Sturme vor. Noch einen letzten Schuß gab ich ab; dann hörten wir, wie unten die Fenster und Hintertüren eingestoßen wurden und alles treppan lärmte. Eine Salve in unser Zimmer hinein: vier von meinen Leuten stürzten; ein Chasseur packte mich beim Kragen und schüttelte mich. Ich stieß ihn in eine Ecke zurück. Wütend setzte er mir das Gewehr auf die Brust und drückte los, während ich eben den Lauf an der Mündung gefaßt hatte. Die Kugel riß mir die Spitze des kleinen Fingers fort. Jetzt mußte sich's entscheiden. Wir wollten uns eben an den Hals fahren, als ein Offizier, soviel ich verstehen konnte ein Pole, zwischen uns sprang und mich rettete. Er erklärte uns alle »als in seinen Schutz gestellt«, und als er sah, daß wir nur noch elf Mann waren, lobte er uns. Mir nickte er zu, was er jedesmal wiederholte, wenn er später an mir vorüberkam.«

Sergeant Polzin erzählt weiter:

»Um 5 Uhr früh war alles, was von uns noch übrig war, in dem großen Gastzimmer des einen Gehöftes versammelt: Husaren und Bayern, alles bunt durcheinander. Verwundete gab es nicht; wenigstens haben wir nichts davon gehört.

Es war eine wunderliche Beleuchtung: Kaminfeuer und ein halbes Dutzend Lichter auf Blaker und Flaschen gesteckt. Zwei oder drei dieser Lichter standen auf einem großen runden Tisch, der an ein offenstehendes Fenster gerückt worden war; Tageslicht drang ein. Wir atmeten auf in dieser Morgenfrische. Auf dem Tische selbst lag alles aufgeschichtet, was man den Toten draußen an Geld und Geldeswert abgenommen hatte; jetzt mußten auch wir deponieren, was wir in unseren Taschen hatten. Mitunter half eine Franktireurhand nach und beschleunigte die Untersuchung. Nun ging es an ein Sortieren und Teilen. Ein Zehntalerschein, dessen Wert der großen Mehrzahl ein Geheimnis war, wurde verächtlich beiseite geschoben. In demselben Augenblick aber fuhr durch die dem Tisch zunächst stehende Franktireurmauer eine Hand hindurch, griff nach dem Schein und sagte mit unverkennbarem Akzent: »Dir kann ich jrade brauchen.« Es war eine Art Elitekorps, mit dem wir es zu tun gehabt hatten: Fremdenlegionäre, Abhub aus aller Herren Länder, Italiener, Polen, Hannoveraner, und – wie überall in der Welt – auch Berliner.

Von Geldeswert war uns allen nur eines geblieben: Einem meiner Husaren hatte ein Seitenschuß die ganze Uhr aus der Kapsel herausgeschossen; an seiner Uhrschnur hing nichts als die silberne Schale. In gutem Humor hatte man sie ihm als »Andenken an Ablis« überlassen.

Wir erhielten einen Frühtrunk und einen Bissen Brot; dann ging es auf Chartres zu. Unter dem Jubel der Bevölkerung zogen wir ein.

Gegen Abend sahen wir von unserem Gefängnis aus, daß sich der Himmel gegen Norden hin rötete. Wir ahnten, was es war; drei Tage später wußten wir es. Die ganze Division war von Rambouillet aus gegen Ablis vorgerückt, um das Dorf für seinen Verrat zu strafen. In weitem Kreise standen die Regimenter; dann feuerte die reitende Batterie ihre Brandgranaten in das unglückliche Dorf, und am anderen Morgen war Ablis ein Aschenhaufen.«

 


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