Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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VII.

Obwohl der Feldherr nun genau wußte, daß sein Leben nur so lang gesichert war, bis er diese Feste erreicht hatte, eilte er doch Tag und Nacht unermüdlich auf die verhängnisvolle Stadt zu. Er fühlte, daß es jetzt keine Versöhnung mehr gab mit Honorius, aber er vertraute, gestützt auf seine vielen tausende von germanischen Söldnern, dem Schwächling die Bedingungen vorzuschreiben, unter denen er auf Veröffentlichung jenes Kodizills, das heißt auf die tatsächliche Entthronung verzichten wollte: andernfalls rechtfertigte ja diese Urkunde seinen offenen Widerstand vor Senat, Volk und Heer. Und kam es zum Kampf mit den Römern des Carinus und Heraclian, so konnte er in jener noch nie bezwungenen Festung der Sümpfe, Lagunen und Kanäle sich leicht so lange halten, bis ihm Entsatz gebracht wurde durch – Alarich! Er zweifelte keinen Augenblick, der Balte werde ihm die Verschonung bei Pollentia vergelten. Aber nur rächen, nicht mehr retten konnte der Gotenkönig den Freund!

Schwer ertrug des Ungeduldigen Eile einen Aufenthalt von drei Tagen zu Ostiglio, wo die einzige Pobrücke der Straße nach Ravenna kurz vor seinem Eintreffen von Überschwemmungen fortgerissen und die Furt ungangbar gemacht war. Erst am vierten Tag gelangte er auf einer Notbrücke hinüber. Schon als er nach noch einigen Tagen scharfen Reitens mit wenigen Begleitern sich von weitem den Mauern Ravennas näherte, fiel ihm auf, daß deren Zinnen so schwach bemannt waren: und zwar sah er nur römische Feldzeichen.

»Wo sind die Söldner, die Germanen?« war seine erste Frage an Adalger, der ihm schon im mailändischen Tor entgegenkam. – »Wo du sie hinverschickt hast, zu unser aller stärkstem Staunen.« – »Ich? Sie verschickt? Niemals! Wohin denn?« – »Weit weg von hier, verstreut, verzettelt, durch ganz Ämilien, Tuscien, Ligurien: in kleinen Häuflein von zehn, zwanzig Speeren.« – »Verrat!« rief Stilicho. »Wann hätt' ich das befohlen? Wo . . .?« – »Hier! In dieser Urkunde, deinem Befehl an mich: er trägt des Kaisers Namen und Siegel und – da – deine Unterschrift!« – »Gefälscht! Wer hat sie gebracht?« – »Heraclian.« – »Herbei mit ihm! Wo steckt er?« – »Mit all' seinen Römern in den zehn Türmen der Nord- und der Westtore.« – »Adalger, wie konntest du . . .?« – »Ich mußte doch deinem Befehl gehorchen! Mit welcher Wut im Herzen! Schau nur her! Das ist doch deine Schrift . . .« – »Weiß Gott, das hätte mich selbst getäuscht!« – »Ich wagte das Äußerste: gegen diesen Befehl behielt ich zweihundert Söldner zurück, Heraclian zum Trotz, zur Bedeckung deiner Frau und Tochter, gab ich vor!« – »Wohlgetan!«

Aber der Treue zuckte die Achseln: »Zweihundert gegen viele Tausend.« – »Getrost! Bald kommt Verstärkung. Wo ist Eucherius?« – »Noch nicht zurück.« – »Er muß jede Stunde eintreffen mit den neuen Germanen, meinen Söldnern! Dann wehe Heraclian! Nun komm mit zu Serena, zu Thermantia: wo weilen sie?« – »Nicht mehr in dem offenen Sommerpalast. Seit Heraclian mit seinen Reitern eintraf, hab' ich sie geborgen in dem festen Turm des Theodosius: dort liegt ein gut Teil meiner Söldner. – »Vortrefflich, Freund. Aber sieh, da sprengt ein Reiter heran . . .« – »Vom faventinischen Tor!« – »Es ist Eucherius. Willkommen mein Sohn. Hochwillkommen und zu rechter Stunde: ein Retter in der Not. Du bringst doch die neuntausend Germanen? Die Neugeworbenen?«

Mit trauervoller Miene schüttelte der Sohn das Haupt.

»Nun, wieviele bringst du?« drängte der Markomanne.

»Nicht einen!« – »Du botest doch reichen Sold?« forschte der Vater. – »Alles, was sie verlangten. Und noch mehr.« – »Das ist schlimm,« sprach Stilicho, ernst, doch gefaßt. »Was sind's für Germanen?« – »Ach Vater!« – »Nun, rede. Was für welche?« – »Das eben ist's: Vandalen.« – »Ich ahne!« seufzte Adalger. – »Als sie erfuhren, dir, dir allein sollten sie schwören, dich schützen, – da war's aus! Ihr Führer rief mir zu: ›Sag deinem Vater – er ist ja Römer, wie er mir stolz rühmte, als ich ihm den Königsstab seines –, nein unsres Volkes! – brachte, ist nicht ein vandalischer Barbar! – sag' ihm, der Römer soll sich von seinen Römern helfen lassen. Auf, Genossen, wir reiten heim.‹ Und wandte das Roß und trabte davon.«

Da verstummte Stilicho und schlug den braunen Reitermantel vor sein Antlitz. Endlich sprach er: »Ach, um ein Volk! Jetzt um ein Volk! Oh Alarich . . .!« – »Vater, ich muß eilen, noch eins zu berichten: ein Heer, ein starkes Heer ist in raschem Anzug auf diese Stadt. So erzählten Reitknechte der Reichspost, die meinen Weg kreuzten.« – »Woher? Welches Weges?« – »Den Po entlang.« – »Von Pavia! Das ist Carinus. Nun wird es Ernst.«

 


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