Theodor Fontane
Kriegsgefangen
Theodor Fontane

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7. Mittag.

Der Vormittag, der dem Morgenspaziergang folgte, gehörte der Arbeit. Himmlische Ruhe! Wie leicht, wie behaglich es aus der Feder floß! So kam Mittag heran.

Um 12 Uhr präzis klopfte es, und auf mein nach Gutdünken abgegebenes »Entrez« oder »Herein« erschien Madame la Cantinière, eine fteundliche, bleichsüchtige Frau, die nach unendlichen Knicksen und Begrüßungen und unter einem Schwall von Redensarten, aus denen ich mir nur die Stichworte aussuchte, meine Hauptmahlzeit servierte. Diese führte abwechselnd den Namen Déjeuner oder Diner, ohne daß die wechselnde Bezeichnung den geringsten Einfluß auf die Sache selbst geübt hätte. Ein Tisch existierte nicht; der Schreibtisch war sakrosankt; so blieb denn nur die Kommode, die zum Zeichen ihrer Doppelbestimmung und sozusagen als »Tischtuch in Permanenz« eine auseinandergefaltete Serviette trug. Einen Wechsel derselben hab' ich nicht erlebt. Auf diese Unterlage nun stellte Madame la Cantinière das zusammengeklappte Tellerpaar, das wie eine große Muschel aussah, aber in der Regel einen Kern barg, der seinem ganzen Gefüge nach alles andere eher war als eine Molluske. An vier Tagen von fünf war es ein Stück in die Pfanne geworfenes Rindfleisch, ein Rundstück, mit gedörrten Kartoffeln und Seesalz garniert, an das ich nun coûte qu'il coûte heranmußte. Ich zwang es auch in der Regel, wiewohl ich sagen muß, daß es für das, was man mit fünfzig Jahren von Zähnen noch übrig hat, eine Schule und eine Prüfung war. Die genaue Verteilung von einem Korn Seesalz auf je ein Stück Kartoffel, etwa wie ein Konditor die Törtchen mit Kirsche oder Pistazie belegt, gewährte mir dabei eine kleine Unterhaltung. Ich machte es sorglich und gewissenhaft, das jedesmalige Größenverhältnis wohl abwägend. Dazu trank ich Landwein, der einen unglaublich schönen Namen hatte, aber nach dumpfem Faß schmeckte, und dem ich durch Zucker und Wasser aufzuhelfen suchte.

Was die Arrangements angeht, so darf ich wohl hinzusetzen, daß ich meine Mahlzeit notgedrungen im Stehen einnahm, da die Kommodenkästen keinen Stuhl gestatteten, und daß ich (man erhält in gewöhnlichen Lokalen immer nur eine Gabel) dies unvollkommene Besteck durch ein in Besançon erobertes Klappmesser vervollständigte, dessen Klinge sich wie Blech bog. Wie man es stellte, so stand es.

Dies alles war die gebrechliche Seite des Diners, aber das Dessert brachte alles wieder ins reine. Ich schälte sorglich, nachdem das Klappmesser in der Kaminasche einen Läuterungsprozeß durchgemacht hatte, eine große Goldreinette und begann nun, Scheibe auf Scheibe mit immer erneuter Freudigkeit zu genießen, während Blanche mit den Schalen spielte und neben mir bereits das Wasser brodelte, das zehn Minuten später braun und duftig in das von dem Landwein desinfizierte Glas floß. Im Schlürfen des geliebten Trankes vergaß ich vieles, und vieles stieg lächelnd und grüßend herauf.

Die gebauchte Blechkanne aber, von einfach sinnreicher Konstruktion, aus der mir so viele freundliche Minuten erblühten, ich habe sie als Erinnerungsstück mit heimgenommen.

 


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