Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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V.

Das Erscheinen des Gotenkönigs in Italien bewirkte einen völligen Umschwung der Lage der am Hofe zu Mailand miteinander ringenden Parteien. Kirche, Senat und Römertum im Bunde hatten mit Erfolg die Machtstellung des »ketzerischen«, des »barbarischen« Staatsleiters zu untergraben, die Gunst des Imperators ihm zu entziehen begonnen: jetzt aber vereitelte all' diese Streuungen, machte rückgängig jene Erfolge die in der Seele des Honorius mächtigste Macht: die Furcht. Schon sah er im Geist die dichten Mengen des einwandernden Volkes sich durch die oberitalische Ebene gegen sein Mailand heranwälzen, schon hörte er im Traum das Wiehern ihrer ungezählten Rosse vor den dünn bemannten Mauern: und nur einen Riegel dieser Tore wußte er vorzuwerfen, nur einen Helfer und Retter anzurufen, den Mann, von dem sich seine Gnade eben hatte abwenden wollen: – Stilicho.

Mächtiger denn je war dessen Macht, widerspruchlos ward, willenlos, sein Rat als sein Befehl befolgt. Die Gegner wagten keinen Widerstand, keinen Einspruch beim Herrscher mehr: »es ist, als habe er sich den Angriff des Goten bestellt,« grollten sie, »Wer weiß, ob er den Freund nicht herbeigeladen, seine Unentbehrlichkeit darzutun? Aber wie dem sei: – jetzt kann nur er schützen.«

Das war die Überzeugung auch der Feinde, selbst der Carinus und Heraclian, die mit Grimm und Beschämung die Fahnenflucht so vieler Römer aus allen Kohorten, aus allen bedrohten Plätzen der Halbinsel erfuhren und die sie in Mailand selbst nur dadurch verhindern konnten, daß sie von dem Gehaßten die Besetzung aller Tore mit den verachteten Germanen erbaten: oft kam es hier zum Blutvergießen, da die Ausreißer sich den Ausweg mit Gewalt zu bahnen versuchten. Der alte Haß, der Römer und Barbaren im Heer unauslöschbar erfüllte, ward in diesen Tagen zu heißen Gluten entfacht: noch hielt die gemeinsam drohende äußere Gefahr den Ausbruch der Flammen nieder: aber bald sollte in diesem Abgrund manch stolzes Haupt versinken, und die vielen Leichen vermochten nicht, ihn zu füllen.

Durch dies schwüle Gewölk der mannigfaltigsten wilden Leidenschaften zuckte nun plötzlich wie ein greller Blitz die Nachricht von Stilichos Verschwinden, die Eucherius, sobald er den Vater in Sicherheit – d. h. uneinholbar – wußte, am folgenden Tag zuerst dem Imperator allein verkündete. Die Wirkung überstieg alle Befürchtungen.

Honorius raste: niemand hätte dem Schwächling solche Kraft der Wut zugetraut: zuerst schrie er so laut auf, daß alle in dem Vorsaal Weilenden entsetzt hereinstürzten: sie glaubten ihn in den Händen eines Mörders: vor aller Augen warf er sich dann zur Erde, zerriß sein Purpurgewand, raufte sein spärlich Haar und schrie unaufhörlich den Namen des Verräters: »Ah, der Hund! Der undankbare, falsche, niederträchtige Barbar!« rief er aufspringend. »Nie hab' ich ihm getraut, nicht eine Stunde, seit mein Vater, der große Tor, ihn als meinen Tyrannen über mich verhängt hat. Er verläßt mich! Heimlich! Jetzt, in der höchsten Not! In der Not, in die nur er mich gestürzt hat! Nach Gallien? O nein! Zu dem Goten ist er, seinem Jugendfreund! Natürlich: Barbar zu Barbar! Mit ihm zieht er gegen mich heran! Aber warte nur! Ich habe ja zwei Geiseln! Verhaftet sofort seine Tochter, die Kaiserin, in ihrem Palast. Ergreift und fesselt hier seinen Sohn. Und reitet der Verräter mit dem Goten heran, – werft ihm beider Köpfe von der Zinne entgegen.«

Aber seine Befehle wurden nicht ausgeführt: niemand rührte sich: Eucherius blieb regungslos stehen: niemand wagte Hand an den Sohn »des Mannes« zu legen: auch Olympios nicht, der schmerzlich unter den Anwesenden Carinus und Heraclian vermißte. Und bevor der Wütende das Gebot wiederholen konnte, legte sich eine weiße Hand auf seine Schulter.

»Placidia! Schwester! Weißt du . . .?«

»Mehr als du, Bruder, – Denn ich weiß,« – flüsterte sie jetzt leis in sein Ohr – »daß du verloren bist, fügst du dich nicht, weiß, daß Adalger alle Germanen vor den Palast berufen hat – zur Waffenschau!: – sieh, durch jenes Fenster kannst du ihre Speere blitzen sehn auf dem Forum Marc Aurels – berufen, gerade zu der Stunde, da Eucherius dir die Nachricht zu bringen ging. Sie gehorchen nicht mehr dir, – versuch' es nicht! – nur Adalger. Gib nach! Oder sofort heißt der Imperator des Westreichs: – Eucherius!«

Er erbleichte: erschrocken wich er einen Schritt zurück. »Dank, schöne Schwester,« erwiderte er leise. Dann rief er: »haltet ein!« – (– kein Mensch hatte daran gedacht, nicht einzuhalten! –) »meine Schwester . . . sie hat das Mißverständnis aufgeklärt. Ich hatte vergessen – . . . mein Kopfschmerz wirkt oft so – der Magister militum verreiste ja mit meiner Erlaubnis: bald kehrt er zurück zu unserer Hilfe.« Und er wankte in sein Schlafgemach.

Olympios aber eilte zu Carinus, der die Römer der Besatzung zu einer Art Gegen-Waffenschau am Tor des Constantin versammelt hatte: – wenige und mutlose Kohorten. Er erzählte ihm alles und beruhigte den Erbitterten: »Sei getrost! Diesmal hat Adalger mit seinen Barbaren das rollende Rad des Verderbens noch gehemmt. Aber aufgedeckt hat uns diese Stunde den abgrundtiefen Haß, den Neid, das Mißtrauen des Imperators gegen den Vandalen: diese Entdeckung ist unbezahlbar! Es kommt der Tag, da Adalger und seine Bepelzten nicht schützend zwischen ihm und jenem Hasse stehn: ja:

›Einst wird kommen der Tag, da die Macht der Barbaren dahin sinkt, –
Stilicho selbst und der Schwarm der lanzenkund'gen Germanen!‹«

 


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