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XLII.
An Apollon Maikow, Vevey, den 4. (22.) Juni 1868

Mein lieber Freund Apollon Nikolajewitsch, ich weiß und glaube es Ihnen, daß Ihre Teilnahme echt und aufrichtig ist. Ich bin aber noch nie so tief unglücklich gewesen, wie in der letzten Zeit. Ich will Ihnen meinen Zustand gar nicht beschreiben, doch je mehr Zeit darüber vergeht, um so quälender wird die Erinnerung und um so leuchtender steht das Bild der verstorbenen Ssonja vor mir. Es gibt Augenblicke, die ich kaum ertragen kann. Sie hatte mich schon gekannt; als ich an ihrem Sterbetage aus dem Hause ging, um Zeitungen zu lesen und noch keine Ahnung davon hatte, daß sie nach zwei Stunden sterben sollte, verfolgte sie so aufmerksam alle meine Bewegungen und sah mich mit solchen Augen an, daß ich es auch heute noch vor mir sehe, und die Erinnerung wird von Tag zu Tag lebendiger. Nie werde ich sie vergessen, nie wird mein Gram ein Ende nehmen! Und wenn ich einmal ein anderes Kind bekommen sollte, so weiß ich gar nicht, ob ich es werde lieben können; wo ich die Liebe hernehmen werde. Ich will nur Ssonja. Ich kann es gar nicht fassen, daß sie nicht mehr ist und daß ich sie nie wieder sehen soll ...

[Weiter ist vom Zustande der Frau und von geschäftlichen Dingen die Rede.]

Vor lauter Arbeit bin ich ganz stumpfsinnig geworden, und mein Kopf ist wie zerschlagen. Auf Ihre Briefe warte ich immer wie auf das Himmelreich. Was gibt es Kostbareres, als eine Stimme aus Rußland, eine Stimme von meinem Freund? Ich habe Ihnen nichts mitzuteilen, keinerlei Neuigkeiten, ich werde hier von Tag zu Tag dümmer und stumpfsinniger. Und doch darf ich vor Beendigung des Romans nichts unternehmen. Dann werde ich aber unter allen Umständen nach Rußland zurückkehren. Um den Roman zum Abschluß zu bringen, muß ich täglich mindestens acht Stunden am Schreibtisch sitzen. Meine Schuld bei Katkow habe ich schon zur Hälfte abgearbeitet. Ich werde auch den Rest abarbeiten. Schreiben Sie mir, mein Freund, schreiben Sie mir um Christi willen ... In den vier Kapiteln, die Sie im Juniheft lesen werden (vielleicht sind es auch nur drei Kapitel, denn das vierte ist wahrscheinlich zu spät gekommen), habe ich einige Typen der modernen Positivisten von der ganz extrem gesinnten Jugend geschildert. Ich weiß, daß ich sie richtig dargestellt habe (denn ich kenne die Leute aus Erfahrung; außer mir hat sie noch niemand studiert und beobachtet), und ich weiß, daß alle schimpfen und sagen werden: unsinnig, naiv, dumm und falsch.


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