Frederik van Eeden
Der kleine Johannes
Frederik van Eeden

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Bis zum Abend hielten sich Johannes und Marion tapfer und verrichteten ihr Tagewerk, so gut es eben gehen wollte, und erzählten den wenigen, die Markus treu geblieben, was sich zugetragen habe.

Aber als die einsame Nacht kam und sie von einander Abschied nehmen sollten auf wenige Stunden, da sagte Johannes:

»Nein, du darfst jetzt nicht von mir gehen. Wie sollte ich es wohl ertragen, so ganz allein mit meinen Gedanken zu sein, und ohne dich?«

Sie waren in der kleinen Küche, in der Marion schlief. Eine Petroleumlampe ohne Glocke stand auf dem kleinen Tisch neben einem schmutzigen Kaffeekessel.

Nachdem Johannes das gesagt, blickte Marion ihn lange an, mit unsicher blinzelnden Augen, gleich als verstände sie ihn nicht recht und als versuche sie langsam zur Besinnung zu kommen. Dann sank sie auf ihr Bettchen, vergrub das Gesicht in die Hände und begann jämmerlich zu weinen.

Und nun war es auch um des Johannes Ruhe geschehen, und er weinte mit ihr, ratlos und verzweifelt, während er neben ihrem ärmlichen eisernen Bettchen niederkniete.

Da sagte Johannes: »Was sollen wir nur anfangen Marion, wenn wir ihn nicht mehr haben?«

Marion antwortete nicht.

»Weißt du es noch, wie er gesagt hat, daß er uns bald verlassen würde?«

»Wenn wir ihn doch nur pflegen dürften,« sagte sie.

»Ob er sterben wird?« fragte Johannes ganz leise.

»Er kann sterben so gut wie wir. Ist er denn nicht von Fleisch und Blut?«

»Aber er stirbt doch niemals wirklich.«

»Wir auch nicht, Hanni, aber was nützt das alles? ich kann nicht sein ohne ihn.«

Und wiederum begann sie verzweifelt zu schluchzen.

»Vielleicht ist es nicht gar so schlimm,« meinte Johannes, »wir werden ihn morgen besuchen, und mich wird man sicherlich zu ihm lassen.«

So sprachen sie noch eine Weile. Dann sagte Johannes:

»Laß mich bei dir bleiben, Marion, es ist mir wirklich so, als könnte ich dich nie mehr verlassen.«

Marion blickte ihn durch ihre Tränen an, und sie lächelte.

»Aber Hanni, das geht jetzt nicht mehr so wie früher. Wir sind doch keine Kinder mehr. Ich bin schon achtzehn, und du auch.«

»So laß uns Mann und Frau werden, dann geht es wohl,« sagte Johannes.

»Liebst du denn jene andere nicht mehr?«

»Ich glaube es nicht, Marion, denn die würde von alledem nichts verstehen und unseren Kummer sicherlich nicht teilen.«

»Aber, Hanni, wir sind doch viel zu jung, um Mann und Frau zu werden.«

»Das verstehe ich nicht, Marion. Erst findest du uns zu alt, um zusammen zu bleiben, und jetzt bin ich dir wieder zu jung. Und dennoch will ich bei dir sein. Wie fangen wir das bloß an?«

»Hör mal, Hanni, früher hast du mal zu mir gesagt: Keine Liebelei, und das hat mir sehr, sehr weh getan, denn ich liebte dich viel mehr als du mich. Warum bist du denn niemals zärtlicher zu mir gewesen?«

»Weil ich immer an das häßliche schwarze Weib denken mußte. Ich konnte es nicht ertragen, daß sie bei dir war.«

Marion dachte einen Augenblick nach und sagte dann: »Das ist doch kein Grund, Hanni, um unfreundlich zu mir zu sein. Ich bin nicht gemein, so wie sie.«

Johannes schwieg, und darauf sagte sie wieder:

»Aber dann weiß ich was, Hanni, du darfst hier bleiben, aber jetzt werde ich sagen »keine Liebelei« und ganz hart zu dir sein, bis du das häßliche Weib vergessen hast. Ist dir das recht?«

»Ja, Marion,« sagte Johannes. Und sie gab ihm ein Kissen und eine Decke, und so lag er auf dem Boden der harten Küche, die ganze lange Nacht. Und hin und wieder, sobald der eine merkte, daß der andere noch wach war, sprachen sie ganz leise von ihrem armen Freund und versuchten einander zu trösten.

Und so geschah das, was ich euch sagte, nämlich, daß sie Mann und Frau wurden, noch bevor dies Buch zu Ende geht.

Aber wann Johannes das häßliche Weib vergessen hatte, das sage ich euch nicht, denn es geht niemanden etwas an.


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