Frederik van Eeden
Der kleine Johannes
Frederik van Eeden

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Es waren freudigere Geräusche, die ihn aus dem Schlaf weckten. Etwas Hoffnungsfrohes und Liebliches war in ihm und um ihn, als er die Augen wieder aufschlug und sich in dem engen dunklen Bodenraum umsah. Ein helles Bündel Sonnenstrahlen stand wie ein schräger Pfeiler auf das kleine Dachfensterchen gerichtet. Johannes sah die glitzernden Stäubchen umhertanzen.

Draußen und drunten hörte Johannes Frauen singen und laut und fröhlich schwatzen, so wie sie es zu tun pflegen, wenn sie des Morgens im Hof oder in der Küche eifrig bei der Arbeit sind. Die Unordnung von gestern wurde fortgeräumt und alles zu einem neuen Jahrmarktstage hergerichtet.

Neben ihm lag sein Begleiter und schlief ruhig. Er hatte nur seinen Rock ausgezogen und sich damit zugedeckt, und seine Schuhe, die neben der Matratze standen. Aber er schlief vollkommen fest und ruhig, den Kopf auf seinem aufgerollten Mantel. Das lockige Haar war jetzt getrocknet, und es lag etwas mehr Farbe auf seinen Wangen. Andächtig betrachtete Johannes die rechte Hand, die unter dem dünnen Rock zum Vorschein kam und seitlings von der Matratze auf den Boden herabhing. Es war eine schlanke feine Hand mit kurzgeschnittenen Nägeln – aber die schwarzen Flecken, die Johannes gestern darauf gesehen, waren auch jetzt noch da – die ließen sich nicht mehr fortbringen: die Arbeit hatte sie hineingegraben.

Still schlich Johannes hinunter und wusch sich an der kleinen Pumpe, die im Hof stand. Um ihn her war fröhliche Geschäftigkeit; es wurde geputzt und gescheuert und gespült und gewaschen. Der Sommermorgen war warm und frisch zugleich, die Welt hell und nüchtern, und in ihr nichts von Traum und Phantasie.

Die Frau am Schenktisch goß ihm eine Schale Kaffee ein und fragte so beiläufig, ob sein Kamerad noch schliefe und auf welche Weise Johannes ihm eigentlich begegnet sei.

»Ach, ganz zufällig«, antwortete Johannes, während er heftig errötete. Nicht nur weil er log, sondern weil dieser Punkt ihm selber gar zart und geheimnisvoll erschien und so über alle Maßen gewichtig.

»Wer ist er denn eigentlich?« fragte er darauf mit einem Gefühl, als übe er Verrat.

»Wer er ist?« rief die Frau mit lauter Stimme und solchem Nachdruck, daß die andern Frauen aufblickten und für einen Augenblick in ihrer Arbeit innehielten – »hört ihr das? er fragt wer Markus ist!«

»Meinst du Markus Vis?« fragte eine junge, schmutzige Arbeiterin.

»Jawohl, den meint er«, antwortete die Wirtin.

Die Frauen blickten einander flüchtig an und begannen dann gleich darauf wieder zu scheuern und im Wasser herumzuplantschen.

»Jetzt weiß ich noch immer nichts«, sagte Johannes, schon ein wenig offenherziger.

»Wir wissen's auch nicht«, sagte das schmutzige Mädchen, »weißt du es vielleicht, Bet?«

»Ich weiß nur, daß er ein verdammt guter Kerl ist«, antwortete Bet.

»Manch einer behauptet, daß es mit ihm nicht ganz richtig sei«, meinte eine der andern Frauen.

»Na, nicht richtig mag er meinetwegen sein, aber daß er das Rechte tut, das sage ich«, meinte Bet.

Das klang zwar nicht ganz klar, aber Johannes begriff es dennoch.

»Der hat solch gesunden Verstand wie ihr alle vier zusammen«, sagte die Wirtin entrüstet. »Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen bei der Tochter von Sannes, dem Zinkgießer, bei der schon vier Ärzte gewesen waren, die sie alle aufgegeben hatten, denn es war nur noch ein kleines Fünkchen Leben in ihr, aber da hat Markus das Kind auf den Schoß genommen, und dann ist all der Schleim losgekommen, und gestern habe ich das Kind auf der Kirmes gesehen mit der Mutter.«

»Na, und neulich erst ...« sagte das schmutzige Mädchen, »als der große Knelis vom Gemüsemarkt wieder betrunken war, du weißt schon: der ekelhafte Raufbold mit der weißen Klappe an der Mütze, da hat er ihn ganz einfach beim Arm gepackt und zu seiner Alten gebracht, und der Kerl lief mit, wie eine Ziege am Strick.«

So folgte eine Erzählung der andern, und alsbald wußte Johannes, wie angesehen und beliebt sein Begleiter bei den Kirmesleuten war und bei den Arbeitern und Tagelöhnern, ja sogar bei den Ladeninhabern und Schankwirten – trotzdem er ein schlechter Kunde war.

»Und was treibt er denn eigentlich?« fragte Johannes.

»Weißt du denn das nicht einmal?« fragte die Frau höchlichst erstaunt, »und dabei glaubte ich, du seiest zu ihm in die Lehre gekommen. Er ist Scherenschleifer. Sein Wagen steht hier im Schuppen.«

Johannes fühlte, wie sein Herz wiederum zu klopfen begann, denn er hörte, wie sich der näherte, von dem sie soeben sprachen.

Er hatte kaum den Mut, ihn anzusehen; die Wirtin aber rief:

»Guten Morgen, Markus! sagt mal, der Bengel da ist aber auch nicht allzu schlau, der weiß ja noch nicht mal, was für ein Handwerk ihr betreibt.«

Und Markus sagte: »Guten Morgen beisammen. Kann ich wohl ein wenig Kaffee haben? Er hat ja auch noch Zeit genug, das zu hören. Das Drehen lernt man rasch.«

»Muß er drehen?« fragte die Frau, »habt ihr denn keine Tretmaschine?«

Markus stellte seine Kaffeeschale vorsichtig auf einen kleinen Tisch zwischen lauter ausgespülte Schnapsgläser und setzte sich hin, während die Frau Brot schnitt.

Da wechselten Johannes und er einen Blick voll tiefen Einverständnisses. Markus hatte mit seiner ernsten wohllautenden Stimme ganz unbefangen gesprochen, ohne daß die Menschen, mit denen er redete, etwas Besonderes aus seinen Worten vernommen hätten. Aber sie hörten ihm gerne zu, das merkte man. Sobald seine Stimme erklang, pflegten die andern ihr Gespräch meist kurzweg abzubrechen und allem, was er im Ernst oder im Scherz sagte, und sei es auch das geringste, wurde die größte Aufmerksamkeit gezollt.

»Jawohl,« sagte Markus, »ich habe jetzt einen Wagen mit einer Tretmaschine: aber es gibt heutzutage noch viel schönere mit Glaswänden ringsherum und einem großen Rad, das ein anderer drehen muß.«

»Blitz noch mal,« sagte die Frau, »wollt ihr so hoch hinaus? Wohl eine Erbschaft gemacht? oder das große Los gezogen?«

»Nein, Frau Schimmel, aber ich dachte so bei mir: Ihr Geschäft scheint in der letzten Zeit recht gut zu gehen – und wenn Sie jetzt doch nächstens zum Bankier müssen mit Ihrem Geld, dann leihen Sie mir vielleicht hundertundfünfzig Gulden auf Abzahlung. Einen Gulden pro Woche; ist Ihnen das recht?«

Die Frauen lachten.

Frau Schimmel lachte gleichfalls und rief: »So'n Jude!« fügte dann aber nach kurzem Zögern hinzu: »Na, meinetwegen denn. Aber dann sollt ihr mir dafür auch gleich meine Messer schleifen, auf Abzahlung – und haarscharf, hört ihr wohl?«

Und als Markus und Johannes ihr Brot verzehrt hatten, wurde der alte Wagen aus dem Schuppen geholt und abgestaubt; der Riemen wurde angefeuchtet, die Achsen geölt und die Messer geschliffen. Und aufmerksam sah Johannes zu, wie geschickt und behende Markus den Stahl drehte und wandte, bis er scharf und blank war, und ein goldner Sprühregen von Funken aus dem Stein aufstieg.

Darnach zogen sie zusammen des Weges, denn jetzt mußte Geld verdient werden.

Langsam schritt Markus, seinen Wagen weiterschiebend, durch die sonnigen Straßen, die schon sehr belebt waren. Von Zeit zu Zeit schrie er laut: »Scheren–schlei–ei–eifen«, daß es alles Wagengerassel und alles Lärmen übertönte, während er aufmerksam links und rechts ausschaute, ob sich etwa jemand zeige, der etwas zu schleifen hatte. Und Johannes lief voran und klingelte an allen Häusern und brachte die Scheren und Messer herbei.

Eifrig tat Johannes, was in seinen Kräften stand. Er fühlte, daß für ihn das echte schwere Leben erst jetzt begänne. Er mußte arbeiten ums tägliche Brot und Geld verdienen. Noch niemals hatte er über Geld und Geldverdienen nachgedacht. Allein die Wirklichkeit wurde immer nüchterner und unerbittlicher. Alle Menschen um ihn her sprachen von Geld und Geldverdienen, und seinen erhabenen Begleiter sah er arm und dürftig und zu harter unermüdlicher Arbeit gezwungen, wollte er nicht verhungern. Jetzt ward das Leben ernst.

Gesprochen wurde nur wenig zwischen den Beiden, denn sie hatten zu viel zu tun. Johannes verrichtete seine Arbeit fröhlich und guter Dinge; er empfand es als etwas Heldenhaftes und Gewichtiges, daß er, der Jüngling, der eine vornehme Schule besucht hatte, jetzt als Scherenschleifergehilfe umherzog – und wenn die Dienstmädchen seinen hübschen Anzug mit erstaunten Blicken maßen, ertrug er es tapfer. Wenn er aber einem alten Schulkameraden begegnete, so war ihm das äußerst peinlich. Gegen zwölf Uhr wurde er müde und hungrig. Mit einem Gefühl, das er niemals gekannt, ging er jetzt an den Bäckerläden vorüber. Es wollte ihm fast scheinen, als habe man ihm etwas genommen, als habe er auf jenes Brot seinen Anspruch zu erheben.

Da gelangten sie zu dem Zirkus, in dem Marion hauste. Und da saß sie mit ihrer dunkeläugigen Schwester. Das hellblonde Haar trug sie jetzt in dicken Flechten um den Kopf gelegt.

Johannes hörte das Geräusch eines eisernen Kessels, der geschüttelt wurde, und er wußte, daß das Kartoffeln bedeutete. Auch Speck gab es und zusammengekochtes Gemüse.

An all diese Dinge dachte Johannes zunächst und mit dem größten Interesse. Das kam daher, weil er so hungrig war. Er vermochte an nichts anderes zu denken, bis er gegessen hatte, schnell und gierig. Dann blickte er auf, ein wenig beschämt.

Sie saßen draußen zwischen den Rückwänden der Buden unter einem Segeltuch, das zum Schutz gegen die grellscheinende Sonne ausgespannt war. Ganz in ihrer Nähe stand der Zeltwagen, der grün bemalt und mit bunten Verzierungen geschmückt war. Da stand ein Käfig mit einem Kanarienvogel auf dem kleinen Balkon zwischen den Blumentöpfen, und lustig sang der Vogel.

Jetzt fand Johannes es schön und gut unter den Menschen. Da saß das lichte Wesen mit dem bleichen Gesichtchen, den großen grauen Augen und dem weißlich-blonden Haar, das ihr in Flechten wie ein Diadem um den Kopf lag. Es war Johannes, als strahle ein herrlicher Glanz von ihr aus, ein Licht, das zugleich süß schmeckte und köstlich duftete. Und konnte sie nicht wundervoll reiten und durch Reifen springen und mit ihren mageren Händchen geschickt Teller in die Luft werfen und sie wieder auffangen und balancieren lassen? Und sie schaute Johannes oft und lange an und schien Gefallen an ihm zu finden.

Neben ihr saß Markus, ernst und ruhig, und aß, den Kopf leicht vornüber geneigt, während sich das dunkle Haar in seinem Nacken kräuselte: das erschien Johannes gar vertraut.

Und neben ihm Marions Schwester. Vor ihr fürchtete Johannes sich ein wenig. Sie saß dicht neben ihm und aß sehr hörbar. Sie schöpfte Johannes die Speise auf den Teller und klopfte ihm hin und wieder auf die Schulter, indem sie ihn zum Essen ermunterte. Dann blickte sie ihn an, freundlich zwar, aber zugleich auch kalt und durchdringend und wie mit einer beklemmenden Absicht. Ihre Augen schienen beinahe schwarz, und ihr Haar war leuchtend schwarz wie Ebenholz, aber ihre Haut zart und weiß, fast wie Wachs. Jedesmal, wenn sie sich bewegte, raschelten ihre Kleider, und um sie her war ein süßlich-fettiger Duft von allerhand Essenzen.

Hinter Marion saß der kleine Affe und verfolgte mit seinem scharfen ernsthaften Blick aufmerksam das Auf- und Niedergehen der stählernen Gabeln. Hin und wieder sagte Marion etwas zu ihm, und dann knurrte er in gieriger Erwartung des Essens.

Diese Viertelstunde war köstlich. Johannes mußte oftmals zu Marion herüberschauen und sich darauf besinnen, wem sie doch gleiche und warum es ihm so scheinen wolle, als kenne er sie schon lange. Und es tat ihm wohl und er fühlte sich geschmeichelt, wenn sie zu ihm sprach und vertraut mit ihm tat wie mit einem kleinen Freunde. Ja, er empfand sogar wieder etwas von dem alten Gefühl, das er bei Windekind empfunden, von dem traulichen Freundschaftsgefühl. Allein er sah wohl, daß sie Windekind nicht glich; er sah auch, daß ihre Nägel nicht ganz sauber waren und bemerkte, daß sie manchmal häßliche Worte gebrauchte, ja, daß sie sogar hin und wieder fluchte. Aber dennoch klang ihre Sprache nicht platt und gemein, sondern wohllautend und mit einem fremdländischen Akzent; und ihre Bewegungen waren beinahe immer anmutig, wenngleich sie manches tat, was ihm, weil es schlechte Manieren bedeutete, niemals gestattet worden war.

Der Nachmittag, der jetzt folgte mit derselben Arbeit – es galt wiederum die sonnige Stadt zu durchkreuzen – war beschwerlich. Zuletzt vermochte er kaum noch zu denken und seine Füße schmerzten ihn heftig. Müde und traurig sank er auf die steinernen Stufen einer Treppe hin, als die Schatten tiefer und kühler wurden, und dachte an den kleinen dunklen Bodenraum, auf dem er auch in der kommenden Nacht wieder schlafen würde.

»Nur Mut, Johannes, wir haben unsern Tagelohn schon beinahe verdient, und dann gehen wir zu Frau Schimmel, um unser Brot zu essen.«

»Wieviel haben wir verdient?« fragte Johannes, der Trost erhoffte von dem Reichtum, den die schwere Arbeit ihm eingebracht haben würde.

»Zwei Gulden siebenundvierzig,« sagte Markus.

»Ist das genug?«

»Solange wir umsonst bei Frau Schimmel schlafen und umsonst im Zirkus essen können, wohl, aber das geht nicht immer.«

Da kam eine tiefe Entmutigung über Johannes. So müde schon und erst so wenig getan! Noch nicht einmal den Lebensunterhalt verdient! Wie würde er da wohl jemals Kraft für die Menschen übrig behalten? Den Kopf in die Hände gestützt, blickte er träumerisch vor sich hin.

»Müde?« fragte Markus leise.

Johannes nickte.

Und dann sagte Markus:

»Bedenke nur, mein Junge, daß dies dein erster Tag ist. Du wirst dich daran gewöhnen und dann wird es besser gehen.«

Johannes sah auf und blickte seinen Begleiter, der geduldig damit beschäftigt war, etwas an der Wagenachse in Ordnung zu bringen, mit müden, mutlosen Augen an.

»Aber dein erster Tag ist es doch nicht, nicht wahr, Markus? Für dich kann es nie besser kommen. Und wie soll das dann werden? Ach, es wird niemals gehen.«

Und ein seltsam-bittrer Gedanke kam in Johannes auf, gleich als sei das alles nur Trug und Torheit, und als werde er zum Narren gehalten. Was war das für ein Mann, der da an dem Wagen herumbastelte, mit den langen Haaren, der häßlichen alten Mütze und der ausgefranzten Hose?

Markus wandte sich um und blickte ihn an. Sofort schämte er sich seiner Gedanken und zugleich überkam ihn ein furchtbares namenloses Mitleid, daß er, der dort vor ihm stand, sich so abquälen mußte in Armut und Häßlichkeit.

Diesmal brach er in leidenschaftliches Schluchzen aus. Er war so müde, so abgespannt, und wiederholte laut weinend immer wieder:

»Warum denn? Ich begreife es nicht ... Es wird nie gehen ... nie ... nie!«

Markus schwieg und tröstete ihn nicht, sondern sagte ihm nur streng und leise, daß sie den Wagen weiterschieben und nach Hause gehen wollten, weil die Menschen schon anfingen, sie zu beobachten.

Johannes legte sich früh schlafen, und sein Begleiter tat wie er.

Der Kirmestrubel begann von neuem, und hell und klar schien der Mond in den Bodenraum hinein. Die beiden Freunde lagen auf ihren harten Matratzen und redeten leise miteinander, Hand in Hand. Und jetzt sprachen sie wieder in der alten feierlichen Weise, nicht die häßliche alltägliche Sprache, der sich alle Menschen bedienten, sondern so wie Johannes einst mit Windekind gesprochen hatte.

»Was ist es doch, das mich so traurig macht, wenn ich dich anschaue, mein Bruder?« fragte Johannes. »Ach, wenn ich deine ärmliche Kleidung sehe und deine schmutzigen Hände, wenn ich höre, wie diese armen verwahrlosten Menschen zu dir wie zu ihresgleichen sprechen, wenn ich sehe, wie du ihr hartes und häßliches Leben mitlebst, dann vermag ich mein Schluchzen nicht zu unterdrücken. Es tut mir so leid, daß ich mich dumm benommen und die Aufmerksamkeit der Menschen erregt habe, aber es ist auch so entsetzlich.«

»Es ist auch entsetzlich, Johannes, aber nicht um meinetwillen, sondern weil es nötig ist.«

»Wie kann es denn nötig sein, daß du so häßlich und traurig bist? Ist das Häßliche und Traurige denn gut?«

»Nein, Johannes, das Häßliche und Traurige ist schlecht, das Schöne und Freudige allein ist gut und das Einzige, wonach wir streben sollen.«

»Aber du kannst doch schön und freudig sein, lieber Bruder, was könntest du wohl nicht? Ich weiß es ja doch, daß ich dich über die leuchtende See habe schreiten sehen. Das war doch kein Trug, nicht wahr?«

»Nein, das war kein Trug.«

»Ich habe damals nur dein Angesicht gesehen, nicht dein Gewand. Nur dein Angesicht, und das war schön und erhaben. Und wenn du über die See schreiten kannst, dann kannst du doch sicherlich auch schön und freudig und erhaben sein, wenn du es so willst, auch unter den häßlichen Menschen.«

»Das kann ich auch, Johannes, aber ich will es nicht, denn ich habe die häßlichen und traurigen Menschen lieb. Ich will viel mehr, gerade weil mir so viel Kraft gegeben ist. Ich will ihr Bruder sein, auf daß sie mich kennen sollen.«

»Mußt du denn deswegen niedrig sein und traurig?«

»Ich bin nicht niedrig und nicht traurig. Meine Seele ist erhaben und mein Herz freudig – und weil ich so stark bin, kann ich mich herabneigen zu jenen, die da niedrig und traurig sind, auf daß sie zu mir, und mit mir zu dem Lichte gelangen.«

Die Augen geschlossen, nickte Johannes befriedigt vor sich hin und schlief ein, die Hand seines Freundes in der seinen haltend.


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