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XLV.
An Apollon Maikow, Florenz, den 11. (23.) Dezember 1868

Ich habe auch von Strachow einen Brief erhalten, er teilt mir viele literarische Neuigkeiten mit. Besonders freute mich seine Mitteilung über den Aufsatz Danilewskijs »Europa und Rußland« Die in der »Sarja« erschienenen Aufsätze Danilewskijs wurden später zum Buch »Rußland und Europa« vereinigt. Danilewskij versucht den slawophilen Utopien eine wissenschaftliche Begründung zu geben und predigt u. a., daß Rußland sich an die Spitze einer allslawischen Föderation, deren Mittelpunkt das zu erobernde Konstantinopel werden soll, stellen müsse., den Strachow als hervorragend bezeichnet. Ich muß gestehen, daß ich von Danilewskij seit dem Jahre 1849 nichts gehört habe; habe aber oft an ihn gedacht. Was er doch für ein hirnverbrannter Fourierist gewesen ist; und nun hat sich dieser Fourierist wieder in einen Russen verwandelt und seine Scholle und seine Wesensart liebgewonnen! Daran erkennt man eben den bedeutenden Menschen! ...

Dagegen werde ich mich nie der Ansicht des verstorbenen Apollon Grigorjew anschließen, daß auch Bjelinskij sich schließlich zum Slawophilentum bekehrt hätte. Nein, bei Bjelinskij war das gänzlich ausgeschlossen. Er war in seiner Zeit ein bedeutender Schriftsteller, hätte sich aber unmöglich weiter entwickeln können. Er hätte wohl als Adjutant bei irgendeiner hiesigen Frauenrechtlerin geendet, hätte sein Russisch verlernt, doch kein Deutsch gelernt. Wissen Sie, wer die neuen Menschen in Rußland sind? Nun, z. B. jener Bauer, der frühere Sektierer aus der Zeit Pauls des Preußen Kaiser Paul I., wegen seiner Vorliebe für alles Deutsche so benannt., über den im Juniheft des »Russischen Boten« ein Aufsatz steht. Er ist, wenn auch für den kommenden Menschen in Rußland nicht gerade typisch, so doch unbedingt einer von den kommenden Menschen.

... Die verfluchten Gläubiger werden mich noch umbringen. Es war von mir dumm gehandelt, ins Ausland zu fliehen; es wäre wirklich vernünftiger gewesen, wenn ich daheim geblieben wäre und mich ins Schuldgefängnis hätte einsperren lassen. Wenn ich doch mit den Leuten von hier aus unterhandeln könnte! Es geht aber nicht, denn meine persönliche Anwesenheit ist unumgänglich. Ich spreche davon, weil ich augenblicklich zwei und sogar drei Verlagspläne mit mir herumtrage, deren Verwirklichung eine rein mechanische Ochsenarbeit erfordert, die aber unbedingt viel Geld einbringen müssen. Ich hatte ja oft mit ähnlichen Plänen Erfolg.

Jetzt beabsichtige ich folgendes: 1. einen großen Roman mit dem Titel »Atheismus« (dies soll aber um Gottes willen unter uns bleiben); bevor ich ihn in Angriff nehme, muß ich eine ganze Bibliothek von atheistischen Werken katholischer und griechisch-orthodoxer Autoren durchlesen. Der Roman kann selbst unter den günstigsten Umständen nicht vor zwei Jahren fertig werden. Die Hauptfigur habe ich schon. Ein Russe aus unseren Kreisen, ziemlich bejahrt, nicht besonders gebildet, doch auch nicht ungebildet, nicht ohne Stellung in der Gesellschaft, verliert ganz plötzlich in reifem Alter seinen Glauben an Gott. Sein ganzes Leben lang war er ausschließlich mit seinem Dienst beschäftigt, blieb immer im gewohnten Geleise und hat sich bis zu seinem fünfundvierzigsten Lebensjahr durch nichts hervorgetan. (Die Lösung ist rein psychologisch: tiefes Gefühl, menschlich und echt russisch.) Der Verlust des Glaubens macht auf ihn einen kolossalen Eindruck; (die Handlung des Romans und das Milieu sind gewaltig). Er sucht Anschluß an die neue Generation, die Atheisten, Slawen, Westler, die russischen Sektierer und Anachoreten, an die Geistlichen; unter anderem gerät er einem polnischen Jesuiten in die Falle; von diesem kommt er in den Abgrund der Chlysty-Sekte Eine heute noch in Rußland verbreitete Flagellantensekte. und findet schließlich den Heiland und die russische Erde, den russischen Heiland und den russischen Gott. (Um Gottes willen sprechen Sie davon mit niemand; wenn ich diesen letzten Roman geschrieben habe, will ich gern sterben, denn ich werde darin alles, was ich auf dem Herzen habe, aussprechen.) Mein lieber Freund! Ich habe einen ganz anderen Begriff von der Wirklichkeit und vom Realismus als alle unsere Realisten und Kritiker. Mein Idealismus ist realistischer als der ihrige. Mein Gott! Wenn man nur sachlich aufzählen wollte, was wir Russen in den letzten zehn Jahren in unserer geistigen Entwicklung durchgemacht haben, so würden alle Realisten ein Geschrei erheben, daß dies pure Phantasie sei! Und doch ist es echter Realismus! Dies ist eben der wirkliche tiefe Realismus; der ihrige ist ja gar zu oberflächlich. Ist denn die Gestalt des Ljubim Torzow Held eines Dramas von Ostrowskij. im Grunde genommen nicht schrecklich unbedeutend? – Und dabei ist sie die verwegenste Leistung ihres Realismus. Das nennt sich tiefer Realismus! Mit einem solchen Realismus kann man auch den hundertsten Teil wirklicher Tatsachen gar nicht erklären. Wir haben aber mit unserem Idealismus sogar manche Tatsachen vorausgesagt. Dies ist wirklich vorgekommen. Mein Lieber, lachen Sie nicht über meine Einbildung; ich bin aber wie Paul: »Niemand lobt mich, also werde ich mich selbst loben.«

Indessen muß ich doch irgendwie leben. Den »Atheismus« werde ich nicht auf den Markt schleppen (dabei habe ich sehr viel über den Katholizismus und den Jesuitismus, mit der Orthodoxie verglichen, zu sagen). Ich habe auch noch den Plan zu einer ziemlich langen Novelle von etwa zwölf Druckbogen; er erscheint mir recht verlockend. Ich habe auch noch einen anderen Plan. Wozu soll ich mich entschließen und wem soll ich meine Arbeit anbieten? Der »Sarja«? Ich pflege aber immer das Honorar im voraus zu verlangen; bei der »Sarja« wird man es mir aber kaum bewilligen ...

[Es folgen einige Einzelheiten rein geschäftlicher Natur.]


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