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Vierundzwanzigster Brief.

Die Schweizer Bergpässe. – Ausflug in die Umgebung von Vevey. – Das Schloß Blonay. – Aussicht von der Terrasse. – Erinnerung und Hoffnung. – Hohes Alter von Blonay. – Der Rittersaal. – Aussicht vom Altane. – Rückweg von Blonay. – Ein neues Schloß. – Das Reisen zu Pferde. – Neuigkeiten von Amerika. – Vorhersagung von der Auflösung des nordamerikanischen Bundes. – Die preußische Politik. – Der preußische Despotismus.

Mein lieber – –,

Aus meinem vorigen Briefe werden Sie abgenommen haben, daß ich den Bergpfad des großen Sankt Bernhard nicht zu den schönsten schweizerischen Bergpässen zähle. Doch werden Sie sich erinnern, daß wir von dem italienischen Abhang nur sehr wenig gesehen hatten, wo gewöhnlich die herrlichsten Züge und die großartigsten Scenen zu suchen sind. Der Pfad über den Simplon würde durchaus nicht so viel Außerordentliches haben, wenn er sich blos auf die Schauer und Erhabenheiten der Schweizer Seite beschränkte; doch vermuthe ich, nach dem Wenigen, was ich davon gesehen, daß sowohl der Paß über den Sankt Gotthard und der Paß über den Splügen von der nördlichen Seite einen weit größeren Eindruck machen. Der Paß von Nizza ist ein ganz gewöhnlicher Bergweg, er ist weniger wild und felsig als die andern, er besitzt aber nur ihm eigene Schönheiten (und zwar ganz außerordentliche Schönheiten), denn überall hat man dort den Anblick des Mittelmeers, diese weitausgedehnte tiefblaue Wasserfläche vor Augen, mit Segeln aller Art belebt, wie sich die Einbildungskraft solche irgend erträumen kann. Mir ist es immer vorgekommen, als ob Dichter dieses Meer mit ihren Schöpfungen bevölkert hätten.

C – – und ich waren viel zu berglustig nach diesem kleinen Ausfluge geworden, als daß wir uns im Thale lange Zeit befriedigt hätten fühlen können, so lieblich auch der Aufenthalt daselbst hätte sein mögen. Den folgenden Tag begaben wir uns daher zu Fuße wieder auf den Weg, um die Höhen hinter Vevey in Augenschein zu nehmen. Der Weg führte uns anfangs durch enge Landwege zwischen Weingärten hindurch; doch wie wir aus diesen emporkamen, so befanden wir uns gleichsam in einer neuen Welt, in einer neuen Umgebung, die ich mit keiner andern zu vergleichen im Stande bin. Ich würde nicht müde werden, über die Schönheiten dieser Gegend mich auszusprechen, die recht eigentlich geschaffen zu sein scheint, um so den Vordergrund eines der erhabensten Gemälde zu bilden, damit er ganz des übrigen Gemäldes würdig wäre.

Es war überall Bergland, aber ein so allmählig ansteigendes Bergland von solcher großen Ausdehnung, und dabei einem reichen mannichfach verschönerten Thallande so ähnlich, durch den Schmuck des Anbaues, durch die einzelnen Wohnungen, die zerstreuten Weiler, Gebüsche, Wiesengründe, Weinanlagen, so daß uns das Ganze wie eine ungeheure Ebene vorkam, in einer schicklichen Abdachung geneigt, um dem Beschauer den Ueberblick des schönen Ganzen in seinen einzelnen Theilen leicht zu machen, ihm zum Betrachten aller Gegenstände die rechte Muße zu gönnen, und jedem Gegenstande das vortheilhafteste Licht zuzuwenden. Hier und da war der Abhang hinreichend steil, und mehr als einmal that es uns wohl, ein wenig auszuruhen, um uns abzukühlen und freier zu athmen.

Endlich nachdem wir einige anmuthige Wiesengründe durchschritten und längs dem Rande schöner Gebüsche weiter gekommen waren, erreichten wir die Stelle, welche das Ziel war, wohin wir gleich im Anfange unseres Ausflugs unsere Blicke hatten aufwärts schweifen lassen. Es war das Schloß von Blonay, dessen malerische Lage und dessen anmuthigen Anblick ich schon in meinen Briefen erwähnte, ein ehrwürdiger alter Rittersitz, der etwa eine Stunde Weges von der Stadt entfernt ist und eine der reizendsten Stellen der ganzen Anhöhe einnimmt.

Das Geschlecht der Blonay ist bereits siebenhundert Jahre lang im Besitz dieser Veste. Ein Zweig desselben befindet sich in Sardinien, doch das Haupt der Familie ist, wie ich glaube, im Besitz der Burg. Da diese einige geschichtliche Wichtigkeit hat, und die Blonays einen unverkennbaren Einfluß ausübten, so hatte ich Lust, mich im Innern des Gebäudes umzusehen; denn ich hoffte, dadurch einige augenscheinliche Bekanntschaft mit den Verhältnissen des schweizerischen Adels zu erhalten. Daher baten wir um Einlaß, der uns auch ohne Schwierigkeit gestattet wurde.

Mit wenigen Ausnahmen sind alle Burgen der Schweiz auf Abhängen oder auf Spitzen von Bergen erbaut. Die unmittelbare Grundlage ist gewöhnlich der natürliche Felsen, und die Lage wurde im Allgemeinen so gewählt, daß die Annäherung zu solchen Vesten schwierig war. Letztere Eigenthümlichkeit findet sich indessen im strengsten Sinne bei Blonay nicht in dem Grade, wie bei andern Vesten dieser Gegend; denn der Felsen, auf dem diese Burg erbaut ist, dient höchstens zu einer festen Grundlage. Ich vermuthe, eine der Hauptabsichten, weßhalb man einen felsigen Boden wählte, war, das Untergraben der Mauern schwierig oder gar unmöglich zu machen; denn diese Angriffsweise fester Schlösser bestand lange vor der Erfindung des Sprengens durch Pulver.

Die Gebäude von Blonay sind weder von großem Umfange, noch sind sie gehörig ausgebaut. Wir traten durch einen bescheidenen Thorweg in einem versteckten Winkel ein, und befanden uns mit einem Male in ein langes, enges, unregelmäßiges Gehöfe versetzt. Links stand ein zusammenhängender Bau, in welchem sich meist Schlafgemächer und einige andere Gemächer befanden, nebst den Wirthschafts- und Gesindestuben; vor uns hatten wir einen weit älteren Flügelbau, in welchem sich die Burghalle nebst einigen andern ansehnlichen Gemächern befand; rechts lag die eigentliche Veste, ein alter fester Thurm, der ursprüngliche Hauptbau, unter dessen Schutz erst die übrigen Bauten hinzukamen; deßgleichen ein anderer Flügelbau, der aber jetzt zu einem Vorrathshaus herabgekommen ist. Diese sämmtlichen Gebäude schließen den Hof ein, und schließen die Folge dieser Gebäude. Denn die Seite nach dem Berge, wo wir hereingekommen waren, hatte keinen weiteren Aufbau, außer den Enden der beiden Seitengebäude und dem Thorwege. Letzteres war nichts als eine mittelalterliche Hinterpforte; denn zwischen dem alten Thurm und dem Hauptbau, in welchem die Burghalle sich befand, war noch ein anderes Thor, weit ansehnlicher und größer, als jenes. Das große Thor öffnete sich auf einer kleinen höhergelegenen Terrasse, die von schönen Bäumen herrlich beschattet wurde, und von welcher sich eine Aussicht darbot, die wenige ihres Gleichen auf Erden haben mag. Zwar wüßte ich nicht, daß diese Aussicht so auserlesen schön wäre, wie die, welche wir von dem Hause des Kardinals Ruffo in Neapel hatten, und doch hat diese hier mehre wundervolle landschaftliche Züge, welche der neapolitanischen Villa gänzlich mangelten. Diese beiden Aussichten halte ich für die schönsten, die ich jemals von irgend einem Gebäude aus zu betrachten Gelegenheit hatte, obschon die Schönheiten dieser Landschaftansichten nicht blos von beiden Punkten aus, sondern auch mehr oder weniger von allen in ihrer nachbarlichen Umgebung befindlichen Gebäuden zum Theil übersehen werden konnten. Der breite Fahrweg, so weit nämlich Fahrwege einen Bergabhang hinangeführt werden können, geht bis an dieses Thor, obschon man auch durch das andere hineinkommen kann.

Ursprünglich mag Blonay eine Veste von geringer Wichtigkeit gewesen sein; denn weder der Umfang derselben, noch ihre Festigkeit, noch die Lage der ältern Bauten ist hinreichend dazu geeignet, den Ort einer ernsten Belagerung oder einer hartnäckigen Vertheidigung werth zu machen. Ohne darüber Näheres zu wissen, kann ich blos sagen, daß das gegenwärtige Interesse, das dieser Ort einflößt, höchstens sein hohes Alterthum ist, verbunden mit dem merkwürdigen Umstande, daß eine und dieselbe Familie während einer so ungewöhnlich langen Zeit immerfort im Besitze dieser Burg verblieben ist. Setzen wir jedem Besitzer wenigstens eine Zeit von fünfundzwanzig Jahren, so muß der jetzige Eigenthümer mindestens der fünfundzwanzigste Blonay gewesen sein, der hier gehauset hat.

Ein Hausmädchen gewöhnlichen Schlages führte uns durch das Innere der Gebäude umher. Für sie war es insofern ein wichtiger Aufenthalt, als sie gar viele Fußböden reinzuhalten und so außerordentlich viele Fenster zu säubern hatte. Diese arbeitsinnende Stimmung verscheucht zum Theil die dichterische und erbauliche Schwärmerei; denn sie wandelt alle ehrwürdigen Schauer, alle romantischen Gefühle in bescheidene Seife- und Waschlappenvorstellungen um. Ich kann wohl sagen, es gebe viele, weit behaglichere Wohnungen in einem Umkreise von einer Stunde umher; selbst » mon repos« möchte ich vor diesem Aufenthaltsorte den Vorzug einräumen; aber darin muß ohne Zweifel ein dauernder und sich immer gleichbleibender Genuß liegen für den, der für solche Empfindungen empfänglich ist, wenn er darüber nachsinnt, er wandle täglich und stündlich durch dieselben Räume, die seine Vorfahren vor fast tausend Jahren bereits durchwandelten! Hoffnung ist eine belebende und im Ganzen, wegen des Erregenden, das in ihr liegt, eine weit mehr der menschlichen Bestimmung entsprechende Empfindung, als die Erinnerung; aber ein weit feierlicher und befriedigender Zauber ruhet in der letzteren, welcher die rauschende und aufregende Stimmung jener nicht gleichkommt. Europa ist fruchtbar an Erinnerungen; Amerika ist überreich an Hoffnungen. Ich habe mir die Mühe nicht leid sein lassen, unterstützt von der Liebe zum Vaterlande, die durch die Entfernung noch stärker zieht, so wie durch die gemachten Bemerkungen und Erfahrungen, die eine natürliche Folge des Vergleichens sind zwischen dort und hier, um mir die Zukunft meines Geburtslandes herrlich auszumalen reicht und die Eindrücke der Vergangenheit, die in diesem Welttheile sich dem Gemüth unablässig einprägen, ganz in Schatten zu stellen; aber, so weit ich es auch schon im Bauen von Luftschlössern gebracht habe, konnte ich doch bis jetzt meinen Zweck nicht erreichen. Ich glaube fast, Trägheit müsse die Ursache sein, daß mir dieses nicht gelang. Wenn wir genießen wollen, so ziehen wir vor, uns leiten zu lassen, statt uns den Kopf anzustrengen mit dem Trachten nach etwas Neuem. Die Vergangenheit ist etwas Wirkliches, während die Zukunft nur im Reiche des Möglichen liegt. In dieser Hinsicht hat das Bestehende viel vor dem blos Denkbaren voraus, und die Einbildungskraft findet es zugleich bequemer und befriedigender, das ganze Rüstzeug der Erinnerung mit den Farben und Zierrathen zu schmücken, die etwa noch fehlen, um die Wirkung ihrer Bezauberung zu erhöhen. Ich weiß wenig mehr von der Geschichte von Blonay, als daß dieses Schloß und seine Besitzer aus grauer Vorzeit herstammen; auch ist es kein Schloß, das durch seine merkwürdige Bauart und Einrichtung sich auszeichnete, um ein getreues Bild der Sitten und Gebräuche alter Zeit darzustellen; und dennoch habe ich noch niemals ein Schloß aus der neueren Zeit mit nur halb so viel Vergnügen durchstöbert, als ich dieses bescheidene alte Gebäude durchschritt. Meine Einbildungskraft hatte nur einzelne Züge aufgefaßt, einzelne unbezweifelte Thatsachen, und aus ihnen entwarf sie ein höchst inhaltvolles Gemälde der alten Zeit. In Caserta, in Saint-Cloud bewundern wir die Treppen, die Friesen, die Gemächer, den Marmorschmuck; aber mit den Königen weiß ich nichts anzufangen, die alle in das Getriebe der Weltgeschichte so vielfältig eingreifen, daß dem freien Spiel der Einbildungskraft fast nichts mehr übrig bleibt; hier aber konnte ich mich nach Wohlgefallen in ferne vergangene Zeiten versetzen und sie mit allen denkbaren häuslichen Begebenheiten und verschollenen Gewohnheiten zu den mannichfaltigsten Gemälden verbinden, wie sie die lange Folge von Jahrhunderten vorüberziehen ließ.

Indessen hat der Rittersaal oder die Burghalle von Blonay hinreichendes Interesse für die Wirklichkeit, um das stumpfe Gemüth anzuregen. Weder die Halle, noch ihre Ausschmückung hat an sich selbst viel Auszeichnendes; die Halle ist viereckig, einfach, schon ziemlich der neuen Zeit angepaßt, und die Verzierung desselben war den beschränkten Mitteln eines Landedelmannes ganz angemessen. Aber die Lage und die Aussicht gaben dieser Halle einen außerordentlichen Reiz; denn alles, was ich von der Terrasse bemerkte, gilt fast noch mehr von der Halle. Nach der eignen Abdachung des Berges an dieser Stelle ragen die Fenster weit über den Boden hinauf, und an einem der Fenster befindet sich ein Altan, von dem ich wohl sagen möchte, wenigstens dieser habe seines Gleichen nicht auf der ganzen weiten Erde, die doch des Schönen so Viel hat. Der Kardinal Russo hat keinen solchen Altan. Es ist aber auch der Altan der Altane.

Ich muß es völlig aufgeben, Ihnen auch nur eine schwache Schilderung von der aus Erhabenheit und Zartheit gemischten Schöne dieser Naturscenerie zu geben, die sich vor und unter dem Altane von Blonay ausbreitet. Die Grundzüge dieser Aussicht kennen Sie bereits, – dieselbe geheimnißvolle Bergschlucht, derselbe tiefblaue See, dieselben Uferwölbungen, dieselben ernsten drohenden Felsen, dieselben Gruppen von Thürmen, Kirchen, Weilern, Schlössern, von denen ich bei wiederholten Gelegenheiten in diesen Briefen schon erzählt habe. Aber die Lage der Burg Blonay hat überdieß die eigenthümliche Annehmlichkeit, die den Genuß einer solchen Aussicht vollkommen macht. Weder zu hoch, noch zu niedrig; weder zu sehr versteckt, noch zu sehr sich verdrängend; weder zu entlegen, noch zu nahe; keine passendere Lage wäre möglich gewesen. Ich weiß nichts von dem Herrn von Blonay, außer daß der alte Johann eine gute Meinung von ihm hat, dieser beobachtende Kahnführer; aber er müßte wirklich ein Herz, hart wie Kiesel, haben, wenn er im Stande wäre, täglich, ja stündlich die Werke der Gottheit zu betrachten, wie sie von diesem Fenster aus erscheinen, ohne daß sie einen tiefen und bleibenden Eindruck auf sein Gemüth hervorbrächten. Ich kann mir wohl einen vom Weltgewühle so ganz abgestumpften Menschen vorstellen, daß er durch das Gewimmel geschäftiger Milben seiner Mitgeschöpfe dort unten sich ergehen kann, ohne Theilnahme zu empfinden oder zu erwecken; aber ich kann mir kein Menschenherz vorstellen, dessen Besitzer bei der immer neuen Anschauung einer solchen Scene, wie diese, ungerührt bleiben könnte, und sich nicht anbetend erhoben fühlte zu der segnenden Hand, die solches erschuf. Es wäre eben so ungereimt, anzunehmen, daß wer das Abendmahl des heiligen Hieronymus in seinem Prunkzimmer hängen hat, nicht an Domenichino denke, als vorauszusetzen, derjenige denke nicht an Gott, der eine solche Herrlichkeit seiner Schöpfung fortwährend vor Augen hat.

Sehr angenehm wäre es mir gewesen vor Allem, wenn ich von diesem Altane einen der schönen Sonnenuntergänge dieser Jahreszeit hätte betrachten können. Ich stelle mir vor, wie herrlich sich der immer höher aufklimmende Schatten, wie schön die immerfort wachsende Verdunkelung der Gegenstände im Thale von hieraus sich ausgenommen haben würde, wie das zögernd schwankende Licht von oben herab, wie die herrlichen Felsenarabesken Savoyens über diese ganze Gegend einen weit vollkommneren Reiz verbreitet haben müßten, als wir solchen dort wahrnehmen konnten.

Blonay ist von sammetartigen Wiesengründen umgeben, das liebliche Grün reicht bis an seine Mauern, und die Felsenblöcke, die hier und da höher aus dem Grase hervorblicken, schwächen nicht, sondern erhöhen die zarte sanfte Wirkung des frischen saftigen Grüns. Die Anzahl dieser nahen Felsenhäupter reicht gerade hin zu einem angemessenen Vordergrunde, der zu dem felsigen Rahmen paßt, der ringsum fast das ganze Gemälde umfängt, um zuletzt den Sinn des Betrachtenden auf die großartige Zusammensetzung des ganzen Landstrichs hinzulenken.

Wir verließen Blonay mit schmerzlichen Empfindungen, und zögerten noch eine Zeit lang auf seiner Terrasse, ein Plätzchen, zugleich einsam und belebt, und schöner durch die Aussicht von oben herab auf die Menschen und auf ihr Treiben in der Tiefe, als irgend eine andere Stelle es sein kann. An einer solchen Stelle befindet man sich nicht im Weltgewühle, und ist doch nicht von ihm getrennt; man ist der Erde nahe genug, um ihre Herrlichkeiten zu genießen, und doch fern genug, um ihre Mängel nicht zu gewahren. Als wir Blonay verließen, begegneten wir einem jungen Frauenzimmer von einfachem Aeußern und Benehmen, wie es einer Dame ziemt; wir grüßten sie, in der Meinung, daß sie die Herrin von Blonay sei, und es machte uns Vergnügen, als wir nachher von einem alten Diener vernahmen, daß wir uns in unserer Vermuthung nicht betrogen hatten. Man grüßt gewiß mit einem Gefühle von Achtung die Besitzerin einer solchen Wohnung.

Von Blonay aus kreuzten wir durch Wiesen und Obstpflanzungen, bis wir einen Weg fanden, der zu der breiten Terrasse führt, die unmittelbar hinter Vevey sich erhebt. Wir gingen an mehren Weilern vorüber, die auf schmalen Streifen Land sich erhoben, die ebener sind, als das übrige Gelände, schmale Abstufungen des ausgedehnten Abhanges, die einen ländlich anmuthigen Anblick gewährten. Endlich fanden wir, was wir suchten, ein ziemlich geräumiges modernes Gebäude, Schloß genannt, dessen Dächer und Schornsteine öfter unsere Blicke vom See aus auf sich gezogen hatten. Dieser Landsitz war in seinem Aeußern französisch, obschon die Ländereien eher ein deutsches Ansehen hatten. Die Terrasse war unregelmäßig gebildet, aber von ziemlicher Breite, und zwischen Büschen und Sträuchern wanden sich hübsch angelegte Spaziergänge hin. Die ganze Anlage hatte ein durchaus modernes Ansehen, und war von weit größerem Umfang, als man solches in der Schweiz gewohnt ist. Wir hatten keine Lust, in das Haus zu gehen, sondern wir wichen einer Gesellschaft aus, die dem Landsitz anzugehören schien, wandten uns links und stiegen durch die Weinberge wieder hinab nach der Stadt.

Die beste Art, durch diese Gegenden zu streichen, ist zu reiten. Die Frauen haben besonders, wenn sie mit guten Sätteln versehen sind, hierin viel vor ihren Mitschwestern voraus, sobald sie sich nur ernstlich einüben wollen. Alles wohl erwogen, glaube ich, daß eine Familie auf keine andere Weise so angenehm durch die schweizerischen Gegenden reisen kann; nur müssen freilich die Frauen wirklich reiten können. Unter Reiten verstehe ich aber nicht ein steifes Sitzen zu Pferde, kein ängstliches Anhalten am Zügel, kein unbehagliches Umklammern des Pferdes, sondern ein bequemes, sorgloses, ruhiges Verhalten, wobei die reitende Schöne sich sicher fühlt, und ganz behaglich um sich blicken kann. Sonst würde sie weit eher sich selbst zum Gegenstande von Betrachtungen machen, als daß sie Muße hätte, die Gegenstände umher zu betrachten.

Nach unserer Rückkehr begab ich mich in ein Lesezimmer, das ich während unseres hiesigen Aufenthaltes öfter zu besuchen pflegte; ich fand da eine ziemliche Unruhe wegen der Neuigkeiten aus Amerika. Wie ich Ihnen schon sagte, haben die Schweizer, mit wenigen Ausnahmen, gute Wünsche für uns; aber in den übrigen Ländern Europas besteht nach meiner Ueberzeugung eine gemeinschaftliche Stimmung unter den höheren Ständen, daß ihnen kaum Etwas ein größeres Vergnügen gewähren könnte, als die Nachricht, daß unser Staatenbund sich aufgelöst hätte. Vermöchten sie nur unser Land mit Söldnern zu überschwemmen; nicht einen Augenblick würden diese Menschen sich bedenken, uns sämmtlich nach der Unterwelt zu fördern. Dieser Haß entspringt nicht sowohl aus dem Widerwillen gegen uns, als vielmehr einzig aus dem Abscheu vor unserer Verfassung. Als Volk, meine ich, werden wir von der Mehrzahl mit ganz gleichgültigen Augen betrachtet; aber diejenigen, welche so heftig wider unsere Institutionen eingenommen sind und solchen Abscheu vor dem von uns gegebenen Beispiele eines durch freie Entwickelung in steigendem Wohlstande fortschreitenden Volkes empfinden, können freilich auch ein wenig persönlichen Hasses bei ihrer politischen Feindschaft sich nicht erwehren. Ungleich dem Weibe, das ihre Liebe mit »einem kleinen Widerwillen« anfängt, fangen sie mit einem kleinen Anflug von Menschenliebe an und endigen mit einem heftigen Widerwillen gegen Alles, was aus dem verhaßten Lande kommt. Ich habe diese Empfindungen zu einem solchen Grade bei Vielen gesteigert gesehen, daß sie selbst die Erzeugnisse unseres Bodens mit Widerwillen von sich stießen. Ich sah starke Beweise für diese ganz der Wahrheit gemäß gemachte Schilderung in dem Benehmen der jetzt gewöhnlichen Besucher des Lesezimmers, von denen die Mehrzahl Franzosen sind. Eine schnell bevorstehende Auflösung unseres Bundes wurde in allen Zeitungen wegen einiger vor kurzer Zeit angelangten Neuigkeiten ohne Weiteres vorhergesagt; ich darf daher behaupten, in diesem Augenblicke glauben wohl neun Zehntheile der Bewohner Europa's, die sich überhaupt um uns bekümmern, daß unsere Verfassung keine Sicherheit auch nur für ein paar Jahre gewähren könne. Diese Ansicht ist aber eine ganz natürliche Folge der ausgestreuten Nachrichten; denn in allen öffentlichen Mittheilungen wird Wahrheit mit Lüge so künstlich durchknetet, daß man eine weit genauere Kenntniß von unserem Lande haben muß, um beide voneinander zu scheiden, als dieses einem Ausländer möglich ist. Ich brachte heute eine ganze Stunde vergeblich damit zu, um einem heftig erregten Franzosen zu beweisen, daß unser dermaliger Streit durchaus keine ernsthaften Folgen haben könne, aber alle meine Logik blieb umsonst verschwendet; nur die Zeit kann einen solchen Menschen von dem überzeugen, was er mit solchem hartnäckigen Eifer nicht glauben will. Fürs erste schicken die europäischen Mächte nur zu selten wirklich geeignete diplomatische Agenten zu uns hinüber; denn eine ganz neue Gestaltung der öffentlichen Angelegenheiten, wie sie bei uns stattfindet, erfordert eine Fruchtbarkeit der Ideen und einen in die Verhältnisse tief eindringenden Verstand, – dazu sind die Diplomaten noch überdieß so gewandt, Jedem gerade das zu sagen, was er gern hören möchte. Wir täuschen uns sogar selbst durch die Uebertreibungen der Gegenpartei. Die Parteihäupter schreiben sich in ein Fieber hinein, und reden irre, wie andere Leute, deren Puls in widernatürlicher Wallung ist. Diese Sache darf uns gar nicht in Verwunderung setzen, denn es ist eine der gewöhnlichsten menschlichen Schwächen, vorzüglich diejenigen Uebel, die am drückendsten auf uns lasten, zu verabscheuen, wenn gleich die Rettung aus diesen Uebeln eine völlige Zerstörung herbeiführen würde. Es ist die alte Geschichte menschlicher Bedrängnisse, die sich immer neu wiederholt. Da die Volksherrschaft jetzt das Uebergewicht hat, so suchen wir den Grund alles Unangenehmen in den demokratischen Institutionen; so sehr wir auch überzeugt sind, daß wir vernichtet oder unter unleidlichen Druck gezwängt werden würden, wenn wir uns unter irgend einer andern Form beugen müßten. Einige wenige Fürstenknechte und Hofprunksüchtige ausgenommen, glaube ich nicht, daß es in Amerika einen einzigen Mann gibt, der fünf Jahre in Europa in irgend einem Lande aus dauern könnte, ohne von den Vorzügen seiner vaterländischen freien Institutionen vor den Verfassungen aller übrigen Völker der Christenheit sich innig überzeugt zu haben.

Neulich habe ich mich überaus ergötzt, in einem in unsern öffentlichen Blättern mitgetheilten Aufsatze eine große und übertriebene Lobpreisung der preußischen Verwaltung zu lesen! Es liegt eine so außerordentliche Ungereimtheit darin, wenn ein Amerikaner ein solches System hoch erheben will, daß man kaum vorher bestimmen kann, wie weit es noch mit menschlichen Albernheiten kommen könne. Die preußische Verfassung ist durchaus nichts anders, als eine Despotie; eine Art des Herrschens, von der man denken sollte, daß die Welt jetzt hinreichend wisse, wie sie mit einer solchen daran sei. Wahr ist es, daß die despotische Gewalt in diesem Staate mit großer Milde ausgeübt wird, und daher rühren die Mystifikationen, die man von diesem Lande liest und hört. Preußen ist ein aus heterogenen Bestandtheilen zusammengesetztes Königreich; der Norden ist protestantisch, der Süden katholisch; das ganze Volk ist in unsern Zeiten überrumpelt und das Reich ist durchaus zerstückelt worden. Beherrscht von einem Könige, dessen Charakter liebenswürdig und dessen Gesinnung väterlich ist, der durch ernste Erfahrungen in seinen Ansichten gereift ist, treffen in Preußen alle Umstände zusammen, um seine Regierung sanft und wohlthätig zu gestalten. Niemand kann in Abrede stellen, daß eine Regierung, die von dem Willen eines Einzigen geleitet wird, dessen Wille rein vernünftig und gerecht ist, die beste sein müsse, die sich denken läßt. So ist die Regierung des Universums, sie ist eine vollkommene Harmonie. Aber die Menschen, deren Ansichten rein sind, deren Verstand immer das Zweckmäßige wählt, deren Wille durchaus gerecht ist, solche Menschen sind seltene Erscheinungen, und unter Herrschern sind solche Eigenschaften weit seltener zu finden, als man sie vielleicht unter allen übrigen Ständen antreffen kann. Selbst Friedrich der Zweite, seines überlegenen Geistes ungeachtet, war ein Tyrann. Er führte seine Unterthanen haufenweise zur Schlachtbank, blos um seine eigene Größe zu befördern. Sein Vater, Friedrich Wilhelm, hatte die Gewohnheit, langgewachsene Männer zu zwingen, langgewachsene Frauen zu heirathen. Die Zeiten für ähnliche tyrannische Streiche mögen jetzt nicht mehr sein, aber das System der Unterdrückung hat der Wege und Mittel nur zu viele, und jeder folgende König kann deren neue ausfindig machen. In einem solchen Falle würden wahrscheinlich seine Unterthanen ihre Zuflucht in einer Staatsumwälzung und in einer Verfassung suchen müssen, um Sicherstellung gegen eine solche bewunderungswürdige Staatsverwaltung zu erzwingen und alle solche neumodischen Formen des Herrschens in die Luft zu sprengen!

Manche unserer Landsleute gleichen Kindern, die, nachdem sie lange geschrieen haben, um ein Spielzeug zu bekommen, nachher weinen, damit man es ihnen wieder aus den Händen nehme. Zum Glücke besteht der Kern und die Stärke unseres Volks in der Bevölkerung auf dem Lande, deren Sinn unverdorben und praktisch ist; sonst möchten wir leicht in den Fall kommen, uns albern und lächerlich zu machen vor der übrigen Welt.



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