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XXX.
An Frau Stackenschneider, (Petersburg), den 3. Mai 1860

Sehr verehrte und liebe Frau St.! Es sind schon drei Monate vergangen, seit ich nach Petersburg zurückgekehrt bin und meine Arbeiten wieder aufgenommen habe. Die ganze Reise nach Moskau erscheint mir jetzt wie ein Traum; nun habe ich wieder das feuchte Klima, den Schmutz, das Eis aus dem Ladogasee Im Frühjahr kommt durch die Newa das Eis aus dem Ladogasee geschwommen., die Langeweile usw.

Ich bin also wieder hier und fühle mich wie im Fieber. Das liegt an meinem Roman »Erniedrigte und Beleidigte«.. Ich will, daß er mir gut gerät, ich fühle, daß in ihm Poesie steckt, und ich weiß, daß von seinem Erfolg meine ganze literarische Karriere abhängt. Ich werde an die drei Monate Tag und Nacht arbeiten müssen. Welch ein Lohn erwartet mich aber, wenn ich einmal fertig bin! Ruhe, ein klarer Blick auf meine Umgebung und das Bewußtsein, daß ich das, was ich wollte, geschaffen und erreicht habe. Vielleicht werde ich, mir zur Belohnung, für etwa zwei Monate ins Ausland reisen; ich will aber zuvor unbedingt noch einmal nach Moskau kommen.

... Ehrgeiz ist ein gutes Ding, doch ich glaube, daß man ihn nur für seine Hauptziele, für Dinge, die man sich zum Ziel und zum Daseinszweck gesetzt hat, haben muß. Alles übrige ist Unsinn. Wichtig ist nur, daß man ein leichtes Leben hat; auch muß man Sympathie für die Mitmenschen haben und selbst ihre Sympathie erringen. Wenn man sonst auch keine besonderen Ziele hat, ist dies allein schon ein ausreichendes Lebensziel.

Ich fange aber schon wieder zu philosophieren an. Ich habe nur wenig, oder fast gar keine Neuigkeiten gehört. Pissemskij ist krank, leidet an Rheumatismus. Ich habe einmal Ap. Maikow besucht. Er hat mir erzählt, daß Pissemskij zürnt, schmollt und übler Laune ist; dies ist auch kein Wunder: sein Leiden ist sehr qualvoll. Haben Sie, übrigens, nicht einen gewissen Snitkin gekannt? Er hat einige komische Gedichte unter dem Pseudonym Ammos Schischkin veröffentlicht. Denken Sie sich nur: er ist plötzlich erkrankt und nach kaum sechs Tagen gestorben. Der Literarische Unterstützungsverein hat sich seiner Familie angenommen. Es ist sehr schade um ihn. Sie haben ihn wohl übrigens gar nicht gekannt. Ich habe neulich Krestowskij gesprochen. Ich liebe ihn sehr. Er schrieb kürzlich ein Gedicht und las es uns mit großem Stolz vor. Wir erklärten ihm einstimmig, daß das Gedicht ekelhaft sei; es ist bei uns Sitte, immer die Wahrheit zu sagen. Und was glauben Sie? Er fühlte sich nicht im geringsten verletzt. Er ist ein so lieber und edler Junge! Er gefällt mir immer mehr, und ich will einmal bei irgendeinem Trinkgelage mit ihm Brüderschaft trinken. Manchmal hat man so seltsame Eindrücke! Ich habe immer den Eindruck, daß Krestowskij bald sterben muß Wsewolod Krestowskij, ein recht unbedeutender, doch viel gelesener Romanschriftsteller. Starb übrigens erst 1895.. Woher aber dieser Eindruck kommt, kann ich unmöglich sagen.

Wir wollen irgendein ordentliches literarisches Unternehmen begründen. Wir sind damit alle sehr beschäftigt Mit der Zeitschrift »Wremja«.. Vielleicht wird es uns gelingen. Alle diese Pläne sind zwar nur der erste Schritt, doch bedeuten sie jedenfalls eine Tätigkeit. Ich weiß sehr gut, was der erste Schritt bedeutet, und ich liebe ihn. Er ist besser als alle Sprünge.

Ich habe einen schrecklichen Charakter, doch nicht immer, sondern nur zeitweise. Dies ist mein Trost.

Fjodor Dostojewskij.


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