Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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II.

Nach Mailand zurückgekehrt, fand der Sieger von Pollentia – wie nach dem Entsatz jener Stadt – durchaus nicht den verdienten Empfang. Diesmal sogar nicht im eigenen Hause. Serena begrüßte ihn mit stummer Kälte, die seine schmerzliche Frage bald in laute Vorwürfe auflöste: »Du kannst fragen?« schalt sie. »Nie hättest du den Gotenkönig und sein Volk entrinnen lassen sollen: daß du das getan, weiß bereits das ganze Reich. Schwer zürnt dir Honorius. Aber ärger noch ist: du hast diese gottverhaßten Ketzer, die Verächter des Herrn Christus, losgelassen, ja gehetzt wider den rechtgläubigen Imperator von Byzanz, den Sohn deines Wohltäters Theodosius: du brachst dein ihm gegebenes Wort.«

Mit tiefem Schmerz erwiderte der Gescholtene: »Das sollte Serena – meine Serena – nicht sagen, nicht denken können! Hab' ich versprochen, mich nicht zu verteidigen, greift Arcadius an? Wem gehört West-Illyricum? Ihm oder mir?« – »Keinem von beiden, sondern Honorius. Und der hat es abgetreten – ›freiwillig‹.« – »Wann hatte Honorius jemals freien Willen? Diesmal hieß sein Wille: ›Olympios!‹ Und abgetreten an wen? Nicht an Byzanz! An die schnöden Jazygen. Das sind Heiden: und solches billigt die fromme Tochter der Kirche?« – »Besser Heiden, zehnmal besser als deine Ketzer.« – Stilicho nickte bitter: »lehrt Papst Innocentius! Oft schrieb er mir's. Jetzt hör' ich's auch aus dem Munde, ach aus der Seele meines Weibes, das er mir längst genommen.« – »Ja, das lehrt er, dieser schon auf Erden fast Heilige. Er eilte auf die erste Kunde von Rom hierher, Honorius zu beschwören, den Bund zu zerreißen, den du mit den Goten geschlossen. Er drang – mit Bischof Venerius – in mich, dich zu . . .«

Unwillig unterbrach der Gatte: »Die beiden haben dich wohl auch gelehrt, mich zu empfangen, wie du getan? O Serena!« fuhr er weicher fort, »gedenke doch all der vielen Jahre der Liebe, der Treue, die wir zusammen gelebt, bevor du dich ganz von mir hinweg und zu den Priestern gewendet hast. Vereint uns denn nicht schon der Schmerz um das Los Thermantias, unseres armen Kindes, das unter dem Kaiserpurpur das Weh einer ungeliebten Gattin trägt? Komm, Serena, um unserer Kinder willen, kehre zurück zu mir. O komm in meine Arme.« Und mit warmer Empfindung trat er auf sie zu. – Schroff wich sie zurück: »Nein, nein! Ich muß dich meiden. Gott will es, die heiligen Bischöfe gebieten es: du, der Erretter der Arianer, bist jetzt ein offener Feind der Kirche geworden, wie du niemals ihr treuer Sohn gewesen. Du bist ausgestoßen aus der Kirche, bis du bereut hast, bis du – vor allem dies heischen sie! – deine ketzerischen und heidnischen Söldner im Heere, die Germanen, von dir gestoßen, ihren Gottes- und Götzen-Dienst verboten hast. Bis dahin verlaß ich dein Haus: die Religiosen, die frommen Frauen der heiligen Jungfrau, haben versprochen, mich aufzunehmen.« – Da fuhr der Gequälte grimmig auf: »So geh! Auch das dank' ich den Priestern! Nun, bei meiner Treu, es wird vergolten. Jetzt – jetzt zu Honorius!«


Aber nicht an diesem Tage und nicht am zweiten und am dritten gelang es dem siegreichen Feldherrn, des Herrschers, den er gerettet, ansichtig zu werden. Der ließ ihm durch Olympios und Carinus sagen, er möge versuchen, schriftlich seinen Ungehorsam, seine an Hochverrat streifende Eigenmacht zu rechtfertigen, bevor er der Gnade gewürdigt werde, das Angesicht des Imperators wieder zu schauen.

Tief verwundet durch die Zerstörung seiner Ehe, empört über soviel Undank sprach der »Mann« zu den Boten: »Nein. Ich schreibe nicht. Sagt dem Imperator, ich habe seinem Vater gelobt, die beiden Reiche in den Grenzen zu erhalten, die er ihnen vorgezeichnet. West-Illyricum gehört zu Rom, nicht zu Byzanz, und die Jazygen erhalten keine Scholle römischen Landes, solang' ich lebe. Er soll mich nicht zwingen, daß ich ihn zwinge: ich habe wie die Macht dazu, so das Recht.« – Die Boten wurden starr vor Staunen. – »Ja, ja; auch das Recht, sagt ihm das. Er soll mich nicht nötigen, ihm das jemals zu beweisen. Und schließlich sagt meinem Schwiegersohn: er sieht mich nicht wieder, bis er mich selbst ruft.« – »Da kann er lange warten,« höhnten die beiden im Fortgehn.

Aber nein: das sollte gar bald geschehn. Denn abermals zerriß das Gewebe, das in diesen Tagen geschäftig und geschmeidig die Hand seiner vielen Feinde um den Helden gesponnen hatten, mit eherner Faust die furchtbarste Gefahr.

Bischof Venerius, Olympios, Carinus und Heraclian hatten leichtes Spiel gehabt, den bei aller Willensschwäche eiteln, auf seine Herrschergewalt höchst reizbar eifersüchtigen, – jetzt dreiundzwanzigjährigen – Imperator heißer und heißer gegen den eigenmächtigen Bevormunder zu erzürnen: schon erwog er bei sich einen Haftbefehl oder doch die Umstellung des Hauses des »Verräters« durch die verlässigen Römer Heraclians.

Allein er zauderte doch immer wieder: aus Furcht, dann aus der langen Gewohnheit des Gehorsams des Schwachen gegenüber dem Starken.

Bitter vermißte der Unschlüssige, der stets fremdem Rat gefolgt war, seine neben dem »Mann« bisher einflußreichste Beraterin – ja Beherrscherin! –: Placidia. Schwer bereute er schon lang, sie von sich gestoßen, vertrieben zu haben. »Was war sie auch so zimperlich, so scheu, das üppige Geschöpf?« sprach er zu sich selbst. »Einem so zärtlichen Bruder, einem Kaiserlichen, darf eine so schöne Schwester keine Liebkosung verübeln. Bis vor kurzem war ich ein Knabe: – aber allmählich regt sich in meinem Blut allerlei – allerlei! Aber wie fuhr sie mich an! Ja, sie hob die Hand zum Schlage gegen mein kaiserlich Antlitz, als ich nur . . . Ah, an Thermantia verwies sie mich, den germanischen Eiszapfen. Gibt es denn nicht irgendwo ein Weib, das, schön wie Placidia, aber nicht so unnahbar ist? Und nun ist die Unnahbare gar in des Barbaren Hände gefallen, nein, gelaufen, flüstert das Gerücht! Gefangen? Wie gern löst' ich sie mit dem dritten Teile des Reiches! Aber gar keine Antwort auf meinen Lösungsantrag hat mir jener Ataulf gegeben! Hätt' ich sie doch wieder mit ihrem klugen, kühnen, schönen Kopf voller Gedanken! Freilich, sie sprach immer zu Gunsten des ›Mannes‹.«

In solchen Gedanken und Selbstgesprächen trippelte der immer noch halb knabenhafte, aber neuerlich von flackernden Begierden Entzündete hin und her auf dem Mosaik-Estrich seines Schlafgemaches, das ihm das Arbeitszimmer ersetzte. Da trat ein Eunuch eilfertig ein und nach der Proskynese überreichte er auf einer Schildpattschale ein verschnürtes und versiegeltes Schreiben: »von Lucretius Macer, deinem Comes von Venetien; es habe höchste Eile.« – »Ah, alles hat immer höchste Eile bei diesem wichtig tuenden Feldherrn. Mir eilt nichts;« und lässig schnitt er die Schnüre auf, blickte in den Papyrus und sank halb ohnmächtig auf das Ruhebett: »Himmel! Lucretius geschlagen – ein Skythenkönig – wie heißt er? – Rhadagais – in Italien eingedrungen – mit mehr als einer halben Million Barbaren – er zieht schon auf Florenz! Wo ist Stilicho? – Ja so! – Rasch ruft mir Stilicho. Er soll kommen! Gleich! Im Augenblick! Sagt ihm, alles sei vergeben. Nein, nein! Das wird ihn erzürnen! Sagt ihm, ich erbitte seine Verzeihung! Aber gleich soll er kommen.«

 


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