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XXXIII.
An A. P. Miljukow, (Moskau) Juni 1866

Mein lieber und verehrter Freund Alexander Petrowitsch! Katkow ist in der Sommerfrische im Petrowskij-Park; Ljubimow [der Herausgeber des »Russischen Boten«] ist ebenfalls in der Sommerfrische. Im Redaktionsbureau kann man nur zuweilen den vergrämten Sekretär treffen, von dem man aber nichts erfahren kann. Es ist mir aber doch gelungen, gleich in den ersten Tagen Ljubimow abzufangen. Drei Kapitel von meinem Roman »Raskolnikow«. hat er bereits setzen lassen. Ich habe ihm vorgeschlagen, daß ich das vierte Kapitel in beschleunigtem Tempo schreibe; die vier Kapitel würden genau die Hälfte des Schlusses des zweiten Teiles (vier Druckbogen) ausmachen; im nächsten Heft könnte man dann weitere vier Kapitel, d. h. den ganzen Schluß des zweiten Teiles bringen. Ljubimow sagte mir aber gleich im vorhinein: »Ich habe Sie erwartet, um Ihnen zu sagen, daß man jetzt, im Juni und im Juli, den Roman in kleineren Portionen drucken kann und sogar muß; in einem Heft kann in Anbetracht der Sommersaison sogar die Fortsetzung ganz ausbleiben. Wir wollen uns lieber so einrichten, daß die ganze zweite Hälfte des Romans im Herbste erscheint und die letzten Zeilen ins Dezemberheft kommen, denn die Wirkung des Romanes soll die Subskription auf den neuen Jahrgang unterstützen.« Es wurde daher beschlossen, noch einen weiteren Monat zu pausieren. Die vier Kapitel (vier Druckbogen) werden daher erst im Juliheft erscheinen und sind bereits im Satz.

Später stellte sich aber heraus, daß Ljubimow noch eine schändliche Nebenabsicht hatte: er will nämlich eines von den vier abgelieferten Kapiteln gar nicht drucken, und Katkow hat diesen seinen Beschluß bestätigt Es ist das 9. Kapitel des II. Teils des »Raskolnikow«; Anstoß erregte die Szene, wo Ssonja und Raskolnikow das Evangelium lesen. Dostojewskij mußte das Kapitel kürzen.. Ich habe mich mit beiden auseinandergesetzt. Doch sie bestehen auf ihrem Vorhaben! Über das betreffende Kapitel kann ich selbst gar nichts sagen: ich habe es in echter Begeisterung geschrieben, es kann aber sein, daß es wirklich schlecht ist; es handelt sich aber bei ihnen gar nicht um den literarischen Wert, sondern um Befürchtungen für die Moral. In dieser Beziehung bin ich im Recht: das Kapitel enthält nichts Unmoralisches, sogar ganz im Gegenteil; sie sind aber anderer Meinung und sehen außerdem noch Spuren von Nihilismus darin. Ljubimow hat mir endgültig erklärt, ich müsse das Kapitel umarbeiten. Ich habe es übernommen, und die Umarbeitung dieses großen Kapitels machte mir mindestens ebensoviel Arbeit und Beschwerde, wie drei neue Kapitel; ich habe es aber doch umgearbeitet und abgeliefert. Leider habe ich aber Ljubimow seitdem nicht wieder gesehen, und ich weiß nicht, ob sie mit der Umarbeitung zufrieden sind und das Kapitel nicht noch einmal selbst umarbeiten. Dies war schon bei einem anderen Kapitel (von diesen vier) der Fall: Ljubimow erklärte mir, daß er darin vieles gestrichen habe (dies macht mir allerdings wenig Kummer, denn sie haben eine ganz unwesentliche Stelle gestrichen).

Ich weiß nicht, wie es weiter kommen wird, doch die Meinungsverschiedenheiten, die anläßlich dieses Romans zwischen mir und der Redaktion zutage treten, beginnen mich zu beunruhigen.

Den Roman für Stellowskij Verleger der ersten Ausgabe der »Gesammelten Werke« (1865-66). habe ich noch nicht angefangen, werde ihn aber bestimmt anfangen. Ich habe den Plan zu einem recht anständigen kleinen Roman; es werden sogar Schatten von wirklichen Charakteren darin vorkommen. Der Gedanke an Stellowskij quält und beunruhigt mich; er verfolgt mich sogar im Traume.

Ich teile Ihnen alles oberflächlich und in großer Eile mit, obgleich der Brief recht lang ist. Antworten Sie mir um Gottes willen. Schreiben Sie mir über sich selbst, über Ihr Leben, Ihre Absichten und Ihre Gesundheit. Schreiben Sie mir auch von den Unsrigen; haben Sie vielleicht etwas Neues gehört? Vieles muß ich verschweigen. Meine besten Empfehlungen Ihrer Ludmilla Alexandrowna; bringen Sie mich Ihren Kindern in Erinnerung und grüßen Sie von mir alle gemeinsamen Bekannten. Auf Wiedersehen, mein guter Freund, ich umarme Sie und verbleibe Ihr

Fjodor Dostojewskij.

NB. Ich habe bisher keine Anfälle gehabt. Trinke Schnaps. Wie steht es mit der Cholera?


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