Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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VI.

Alsbald hatte Stilicho, unter Genehmigung des Imperators, eine Versammlung des kaiserlichen Rates berufen in den prunkvollen, mit Edelsteinen, Edelmetallen und Mosaiken an der niedrig gewölbten Decke, den dicken Säulen und den marmorgetäfelten Wänden überladen geschmückten Empfangsaal, hier die Gesandten zu vernehmen. Honorius ließ sich – im letzten Augenblick – entschuldigen: sein ihn soeben wieder wie fast immer quälender Kopfschmerz verstatte keinerlei Anstrengung: er werde sich mit seiner Schwester in der Sänfte in den Hühnerhof des Palatiums tragen lassen und dort seine Lieblinge füttern; er sei im voraus mit allen Entscheidungen des Magister militum einverstanden. Der furchte die Stirn: »Es handelt sich um Byzanz und Rom und er füttert das Geflügel!« Er befahl, den Purpurthron zu verhängen und setzte sich auf dessen oberste Stufe nieder. Er hatte angeordnet, erst seine eignen zurückgekehrten Boten allein eintreten zu lassen, den schlauen Alanen Goar, den Bruder des Saulus, und den Senator Ämilius, einen ihm treu ergebenen Jugendfreund: aus ihrem Bericht wollte er den Maßstab gewinnen, die Aussagen der Byzantiner, die Forderungen der Goten richtig zu würdigen: aber es kam anders. –

Sobald die Ostiarii, die von Gold an ihren langen Gewändern starrenden Türhüter, das breite Haupttor des Saales öffneten, jene beiden einzulassen, wurden sie samt den Hereinzuführenden zur Seite geschoben und über die Schwelle drängte, gefolgt von Ataulf, des Balten hochragende Gestalt. Er eilte mit raschen Schritten auf den Thron zu und hatte Stilicho in die Arme geschlossen, bevor der erstaunt sich Erhebende ihn recht erkannt hatte. »Stilicho! Alter Genoß! Ah, dich wieder sehn ist allein schon die lange Reise wert!« – »Alarich! Du selbst hier! Also – Gott sei Dank! – Kein Krieg mit Byzanz!« – »Sage: noch kein Krieg!« lachte der Gote, »'s ist richtiger. Ob Krieg sein wird oder nicht, – du hast es zu entscheiden.« Er trat zurück und rief den jetzt erst, beleidigt, eintretenden Byzantinern und Römern zu: »Kommt nun nur auch herein, vielfromme, vielgelehrte, vielkluge Herren. Verzeiht mein Ungestüm: aber ich habe ihn so lang nicht gesehn, diesen lieben Barbarenverderber! Was ihr zu sagen habt, könnt ihr ohne Scheu auch vor mir sagen, wenn's wahr sein sollte: wenn nicht, bleibt's besser ungesagt. Und ich? Hei, ich habe keine Geheimnisse vor euch! Ihr wißt längst, was ich will! Und daß dich, Freund, die großen Staatsmänner von Byzanz nicht täuschen, – vielgeübte Meister sind sie dieser ihrer Hauptstaatskunst! – dafür sorgt dein treuer Alarich besser als deine eignen Kundschafter.«

Den Geärgerten blieb nichts übrig, als sich zu fügen, da Stilicho, den offenbar das Wiedersehn ebenfalls erfreute, keine Anstalt machte, den kecken Streich rückgängig zu machen. Vielmehr winkte er den Ostiarii einer Seitentür, durch welche nun die draußen harrenden Palasträte, die Consiliarii sancti consistorii, eintraten. Sie nahmen auf den mit kostbaren persischen Teppichen belegten Marmorbänken im Halbkreis gegenüber dem Throne Platz.

»Sprecht ihr zuerst, Gesandte des Imperators des Ostreichs. Sagt an, was begehrt Byzanz von der älteren Schwester Roma? Und aus welchen Gründen des Rechts oder der Not? Meine eignen Boten mögen widersprechen, aus eigner Anschauung – wenn ihr etwa – aus Versehen! – euch . . . täuschen solltet,«

Der Älteste der Byzantiner, der Protonotarius Archelaos, neigte sich und begann: »Recht und Not! Treffend, o Magister militum, nennst du beide: denn ein Recht auf Hilfe hat eine Schwester gegenüber der andern. Und die Not? Sie ist wahrlich groß! Das wird auch er bezeugen, – er kann's am besten! – der sie schafft: dieser Häuptling der Barbaren.«

»Ja,« lachte Alarich behaglich vor sich hin, beide Hände auf den Griff des Langschwerts stützend, »es geht ihnen, wie dem aufgetauten Strom, mit Grundeis: kein Rat und keine Hilfe!« – »Aber sie haben's selbst verschuldet,« meinte Ataulf.

»Dagegen ruf' ich die Heiligen zu Zeugen,« sprach der zweite Byzantiner, der Bischof Christophoros von Nikomedia. »Ja, es ist freilich wahr, wir hatten den Horden dieses Häuptlings, um sie zur Abwehr anderer Barbaren zu gewinnen, Wohnsitze in Thrakien angewiesen und Geldzahlungen und Getreidelieferungen versprochen . . .«

»Aber die Wohnsitze,« grollte der Balte, »erwiesen sich als um die Hälfte zu schmal, die Geldzahlungen blieben ganz aus und ebenso das Getreide. Beim Schwerte Gottes! Wir würden das Korn, das wir brauchen, wahrlich lieber selber bauen als geliefert erhalten: – oder vielmehr nicht geliefert erhalten! – aber auf dem schlechten Boden wächst nicht, was unsere stets überquellende Volkszahl braucht. Wir hungern! Warum habt ihr nicht Wort gehalten?«

»Geldmangel,« sprach achselzuckend der Protonotar, – »Mißernte,« entschuldigte kopfnickend der Bischof.

»Und dabei wahnsinnige Vergeudung in Byzanz!« rief Ataulf. – »Ja! Jede Woche, jeden Tag! Bei den Festen, zu denen sie die Frechheit hatten, mich selbst einzuladen. Soll mein Volk verhungern, indes Byzanz in Schlemmerei versinkt? Nein, bei meinem Schwert! Und deshalb hab' ich, Freund Stilicho, zwar noch immer nicht den Waffenschrei gerufen wider den wortbrüchigen Imperator: aber die Zufuhr – zu Lande wenigstens! – hab' ich ihm abgesperrt: sie sollen's lernen dort im ›Goldnen Haus‹, wie der Mangel drückt. Und wird meinem Volke nicht sein Recht, so ziehen meine Tausendschaften zugleich gegen Byzanz und Athen. Dies Unheil abzuwenden, ruf' ich dich an, Stilicho, den gerechten Mann: mahne Arcadius, sein Wort zu halten und, weigert er sich wider alles Recht, so zwing' ihn dazu im Bunde mit mir. Sprich, willst du dem Rechte helfen, Stilicho?« schloß er ungestüm.

Aber der schüttelte bedächtig das Haupt: »Meine Boten, Goar, und du, Ämilius, gründlicher Rechtskenner, was sagt ihr dazu?« – Der Senator erwiderte: »Alles ist, wie der Gote behauptet: sein Recht ist verletzt: er klagt mit Fug.«

Nun trat, in seinem Panzer von Hornringen, der Alane vor, den die gelbe Haut und die plattgedrückte Stumpfnase als Mongolen kennzeichneten: er rief: »Mag sein! Versteh' nichts von Recht und Unrecht. Aber Byzanz ist schwer bedrängt, braucht dringend Hilfe: oder die Stadt fällt: fällt durch Hunger in dieser Germanen Hand.«

»Da sei Gott vor,« sprach Stilicho. »Gott, und die ewige Roma! – Freund Alarich, du hast's gewollt, – du selbst! – daß wir hier vor den Gesandten von Byzanz verhandeln: du hast das eigenmächtig herbeigezwungen: – trage nun die Folgen! Denn laut sag' ich dir hier vor ihnen: du magst im Rechte sein, ich glaub' es. Aber bin ich Richter über den Sohn des großen Theodosius? Das sei fern. Niemals hoffe, daß ich die Legionen der alten Roma gegen die neue führe! Das wäre Selbstmord, wäre Zerstörung des Werkes der Cäsaren von Konstantin bis Theodosius, wäre . . .« Bruch meines Wortes wollte er sagen: aber er brach ab, das Geheimnis wahrend.

»Arcadius wird dir danken!« rief der Protonotar. – »Schlimm wär's, tät ich's um diesen Dank! Ich kenne Rufinus.« – »Der Herr wird dir lohnen im Jenseits,« beteuerte der Bischof. – »Weh' dem, der nur um Himmelslohn seine Pflicht auf Erden tut.« – »Und nebenbei ist's das Schlauste,« lachte der Alane. »Mag für den Augenblick Byzanz ein wenig fasten müssen, – es ist feist, kann lange wie der Dachs im Winterschlaf von seinem Fette zehren. Bald ist die Not vorbei, fahren seine Getreideschiffe ein. Und was vermag überhaupt auf die Dauer gegen das Ostreich, das von der Donau bis nach Persien reicht, ein Häuptling weniger Horden blonder Germanen, die auseinander leichter und lieber laufen als zusammen? Byzanz hat viele Völker, viele Könige bezwungen: – was ist dieser Balte?«

Da trat Alarich vor gegen ihn: ganz ruhig, verhalten, keine Waffe, kein Rüstzeug an ihm klirrte: »Das will ich dir sagen, Soldknecht,« sprach er langsam. »Vor dir steht der König des Volkes der Westgoten.« Da ging gewaltige Erregung durch die Versammelten: Überraschung, Schreck, Entsetzen. Auch Stilicho sprang staunend auf, »Nicht wahr, welch ein Wort?« jubelte Ataulf.

»Ja, Freund Stilicho, ich sehe, du kannst es würdigen. Ich, – ich ward von der Tat überrascht wie ihr von dem Wort. Ich hatt' es längst als notwendig erkannt, sollten wir nicht untergehn, seit Jahrzehnten in mehr als zwanzig Splitter unseres Volks gespalten. Aber nicht an mich dacht' ich, bei Gottes Schwert. Ich hätte manchen mir vorgezogen, Vetter Ataulf, Vetter Sarus etwa. Aber eines Tages, plötzlich, nachdem mein Vorschlag, Byzanz abzusperren, gut geheißen war im Lager, da erbrausten viele tausend Stimmen auf einmal: ›Heil Alarich, dem König der Westgoten‹. Und bevor ich wußte, wie mir geschah, hatten sie mich auf einen breiten Schild gehoben und trugen mich, ›Heil!‹ jauchzend, durch die Gassen der Zelthütten. Ich konnte nicht widersprechen: wie ein Sturm riß es mich wie alle fort. Und hätt' ich's gekonnt, – ich hätt' es nicht getan. Denn längst hatt' ich's eingesehn: was uns fehlte all' die vielen Jahre, das war ein Haupt, ein einziges, unseres Volkes. Ein Haupt, das den Ränken der beiden Kaiserreiche – ja, Freund Stilicho, der beiden! – aufmerksam folgen, sie abwehren konnte in Frieden und Krieg. All' unsere Siege hatten uns später – im Frieden – nichts genützt: so wie wir den Speer aus der Hand legten, drohte der Hunger. Denn sie gaben uns kein Ackerland, keine eigene Scholle, kein Vaterland! Das müssen wir haben, oder untergehn: das heißt aufgehn in Byzantinern und Römern.«

»Und wäre das ein Unglück, Alarich?« Mit dieser ganz ruhig, bedachtsam gesprochenen Frage unterbrach Stilicho den Begeisterten.

Der fuhr auf: »Wa . . .? Wie? Was? Du sprichst zum König der Westgoten, zum Haupte eines Volkes! Du Armer, armer Herr der halben Welt! Du freilich hast kein Volk. Wie kannst du leben?«

»Ich lebe für das Römerreich. Und damit auch für alle Germanen, die nicht dem Wahnwitz verfallen sind, jemals dies Reich zerstören, ersetzen zu wollen. Aber genug davon heute und hier. Mir ist, die Stunde kommt, da wir diesen Streit mit Stärkerem als mit Worten entscheiden. – Also König! – Das ändert deine Macht, nicht meine Pflicht. Niemals kämpfe ich gegen den Sohn des Theodosius. Höre mein letztes Wort: ziehe deine Scharen zurück, die Byzanz bedrohen: dann will ich versuchen, Arcadius zu bewegen, deine Wünsche zu erfüllen.«

»Und weigert er sich, wirst du ihn dann mit mir zusammen zwingen? O Stilicho, wir beide Schild an Schild, – Wer auf Erden kann uns widerstehen?« – »Die Pflicht: sie ist mächtiger als alles.« – »Also ich soll weichen: und hilft das nicht, hilfst du mir auch nicht? Und weiche ich nicht und ziehe auf die Stadt der Lüge und fasse sie an der Kehle, dann . . .?« – »Führe ich mein Heer und meine Flotte zum Entsatz, das heißt: des Imperators Honorius Heer und Flotte,« verbesserte er rasch: er hatte Heraclian und Carinus, jetzt vornehme Heerführer, und Beamte, einverstandne Blicke tauschen sehen.

Aber Alarich fuhr fort: »Also Krieg! Denn ich kann nicht zurück. Mein Volk! Es darbt. Krieg zwischen uns, alter Waffengenoß! O Stilicho, das sollte nicht sein! Bist du denn ganz – und nur! – Römer? Weh um dich! Auf Wiedersehen denn auf dem Feld der Schlacht!« Und er wandte sich und stürmte hinaus.

 


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