Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

LX.
An Nikolai Nikolajewitsch Strachow.
Dresden, den 9. (21.) Oktober 1870

Ich habe Ihnen bisher nicht geschrieben, weil ich ununterbrochen mit dem Roman für den »Russischen Boten« beschäftigt war. Die Arbeit ging so schlecht vor sich und ich mußte das Geschriebene so oft umarbeiten, daß ich mir schließlich das Wort gegeben habe, nichts zu lesen und nichts zu schreiben, selbst nicht aufzublicken, bis ich das, was ich mir vorgenommen, beendet haben werde. Und ich bin erst am Anfang! Allerdings sind auch schon manche Stücke aus der Mitte des Romans fertig geschrieben, und einzelne Stellen aus dem, was ich gestrichen habe, werde ich wohl noch verwerten können. Und doch arbeite ich noch immer an den ersten Kapiteln. Das ist ein schlimmes Zeichen, und doch will ich die Sache möglichst gut machen. Es heißt, daß der Ton und der Stil einer Erzählung sich ganz von selbst geben müssen. Das ist wahr, aber zuweilen fällt man aus dem Ton und muß ihn wieder suchen. Mit einem Wort: keines von meinen Werken hat mir noch solche Mühe gemacht wie dieses. Im Anfang der Arbeit, d. h. Ende des vorigen Jahres hielt ich den Roman für sehr gemacht und gekünstelt und betrachtete ihn von oben herab. Später überkam mich aber die echte Begeisterung, ich gewann plötzlich meine Arbeit lieb und griff mit beiden Händen zu, um das Geschriebene ordentlich zusammenzustreichen. Im Sommer kam aber eine Veränderung: im Roman tauchte eine neue handelnde Person auf, die den Anspruch erhob, als echter Held des Romans zu gelten; der bisherige Held (eine recht interessante Gestalt, doch nicht wert, ein Held genannt zu werden) trat in den Hintergrund. Der neue Held hat mich so sehr begeistert, daß ich wieder anfing, alles umzuarbeiten. Und jetzt, wo ich den Anfang an die Redaktion des »Russischen Boten« bereits abgeschickt habe, überfällt mich plötzlich ein Schreck: ich fürchte, daß ich dem gewählten Thema gar nicht gewachsen bin. Diese Angst quält mich entsetzlich. Und doch habe ich meinen Helden durchaus nicht unvermittelt eingeführt. Ich habe zuvor seine ganze Rolle in das Programm des Romans eingetragen (ich habe ein Programm im Umfange von mehreren Druckbogen ausgearbeitet und darin die ganze Handlung, doch ohne die Gespräche und Betrachtungen, skizziert). Daher hoffe ich, daß der Held mir doch noch gelingen und sogar eine ganz neue und originelle Gestalt abgeben wird; ich hoffe und fürchte zugleich. Es ist doch wirklich Zeit, daß ich endlich etwas Ernstes schreibe. Vielleicht platzt auch das Ganze wie eine Seifenblase. Mag kommen was will, ich muß schreiben; bei den vielen Umarbeitungen habe ich viel Zeit verloren und sehr wenig geschrieben ...

[Weiter ist die Rede von der Journalistik und der »Sarja«.]


 << zurück weiter >>