Felix Dahn
Stilicho
Felix Dahn

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II.

Und viele Jahre verstrichen. – Aus dem Jüngling Stilicho war ein reifer, ein herrlicher Mann geworden, ein Held, der in vielen Schlachten die germanischen Reitergeschwader Roms zum Siege geführt hatte: gegen Anmaßer, die sich wider Theodosius erhoben, aber auch gar oft gegen Germanen von allerlei Stämmen. Jedoch auch ein Staatsmann war er, der, von aller Bildung der damaligen Römerwelt durchdrungen, in dem Rat des großen Imperators eine stets befragte, meist befolgte Stimme führte.

Jetzt kam dieser edle Herrscher zu sterben: und er wußte das und bestellte sein Haus und sein Reich. Er entließ die vornehmen Beamten des Palastes, die er zu sich beschieden, und gebot, Stilicho zu rufen. Mit feindseligen Neidesblicken sahen die scheidenden Römer den »Barbaren« – allein – über die Schwelle des kaiserlichen Schlafgemachs schreiten.

Der Imperator winkte ihm, sich auf den Rand des niederen Pfühls zu setzen, richtete sich auf aus den Kissen und begann: »Ich schließe die Augen leichter, Magister militum, hat mein letzter Blick auf dir geruht. Denn – mag es meinen Stolz – den eines Römers vom ältesten Adel der Quiriten! – schmerzen – das Reich Cäsars, das Reich Trajans ist so weit gekommen, daß nach meinem Tod ein Germane seine stärkste, ach fast seine einzige Stütze sein wird. Stütze, Schild gegen Feinde auf allen Seiten – vor allem gegen deine Germanen. Großes, Größtes vertrau' ich dir an. Wohl hab' ich dich schon bisher hoch geehrt, dir mehr vertraut als allen Römern meines Hofes: meine Lieblingsnichte, die fromme Serena, hab' ich dir vermählt, dich so zu einem Glied meines Hauses erhoben: aber jetzt erst – nach meinem Tode – sollst du mein höchstes Vertrauen . . .« Er stockte: Schwäche hemmte ihm die Zunge. Nach einer Weile fuhr er fort: »Nimm die Urkunde dort aus jener Kapsel. Du weißt, meine Erben sind zwei Knaben: Arcadius, der ältere, soll in Byzanz das Ostreich . . . ach, ›beherrschen?‹ Ihn und das Ostreich wird Rufinus leiten.« – »Mein Todfeind,« dachte Stilicho, »schon seit der Schulzeit.« Aber er verneigte sich und schwieg. – »Honorius aber, das Kind, und das Westreich sollst du mir schützen, zum Guten führen, beherrschen: du, der Vandale, das ewige Rom!« – »Du ehrst mich hoch, Imperator.« – »Aber versprich mir: nie, niemals Krieg zwischen den Brüdern!« – »Behüte! Welch Unheil wär's für beide!« – »In allen Stücken, die das Ostreich angehen, gehorchst du Arcadius.« – »Und Rufinus,« dachte Stilicho. – »Er ist dein Herr wie Honorius. Und nun kommt das Letzte, Schwerste für dich zu vernehmen. Ich hab' es dir erspart bis zur letzten Stunde meines Lebens. Erfahre jetzt, daß ich besondern Grund habe, dir zu – mißtrauen.«

»Theodosius,« rief Stilicho tief verletzt und sprang auf. – »Still. Höre! Ich habe nicht mehr viel Zeit. – Wenn nun doch einmal der Germane, der Vandale in dir – das liegt ja im Blut! – sich so mächtig regte, daß du – bei aufgezwungener Entscheidung! – mehr als Germane denn als Römer fühltest, dachtest, handeltest?« – »Oh Imperator! Allüberall, im Palast, im Heer, in Italien, in den Provinzen, tritt mir dies Mißtrauen, dieser Haß gegen den ›Barbaren‹ entgegen: bald heimlich, bald offen drohend. Das hemmt meine Schritte, das verbittert, vergiftet mein Leben. Die Germanen schelten mich abtrünnig, die Römer schelten mich den rohen, treulosen Barbaren. Wohl: es ist mein Schicksal, es wird der Kampf meines Lebens – mit andern. Aber, daß auch mein Kaiser, daß du . . .! Du hast kein Recht zu solcher Kränkung.« – »Doch . . . vielleicht. Wär's denn ein Wunder, wär's ein schändliches Geschehnis, wenn im Widerstreit deines römischen Staates und deines germanischen Blutes dieses einmal – vorübergehend! – siegte?«

»Das ist unmöglich!« – »Das ist möglich: denn es ist geschehn.« – »Wie? Wer? Welcher Verräter . . .?« – »Schweig! Schilt ihn nicht: denn es war dein Vater.«

Stilicho fuhr auf: »Mein . . . mein Vater? Nein!«

»Ja. Er focht lange tapfer und treu für mich. Aber kurz vor seinem Tode drangen in das Reich – dort in Pannonien – seine Volksgenossen, die Vandalen: sie verhandelten mit ihm, der den Limes verteidigte – in seiner Sprache: lange hatte er sie nicht gehört: mächtig drang sie an sein Ohr, allzumächtig in sein Herz: er wollte zu ihnen übergehn – gegen Rom.« – »Undenkbar!« – »Dort . . . in jenem Schrein liegt sein aufgefangener Brief an König Wisumer. Ich rief ihn ab, bevor er den Plan ausführen konnte. Hier, in diesem Gemach, an jenem Fenster dort, zeigte ich ihm den Brief und – begnadigte ihn.« – »O Theodosius!« – »Er fiel mir zu Füßen und rief: ›Ach Imperator, du weißt nicht, wie stark, wie zwingend das Blut, das Volksblut im Manne wirkt. Sollte ich die Meinen zusammenhauen? Du weißt nicht . . .!‹ Aber ich wußte. Auch ich habe ja ein Volk, bin ein Römer. Und ich verzieh ihm, ließ ihm Rang und Würden, vertraute – unbeschränkt! – seinem Sohn. Aber du begreifst: was den Vater hingerissen, könnte auch den Sohn . . .« – »Niemals! Ich schwör's.« – »Gut. So schwöre auf diesen Splitter vom Kreuze Christi, – in jener Arca liegt er – daß du dich solang du atmest nur als Römer fühlen wirst, als Schirmer dieses Reiches, nie abfallen wirst in Tat oder Gedanken zu deinen Germanen.«

Stilicho, tief erschüttert, trat dicht an das Bett: »Laß den Splitter von altem Holz, laß auch den Schwur. Ich verspreche dir hier mit dem Schlag meiner Rechten auf Treu' und Ehre – Splitter und Eid würden mich nicht fester binden – ich gelobe, ich werde tun, wie du begehrst. Ich gelobe es auf mein Schwert.« Und er legte die Hand auf den ehernen Griff.

»Seltsam,« sprach der Kranke. »Er verspricht Rom, ein Römer zu sein – auf germanische Art. Aber du wirst's halten, ich weiß. – Und nun, mein Freund, meine einzige Hoffnung für des Reiches Zukunft, nun das Letzte: nimm dies Kodizill zu meinem Testament – dort – in dem Geheimfach der Marmorwand – links – öffne es nach meinem Tod: – aber allein. Und halt' es geheim solang wie irgend möglich. Hoffentlich – ich flehe darum zu Gott! – hoffentlich wirst du nie nötig finden, es zu brauchen. Wird es aber nötig – ah entsetzlich! –, dann brauch' es schonungslos. Erst das Reich, dann erst meine Söhne. – Geh jetzt, laß mich. Ich will allein sterben: mit den Menschen bin ich fertig: nun muß ich mit meinem Gott reden.«

 


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