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Vierter Brief.

Allmähliges Verschwinden der Cholera. – Tod des Hrn. Casimir Perrier. – Sein Leichenbegängniß. – Leichenbegängniß des Generals Lamarque. – Prächtige militärische Eskorte. – Der Herzog von Fitzjames. – Ein Auflauf. – Erste Anzeichen aufrührerischer Volksbewegung. – Scene vom Pontroyal. – Angriff einer Abtheilung Reiterei auf das Volk. – Die »Sommations.« – General Lafayette und die »rothe Mütze.« – Volksvorurtheile in Frankreich, England und Amerika. – Kampf im Stadttheile Monmartre. – Der Platz Ludwig des Sechzehnten. – Die erschreckte Schildwache.– Malerisches Bivouac der Truppen im Carroussel. – Zweifelhafte Lage. – Nachtsicht vom Pont des Arts. – Ansehen der Straßen am folgenden Morgen. – England der Freiheit feindlich gesinnt. – Vorfall bei der Porte St. Denis. – Erscheinung Ludwig-Philipps in den Straßen. – Gefecht in der Straße St. Mery. – Plötzlicher Schrecken. – Angst eines Nationalgardisten und eines jungen Conskribirten. – Mittagsmahl mit einem Hofmanne. – Unterdrückung des Aufstandes.

Mein lieber – –,

Seit meinem letzten Briefe häufen sich die Begebenheiten. Die Cholera verschwand allmählig, und hörte endlich ganz auf, ein Gegenstand der Unterhaltung zu sein. Kaum daß die Zahl der täglichen Opfer bis auf wenige Hunderte herabkam, so fühlten sich die Meisten wieder ganz behaglich; und als die tägliche Todtenzahl nicht mehr die Hunderte erreichte, da schien es, man habe die Cholera bereits ganz vergessen: Aber obschon die Seuche wirklich vorbei war, so wurde das Publikum an ihren Streifzug durch den Tod derer noch bisweilen erinnert, die gewaltsam oder zufällig ihrem zerstörenden Einflusse unterlagen. Zu diesen gehörte Herr Casimir Perrier, und sein Tod wurde als eine gute Gelegenheit betrachtet, um über die Maßregeln der Herrschaft des juste-milieu öffentlich Gericht zu halten, dessen Erfinder, nach der allgemeinen Meinung, er nicht nur gewesen sein, sondern es auch nach Kräften in Aufnahme gebracht haben soll. Ich meinestheils halte diese Vermuthung für völlig grundlos. Das juste-milieu will weiter nichts heißen, als Ein Ding auszusprechen und etwas Anderes zu thun; es ist eine Aufsehen erregende Täuschung, und wird später oder früher als solche erkannt werden und dem angemessenen Lohn nicht entgehen. Das juste-milieu führt die Freiheit im Munde, und im Verborgenen trachtet es, die Gewaltherrschaft fester als jemals zu begründen; indem es aller sich darbietenden Mittel rücksichtslos bedient, welche es in der Stockung des Handels und in der Hemmung aller Erfordernisse zur Belebung des Gewerbfleißes in einem Lande austreiben kann, das ohnehin von unerschwinglichen Abgaben erdrückt wird. Weder Herr Perrier, noch irgend ein Mensch ist der erste Urheber eines solchen Systems gewesen; es rührt vielmehr unmittelbar vom Vater der Lügen her, dem es ein Leichtes ist, die willfährigsten Werkzeuge jederzeit aufzufinden und in Bewegung zu setzen. Der vom Erbfeinde inspirirte Erfinder befindet sich in London. Herrn Perrier kann man das Verdienst der Entschiedenheit, der Unerschrockenheit und Tüchtigkeit in Geschäften nicht absprechen; und weit entfernt, daß er ein solches System sollte begründet haben, besaß er vielmehr eine angeborne Freisinnigkeit, die sich gewöhnlich zu einem furchtlosen Charakter gesellt, und die ihn unter andern Umständen sicherlich vor Selbsttäuschung bewahrt hätte. Aber er war ein Manufakturenbesitzer und seine Spinnereien waren daher von bedeutendem Einfluß auf sein politisches Glaubensbekenntnis. Ein anderes Verhältnis der Waarenpreise hätte ihn vielleicht wieder für liberalere Gesinnungen gewonnen.

Da das feierliche Leichenbegängniß Perriers allgemein als ein Zeugniß für die bevorstehenden Volksmeinungen im Voraus bezeichnet wurde, so machte ich am Morgen, wo solches stattfinden sollte, mich auf den Weg, um den Zug mit anzusehen. Es war nicht viel mehr, als die Vorliebe eines Ministeriums in ähnlichen Fällen zu bewirken im Stande ist. Es war ein großer Aufzug von Truppen und Beamteten der Regierung; aber von öffentlicher Theilnahme des Volkes war fast gar Nichts zu sehen. Diese Gleichgültigkeit war eine gemachte, wie sie die Maßregeln einer sich hierdurch auszusprechen trachtenden politischen Partei geboten; denn sonst würden die guten persönlichen Eigenschaften des Verstorbenen wenigstens zu etwas mehr Theilnahme aufgefordert haben. Wenn man aber erwartete, daß bei dieser Gelegenheit sich eine Billigung der Grundsätze des juste-milieu aussprechen werde, so hatte man sich von Oben herab völlig verrechnet.

Ganz verschieden war der Erfolg, als die Opposition dagegen einen ähnlichen Versuch machte bei der Beerdigung des Generals Lamarque. Dieser ausgezeichnete Krieger fiel ebenfalls als Opfer der Cholera, und sein Leichenbegängniß fand am 14. Juni statt. Die Oppositionsblätter hatten seine Freunde und Anhänger aufgefordert, bei dieser Gelegenheit zu erscheinen, um dem Könige und seinen Ministern zu beweisen, daß sie eine gefährliche Bahn betreten hätten, auf welcher sie keine Stütze in der Volksmeinung erlangen würden. Die Vorbereitungen zu dieser Feierlichkeit gewannen sogleich ein ganz verschiedenes Ansehen im Vergleiche mit denen bei jener frühern Gelegenheit. Damals war Alles augenscheinlich von den Behörden ausgegangen; jetzt aber sah man die Regierung fast nur bemüht, ihr Uebergewicht unangetastet zu erhalten. Der höhere militärische Rang des Verstorbenen erwarb ihm die Ansprüche auf eine glänzende militärische Begleitung, und dieses wurde seinen Freunden ohne Schwierigkeit bewilligt, und vielleicht mit desto größerer Bereitwilligkeit, weil dadurch die Gegenwart einer desto beträchtlicheren Anzahl von Bajonetten nothwendig wurde, als deren sonst den Ministern an diesem Tage hätten zu Gebote stehen dürfen. Es sollen von der Nationalgarde zwanzigtausend und darüber in ihrer kriegerischen Tracht, aber blos mit Seitengewehren beim Zuge gewesen sein. Vielleicht war diese Anzahl übertrieben; aber gewiß waren sie in beträchtlicher Anzahl dabei. Der ganze Zug, die Truppen mit einbegriffen, wurde auf hunderttausend Menschen geschätzt. Der feierliche Zug bewegte sich über die Boulevards nach dem Jardin de Plantes, woselbst der Leichnam der Familie des Verstorbenen übergeben werden sollte, um von dort nach dem Süden von Frankreich zur Bestattung fortgebracht zu werden. Da ich gerade andere Geschäfte hatte, so sah ich auch blos die Vorbereitungen mit an und den Anfang der Feierlichkeit; darauf begab ich mich wieder zurück in unser stilles Quartier zu meinen ruhigen Beschäftigungen.

Der Tag ging für uns ziemlich ruhig vorüber, denn der Stadttheil St. Germain hat so viele bedeutende Hotels und so wenige Kaufläden, daß dort ein Zudrängen vieler Menschen nicht gewöhnlich ist; bei dieser Gelegenheit zumal schien die schwärmende Bevölkerung uns ganz verlassen zu haben, um dem feierlichen Leichenbegängnisse Lamarques sich anzuschließen. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt der Veränderung erwähnt habe, welche die Cholera in den Straßen von Paris bewirkt hatte; denn man kann annehmen, daß wohl zehntausend von denjenigen, die kein anderes Obdach haben, als die traurigen Hölen, in denen sie Nachts sich verkriechen, durch die Wuth der Krankheit hingerafft worden waren.

Gegen fünf Uhr ging ich gelegentlich nach der Rue de Rivoli, und fand weit weniger Menschen auf den Straßen und im Garten, als man es sonst um diese Zeit des Tages gewohnt ist. Ich vernahm ein Gerücht, es habe eine kleine Verwirrung auf dem Boulevard des Italiens stattgefunden, weil der Herzog von Fitzjames, eines der Häupter der Karlisten, sich geweigert habe, beim Vorüberzuge des Leichnams von Lamarque sein Haupt zu entblößen, als er gerade von seinem Balkon niedersah. Ich hatte den Herrn von Fitzjames öfter in Gesellschaften gesehen, und obschon er ein entschiedener Anhänger der vorigen Regierung ist, so wußte ich doch, daß sein Benehmen in Worten und Handlungen zu gut war, als daß ich in ein solches müßiges Gerede hätte Vertrauen setzen können. Durch ein sonderbares Zusammentreffen war ich nur einmal näher mit General Lamarque bei einem kleinen Mittagsmahle zusammengekommen, welches Frau von M – – gab, und wobei Herr von Fitzjames ebenfalls zugegen war. Wir waren unserer nur fünf oder sechs an der Tafel, und es herrschte ein durchaus freundschaftlicher und vorzüglich gebildeter Ton, den nur ein versöhnlicher und gemäßigter Geist unter Menschen von so abweichender Meinung eingeben konnte. Dieses geschah kurz nachher, ehe Lamarque von seiner letzten Krankheit befallen wurde; daher mußte das mir natürlich ganz unwahrscheinlich vorkommen, was man von dem Begebniß auf den Boulevards erzählte, und ich betrachtete es nur, wie eine der Uebertreibungen, die täglich unsre Ohren zu belästigen pflegen. Es war beinahe sechs Uhr, und ich kehrte deßwegen nach Hause zurück, um zu Mittag zu essen, in der Meinung, dieser Tag werde vorübergehen, wie so viele andere.

Wir saßen eben bei Tische, oder vielmehr es war halb sechs Uhr vorbei, als wir die Trommeln Rappel schlagen hörten. Es war eine Zeit, wo kein Tag ohne dieses Zusammentrommeln verging; dieses wiederholte sich so oft, daß es fast schien, als suche die Regierung hierin ein Mittel zur Befestigung ihres Ansehens, indem sie die Nationalgarde durch dieses häufige Zusammenberufen ermüden wolle; später aber hatten wir außer den regelmäßigen wöchentlichen Paraden nichts dergleichen mehr vernommen. Einige Minuten darauf kam unser François, der ans Einfahrtthor geschickt worden war, mit der Nachricht herein, eben sei ein Nationalgardist, aus einer Kopfwunde blutend, vorbei gekommen. Sobald ich dieses vernommen, verließ ich unser Hotel und begab mich nach dem Flusse zu. In der Rue du Bac, der großen Durchgangsstraße unseres Stadttheils, fand ich einige Männer und meistens Frauen an ihren Ladenthüren und Einfahrtthoren, aber Niemand war im Stande, über das, was in den entfernten Stadttheilen vorging, Auskunft zu geben. Längs den Quais und auf den Brücken waren nur wenige Menschen versammelt, und hier und da sah man einige Nationalgardisten sich zu ihren Sammelplätzen begeben. Ich eilte mit schnellen Schritten durch den Garten, der um diese Zeit, wie gewöhnlich, fast menschenleer war, und ging unter einem Bogen des Palastes weiter, über den Hof und das Carrousel nach der Rue de Richelieu. Im Schlosse und seinen Umgebungen waltete tiefes Schweigen; die Wachen und die müßigen Soldaten der Wachthäuser schienen so ruhig zu sein, als jemals sonst. Nirgends hatte das Hin- und Hergehen der Leute den geringsten Anschein von Absicht oder Uebereinstimmung, und ich schloß daraus, die königliche Familie müsse entweder zu St. Cloud oder Neuilly sich befinden. Auf dem großen Platze, wie in den Straßen, waren wenig Leute zu sehen; doch schienen diejenigen, die ich dort traf, neugierig umzublicken, bisweilen still zu stehen, dabei gleicherweise verstört und forschend in ihren Bewegungen.

Ich war bis zum Säulengange des Theatre-Français gekommen, als eine zahlreiche Schaar berittener Gensdarmen im angestrengten Galopp die Straße hinauf rasselte. Ihr Vorüberziehen war so plötzlich und eilfertig, daß ich nicht Acht geben konnte, in welcher Richtung sie kamen, und blos bemerkte, daß sie den Boulevards zueilten. Ein Gensdarme zu Fuß war gerade der Einzige in meiner Nähe; ich bat ihn um Auskunft über die Ursache des Vorganges. » Je n'en sais rien« der abweisenden Art, die den französischen Soldaten so leicht zur Gewohnheit wird, wenn sie übler Laune sind, war Alles, was ich von ihm herausbringen konnte.

Nun spazierte ich ganz gemächlich durch die Säulengänge des Palais Royal, die ich noch nie so verödet gefunden. Nur ein einziger Mensch befand sich im Garten, und dieser ging eilig hindurch in der Richtung nach dem Theater. Hier und da blickte bisweilen ein Kopf aus einer Ladenthüre hervor; aber nie hatte ich früher eine solche Stille in dieser Umgebung gesehen, die sonst von Menschen wimmelte. Kaum war ich eine Strecke weit in einer der mit Fenstern versehenen Gallerieen hingeschlendert, als ich durch einen Lärmen aufschreckte, der in jeder Richtung umher zu mir drang, und sich längs der ganzen Ausdehnung der langen Gallerieen zu verbreiten schien. Die Unterbrechung der frühern Stille wirkte so plötzlich, wie das Knallen einer Kanone, und der Lärmen war fast in demselben Augenblick ganz allgemein. Ich kann den Eindruck, die Verschiedenheit des Getöses abgerechnet, am besten mit dem Lärmen vergleichen, wenn bei plötzlichem Sturm, auf einem Kriegsschiffe Segel, Stangen und Raan durcheinander wuchten, oder wenn plötzlich der Ruf zum Einreffen der Segel erschallt. Der große Platz war sogleich von Männern, Weibern und Kindern erfüllt, und der Lärm rührte von den Fensterläden her, die auf einmal im ganzen weitläufigen Gebäude in demselben Augenblick zugeschlagen wurden. In weniger als fünf Minuten war kein einziges Ladenfenster mehr unverwahrt.

Noch war kein Schein von nahender Gefahr vorhanden. Die Trommelwirbel hatten fast ganz aufgehört, und als ich auf meinem Rückwege nach der Rue Dominique bis ans Carrousel gekommen, hatte ich in den Straßen nichts bemerkt, das so viel Unruhe rechtfertigen konnte, die entweder durch einen plötzlichen Schrecken erregt, oder zu politischen Zwecken absichtlich verbreitet worden; wo also Staatsklugheit solche Maßregeln zu fordern schien.

Wenige Menschen versammelten sich auf den Brücken und Quais, und die Bewegung schien mehr nach dem Pont Neuf, als nach den niedern Stadttheilen sich hinzuwenden. Während ich über den Pont Royal ging, erblickte ich eine Brigade leichter Artillerie, welche den Quai herauf kam, von der Ecole militaire, die Pferde in starkem Trab, die Mannschaft auf den Fuhrwerken oder zu Pferde, wie bei dieser Waffengattung gebräuchlich. Das Getöse und die Hast machte ziemlichen Eindruck und brachte die Ladenbesitzer der Rue du Bac in Bewegung, die jetzt meistens ihre Laden zu schließen begannen. Die Geschütze rasselten über die Brücke und eilten im Galopp nach dem Carrousel durch den Guichèt du Louvre.

Ich setzte meinen Weg fort durch die Rue du Bac hinunter, und fand die Straße mit Menschen angefüllt, vorzüglich Frauenzimmern, welche nach der Brücke hinstarrten. Ein Ladendiener, der seinem Herrn beim Schließen des Ladens beistand, tröstete ihn durch Verwünschungen gegen » ces messieurs les républicains;« man muthmaßte nämlich, diese seien die Veranlassung der Unruhen, und er war augenscheinlich überzeugt, die Artillerie werde ihnen nichts Gutes bringen. Vielleicht hätte der nämliche Mensch am folgenden Morgen bei einer andern Wendung der Dinge bereitwillig » vive la république!« gerufen; jetzt hieß es aber noch immer: » vive le commerce!«

Als ich in unser Hotel zurückkam, erzählte ich, was vorging, beschwichtigte dadurch die Befürchtungen, die man natürlich haben mußte, und eilte nochmals fort, um den Lauf der Begebenheiten zu beobachten.

Jetzt hatten sich von dem Pont Royal her vierzig bis fünfzig Nationalgardisten am Quai eingefunden, von einem Punkte, wo sich mehre Hunderte beisammen befinden mochten. Das war eine trübe Vorbedeutung für die Regierung, und die anwachsende Menschenmenge ließ keine günstigere Aussicht hoffen.

Zehntausende schaarten sich jetzt längs den Quai's und drängten sich auf den Brücken; es waren keine armseligen Kerle, keine sogenannten Sanscülotten, sondern anständige Bürger, von denen die meisten ein ernstes, und, wie mirs vorkam, Unheil drohendes Stillschweigen beobachteten. Ich zweifele keineswegs, wären etwa tausend entschloßne Männer unter ihnen grade in diesem Augenblicke aufgetreten, unter der Leitung weniger Männer von anerkannten Fähigkeiten, Ludwig-Philipps Regierung würde wie schmelzender Schnee sich aufgelöst haben. Weder die Nationalgarde, noch die Armee, noch das Volk hätte ihm beigestanden. Jeder wartete augenscheinlich den Ausgang der Begebenheiten ab, ohne die geringste Besorgniß für das Schicksal der bestehenden Regierung zu zeigen. Man kann sich keine größere Gefühllosigkeit denken, kein gleichgültigeres Abwarten des Erfolgs, als hier überall sich darstellte. Blos einige Ladenbesitzer schienen unruhig zu werden.

Auf dem Pont Neuf war ein unbedeutendes Gedränge um einige Arbeiter, die über die Ursache dieser Störung im Gespräch begriffen waren. Nach dem ich vorher einen ehrbar aussehenden alten Mann befragt, mischte ich mich unter das Gedränge, um eine Vorstellung von der Art zu bekommen, wie die Menge über den Vorfall denke. Es hatte das Ansehen, als ob einige Mißhelligkeiten zwischen den Truppen und einem Theile der Bürger entstanden wären, und als ob ein Kavallerieangriff auf Letztere ausgeführt worden sei, ohne die gesetzlichen Formen zu wahren. Viele aus dem Volke hatten den Rufe »zu den Waffen!« hören lassen; mehre von der Garde du Corps waren entwaffnet worden, und viele Tausende schlossen sich nun aneinander, um ihre Freiheiten zu vertheidigen. In kurzer Zeit gewann Alles das Ansehen, als ob von Neuem eine Revolution ausbrechen solle. Der Gegenstand der Unterredung im Gewühle war die Befugniß einer Dragonerabtheilung, eine Versammlung von Bürgern, ohne vorhergegangne Aufforderung zum Auseinandergehen, was die Franzosen: » les sommations« nennen, sogleich feindlich zu behandeln. Ich bewunderte den schlichten, natürlichen Verstand einiger Männer, wie sie diesen Gegenstand besprachen; es waren nur Handwerker, aber sie brachten weit bessere Gründe für ihre Meinungen vor, und zeigten ein weit richtigeres Gefühl in den fünf Minuten, während welchen ich ihnen zuhörte, als ich in Jahresfrist von den Besuchern der Pariser Salons über dieselben Gegenstände hätte vernehmen können. Mich überraschte diese Klarheit der Begriffe desto mehr, weil ich mich noch ganz wohl erinnerte, mit welcher unklaren Seichtheit eben dieser Gegenstand noch kürzlich in der Deputirtenkammer besprochen worden war.

Bei einem der neuerlichen Vorfälle im Osten von Frankreich hatten die Truppen auf eine Menge Volks Feuer gegeben, ohne die erforderlichen » Sommations« vorhergehen zu lassen, weil, wie behauptet ward, einige Steine aus dem Volkshaufen gegen die Truppen geworfen worden waren. Jeder, der nur den geringsten Begriff von der Herrschaft des Gesetzes in sich trägt, weiß, was er von einem solchen Vorfall zu denken hat. Zehntausend Menschen sind in einer Straße versammelt, und sind im Besitze ihres Rechts, und vielleicht ein halbes Dutzend unter ihnen begeht einen Frevel. Jetzt wird militärisches Einschreiten nöthig; aber, ehe dieses eintreten darf, müssen nothwendig gewisse Formen beobachtet werden, um die Bürger zu benachrichtigen, daß ihr gewohntes Recht aufgehoben sei, um der öffentlichen Sicherheit willen, und um sie warnend zum Auseinandergehen zu bewegen. Dieses ist eine Maßregel der Vorsicht, welche der gewöhnlichste Verstand begreifen muß; und gleichwohl behaupteten manche von den Beamten, und noch dazu Rechtskundige, es hätten die Soldaten Rechte, gleich andern Menschen, und wenn also aus einem Volkshaufen Steine auf sie geworfen würden, so hätten sie das Recht, sich wider einen solchen Volkshaufen ihrer Waffen zu bedienen! Nach dieser Behauptung ist, wie Sie leicht einsehen, nichts weiter nöthig, als daß man einige Wenige anstelle, um Steine aus einem Volkshaufen heraus schleudern zu lassen, um alsdann berechtigt zu sein, jede Art der Versammlung von Bürgern den Angriffen einer Truppenmacht preiszugeben. Es unterliegt keinem Zweifel, daß ein Soldat das Recht habe, wie jeder andere Bürger, sein Leben zu vertheidigen gegen denjenigen, der ihn angreift; aber auch ein Bürger hat nicht das Recht, zur Vertheidigung seines Lebens eine Pistole in einen Volkshaufen hinein abzufeuern. Doch ist dieses ein Stück aus der Logik von der Ausschließung des dritten Falles. – Ihre Sache ist so schlecht, als irgend möglich, und ihre Schlußweisen können also nicht weniger, als ebenso schlecht sein.

Vom Pont Royal ging ich nach dem Pont Neuf, wo sich das Volk in noch weit dichteren Haufen versammelt hatte; jedes Auge blickte unverwandt in die Richtung nach der Place de la Bastille zu, wo die Unruhen, wie es hieß, begonnen hätten. Es war aber Nichts zu sehen; doch hörte man ein oder zweimal das Plänkeln von Kleingewehrfeuer. Ich verweilte hier ungefähr eine Stunde, und kehrte darauf, meinem Versprechen gemäß in unser Hotel zurück, um das Wenige, was ich gesehen und gehört hatte, dort mitzutheilen. Im Vorbeigehen bemerkte ich, daß die Zahl der Nationalgardisten auf dem Pont Royal bis zu ungefähr hundert Mann angewachsen war.

Nachdem ich die Befürchtungen meiner Familie beschwichtigt, ging ich wieder aus, um eine mir bekannte Dame ebenfalls zu beruhigen, die sich fast ganz allein in ihrer Wohnung befand. Ich traf sie in großer Angst und in der festen Ueberzeugung, daß die bestehende Regierung gestürzt werden würde. Unter andern Neuigkeiten erzählte sie, das Volk habe den General Lafayette im Triumph nach seinem Hause geleitet, und ehe noch der Kampf begonnen, habe man ihm eine »rothe Mütze« überreicht, die er auf sein Haupt gesetzt habe. Sie wissen, bei den Franzosen ist die rothe Mütze das Sinnbild des äußersten Jakobinismus und des revolutionären Schreckensystems. Ich lachte über ihre Besorgnisse, und bemühte mich, sie zu überzeugen, das eitle Geschwätz von Lafayette könne nicht wahr sein. Weit entfernt, daß er darnach strebe, durch Gewalt zu herrschen, sagte ich, verabsäume er vielmehr zu seinem Nachtheil, die nöthigen Vorsichtmaßregeln, um seinen ihm gebührenden Einfluß aufrecht zu erhalten, wenn er irgend einmal eine wichtige Stelle einnehme. Er war immer für die Freiheit begeistert und handelte stets so, als ob alle übrigen Menschen gleiche erhabene und rechtliche Gesinnungen hegten, wie er selbst. Doch ich redete zu tauben Ohren; denn wenn gleich eine liebenswürdige und gefühlvolle Frau, so war sie nun einmal in den Vortheilen der höhern Stände, als Sprößling einer französischen Pairsfamilie erzogen worden.

Ich fand übrigens das Mährchen von Lafayette schon ziemlich im Gange, als ich wieder durch die Straßen zog. Die Neigung, gemeinem Geschwätz Gehör zu geben, ist übrigens nicht auf diejenigen beschränkt, deren Lebensverhältnisse sie leicht veranlassen, immer das Schlimmste von denen zu denken, die über ihnen stehen; denn die Gemeinheit erstreckt sich weiter und höher hinauf, als als man es auf den Anblick glauben sollte. Freimüthige und wohlwollende Gesinnungen sind das sicherste Zeichen eines Ehrenmannes; aber, außer den gewöhnlichen Ansichten und der eignen äußern Glätte, fehlt den Meisten hinreichende angeborne Kraft, um den Mängeln ihrer Erziehung und Gewöhnung abzuhelfen. Wer sich einigermaßen in der Welt umgesehen hat, wird leicht bei denen, die dazu weniger Gelegenheit hatten, eine Neigung bemerken, über Meinungen und Gewohnheiten zu spötteln, deren Sinn sie nicht zu fassen vermögen, und das bloß deshalb, weil sie mit ihren alltäglichen und bekannten Meinungen und Gewohnheiten nicht übereinstimmen. Auch unser Vaterland zählt eine Menge solcher einfältiger Tadler, und ich erinnere mich der Zeit sehr wohl, wo Alles einer beschämenden Rüge unterliegen mußte, was irgend sich nicht mit den täglichen Gewohnheiten eines Jeden vertragen mochte. Es galt fast schon für etwas Verwerfliches, eine Stunde später zu Frühstücken oder zu Mittag zu speißen, als der nächste Nachbar. Eben diese Verlästerung trifft in Europa in derselben gemeinen und überdies boshaften Weise alle diejenigen, von denen man voraussetzt, daß sie freisinniger über Staatsangelegenheiten denken, als sie selbst zu denken gewohnt sind. Ich habe es schon oft an einem andern Orte berührt, in England sind die öffentlichen Angelegenheiten so sehr gekünstelt durch das Eingreifen der Kirche in den Staat, daß ein ziemlich aufgeweckter Kopf dazu gehört, der als Staatsmann streng an die goldene Regel Christi festhalten dürfte, gegen Jedermann so zu handeln, wie er wünsche, daß man gegen ihn handele, und dabei der Nachrede der Treulosigkeit entgehen könnte! Der Wunsch, unsere Mitmenschen zu fördern, dadurch, daß man sie auf der gesellschaftlichen Leiter eine Stufe höher hinanhebt, ist meistens der sicherste Weg, den, der solchen in sich trägt, als einen von aller Rechtlichkeit und Ehrlichkeit entblößten Menschen hinzustellen. Durch solche Veranlassungen sind die Bemühungen und der Einfluß der trefflichsten Männer Englands fast durchaus vereitelt worden; kaum gibt es in diesem Augenblick irgend einen wahrhaft freisinnigen Mann, über den selbst die Bessergesinnten der Kirchen- und Staat-Partei nicht seufzen sollten, dem sie nicht mit Mißtrauen in seine Absichten und Gesinnungen lohnten. Der Nachahmungstrieb hat, wenn auch in einer freundlicheren Form, dieses Verkennen des Guten und Rechtschaffenen bis nach Amerika verbreitet, wo es nicht möglich wäre, daß ein Mann von Erziehung und Bildung nicht auch zugleich ein Mann des Volks sein könnte, wenn Wahrheit und Recht dort wirklich von Allen empfunden und verstanden würde. Viele Männer von Erziehung sind ohne Zweifel in Amerika nicht Männer des Volks, aber hierin begehen sie, meiner Meinung nach, einen argen Mißgriff, eben als Männer von Erziehung. Denn sie verstatten gemeinen Gesinnungen, die aus gegenseitiger Uebereinstimmung und aus den nichtsbedeutenden Uebeln der Nachbarn entspringen, in ihnen die erhabneren Gefühle und großmüthigeren Bestrebungen zu ersticken, die allein das beständige Eigenthum des wahrhaft gebildeten Standes sein sollten.

In Frankreich ist die englische Denkungsart, nur durch die Umstände etwas verändert, jetzt hervorstechend, obschon man hier weniger gewohnt ist, die Moralität Anderer schlechthin zu verdächtigen. Der Kampf der Selbstsucht und Habsucht ist in Frankreich weniger verschleiert und bemäntelt, als auf der andern Seite des Kanals. Aber das Princip der Selbstsucht, wenn es sich regt, ist weit thätiger; und Wenige mühen sich hier für ihre Nebenmenschen ab, ohne den Argwohn schlechter Bewegungsgründe auf sich zu laden.

Blicken wir zurück auf das, was die Zeit nach und nach ans Licht befördert, so erfahren wir, auf welche Weise unser Washington im Anfang der Revolution von seinen Feinden verlästert worden ist. Graydon erwähnt in seinen »Denkwürdigkeiten eines in Pensilvanien zugebrachten Lebens« einer Unterredung mit einem englischen Offizier, der in Wahrheit gute Gesinnungen hegte, und dem es um unentstellte Wahrheit zu thun war. Diesem Ehrenmann hatte man durchgehends vorgespiegelt, Washington sei nichts weiter, als ein Abenteurer, der das Vermögen einer jungen Wittwe, die er geheirathet, durch Spiel und Ausschweifung vergeudet, und darauf sich entschlossen habe, durch irgend ein verzweifeltes Unternehmen sein Glück zu machen! Das war also wahrscheinlich die aufrichtige Meinung, welche die britische Armee im Jahr 1776 von dem Manne hegte, den künftige Ereignisse als einen solchen bewährten, der durchaus nur nach edlen Beweggründen gehandelt, und der, weit entfernt, der ebengeschilderte Abenteurer zu sein, ein großes Vermögen aus uneigennütziger Vaterlandsliebe aufs Spiel setzte, und dessen hervorstechender Charakterzug die unerschütterliche Lauterkeit seiner Absichten war. Nunmehr ist es Lafayette, den ähnliche gemeine Gesinnung mit Verunglimpfungen verfolgt, ohne daß die Umstände es gestatten, die Reinheit seiner Absichten ebenso offenbar zu machen, als dieses unter günstigeren Verhältnissen bei seinem großen Vorbilde Washington möglich war. Dieses unziemliche und verletzende Verfahren bei seiner Entlassung vom Oberbefehl der Nationalgarde war zwar eine Beschwichtigungsmaßregel in Rücksicht der Verbündeten; aber hier lag auch die versteckte Absicht, den Glauben daran zu vermehren, daß er selbst freiwillig dieser Auszeichnung sich begeben haben würde, General Lafayette hat die republikanischen Aeußerungen des Königs viel zu wörtlich genommen, und das gleich anfangs; daher beobachtete er nicht immer die nöthige Mäßigung, welche derjenige, der auf einem Thron sitzt, obschon er viel Popularität besitzen mag, vielleicht in Anspruch nehmen könnte. Im Jahr 1830 sagte Lafayette zum Verfasser, der König habe am Morgen gesagt, Einige in seiner Umgebung hätten den General einen » maire du palais« genannt. Auf die Frage, ob wohl der König dieselbe Meinung hege, antwortete er: »Nach seinen Aeußerungen möchte ich das nicht glauben; aber sonst kommt es mir so vor, als sei er tant soit peu derselben Meinung.« Das war allerdings eine gefährliche Stellung einem Herrscher gegenüber, ein Fall, der seit Hugo Capets Zeiten in Frankreich nicht wohl vorgekommen sein mochte. Einige Wochen später erzählte Lafayette eine andere Unterredung mit Ludwig-Philipp über seine ohne Umstände erfolgte Entlassung. »Sie sollen auf Lebenszeit zum Ehren-Befehlshaber der Nationalgarde ernannt werden,« hatte der König gesagt. »Sire, wie würde es Ihnen gefallen, Ehrenkönig zu heissen?« war Lafayettes Antwort. Es ist offenbar, daß die freundschaftlichen Verhältnisse unter Beiden bald aufhören mußten. – Doch wir sind ganz von dem abgekommen, was in den Straßen von Paris vorging.

Große Massen von Linientruppen begannen sich jetzt zu zeigen mit Anbrechen der Nacht, und Nachrichten kamen jetzt so unmittelbar, daß kein Zweifel blieb, daß in den engen Straßen des Stadttheils Montmartre der Kampf hart im Gange sei. Während dieser Zeit blieb das Benehmen der auf den Brücken und längs den Quai's versammelten Volksmenge dem Anschein nach ungewöhnlich ruhig. Es zeigte sich wenig oder keine Theilnahme weder für die eine noch für die andere Seite der Kämpfenden, und man konnte schwer unterscheiden, welche von ihnen der Regierung geneigt waren. Die Karlisten sahen argwöhnisch, die Republikaner keck, die Justemilieupartei voll Besorgniß dem Ausgang entgegen.

Ich ging wieder nach Hause um Nachrichten zu bringen, und gegen neun Uhr begab ich mich über dem Quai und den Pont-Louis-Seize nach dem Carrousel. Dabei fällt mir ein, daß ich in einem frühern Briefe zu sagen vergaß, daß ich vor einigen Monaten über den Platz Ludwigs des Sechzehnten ging, mit einem befreundeten Franzosen, welcher mir erzählte, er habe kürzlich mit dem Grafen – gesprochen, der Zeuge der Hinrichtung Ludwigs des Sechszehnten gewesen, und der ihm gesagt, es bestehe über den wahren Ort, wo die Guillotine damals stand, ein allgemein verbreiteter Irrthum. Nach der mir gemachten Auseinandersetzung, welche zu bestreiten nicht leicht sein dürfte, stand die Guillotine an der Seite des Platzes, nahe an der Stelle, wo die nach Versailles bestimmten Wagen gewöhnlich stehen, und zwar innerhalb der » borgnes«, die hier am Rande der Straße stehen, wo sie nach dem Quai sich zu wendet. Während ich hier einen gewohnt gewordenen Irrthum verbessere, muß ich auch noch hinzusetzen, daß Herr Guillotin, der Erfinder dieses nach seinem Namen genannten Werkzeugs, meines Wissens noch lebt; denn das Mährchen, daß derselbe auf seiner von ihm selbst ersonnenen Zurüstung hingerichtet worden sei, ist blos ein dichterischer Einfall.

Ich ging durch die rue de Rivoli, um eine Engländerin, die wir kannten, zu besuchen, welche in diesem Stadttheile wohnte. Ich fand sie allein, verstimmt und fest überzeugt, es sei eine neue Umwälzung vorgegangen. Sie war ihrer Stellung nach eine Aristokratin, und obschon sonst ziemlich freisinnig, demungeachtet für die Erhaltung der bestehenden Lage der Verhältnisse besorgt, wie alle liberale Aristokraten oder aristokratische Liberalen, die in dem Bestehenden die letzte Schutzwehr gegen eine Volksherrschaft zu erblicken vermeinen. Auch hat sie Freunde und Bekannte in der königlichen Umgebung, und betrachtete daher das Schicksal derselben als einigermaßen mit dem Schicksale des Hofes enge verknüpft. Wir äußerten einander gegenseitig unsere Theilnahme; sie, weil eine Revolution im Gange sei; ich, weil Mangel an öffentlichen Vertrauen und ungeheure Täuschung in der jetzigen Verwaltung eine solche nothwendig machten.

Es war etwa eilf Uhr, als ich diesen Stadttheil verließ; die Straßen waren beinahe verödet, gelegentlich zog eine Patrouille vorüber; wenig Fremde waren zu sehen; denn bis jetzt waren noch wenige vor der Cholera Entflohene zurückgekehrt. Die Thore des Gartens waren geschlossen, und ich fand Wachen vor den Guichets des Carrousels, so daß ich verhindert wurde, auf dem gewohnten Wege zurückzukehren. Ich wollte ungern auf demselben Wege wiederheimkehren; und deßhalb ging ich durch die rue de Rivoli. Während ich mich ganz nahe am Schlosse hielt, um den Schmutz zu vermeiden, so befand ich mich plötzlich vor einem Nationalgardisten, der hinter einem Schilderhäuschen Wache hielt. Kaum kann ich den fürchterlichen Schrei Ihnen schildern, mit dem er sein »Zurück«! mir zurief. Sah er mich für eine Schaar blutdürstender Republikaner an, so mußte ich ihn meinerseits für ein reißendes Thier halten. Der Mann war augenscheinlich erschrocken, und also gerade geeignet, jeden Strauch für einen Feind anzusehen. Freilich war die andere Partei eben mit der Entwaffnung der verschiedenen Wachtposten beschäftigt; aber dieser Bursche war noch über hundert Fuß von der Hauptwache entfernt, und ihm drohte nicht die geringste Gefahr. Zwar streckte er mir sein Bajonet entgegen, doch bin ich ungewiß, ob er nicht vielleicht seine Wehr gestreckt hätte, wenn ich gegen ihn meinen Spazierstock hätte erheben wollen; doch es ist weit gefährlicher, einem erschreckten Räuber oder Wachtposten gegenüberzustehen, als dem einen oder dem andern, wenn sie kaltblütig sind. Es wurde indessen kein Blut vergossen.

Da ich das Carrousel verschlossen fand, so ging ich durch die rue St. Honoré, die ebenfalls gut von Truppen besetzt war. Wenige verwegene junge Bursche jubelten eine kurze Strecke vor mir her, ergriffen aber gleich die Flucht, so wie eine Patrouille sich sehen ließ. Endlich erreichte ich die rue du Coq St. Honoré, und da ich die Straße ganz leer fand, so bog ich um die Ecke, in der Absicht, in den Hof des Louvre und über den Pont des Arts an die andere Seite des Flusses zu kommen. Statt diese wohlberechnete Bewegung auszuführen, rannte ich geradezu gegen eine Truppenabtheilung, die queer durch die Straße in dreifacher Linie sich aufgestellt hatte. Die Stellung war gut; denn die Mannschaft war vor einem Feuer, das sie hätte bedrohen können, völlig sicher; während sie durch unbehinderte Schwenkung auf der Stelle bereit stand, in einer, wie in der andern Richtung, wirksam aufzutreten.

Mein Empfang war nicht schmeichelhaft; aber der befehligende Officier war zu ruhig, als daß er einen einzelnen Mann für eine Bande Rebellen hätte nehmen sollen, und ich erhielt die Erlaubniß, meinen Weg durch die Rue St. Honoré fortzusetzen. Ich kam diesem Posten in den Rücken, indem ich mich die nächste Oeffnung hindurch wand. Der Hof des Louvre war unbewacht und leer, und im Durchgehen hatte ich den Anblick eines malerischen Bivouaks der Truppen im Carrousel. Da ich kein Hinderniß antraf, so folgte ich dieser Richtung und kam bis in den Rücken einer Schwadron Kürassiere, die von den Pferden abgestiegen waren und die äußerste Linie von den Truppenmassen bildeten. Es mochten etwa drei bis vier tausend Mann von allen Waffengattungen auf dieser Stelle versammelt sein, meistens, wenn auch nicht alle, reguläres Militär. Ich verweilte unbemerkt, oder doch unangefochten, wohl eine halbe Stunde mitten unter ihnen, und beobachtete den malerischen Eindruck der verschiedenartigen Gruppen in der Beleuchtung der Lagerfeuer. Starke Patrouillen gingen ab und zu, und kaum fünf Minuten gingen ohne die Ankunft oder den Abgang von berittenen Expressen vorüber, da das Hauptquartier der Nationalgarde sich im Palaste befand.

Es war schon fast Mitternacht, und mir fiel die Besorgniß der Meinigen in der Rue St. Dominique wieder ein. Ich wollte durch den guichet oberhalb zurückkehren, der allein unbesetzt war; aber kaum war ich in die Nähe desselben gekommen, so vernahm ich plötzlich einen lauten Ruf längs dem Quai. Es klang gleich einem militärischen Ruf, und dafür hielten es die Truppen und der Befehl: » aux armes!« ward sogleich ausgeführt. Die Kürassiere saßen auf, ordneten sich in Haufen, und setzten sich mit eilfertiger Behendigkeit gegen den Feind in Bewegung. Unglücklicherweise ging ihr Vorrücken gerade nach demselben guichet, dem ich mich ebenfalls näherte. Die Vorstellung, zwischen zwei Feuer zu gerathen, und noch dazu in einem Streit, der mich nichts anging, hatte für mich nichts Einladendes. Die Lage der Dinge erforderte einen schnellen Entschluß, und da ich einmal wußte, wie es im Carrousel stehe, so zog ich vor, mich zum erstenmal in meinem Leben dem juste-milieu anzuschließen.

Die Kürassiere waren in so großer Eile begriffen, um nur durch den guichet zu kommen, welches ein Engpaß war, und zu eifrig beschäftigt, als daß sie Zeit gehabt hätten, mich im Vorüberfluge niederzusäbeln. Ich ließ ihnen also nur wenige Minuten Zeit, um einen Vorsprung zu gewinnen, wenn es irgend zum Gefechte kommen mußte, und dann folgte ich hintendrein nach dem Quai.

Der Lärm war kein blinder, wie ich am andern Tage vernahm, aber die Aufrührer hatten sich über den Pont des Arts zurückgezogen, wo Kavallerie nichts ausrichten kann, und hatten eine wachhaltende Truppenschaar in dem Stadttheil von St. Jacques überfallen und aufgehoben. Die Kürassiere trabten eilig nach dem Pont Neuf, um sie einzuholen, als ich eben den Quai noch erreichte, und ich benutzte also diese Gelegenheit, um mittelst des Pont des Arts den Fluß zu überschreiten.

Sonderbar kam es mir vor, mich so ganz allein auf dieser Brücke um Mitternacht zu finden, im Herzen einer großen Hauptstadt, im Augenblicke, wo ihre Straßen von Truppen wimmelten, während streitende Parteien um das Uebergewicht kämpften, und vielleicht das Loos, nicht von Frankreich allein, sondern von ganz Europa von dem Ausgange dieser Erschütterungen abhing! Angeregt durch dergleichen Betrachtungen, machte ich Halt und beschauete die Scene.

Schon öfter erwähnte ich, wie schön und malerisch Paris von seinen Brücken herab sich ausnimmt. Den schönsten Standpunkt gewährt der Pont-Royal; doch bietet der Pont des Arts gerade zur Nachtzeit die ergreifendsten Ansichten dar von jenen alterthümlichen, hohen, eckigen Gebäuden, längs dem Flusse, die wegen ihrer Formen und Fenster, niedrigen Felsenufern ähneln. In der Mitte dieser gehäuften Wohnungen, in diesen düstern und engen Gassen, in welche nur selten die Sonnenstrahlen einzudringen vermögen, lagen jetzt Kriegerschaaren, ausruhend unter ihren Waffen, oder den Anbruch des Tages erwartend, um das Schicksal des Landes zu entscheiden. Man war fast in die Zeiten der Ligue oder der Fronde zurückversetzt, und fast unwillkührlich heftete ich meine Augen auf jenes Altanfenster des Louvre, wo Karl der Neunte gestanden haben soll, als er nach den sich flüchtenden Protestanten schoß. Die unheilbrütende Stille, welche rings umher herrschte, war bezeichnend und seltsam zugleich. Ein Reich stand hier auf dem Spiele, und seine Bevölkerung war in seine Wohnungen ruhig zurückgekehrt, den Ausgang mit so viel scheinbarem Gleichmuth betrachtend, als ob Morgen ein Tag sein werde, wie alle Tage. Gewöhnung und Mangel an Uebereinstimmung zwischen den Herrschenden und den Beherrschten hatte diese Gleichgültigkeit hervorgebracht.

Als ich den Quai Voltaire erreicht hatte, war Niemand mehr zu sehen, außer einem Piquet auf dem Pont-Royal. Ich wußte nicht, ob vielleicht irgend ein Anhänger des Hauses Orleans in größerem als gewohnten Eifer, mich anzutasten für gut finden möchte, weil ich von Amerika komme, und deßhalb ging ich eine der ersten Gassen hinunter, um schnell in die rue du bac nicht weit von der Brücke einbiegen zu können. Nur etwa fünf oder sechs Menschen begegneten mir zwischen dem Quai und dem Hotel – – alle Läden waren fest verschlossen. Kaum war ich eingetreten, so verriegelte der Thürhüter die Pforte unseres Hotel, und wir begaben uns zur Ruhe, voll Erwartung dessen, was »über Nacht sich ereignen dürfte.«

» Les canons grondent dans les rues, Monsieur,« bemerkte der Pförtner, als ich am andern Morgen zum Thore hinaus auf die Straße wollte. Die Volksmenge wogte in unserem Stadttheile unbehindert hin und her; die Läden waren sämmlich wieder offen; es schien, als sei man unterrichtet, in dieser Nähe werde keinerlei Kampf statt haben. Indem ich die Rue du Bac hinauf ging, begegnete ich dreien Nationalgardisten, die eben vom Kriegsschauplatze gekommen waren und, ihren Reden zufolge, die Nacht einigermaßen in feindlicher Umgebung zugebracht hatten. Sie waren abenteuerlicher Mittheilung voll und hatten sich, ihrer Meinung nach mit Ruhm bedeckt.

Die Straßen wurden immer lebhafter, Alles suchte die Quai's oder die Brücken zu erreichen, weil dort der Lärmen vernehmbarer war, der dort sich einen Weg hin bahnte, von dem Stadtthore her, wo der Kampf vor sich ging. Gelegentlich vernahm man dort das Kleingewehrfeuer und einigemal erscholl auch ein Kanonenschuß; aber das Feuern war abgebrochen, durchaus nicht heftig, und blieb in unregelmäßiger Folge. Im Carrousel begegnete ich einem bekannten Engländer, und wir beschlossen beide, uns nach dem Kampfplatze zu begeben, um zu sehen, was eigentlich vorgehe. Mein Begleiter sprach heftig gegen die Empörer, welche, wie er sagte, die Fortschritte der Freiheit ein halbes Jahrhundert lang durch ihren Ungestüm verzögern würden. Die Regierung, sagte er, wird sie niedertreten und ihren Sieg zum Vorwande strenger Maßregeln benutzen. Doch ich habe den liberalen Grundsätzen mancher Engländer mißtrauen gelernt; denn sie fragen vor allen Dingen nach den Vortheilen ihres Landes, ehe sie an die Rechte ihrer Nachbaren denken. Sie werden sagen, das liege nun einmal in der menschlichen Natur, daß Jedermann selbstsüchtig sei. Das ist wahr; allein wenig Nationen haben so mannigfache Interessen zu wahren, als die Engländer, und kein Volk anderer Länder wird auf so vielfältige Weise durch besondere Rücksichten getrieben, von dem geraden Wege des gesunden und billigen Urtheils abzuirren. England als Nation ist niemals der Freiheit anderer Nationen geneigt gewesen; dieses beweist die langwierige bittere Feindschaft gegen uns, wie gegen Frankreich und Holland; dieses beweist Englands enges Bündniß mit der Türkei und mit Persien, wie vieles Andere sonst. Gerade in diesem Augenblicke sieht es sich durch die Besorgniß vor Rußland gezwungen, einigermaßen nachzulassen und dem Freiheitsstreben ein Weniges nachzugeben; es ist aber blos eine Mystifikation, die zu durchscheinen sehr wenig Scharfsinn erfordert. Welcher Sünden aber man England auch beschuldigen mag, die Schuld der Volksthümlerei hat die Nation nie auf sich geladen. Aufrührerisches Beispiel hat England nicht gegeben; vielmehr sind die neuerlich dort begonnenen Bewegungen zu Gunsten der Freiheit die Folgen des von außenher einwirkenden Beispiels und fremdher bedingten Einflusses. Dieß ist meine Meinung vom englischen Staate, sofern seine Grundsätze in das gesellige Leben tief eingreifen und nicht minder weit um sich greifen. Doch gibt es auch einzelne Engländer, die ihren Ansichten ein größeres Gewicht beilegen, als andere Menschen sonst zu thun pflegen. Die Zahl dieser Letzteren ist in beständig rascher Zunahme begriffen, und diese hat von jeher mehr für die Freiheit gewirkt und wird auch ferner mehr für sie wirken, als wie der Staat, als solcher, beabsichtigen dürfte.

Wir gingen durch den Palais-Royal, durch die Passages Vivienne und du Panorama nach den Boulevards. Die Straßen waren voll Menschen, als gelte es ein Volksfest, und doch bemerkte man hier und da die Besorgnisse über das mögliche Ende dessen, was vorging. Eine große Anzahl Truppen zeigte sich hier, und das Gerücht lautete, es ständen sechzigtausend Mann von Seiten der Regierung unter Waffen. Die Hälfte wäre zu einem sicheren Erfolge hinreichend gewesen, wenn man nicht von der Abneigung des Volkes Beweise gehabt hätte. Wenn ein einziges Regiment von der Linie Tags zuvor sich wider den König erklärt hätte, ja selbst wäre solches erst am 6. Juni geschehen, so würde Ludwig-Philipp gewiß entthront worden sein. Aber so weit meine Beobachtung reichte, zeigte sich keine der Hauptpersonen von der Opposition bei dieser Gelegenheit öffentlich, oder sie stellten sich, als ginge die Sache sie Nichts an.

Mein Begleiter verließ mich auf den Boulevards, und ich ging weiter nach der Porte St. Denis, wo wirklich etwas einem Kampfe Ähnliches vorging; es war ein unbedeutendes Feuern, und ich begegnete einigen Verwundeten, die nach ihren Kasernen zurückkehrten; der Eine war durch den Leib geschossen. Aber der Vorfall am St. Denis-Thore war durchaus nicht ernsthaft und auch bald vorüber.

Die Aufrührer hatten sich nach der Rue St. Mery zurückgezogen, wo sie enge von starken Truppenabtheilungen umstellt wurden, und dorthin ihnen zu folgen, schien mir doch etwas unvorsichtig. Dort entbrannte der Kampf weit heftiger, und von Zeit zu Zeit dröhnte Kanonendonner herüber.

Sie möchten wissen, ob mir es nicht unbehaglich geworden sei, in den Straßen einer Stadt umher zu streichen, während so viele Menschen in blutigem Kampfe begriffen waren; doch werden Sie leicht sehen, daß hierbei wenig oder gar nichts zu wagen war. Die Straßen waren von Menschen erfüllt, und das war nicht zu fürchten, daß die eine oder andere Partei ins Gedränge geradezu hinein feuern werde. Der Kampf beschränkte sich auf einen einzelnen Stadttheil, und kein Mensch von nur alltäglichem Verstande würde sich da ohne Noth einer Gefahr ausgesetzt haben, wo ihn der Gegenstand des Streites nichts anging. Zwar sind bei dieser Gelegenheit selbst Weiber und Kinder getödtet worden, aber doch nur unter Umständen, die in keinem Falle der Masse der Einwohner zur Last gelegt werden können.

Die Kaffeehäuser wurden, wie gewöhnlich, besucht, und gar nicht weit von dem Schauplatze des Kampfes hatte Alles das Ansehen eines gewöhnlichen Sonntages, an welchem Truppen-Inspektion gehalten wird. Der Morgen verging auf diese Weise; und nachdem ich in der Zwischenzeit einmal in unserm Hotel gewesen, fand ich mich wieder auf dem Pont-Royal gegen vier Uhr Nachmittags ein. Von da ging ich mit zwei amerikanischen Freunden, die ich dort antraf, längs dem Quai des Palastes nach dem Pont-Neuf. Das Gedränge war sehr dicht, und es war schwer, sich hindurch zu arbeiten. Kurz, ehe wir die Brücke erreichten, hörten wir rufen und schreien: » Vive le Roi!« Sogleich erblickte ich Hrn. de Chabet-Rohan, den ersten Ehrenadjudanten, den ich gar wohl kannte, und der gewöhnlich das königliche Geleit anführte. Es schien, als sei Ludwig-Philipp vom Lande angekommen und über die Boulevards nach der Place de la Bastille gefahren, und als sei er von da längs den Quai's auf dem Rückwege nach den Tuilerien begriffen. Seine Erscheinung in den Straßen während eines solchen Vorgangs wurde sehr belobt, und in den Zeitungen verweilte man natürlich bei der vom Könige bei dieser Gelegenheit bewiesenen Festigkeit. Ein recht zaghafter Mensch hätte freilich fürchten können, seine Person bei einem solchen Vorgange bloszustellen; aber das Wagstück war auf keinen Fall so groß, als man es dargestellt hatte. Der königliche Zug war nirgends dem Feuer ausgesetzt, und nur wenige Minuten lang befand er sich in der Nähe des Kampfplatzes, und es war auch nicht leicht, in den mit Truppen besetzten Straßen Jemanden nach dem Leben zu trachten. Uebrigens sehe ich nicht ein, warum man nicht voraussetzen dürfte, daß der König bei dieser wie bei anderen Gelegenheiten sich männlich benommen haben würde. Ich fragte einst den General Lafayette, was er von dem Charakter des Herzogs von Orleans (Egalité) halte. Er erwiederte lachend: vor Kurzem habe ihm der König eine ähnliche Frage vorgelegt. – »Und Ihre Antwort?« – »Ich antwortete Sr. Majestät, ich hielte seinen Vater für einen braven Mann; aber sein Sie versichert, ich war froh, daß er mich nicht gefragt, ob ich ihn auch für einen redlichen Mann hielte.« Der königliche Zug bog durch das Carrousel ein in den Hof des Louvre, während wir unseren Weg über die Brücke fortsetzten.

Der Pontneuf war voll von Truppen, welche die Trottoirs besetzt hielten, und wimmelte von Männern, Weibern und Kindern. Auf dem Greveplatz war ein Scharmützel gewesen, und der Schauplatz des Hauptgefechtes, die Rue St. Mery, war ganz in der Nähe. Wir schoben uns langsam im Gedränge vorwärts, das Gesicht gegen die Insel gewendet, als der Lärm von vier oder fünf in der Nähe gerade hinter uns abgefeuerten Gewehren Alles in Bewegung brachte. Eine Heerde Schaafe hätte kaum in größerer Verwirrung auseinander gesprengt werden können, wenn plötzlich ein fremder Hund unter sie gestürzt wäre, als jetzt das Gedränge auf der Brücke durcheinander wimmelte. Der Schrecken ist das am schnellsten ansteckende Uebel, und im ersten Augenblick liefen wir gleich den Uebrigen. Doch nach einigen Sätzen standen wir wieder. Zwei Kriegsmänner, der Eine ein Nationalgardist, der Andere ein Neukonskribirter der Linientruppen, fielen mir auf; ich sah keine Gefahr und hatte also Zeit, stehen zu bleiben und zu lachen. Der Nationalgardist war ein kleiner spießbürgerlicher Kerl mit einem tüchtigen Schmeerbauch; er griff eben nach seiner Kehle, schwerathmend, als fürchte er, sein Herz hüpfe ihm oben hinaus; es war ein drolliges Zerrbild des Schreckens. Der Neukonskribirte, ein schlanker rothhaariger Jüngling, war schneebleich geworden, und stand mit offnen Augen und Munde, als habe er ein Gespenst erblickt, starr und unbeweglich. Er war vom Schrecken wie gelähmt; doch dieser Junge würde vielleicht bei einer anderen Gelegenheit sich tapfer gehalten und sich als guten Soldaten gezeigt haben; aber der andere Monsieur Mayeux, wiewohl kaum fünf Fuß hoch, schien sich nicht tief genug bücken zu können; er hatte vielleicht den ganzen Vorgang für einen tüchtigen Spaß gelten lassen, bis gerade in diesem Augenblicke zuerst die Wichtigkeit eines Schlachtenlärms plötzlich sein ganz unvorbereitetes Hirn überraschte. Die Soldaten ihrerseits wandten zwar ihre Ohren in jener Richtung, aber hielten es selbst unter ihrer Würde, auch nur ihre Gewehre zu schultern. Für Alle, die sich auf der Brücke befanden, war auch wirklich keine Gefahr vorhanden; obgleich die Nähe des Schießens und das Unerwartete des Lärmens leicht eine Menge Menschen in Schrecken jagen konnte. Am folgenden Tage berichteten die Zeitungen, einige Menschen seien durch diese Schüsse verwundet worden, die wirklich von den Empörern kamen.

Vielleicht wird es Sie wundern, daß ich an diesem Tage eine Einladung zum Mittagsessen erhielt, bei einem Herrn, der eine hohe Stelle bei der Person des Königs bekleidet. Er hatte mir kein Billet geschickt, um mir abzusagen, und da ich ihn im königlichen Gefolge gesehen hatte, so wurde ich daran erinnert, daß es Zeit sei, mich in Staat zu werfen. Ich ging also nach Hause und nahm mir vor, ihm zu zeigen, ich sei eben so gleichgültig gestimmt, als es irgend ein Franzose sein konnte, über Alles, was sich vor unsern Augen begeben. Ich fand etwa zwölf Personen in dem Prunkgemache der Frau – – versammelt, und zwar pünktlich um sechs Uhr, als ob Paris in völliger Ruhe sich befinde. Der General war noch abwesend, aber ich konnte die Mittheilung machen, daß er ungefährdet in den Palast angelangt sei. Kurz vorher, ehe wir zur Tafel gebeten wurden, trat er ein, und brachte die Nachricht, der Aufruhr sei im Keime erstickt, und nur einige verzweifelte Menschen, die sich in eine Kirche geflüchtet, hielten noch Stand. Er war recht heiterer Laune und schien dieses Ereigniß für einen Triumph der Sache Ludwig-Philipps anzusehen.



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