Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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VI.

Als der Feldherr raschen Schritts das Atrium erreicht hatte, – allein, niemand begleitete den sonst so Umschmeichelten – sah er in dem halb finstern Gang, der hier von rechts her einmündete, eine dunkle Gestalt, die, einen schwarzen Mantel über Kopf und Schultern geschlagen, sich vorsichtig, geduckt, näher heranschlich. Er griff ans Schwert und schritt der Erscheinung entgegen: »Wer bist du? Und was willst du?« Da fiel der Mantel und vor ihm stand ein weißhaarig Weib, zitternd, sprachlos vor Erregung. »Ich glaube, dich zu kennen,« meinte er nachsinnend, »mich zu erinnern. Bist du nicht . . .?« – »Die Hexe vom Ticin, wie sie mich nennen, die du vor dem Scheiterhaufen gerettet hast. Ich wollte dich einmal noch im Leben sehn, dir danken und dich warnen.« – »Ich bin genug gewarnt!« lachte er bitter. – »Nun denn, mahnen. Du wirst zwar dein Ravenna sicher erreichen . . .« – »Hast du das in den Sternen gelesen?« lächelte er gutmütig.« – »Mehr,« erwiderte sie in gleichem Scherzton, »das hab' ich sogar . . . gezaubert. Der Imperator ließ mich holen heute Nacht. Er schwankte über sein Verhalten gegen dich, gestern am Tag und auch die Nacht noch.« – »Jetzt schwankt er nicht mehr. Ich bin gerichtet. Nur die Vollstreckung steht noch aus. Die werd' ich abwehren,« schloß er fest. – »Wohl: Zeit hab' ich dir dafür gewonnen. Ich hab' ihm geweissagt aus den Linien seiner Hand, – sie ist schlaff! – aus dem Sud meines Kessels, aus der Stellung der Gestirne: er stirbt binnen zwei Tagen, läßt er dich nicht unversehrt nach Ravenna zurückkehren.« – »Und das hat er geglaubt?« – »Gewiß! Alle Feiglinge sind abergläubisch. Und ist doch schon manches eingetroffen, was ich ihm voraus verkündet. Er zitterte bei meinen drohenden Worten: er zerschnitt vor meinen Augen einen rot verschnürten Papyrus . . .« – »Ein Todesurteil! Das meine.« – »Aber eile! Nicht auf allzulange Probe stelle seinen Glauben! In Ravenna bist du doch sicher?« – »Wie im Schoße Gottes.« – »So möge dein Gott dich schützen. Leb' wohl!« Sie ergriff den Saum des Mantels, küßte ihn und verschwand wieder in dem finstern Gang.

Im selben Augenblick jagte Heraclian mit einem starken Geschwader der raschesten römischen Reiter zum Osttor hinaus – auf der Straße nach Ravenna.

 


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