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Ragnar-Lodbroks-Saga.

Die Hdschr. hat hier die Ueberschrift: Saga Ragnars Lodhbrókar. Der Name Lodhbrók (»zottige Hose«, »mit einer Fellhose«) – ursprünglich auf die Kleidung bezüglich, und zwar ein Frauenname – ist zum ehrenden und ständigen Beinamen des König Ragnar geworden. (Wie er zu dem Beinamen kam, s. Gustav Storm, Ragnar Lodbrok, Kristiania 1877, S. 57 ff.)

Uebergangskapitel

In den Ausgaben und Uebersetzungen wird dies Kapitel allgemein zur Volsungasaga gezogen, bei Bugge als Kap. 43. Indessen gehört es inhaltlich mehr zur Ragnarssaga, zu welcher ich es ziehe, insofern es die Jugendgeschichte Aslaug's berichtet, der späteren Gattin Ragnar's – die erst vom Verf. unserer Saga zur Tochter Sigurd's und der Brynhild gemacht ist (s. ob. S. 134**) – mit der Volsungasaga also eigentlich nichts zu thun hat. Am richtigsten stellt man es also als »Uebergangskapitel« vor den Anfang der eigentlichen Ragnarssaga; s. übrigens die Einl. und Beitr. 3, 201 ff. Denselben Gegenstand behandelt die nach unserer Saga gedichtete färöische Gestsrima.]

Heimi in Hlymdal S. oben S. 128*. vernahm diese Kunde, daß Sigurd und Brynhild todt wären; Aslaug aber, ihre Tochter, Heimi's Pflegekind S. oben, S. 134, Z. 4 f., war damals drei Winter alt. Er wußte nun, daß man nach [ihr] forschen würde, das Mägdlein und ihr Geschlecht zu vertilgen. Er hatte so große Trauer um Brynhild, seine Pflegetochter, daß er nicht seines Reiches achtete noch seines Gutes. Er erkannte nun, daß er das Mägdlein dort nicht verbergen könnte; da ließ er eine Harfe machen, so groß, daß er das Mägdlein Aslang hinein that nebst manchen Kleinoden von Gold und Silber, und ging dann hinweg, weit durch die Lande, und [kam] endlich hierher in die Nordlande. So künstlich war seine Harfe gemacht, daß man sie auseinander nehmen und zusammenfügen Wörtlich: »Nach den Fugen zusammensetzen«. konnte; und er pflegte tags, wenn er in der Nähe von Wasserläufen dahinzog ||188) und nirgend ein Gehöft in der Nähe war, die Harfe auseinander zu nehmen und das Mägdlein zu waschen. Er hatte nur Weinlauch, und gab ihr [den] zu essen. Das aber ist die Eigenschaft dieses Lauchs, daß man lange leben kann, wenn man auch keine andre Nahrung hat. Und wenn das Mägdlein weinte, schlug er die Harfe, und verstummte sie dann; denn Heimi war sehr fertig in den Künsten, die damals gebräuchlich waren. Er hätte auch viel köstliche Kleider bei ihr in der Harfe und viel Gold.

Und so zog er, bis daß er nach Norwegen gelangte und zu einem kleinen Gehöfte kam, das Spangareid Eigentlich: »zu Spangareid« (Hdschr. á Spangarheidhi). Spangereid heißt jetzt die Landzunge, die das Vorgebirge Lindesnäs (im Südwesten Norwegens) mit dem Festlande verbindet. Ueber diese Lokalisirung der Sage wird unten in einer Anmerkung zum vierten Kapitel gehandelt. heißt: da wohnte ein alter Mann, der Ake hieß; er hatte ein Weib, die hieß Grima; es waren nicht mehr Leute dort als sie. An diesem Tage war der Alte in den Wald gegangen, aber die Alte war daheim. Sie begrüßte Heimi und fragte, was für ein Mann er wäre. Er antwortete, er wäre ein Bettler, und bat die Alte um Aufnahme. Sie sagte, daß nicht so viele dahin kämen, daß sie ihn nicht wohl aufnehmen wollte Genauer: »nicht mehr als so, daß sie erklärte, sie wollte ihn wohl aufnehmen«., wenn er es nöthig zu haben glaubte, dort zu bleiben. Nach Verlauf einiger Zeit aber sagte er, ihm würde damit der größte Dienst erwiesen, daß ein Feuer vor ihm angezündet und er sodann zu dem Schlafgemache Eigentlich »Schlafhaus«; oft diente nämlich ein besonderes Gebäude als Schlafraum; s. Weinhold, Altnord, Leben, S. 226. geleitet würde, wo er schlafen sollte. Und als das Weib das Feuer angezündet hatte, setzte er die Harfe auf den Sitz neben sich; das Weib aber war sehr redselig; oft fielen ihre Blicke auf die Harfe, dieweil die Fransen von einem köstlichen Kleide aus der Harfe hervorguckten. Und als er (Heimi) sich am Feuer wärmte bakadhist. Solch Erwärmen und Reiben des Körpers an offenem Feuer war (an Stelle eines Bades) vor dem Schlafengehn beliebt; s. C.-V. 50., sah sie einen kostbaren ||189) Goldring unter seinen Lumpen hervorschauen; denn er war schlecht gekleidet. Und als er sich gewärmt hatte, wie er darnach Bedürfniß fühlte, da hielt er sein Nachtmahl. Darauf aber bat er die Alte, ihn dahin zu geleiten, wo er die Nacht schlafen sollte. Da sagte das Weib, daß es für ihn draußen besser sein würde, als drinnen: »denn wir beide, mein Alter und ich, haben oft [noch] zu schwatzen, wenn er heim kömmt.« Er ließ ihr den Willen und ging hinaus, und sie desgleichen; er nahm die Harfe und trug sie mit sich. Das Weib ging hinaus und begab sich zu einer Kornscheune Wörtlich: »dahin, wo eine Kornscheune war«., und geleitete ihn dahin. Sie sagte, er sollte sich dort einrichten, und äußerte, sie wähne, daß er dort ruhig schlafen Wörtlich: »seines Schlafes genießen«. werde. Und ging nun die Alte hinweg und besorgte ihre Obliegenheiten; er aber legte sich schlafen.

Der Alte kam heim, als der Abend zu Ende ging. Die Alte hatte [erst] wenig von ihren Obliegenheiten beschickt; er aber war müde, als er heimkam, und schlecht zu sprechen, weil Alles ungethan war, was sie hätte besorgen sollen. Der Alte sagte, sehr ungleich sei das Glück [unter sie] vertheilt Wörtlich: »groß sei der Unterschied des Glückes«., da er jeden Tag mehr arbeitete, als er vermöchte, sie aber wollte bei nichts Hand anlegen, was Nutzen brächte. »Sei nicht böse, mein Alter (sagte sie), denn es kann sein, daß du nun in kurzer Zeit solches erreichen könntest, daß wir beide all unsere Lebtage glücklich wären.« »Was ist das?« fragte der Mann. Das Weib antwortete: »Hier ist bei uns zur Herberge Eigentlich: »zu unserer Herberge«. ein Mann gekommen, und glaube ich, daß er über sehr großes Gut verfügt. Genauer: »darüber zu schalten hat«. Er ist [schon] in höherem Alter, muß aber ein gar gewaltiger Held gewesen sein; doch ist er jetzt sehr müde. Nicht meine ich ||190) seinesgleichen gesehen zu haben; doch halte ich ihn jetzt für ermüdet und schläfrig.« Da sagte der Alte: »Es scheint mir unräthlich, gegen die Wenigen treulos zu sein, die hierher kommen.« [Sie antwortete:] » Dann wirst du lange armselig [bleiben], wenn Wörtlich: »dadurch ..., daß«. alles dir zu gefahrvoll scheint! Wörtlich: »im Auge wächst«. Es wächst einem etwas im Auge ( í augu) oder vor Augen ( fyrir augum) bedeutet: es erscheint einem etwas größer (gefährlicher), als es ist, und flößt ihm daher Furcht ein. Wähle nun: entweder du erschlägst ihn, oder ich Wörtlich: »Thu nun Eins von beiden, daß du ihn erschlägst, oder ich ...« nehme ihn zu meinem Manne, und wir beide werden dich fortjagen. Auch kann ich dir das mittheilen, was er zu mir sprach gestern Abend – aber wenig erheblich wird es dich dünken –: er sprach verliebt Eigentlich: »wie ein Verliebter, Galan«. zu mir, und ich werde mich entschließen, ihn zu meinem Manne zu nehmen, dich aber wegzujagen oder zu erschlagen, wenn du nicht so Eigentlich: »demgemäß«. thun willst, wie ich will.« Es wird nun berichtet, daß bei dem Alten die Frau das Regiment führte; und sie sprach so lange davon, bis er auf ihr Anstiften seine Axt nahm und scharf schliff. Und als er fertig war, geleitete das Weib ihn dahin, wo Heimi schlief; und er schnarchte laut. Wörtlich: »und war da lautes Schnarchen«. Da sprach das Weib zum Manne, daß er ihn aufs heftigste Eigentlich: »aufs beste«, d. h. mit ganzer Kraft. anfallen sollte, »und spring [darauf] hurtig davon, denn du vermagst den Lärm, den er erheben wird Wörtlich: »seinen Lärm«. Der im Folgenden beschriebene Todeskampf ist gemeint., und seine Weherufe nicht zu ertragen Vgl. Ragnarss., Kap. 7 und 11 das vom Gebrüll der Kuh Sibylja Gesagte., wenn er dich (mit Händen) ergreift.« Sie nahm die Harfe und eilte fort mit ihr. Nun ging der Mann hinzu, wo Heimi schlief; er hieb nach ihm: das ward eine schwere Wunde, und entglitt ihm die Axt. Alsbald sprang er hinweg, so schnell er vermochte. Da erwachte jener von der Verwundung, und war diese durchaus tödtlich Genauer: »sie war völlig hinreichend«, nämlich zum Tode.. Und es wird gesagt, daß bei seinem Todeskampfe so großes Getöse ward, daß die Stützen des Hauses entzwei gingen, und das ganze Haus einfiel, und ein großes Erdbeben ward. Diese Schilderung ist wohl nur eine ungeschickte Nachahmung des Todeskampfes der Schlange, unten S. 237*. Und da endete sein Leben

Nun kam der Mann dahin, wo das Weib war, und sagte, daß er ihn erschlagen habe: »doch stand es eine Zeit lang so, daß ich nicht wußte, wie es ergehn würde: dieser Mann war erstaunlich stark; dennoch wähne ich, daß er nun bei Hel S. oben S. 71*. ist.« Das Weib sagte, daß er Dank haben sollte für die That: »und wähne ich, daß ||191) wir nun reichliches Gut haben, und wir wollen versuchen, ob ich wahr gesagt habe.«

Da zündeten sie Feuer an; das Weib aber nahm die Harfe und wollte sie aufmachen, konnte das aber auf keine andere Weise als, indem sie sie zerbrach Wörtlich: »als: sie mußte sie zerbrechen«.; denn sie hatte nicht Geschicklichkeit D. h. sie war nicht geschickt genug. dazu. Sie bekam also die Harfe aufgemacht: da sah sie ein Mägdlein, daß ihr däuchte, sie habe [noch] kein solches gesehen; doch war auch reiches Gut in der Harfe. Da sprach der Die Hdschr. hat hier fälschlich die Abkürzung für kerling » die Alte«. Alte: »Es wird nun geschehn, wie oft, daß es übel gedeiht, den zu verrathen, der einem traut: es scheint mir, als ob ein unmündig Kind úmegdh, d. h. eine hilflose Person überhaupt, die auf die Unterstützung Anderer angewiesen ist. uns in die Hände gefallen wäre.« Die Alte antwortete: »Nicht ist dies dem gemäß, wie ich dachte; doch brauchen wir uns keine Vorwürfe darüber zu machen.« Und nun fragte sie, welches Stammes sie wäre. Aber das junge Mägdlein antwortete nichts, als wenn sie noch nicht sprechen gelernt hätte. »Nun ergeht es, wie ich voraussah, daß unser Anschlag übel ablaufen würde [sagte der Mann]: wir haben eine große Thorheit begangen: wie sollen wir nun für dies Kind sorgen?« Dieselbe Frage thut er gleich nachher noch einmal. Hier sollte man (wie schon Bugge bemerkte) erwarten: »Wie sollen wir das Kind nennen?« »Da ist leicht Rath zu finden Wörtlich: »Das ist leicht zu wissen«. (sprach Grima): sie soll nach meiner Mutter Kraka D. h. Krähe, als verächtliche Bezeichnung oben S. 42* besprochen, hier Name einer armseligen Frau. heißen.« Da sprach der Alte: »Wie sollen wir für dies Kind sorgen?« Die Alte sprach: »Ich sehe dafür guten Rath: wir wollen sie für unsere Tochter ausgeben und sie aufziehen.« »Das wird Keiner glauben (sagte der Alte): viel anmuthiger ist dies Kind als wir, denn wir sind sehr häßlich, und es wird nicht wahrscheinlich Genauer: »keine Wahrscheinlichkeit dabei«. gefunden werden, daß wir ein solches Kind haben mögen, so außerordentlich häßlich wie wir beide sind.« Da sprach das Weib: »Nicht weißt du, ob ich nicht irgendwelche Listen dabei gebrauche, [so] daß dies nicht unglaublich dünken möchte: ich werde sie kahl scheeren lassen und darauf Theer schmieren und anderes, wobei am sichersten zu erwarten steht, daß am wenigsten ||192) Haar hervorkomme. D. h. »was den Haarwuchs am sichersten hindert«. Einen tief herabreichenden Hut Um das Gesicht zu verdecken und so unkenntlich zu machen, wie solches mehrfach bei Odin's Erscheinung hervorgehoben wird (oben S. 15*, 57*), desgleichen bei Helden in Thidr. s. (Kap. 78: I, 215 u. ö). Vgl. auch unten Ragnarssaga, Kap. 20, Abs. 2. soll sie haben; auch soll sie nicht gut gekleidet sein: dann wird größere Gleichheit zwischen unserm Aussehen hergestellt werden. D. h. wird der Unterschied des Aussehens zwischen uns beiden und ihr mehr verwischt werden. Kann sein, daß die Leute glauben, ich sei [einmal] sehr schön gewesen, da ich jung war. Sie soll auch die niedrigste Arbeit Eigentlich: »das, was am schlimmsten ist«. verrichten.« – Es wähnten aber beide, der Mann und das Weib, daß sie nicht sprechen könnte, da sie ihnen niemals antwortete.

Nun geschah es, wie die Alte sich vorgenommen hatte, und wuchs sie (Aslaug) dort auf in großer Armuth.

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