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LXXVI.
An I. S. Aksakow, Staraja-Russa, den 28. August 1880

Mein lieber und hochverehrter Iwan Ssergejewitsch!

Ich wollte schon Ihren ersten Brief umgehend beantworten; nachdem ich aber Ihren zweiten, mir so sehr wertvollen Brief erhalten habe, sehe ich, daß ich Ihnen sehr viel zu sagen habe. Noch nie im Leben habe ich einen Kritiker gesehen, der so aufrichtig wäre und mit meiner Tätigkeit so sehr sympathisierte, wie Sie. Ich hatte beinahe vergessen, daß solche Kritiker überhaupt möglich sind und daß es sie tatsächlich gibt. Ich will damit nicht sagen, daß ich mit Ihnen in allen Dingen absolut einverstanden bin; auf folgende Tatsache muß ich aber unbedingt hinweisen: Obwohl ich mein »Tagebuch« seit zwei Jahren herausgebe und folglich einige Erfahrung habe, überkommen mich oft in manchen Dingen Zweifel: was soll ich über gewisse Dinge sagen, welchen Ton soll ich anschlagen und welche Dinge soll ich überhaupt verschweigen? Ihr Brief kam gerade in einem Augenblick solcher Zweifel, denn ich habe mir fest vorgenommen, das »Tagebuch« auch im kommenden Jahr fortzusetzen; aus diesem Grunde bin ich sehr aufgeregt und erflehe mir von Dem, den man immer anrufen soll, die nötige Kraft und in erster Linie das nötige Können. Es freut mich daher ganz besonders, daß ich Sie habe; denn jetzt sehe ich, daß ich Ihnen wenigstens einen Teil meiner Zweifel mitteilen kann und daß Sie mir immer etwas tief Aufrichtiges und Prophetisches erwidern können. Diese Überzeugung habe ich aus Ihren beiden letzten Briefen gewonnen. Leider werde ich aber darüber sehr viel schreiben müssen; doch ich bin jetzt sehr beschäftigt und zum Schreiben ganz und gar nicht aufgelegt. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie furchtbar beschäftigt ich Tag und Nacht bin, es ist eine wahre Zuchthausarbeit! Denn ich beendige jetzt gerade die Karamasows und ziehe folglich die Summe aus diesem Werk, das mir persönlich sehr teuer ist, denn ich habe sehr viel von meinem eigenen Ich hineingelegt. Ich arbeite auch im allgemeinen sehr nervös, unter Qualen und Sorgen. Wenn ich arbeite, bin ich auch physisch krank, und jetzt muß ich daraus, was ich während dreier Jahre zurechtgelegt, zusammengestellt und notiert habe, die Summe ziehen. Ich muß diese Arbeit unbedingt gut machen, jedenfalls so gut, wie ich überhaupt kann. Ich begreife gar nicht, wie man in großer Eile und nur der Bezahlung wegen schreiben kann. Nun ist die Zeit gekommen, wo ich den Roman abschließen muß, und zwar ohne Aufschub. Sie werden es mir gar nicht glauben wollen: manches Kapitel, zu dem ich mir während der drei Jahre Aufzeichnungen gemacht habe, muß ich, nachdem ich es endgültig niedergeschrieben, verwerfen, um es dann wieder neu zu schreiben. Nur einzelne Stellen, die unmittelbar von der Begeisterung diktiert wurden, gerieten mir auf den ersten Wurf; alles übrige war harte Arbeit. Aus diesem Grunde kann ich Ihnen augenblicklich, trotz meines heißen Wunsches, unmöglich schreiben; ich bin nicht in der nötigen Gemütsverfassung, auch will ich meine Kräfte nicht zersplittern. Ich werde Ihnen erst etwa am 10. September, wenn ich die Arbeit hinter mir haben werde, schreiben können. Inzwischen will ich mir auch meinen Brief gut überlegen, denn es handelt sich um schwierige Fragen, die ich auch möglichst klar darlegen will. Zürnen Sie mir also bitte nicht und werfen Sie mir nicht Gleichgültigkeit vor: wenn Sie nur wüßten, wie sehr Sie sich in diesem Falle täuschen!

Inzwischen umarme ich Sie und danke Ihnen von Herzen. Ich brauche Sie und muß Sie daher lieben.

Ihr aufrichtig ergebener
F. Dostojewskij.


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