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Zehntes Kapitel

Ueberschrift: »Hier wird davon berichtet, was die Nornen über Lebenszeit und Lebensgeschick [Gest's] im Voraus bestimmten« S; »Norna-Gest wird auf des Königs Veranlassung getauft« F.

»Das geschah damals, als ich bei meinem Vater aufwuchs, in dem Orte, der Gröning S. oben S. 347, Z. 2. heißt. Mein Vater war reich an Geld und Gut und führte einen großartigen Haushalt. Es zogen ||77) damals dort Volven S. oben S. 46**. 263**. Hier zu herumziehenden Wahrsagerinnen herabgesunken (wie z. B. auch in der Saga von Eirek dem Rothen). durchs Land, welche Wahrsagerinnen genannt wurden, und weissagten den Leuten ihr Schicksal. Deshalb ladeten viele Männer sie zu sich ins Haus, bewirtheten sie und gaben ihnen beim Abschied werthvolle Kleinodien. Mein Vater machte es auch so, und kamen sie mit großem Gefolge Eigentlich: »mit einer Schaar von Männern (Leuten)«. zu ihm und sollten mein Schicksal weissagen. Das ist jüngere Auffassung. Eigentlich bestimmten sie das Schicksal. Denn es sind die Nornen, die hier fälschlich Volven genannt werden. Diese bestimmen auch sonst das Schicksal des Kindes, s. oben S. 40*. 61*. 87**. Ich lag damals in der Wiege Vgl.: »Das ward mir nicht an der Wiege gesungen«., und als sie über meine Sache (Schicksal) ihren Spruch abgeben sollten, brannten über mir zwei Wachskerzen. Sie sprachen Günstiges über mich und sagten, ich würde ein gar glücklicher Mensch werden, und so sollte es mir in allen Dingen ergehn. Die jüngste Norn S. oben Anmerkung. * Es steht übrigens hin yngsta nornin (= »die jüngste, die Norn?). Sollen nur die beiden ältern als Volven bezeichnet werden? Vgl. unten S. 396** »die ältere Volva«. fühlte sich von jenen beiden zurückgesetzt, weil sie sie nicht befragt hatten. Ebenso spricht über Dornröschen die dreizehnte »weise Frau« den Fluch, weil sie nicht geladet ist. Diese weisen Frauen, welche dem Kinde ihre Wundergaben verleihen, entsprechen natürlich den Nornen. Auch war da viel rohes Gesindel, welches sie von ihrem Sitze stieß und zu Boden warf. Hierüber ward sie entrüstet, rief laut und zornig [drein] und hieß jene mit so günstigen Verheißungen inne halten: »denn ich bescheide ihm, daß er nicht länger leben soll, als die Kerze brennt, die hier bei dem Knaben angezündet ist.« Dies »Lebenslicht« ist Symbol des Lebens, wie das noch heute in mancherlei Gebräuchen zu Tage tritt. (Rochholz, Glaube und Brauch 1, 165 ff.) Das Märchen vom »Gevatter Tod« (Grimm, Nr. 44) zeigt uns eine große Höhle, in welcher viele, viele Lichter brennen; jedes ist das Lebenslicht eines Menschen; manche sind eben erst angezündet, manche dem Verlöschen nahe. – Die Verwandtschaft mit der griechischen Sage von Meleager ist unverkennbar.

Hierauf ergriff die älteste Eigentlich steht: »die ältere«; vgl. oben S. 394***. Volva die Kerze, löschte sie aus, und hieß meine Mutter dieselbe aufbewahren und nicht eher anzünden, als in meinen letzten Lebenstagen. Dann gingen die Wahrsagerinnen fort, und banden die junge Norn Hier steht norn, nicht nornin. und führten sie so hinweg, mein Vater aber gab ihnen reiche ||78) Geschenke beim Abschiede. Als ich nun völlig erwachsen war, übergab meine Mutter mir diese Kerze zur Verwahrung; ich habe sie nun hier bei mir.«

Der König sprach: »Was führte dich nun zu uns her?« Gest antwortete: »Es kam mir so in den Sinn: ich gedachte, daß mir von euch irgend ein Glück zu Theil werden würde, dieweil ihr von vornehmen und weisen Männern hoch gepriesen werdet.« Der König fragte: »Willst du jetzt hier die Taufe annehmen?« Gest antwortete: »Das will ich nun nach euerm Rathe thun.« So geschah es denn; der König gewann ihn lieb und machte ihn zu einem seiner Hofleute. Gest ward ein gläubiger Mann D. h. guter Christ. und beobachtete fleißig die vom Könige eingeführten Sitten. konungs sidhum; oder ist allgemein »Hofsitte« gemeint? Er war auch beliebt bei den Leuten.


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