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V.
An den Bruder Michail, den 30. September 1844

[Anfangs ist die Rede von der Schillerübersetzung, die die beiden Brüder Dostojewskis herausgeben wollten.]

Ja, Bruder, ich weiß es selbst, daß meine Lage verzweifelt ist; ich will dir nun alles genau erklären.

Ich nehme den Abschied, weil ich nicht länger dienen kann. Das Leben freut mich nicht, wenn ich meine beste Zeit so sinnlos verschwenden muß. Im übrigen hatte ich nie die Absicht, lange im Dienst zu bleiben; warum soll ich meine besten Jahre verlieren? Die Hauptsache aber ist, daß man mich in die Provinz abkommandieren wollte; sage mir bitte selbst, was könnte ich ohne Petersburg anfangen? Wozu würde ich noch taugen? Du wirst mich sicher begreifen.

Wegen meines ferneren Lebens brauchst du dir wirklich keine Sorgen zu machen. Ich werde immer meinen Lebensunterhalt finden können. Ich werde furchtbar viel arbeiten. Ich bin ja jetzt frei. Es fragt sich nur, was ich jetzt gleich anfangen soll. Denke dir nur, Bruder, ich habe achthundert Rubel Schulden; fünfhundertfünfundzwanzig Rubel schulde ich für die Miete (ich habe nach Hause geschrieben, daß ich eintausendfünfhundert Rubel Schulden habe, denn ich kenne die Leute: sie schicken mir immer ein Drittel von dem, was ich verlange). Niemand weiß noch, daß ich den Abschied nehme. Was soll ich nun anfangen, wenn ich nicht mehr im Dienste bin? Ich habe sogar kein Geld, um mir Zivilkleider zu kaufen. Ich quittiere den Dienst am 14. Oktober. Wenn ich nicht sofort Geld aus Moskau bekomme, bin ich verloren. Man wird mich in allem Ernst ins Gefängnis sperren (dies ist klar). Eine komische Lage.

[Weiter ist die Rede davon, wie sich D. Geld von seinen Angehörigen verschaffen will.]

Du sagst, meine Rettung sei das Drama. Bis es aufgeführt wird, vergeht viel Zeit. Und bis ich erst das Honorar bekomme, vergeht noch mehr Zeit. Ich habe aber den Abschied vor der Nase (mein Lieber, wenn ich das Abschiedsgesuch noch nicht eingereicht hätte, so hätte ich es jetzt getan; ich bereue gar nicht, daß ich es schon eingereicht habe). Ich habe noch eine Hoffnung. Ich vollende gerade einen Roman Die »Armen Leute«. im Umfange von »Eugénie Grandet«. Der Roman ist recht originell. Ich schreibe ihn bereits ins Reine; am 14. werde ich wohl schon eine Antwort von der Redaktion haben. Ich will ihn in den »Vaterländischen Annalen« unterbringen. (Ich bin mit meiner Arbeit zufrieden.) Ich werde dafür vielleicht vierhundert Rubel bekommen; dies ist meine ganze Hoffnung. Ich hätte dir gern ausführlicher über meinen Roman geschrieben, doch mir fehlt die Zeit. (Das Drama werde ich unbedingt unterbringen. Denn ich will davon leben.)

Die Moskauer sind unglaublich dumm, eingebildet und klugschwatzend. K. rät mir in seinem letzten Brief, ohne jeden ersichtlichen Grund, ich möchte mich nicht so sehr von Shakespeare hinreißen lassen. Er sagt, Shakespeare sei nur eine Seifenblase. Ich möchte, daß du diese lächerliche Gehässigkeit gegen Shakespeare begreifst. Warum bringt er plötzlich Shakespeare aufs Tapet? Den Brief hättest du sehen sollen, den ich ihm darauf geschrieben habe! Es ist ein Muster von polemischem Stil. Ich habe ihn wirklich gut abgefertigt. Meine Briefe sind Meisterwerke der »Lettristik«.

Bruder, schreib doch um Gottes willen sofort nach Hause. Meine Lage ist verzweifelt; der 14. Oktober ist der alleräußerste Termin; ich habe mein Gesuch vor eineinhalb Monaten eingereicht. Um Himmels willen! Schreibe ihnen, sie möchten mir das Geld sofort schicken. Es ist dringend, denn sonst werde ich keine Kleidung haben. Chlestakow (in Gogols Revisor) wollte gern ins Gefängnis gehen, doch nur »in allen Ehren«. Wie kann ich aber ohne Hose »in allen Ehren« ins Gefängnis gehen?

Meine Adresse: Neben der Wladimirkirche, Haus Prjanischnikow, Grafengasse. Dostojewskij.

Ich bin mit meinem Roman außerordentlich zufrieden. Ich bin außer mir vor Freude. Für den Roman werde ich sicher Geld bekommen; was aber weiter kommt ...

Verzeihe mir, daß dieser Brief so zusammenhanglos ist.


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