Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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IV.

Italien aber, das befreite gerettete Italien atmete hoch auf. Kaum minder der noch unberührte Süden als der verwüstete Norden, der mit Schrecken der Rückkehr der Unholde und wiederholter Zertretung entgegensah. Alle Städte der Halbinsel wetteiferten in dankbaren Ehrungen des Erretters: sie errichteten ihm Bildsäulen, – so Rom selbst eine aus Bronze und Silber auf dem alten Forum – weihten ihm Inschriften, benannten Marktplätze und Tore nach seinem Namen. Sogar der Kaiser vermochte nicht, sich der Pflicht der Dankbezeugung gänzlich zu entziehen: als Senat und Volk von Rom ihn einluden, zur Feier der Siege von Pollentia und Florenz im Triumph in die Stadt einzuziehen, die in den letzten hundert Jahren nur dreimal einen Imperator in ihren Mauern gesehen hatte, erkannte er die Unmöglichkeit, den Sieger in diesen Schlachten von deren Feier auszuschließen. So durfte der denn den Platz zur Linken in dem Wagen des Triumphators Honorius einnehmen: aber freilich ward das Fest amtlich nicht als Feier jener Siege bezeichnet, während deren der Triumphator, der »durch Christus siegende Imperator« in dem fernen Mailand gesessen, sondern zur Feier des Konsulats, das Honorius zum sechsten Mal zu bekleiden die Gnade hatte.

Eucherius ritt in vollem Waffenschmuck dicht vor dem Wagen der beiden von der milvischen Brücke bis zum Palatin. Mit dem hochsinnigen Jüngling war eine seltsame, aber heilsame Veränderung vorgegangen seit dem Tage, da Placidia in des Goten Arme geeilt. Wohl schmerzte ihn bitter der Verlust des schönsten Seelenwunsches: aber dieser Schmerz stählte ihn und reifte ihn zum Manne. Zumal das Verhältnis zum Vater war noch inniger, noch edler geworden: der Sohn ging nun völlig auf in dem Schutz, in der Hilfe des von allen Seiten immer schwerer Bedrohten.

Vor einem neu erbauten Triumphbogen auf dem Wege vom Forum nach dem Kapitol hielt der Sohn das Roß an und las die goldfunkelnde Inschrift: »Unter den gütigen und höchst glücklichen Auspizien der auf dem ganzen Erdkreis siegreichen Kaiser, unserer Herren Arcadius und Honorius, der Augusti, zum ewigen Denkmal des Triumphes, durch welchen sie das Volk der Goten für alle Ewigkeit unterjocht haben, errichteten Senat und Volk von Rom diesen Bogen und schmückten ihn mit deren Bildern und mit Siegeszeichen.«

Der Sohn flüsterte dem Vater unwillig in das Ohr. Dieser lächelte bitter: »Laß gut sein! Der Vater war groß und daher dankbar, der Sohn ist klein und daher undankbar. Ich tat's nicht um seinen Dank! Wenn nur niemals ein anderer diese Lüge in Marmor liest – mit Hohnlachen.« – »Wer?« – »Freund Alarich.«

Kurze Zeit darauf sollte der sie lesen – in dem bezwungenen Rom.

»Nur eines soll er, darf er mir nicht antun: unserer Thermantia Tränen noch reicher fließen machen.« – »Ah, sie, dein und aller Liebling« – – »Ausgenommen ihres Gatten! Er soll sie mir nicht kränken! Sonst . . .« Er brach rasch ab.

An diesem Tage schien Stilicho auf dem Gipfel seiner Macht und Herrlichkeit zu stehen: aber gerade an diesem Tage schloß sich um ihn der Kreis der feindlichen Kräfte, die ihn von allen Seiten umzingeln und vernichten sollten.


Am Nachmittag nach dem Prunkmahl, das der Senat dem Imperator und dessen Begleitern gab, hielt dieser seinerseits in dem Circus des Maximus glänzende Spiele ab unter dem brausenden Jubel des römischen Volkes. Denn nicht nur Tierkämpfe, auch die so leidenschaftlich von den mit Wolfsblut Gesäugten geliebten Gladiatoren-Gemetzel wurden gewährt.

Stilicho hatte den Imperator nicht in den Circus begleitet: er hatte schon das Gelage in dem Palast des Constantin lange vor dem Ende verlassen und in seinem Absteigequartier auf dem Aventin angelegentlich und bis tief in die Nacht hinein verhandelt mit Boten – oder Gesandten? – in germanischer Tracht, die, den Imperator und dessen andere Berater sorgfältig meidend, eilfertig und heimlich den Feldherrn aufgesucht und sich bei ihm verborgen gehalten hatten.

Ungewöhnlich früh am andern Morgen meldete sich der bei dem Herrscher und ließ sich nicht abweisen von Heraclian, der jetzt das einflußreiche Vertrauens-Amt des obersten Kämmerers – Cubicularius – bekleidete: »Ich werde hier warten,« sprach er im Vorzimmer des Schlafgemachs, »bis mein Schwiegersohn ausgeschlafen hat,« und er nahm ohne weiteres Platz und vertiefte sich in die zahlreichen Urkunden und Briefe, die er mitgebracht hatte.

Ungnädig empfing ihn der Langschläfer, der sich von den Anstrengungen der gestrigen Genüsse noch nicht erholt hatte.

»Ah, nicht eine Stunde Ruhe läßt man mir! Übel begann der Tag: auf dem Tisch des Badegemaches finde ich diese Meldung – da! – aus Mailand: ›Mantua ist hin.‹ Du staunst? Nun ja, freilich nicht das alte Fiebernest am Mincio – nein: die kostbarste meiner Fasan-Hennen. Schlimme Vorbedeutung dieses Tages! – Was bringst du? Weh, welche Menge Papyrus und Pergament! Im Tiber warten an der Brücke meine römischen Enten.«

Stilicho furchte die Brauen: »Laß jetzt Enten und Fasanen. Und höre sehr Ernstes. Ich erfuhr erst spät in der Nacht, was im Circus geschah: hundert Paare Gladiatoren hast du – hinter meinem Rücken! – aufgestellt: von diesen allen hast du nur sieben Köpfen das Leben gelassen: einhundertdreiundneunzig Menschen hast du schlachten sehen . . .« – »Pah, meist Gefangene: – nur Germanen!« – »Und du hast auch zugesehen, wie jener junge Mönch . . .« Honorius zuckte zusammen. »Aus Ägypten, jener fromme Telemachos, von den Reihen der Zuschauer herab auf die blutgetränkte Arena eilte, sich zwischen die Kämpfenden warf und beim Namen ›Christus‹ sie beschwor, abzulassen von diesem grausen Morden . . .« – »Was hat der Hund gebellt wider den Willen des Kaisers? Mein Wille ist oberstes Gesetz.« – »Er flehte dich an, ein Ende zu machen. Du aber . . .« – »Ich befahl nur, fortzufahren. Daß er dabei im Getümmel niedergestoßen ward,« – er zuckte die Achseln – »ist nicht meine Schuld.«

»Wenig lieb' ich die Mönche: aber dieser war ein Held seines Glaubens. Du läßt die Bischöfe, die Priester in Dinge reden, die sie nichts angehen und wo sie wirklich in Christi Geiste mahnen, hörst du sie nicht. Du weißt, auf der Kirche Andringen hat schon der große Constantin diese Menschenmorde verboten: sein Edikt ist nie aufgehoben worden.« – »Gut, so hab' ich's gebrochen!« – »Ich aber hab' es soeben erneut.« – Statt zu zürnen lachte der Herrscher hämisch und rieb sich die Hände: »Gut! Vortrefflich! Das verzeihen dir die Römer nie!« – »Ich mußte sie noch mehr erzürnen. Als das Verbot auf dem Forum verkündet war, erschien bei mir der Kustos der Sibyllinischen Bücher, – er ist wohl heute noch insgeheim Priester des Jupiter – legte sie mir vor und verlas daraus die Weissagung, das Reich werde fallen, sehen Jupiter und Mars dies Blut nicht mehr fließen.« – »Und du? Was sagtest du?« – »Nichts sagte ich. Ich erfüllte nur meine frühere Drohung: ich ließ die sibyllinischen Unheilsblätter verbrennen.«

Honorius sprang auf: »Das wagtest du? Das tatest du?« – »Ich wage und tue alles, was des Reiches Wohl erheischt: denn des Reiches Wohl, Honorius, nicht dein Wille, ist oberstes Gesetz.«

Jener preßte die schmalen Lippen aufeinander: »O wenn ich ihn nur entbehren könnte, diesen Kopf,« dachte er, »längst flog er vom Rumpf.« Ein sehr bösartiger Blick aus den kleinen grünen Augen traf den Feldherrn. Aber dieser fuhr ruhig fort: »Das sind kleine Dinge im Vergleich mit dem Großen, was ich dir jetzt zu künden habe. Dein Bruder – oder vielmehr dessen Beherrscherin, seine Gemahlin, und meine andern Feinde in Byzanz – haben, nachdem der gegen mich gerichtete Plan, – der geheime Bund mit dir – gescheitert, wieder einmal umgeschlagen und den Angriff auf dich beschlossen. Nein, zweifle nicht. Sie haben Alarich in Illyricum – längst hat er deine Jazygen in ihre Steppen zurückgejagt! – auch Epirus hat er ihnen entrissen – zum Bündnis gegen dich . . .« – »Das heißt: gegen Stilicho!« dachte Honorius. – »Aufgefordert und ihm dafür abermals versprochen das Amt des Magister militum des Orients und achttausend Pfund Gold. Aber der Gotenkönig hat ihre geheimen Briefe mir geschickt: hier sind sie.«

»Ah freilich,« zischte der Kaiser. »Das ist der Dank für – für seinen Retter bei Pollentia,« – »Ja, Honorius! Und du, du danke dem Himmel, daß ich ihn damals verschont habe: jetzt rettet er dich. Denn der Wackere erbietet sich, für dich gegen Byzanz zu kämpfen, neben mir, Schild an Schild, die Angreifer schon drüben abzuwehren, so daß nicht abermals die Schrecken des Krieges sich über dein Italien ergießen. Und er verlangt von dir kein Amt und nur die Hälfte des Goldes, das Byzanz ihm bietet.« – »Nein, nein. Nicht einen Solidus.« Er stampfte mit dem Fuß. »Ich will nichts hören von diesem Alarich und seinen Goten.« – »Ich fürchte, du wirst noch viel hören müssen von diesem Alarich und seinen Goten: – als Freund oder Feind! Ich muß dich bitten, mir Vollmacht zu geben, den Bündnisvertrag, den ich heut' Nacht mit seinen Gesandten . . .« – »Aha, aha, also Westgoten waren die Barbaren, die . . .« – »Die Olympios und Heraclian, in deinem Auftrag meine Wohnung umschleichend, gesehen und dir gemeldet haben. – Also Vollmacht, den Vertrag abzuschließen und heute noch im Senat als von dir genehmigt zu verkünden. Denn der Senat muß das Gold dafür bewilligen.« – »So? Und wenn ich nun nicht will?« – »Dann« – er erhob sich – »verteidige dich selbst gegen Alarich und Byzanz zugleich. Ich lege meine Ämter nieder und gehe nach . . .« – »Aber so bleib' doch sitzen!« schrie Honorius in äußerster Bestürzung. »Ich muß doch überlegen . . . einen Tag . . .«

»Nicht eine Stunde. Alarichs Gesandte reisen heute Abend ab – mit deinem Ja oder Nein. Und ich berufe augenblicklich den Senat, ihm deinen Entschluß zu verkünden. Also: ja oder nein, Honorius?« – »Ja denn, in aller Dämonen Namen!« schrie der Erboste. »Gib her.«

Stilicho reichte ihm die in Purpurtinte getauchte Rohrfeder: er unterschrieb die Vollmacht. »Das Reich dankt dir,« sprach der Feldherr, den Papyrus an sich nehmend. »Das Reich: nicht ich. Ich wäre lieber gegangen. Denn ich bin deines Palastes müde.« Und er wandte sich und schritt hinaus. Honorius aber fuhr auf, warf die Rohrfeder auf den Estrich und zertrat sie mit dem Fuß: »Warte, Barbar! Diese Stunde zahl' ich dir heim. Wie dieses Rohr zertrete ich dich!«

 


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