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Zwanzigstes Kapitel

Es trug sich im Auslande zu, daß ein König, der zwei Söhne hatte, krank ward und starb; seine Söhne aber wollten ihm die Todtenfeier halten. Eigentlich: »das Erbgelage trinken«; vgl. oben S.51*. Sie ladeten in der Weise zu dieser Gasterei ein, daß alle Männer, die während der ||295 nächsten drei Winter davon erführen, dazu kommen sollten. Die Kunde verbreitete sich weit durch die Lande, und in diesen drei Wintern rüsteten sie die Gasterei zu. Als nun der Sommer, in welchem die Todtenfeier gehalten werden sollte, und die bestimmte Zeit kam, fand sich eine so große Menge [von Gästen] ein, daß niemand ihresgleichen gesehen hatte Wörtlich: »Beispiele (ähnliche Fälle) dazu wußte, wie groß«, vgl. oben S. 277* u. s. w.; und wurden viele große Hallen mit ihnen besetzt und noch viele Zelte draußen. Da kam gegen Ende des ersten Abends ein Mann zu dieser Halle, der war so groß, daß dort keiner gleich groß war; und das sah man an seiner Ausstattung, daß er bei vornehmen Männern gewesen war. Als er in die Halle kam, trat er hin vor die Brüder, begrüßte sie und fragte, wo sie ihm seinen Sitz anwiesen. Er gefiel ihnen wohl, und hießen sie ihn sich auf die vornehmere Bank setzen. Er brauchte zweier Männer Raum. Sobald er sich niedergesetzt hatte, wurde ihm zu trinken gebracht wie den andern Männern: aber da war kein Trinkhorn so groß, daß er es nicht auf einen Zug austrank. Auch sahen Alle wohl, daß er Andere gering achtete.

Da geschah es, daß noch ein anderer Mann zu dem Feste kam, der war noch größer als der erste. (Diese Männer trugen tiefherabreichende Darum erkennen sie sich nicht. Vgl. S. 230***. Hüte.) Als nun dieser Mann vor den Hochsitz der jungen Könige trat, begrüßte er sie höflich und bat sie, ihm einen Sitz anzuweisen. Sie sagten, er sollte mehr nach oben Eigentlich: »mehr nach innen zu«, wo die höheren (d. h. ehrenvolleren) Plätze waren; vgl. 351††. zu auf der vornehmeren Bank sitzen. Da ging er zu seinem Sitze, und beide zusammen nahmen da einen so großen ||296 Raum ein Wörtlich: »sie waren beide zusammen so groß auf dem Sitze«., daß fünf Männer vor ihnen aufgestanden waren. D. h. daß 5 Männer ihnen hatten Platz machen müssen. Der zuerst Gekommene leistete [dem Zweiten gegenüber] doch weniger im Trinken; der später Gekommene aber trank so schnell, daß er fast alle Trinkhörner [mit Einem Zuge] leerte, und doch bemerkte man nicht, daß er trunken würde; vielmehr bezeigte er sich unverträglich gegen seine Sitznachbarn und drehte ihnen den Rücken zu. Der zuerst Gekommene forderte ihn zu einem Wettgespräche auf badh at their skyldi eiga gaman saman. Worin hier das gaman bestehn soll, zeigt das Folgende. [Nachtr.]: »und zwar will ich anheben.« Damit streckte er die Hand gegen ihn aus und sprach diese Strophe:

»Sag' von deinen tapfern                          32.
Thaten – dich nun frag' ich –:
Wo sahst blutgesättigt
Im Gezweig du Raben schaukeln?
Oefter ließest auf fremder
Bank du dich bewirthen,
Als du blutige Leichen
Der Walstatt Vögeln verwarfst.« ? Ist drœgír í dal richtig? – Der Vorwurf kehrt oft wieder. Vgl. namentlich Fas. 2, 271, Z. 26 f.?

Der höher Sitzende fühlte sich durch diese Ansprache herausgefordert und erwiderte folgende Strophe:

»Schweig, du Stubenhocker,                          33.
Was ist dir Elendem?
Hast niemals geleistet,
Was nicht ich auch könnte.
Hast fraßgierige Wölfe
Nicht im Kampf (?) gemästet Die Uebersetzung dieses Verspaares ist unsicher.,
Ließst nicht Blut das Seeroß D. h. Schiff.
Trinken: was denn thatst du? Eigentlich: »was (Thaten welcher Art) liegt dir am Herzen?« d. h. worin bestehn deine Thaten, wenn du weder zu Lande noch zur See Kämpfe bestanden hast. ||297

Da erwiderte der zuerst Gekommene:

Wir ließen der Seerosse starken                          34.
Bug durch Brandung laufen,
Dieweil an den Seiten blanke
Brünnen Blut bespritzte
           
Eine genügende Erklärung dieser Halbstrophe weiß ich nicht zu geben. S. übrigens d. Nachtr.

Hierauf sprach der später Gekommene:

Keinen von euch sah ich,                          35.
Als wir offen fanden
Heite's Au Ich lese mit Bugge ( Röksten., S. 53 f.) Heita vang. Heite war ein Seekönig, »Heite's Au« ist also das Meer. dem weißen
Roß des Mövenweges = Meer, wie oben S. 282*. Meer-Roß = Schiff, wie oben.,
Und mit Heerhorns Klange láti (statt lási)?
Wir am Land entfaltet
Die prächtige Rabenwolke molla scheint eine leichte, weiße Wolke zu bedeuten (vgl. auch C.-V. 434b). Die »Rabenwolke der Halle« oder »Hallenwolke des Raben« scheint die berühmte Rabenfahne Ragnar's zu meinen, von der Rafn, Kämpehist. (Ragnarss. S. 240) mehr berichtet. »Der Halle«, weil in der Halle aufbewahrt oder verfertigt (?). – Offenbar merkt der Andere grade an dieser Anspielung auf Ragnar's Fahne, die nach diesem Bjorn geführt zu haben scheint (vgl. unten S. 390**), daß er es mit einem alten Kampfgenossen zu thun hat.
Der Halle am rothen Steven.«

Wiederum sprach der zuerst Gekommene:

»Nicht ziemt uns beim Gelage                          36.
Auf der Bank zu streiten,
Welcher von uns tapfrer
Als der andre kämpfte:
Du standst, wo die Woge ||298
Zur See den Stevenhirsch Eigentlich: »Den Hirsch der Steven-Stange«, d. h. Schiff. trug;
Ich saß, wo die Rahe
Den rothen Steven ins Meer Oder »zum Hafen«? til hafnar. trieb D. h. wir waren an verschiedenen Stellen auf demselben Schiff, wir waren Fahrtgenossen.

Darauf antwortete der zuletzt Gekommene:

»Beide folgten Björn wir                          37.
In jedem Schwertgetöse,
Waren erprobte Recken,
Eine Zeit doch Ragnar. D. h. »Vor Bjorn folgten wir eine Zeit lang noch Ragnar selbst«.
Ich war beim Männerkampfe
Im Bulgarenlande.
Dort ward mir wund die Seite:
Sitz du über mir, Nachbar!«

Da erkannten sie sich endlich wieder und blieben da ferner beim Gastmahle.


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