Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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II.

In der gleichen Nachtstunde gewährte der Imperator in einem abgelegenen kleinen Gemach desselben – vielräumigen – Palastes Gehör vier Männern, die dringend im Namen von Kirche, Hof, Senat und Heer von Rom um geheime Unterredung gebeten hatten: – geheim zumal vor dem Magister militum. Schon seit mehreren Tagen hatten sie unermüdlich, durch wiederholte Ablehnung nicht verdrossen, diese Bitte, ja Forderung wiederholt. Lange Zeit sonder Erfolg. Der Imperator, unter dessen indischen und persischen Prachthühnern eine Seuche ausgebrochen war, hatte ganz andre – nähere – Sorgen als um Kirche, Hof, Senat und Heer von Rom.

Seine angeborne und liebevoll gepflegte Gedankenträgheit hatte seit Jahren ganz erheblich zu Stilichos Machtherrlichkeit beigetragen, auch zu Placidias Herrschaft über Hof und Palast: was sollte er sich mühen mit anstrengenden oder langweiligen Geschäften, welche diese beiden »fast« ebensogut, – meinte er – wahrnehmen konnten wie er selbst? Aber freilich fand diese Trägheit ihr Gegengewicht in einer unberechenbaren Eifersucht bezüglich seiner imperatorischen, über alles Irdische erhabnen Majestät: sein Wille, wenn er einmal – ausnahmsweise! – einen faßte oder sich zu fassen in den Kopf setzte, sollte in allen Stücken oberstes Gesetz sein: wehe dem, der dann seinen grenzenlosen, oft kindischen Eigensinn kreuzte!

Gelang es den Feinden Stilichos oder der schönen Schwester, diese Eifersucht geschickt zu wecken, so machte der halsstarrige Schwächling wenigstens immer wieder einen Versuch, die Herrschaft jener beiden überlegnen Geister und Willen abzuschütteln. Oder doch in kleinlicher Bosheit des Trotzes in irgend einer unerheblichen – und mühelosen! – Sache ihnen zum Tort, nun gerade nicht nach ihren Wünschen und Ratschlägen zu handeln, sondern – zur Abwechslung – nun auch einmal ihren Widersachern zu willfahren. So war es heute ergangen.

Er hatte sich schon bei dem – jetzt täglich zweimaligen – Besuch in dem Hühnerhof über seine »herzliebe« Schwester geärgert, die – gegen ihre sonst vortrefflich gespielte Teilnahme an allen Familienereignissen in der Federvieh-Gesellschaft! – heute Zerstreutheit, – »herzlose Gleichgültigkeit«, grollte der Bruder – nicht ganz verhüllen konnte. Sogar als der oberste Curopalatii tieferschüttert das plötzliche Ableben der kaiserlichen Lieblingshenne – Roma hieß sie und folgte auf diesen Namen! – meldete und die heftige Kolik ihrer jüngern Schwester – Byzanz, – teilte Placidia nicht den laut klagenden Schmerz des Imperators, sondern sah, in Träumerei versunken, die dunkelschönen Augen halb geschlossen, sehnend vor sich hin wie in weite Ferne.

»Was hat sie wieder zu sinnen und planen?« dachte er erbittert und strich über das schwache zurückfliehende Kinn mit den kärglichen Bartstoppeln. »Nun warte, du sollst auch nicht alles durchsetzen, was dir gefällt. Und ei, ich habe ja, was sie ärgert,« lachte er hämisch vor sich hin. Erbost kehrte er mit ihr aus dem Hühnerhof in das Palatium zurück; er lehnte sich bei jedem seiner müden Schritte die Marmorstufen hinan auf den vollen Arm der viel höher gewachsenen Jungfrau. In dem Saale, der die Flucht der kaiserlichen und der Frauengemächer trennte, nahm er zärtlich Abschied: sie ertrug seine drei Küsse auf Stirne, Mund und Nacken wie stets mit schwer verhaltnem Widerstreben: – dann wandte er sich und schien in sein Ruhegemach schreiten zu wollen. Aber plötzlich blieb er stehen: »Goldne Schwester, beinah vergaß ich's – ich habe freudige Nachricht für dich.«

Sie kehrte sich – mißtrauisch – ihm wieder zu: »Du – du hast heute Briefe erhalten: aus Byzanz, nicht?« sprach sie, scheinbar gleichgültig. – »Sieh, sieh,« grinste er, die kleinen Augen blinzend zusammenkneifend, »wie gut du bedient bist, wie rasch unterrichtet von allem, was vorgeht im Palast! Besser und rascher als der Imperator. Nun, da weißt du wohl auch, was die Briefe melden?« – »Wie sollte ich?« – »Dann bereite dich auf frohe Überraschung.« Er trat ihr nun wieder einen Schritt näher und sah ihr scharf ins Gesicht: »Schwägerin Eudoxia kommt nächstens auf Besuch.«

Er weidete sich an ihrem vergeblichen Versuch allerlei Aufregung zu verhüllen. »Welche Freude, eh?« – »Leider vermag ich diesen Freudentag . . . –« – »Ih, Wochen, Monate!« – »Nicht zu teilen. Ich reise, bevor sie eintrifft.« – »Wie?« schien er zu staunen. »Du liebst sie nicht? Aber du kennst sie ja gar nicht! So wenig wie ich. Sie muß sehr schön sein, alle sagen's,« schloß er lauernd. – »Ich kann sie nicht bewundern helfen.« – »Warum?« – »Ich kann nicht mit ihr im Palaste weilen. Sie würde – als Kaiserin – den Vortritt verlangen.« – »Gewiß,« lachte er verschmitzt.

Nun brach es hervor: »Die Barbarin! Das vergeiselte, hergelaufene, fränkische Rothaar! Ich bin des großen Theodosius Tochter: ich weiche ihr nicht. Ich verbanne mich selbst aus meines Vaters Haus und dem meines – so zärtlichen! – Bruders.« Und stolz rauschte sie hinüber in ihre Gemächer.

 


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