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Dritter Brief.

Unsicherheit der Regierung. – Ludwig Phillip und die Birne. – Karrikaturen. – Häßlichkeit angesehener Männer in Frankreich. – Der Herzog von Valmy. – Sorgenvolle Aussichten des geselligen Zustandes unter der neuen Regierung. – Mißverständnisse in Frankreich über die Kosten der amerikanischen Verwaltung. – Benehmen amerikanischer Agenten in Europa.

Lieber – –

Die Regierung fängt an, mit jedem Tage unsicherer zu werden, und wiewohl sie eine ganz verschiedene Sprache führt, so weiß sie nur zu gut, daß sie auf die Zuneigung der Nation sich nicht verlassen kann. Sie hat keiner Partei Wort gehalten, und der große Haufen sieht theilnahmlos zu, welche politische Erschütterungen in allen Verhältnissen durch die Karlisten und Republikaner verbreitet werden. Die kühne Unternehmung der Herzogin von Berri, so unklug und unüberlegt sie auch begonnen sein mochte, hat demungeachtet nicht wenig Besorgnisse erregt, und das Kabinet in eine recht unbehagliche Stimmung versetzt. Ludwig Philipp ist ganz besonders durch zufällige Erfolge begünstigt worden, mehr als vielleicht irgend einem Andern in ähnlicher Lage jemals zu Theil wurde. Der Tod des Herzogs von Reichstadt, die Gefangennehmung und die gefährliche Lage der Herzogin von Berri, die verfehlten öftern Angriffe auf sein Leben und seine Freiheit, und der plötzlich erfolgte Tod des jungen Napoleon Buonaparte in Italien, (des Sohnes von Ludwig) können alle miteinander zu diesen ausserordentlichen und günstigen Ereignissen für Ludwig Philipp gezählt werden.

In einem Lande, wo selbst die Cholera den Karikaturenzeichnern nicht entgehen konnte, hat der König, wie Sie sich vorstellen werden, auch nicht leer ausgehen können. Der untere Theil des Gesichts von Ludwig-Philipp ist von ziemlichem Umfange, während seine Stirne, ohne gerade klein zu sein, sich allmählich schmaler endigt, so daß der Umriß des Gesichts leicht mit einer Birne verglichen werden kann. Einer der Urheber von jenen vielen öffentlich zur Schau ausgestellten Karikaturen, war vor das Untersuchungsgericht geladen, und hatte sich zu seiner Rechtfertigung mit einer großen Birne versehen, die er vorzeigte, um seine Vertheidigung desto anschaulicher zu unterstützen, indem er etwa Folgendes vorbrachte: Die Leute bilden sich ein, sie hätten in irgend einem Gesichtszuge irgend eine Aehnlichkeit mit einem bestimmten Gegenstande wahrgenommen; dies Ding kann aber auch einem andern ähnlich sehen, und Letzteres einem dritten; und so kann leicht auf Aehnlichkeiten mit andern Gegenständen geschlossen werden, bis man endlich auch sogar das Gesicht irgend eines ausgezeichneten Mannes herausräth. Er frage die Geschwornen, ob eine solche Folgerung von gesundem Urtheile zeugen könne. »Dies hier,« fuhr er fort, »dies, meine Herren, ist eine gewöhnliche Birne, eine Frucht, die Ihnen allen bekannt ist. Schneide ich nun hier und da,« und während er dies sagte, setzte er wirklich sein Messer an, »schneide ich also hier und da Einiges ab, so kommt einige Aehnlichkeit mit einem Menschenantlitz heraus; jetzt brauche ich nur hier ein wenig zu schnitzen, dort etwas abzustutzen, und bald wird Mancher glauben, die Züge eines bekannten Gesichtes zu erkennen; nun könnte mir einfallen, ein Bild von einer Birne auszustellen, und wie leicht kann da Jemanden einfallen, ich hätte ein Fratzenbild irgend eines Menschen ausstellen wollen!« Dabei muß ich bemerken, daß er durch geschickte Handhabung des Messers eine Aehnlichkeit mit den Umrissen des königlichen Gesichts hervorbrachte, so daß man allgemein solches erkannte. Der Mann wurde, Dank sei es seiner Geschicklichkeit, freigesprochen; und seit dieser Zeit, gleichsam durch allgemeine Uebereinkunft, ist man darin einverstanden, wo irgend eine rohe Skizze einer Birne vorkommt, daß da auf den König angespielt werde. Man sieht daher Birnen in Ueberfluß, obschon es die Jahreszeit verbietet; und ich zweifle gar nicht, daß es in diesem Augenblicke Tausende von Birnen gibt, mit Kreide, Kohle oder andern Substanzen überall an den Wänden der Häuser in der ganzen Hauptstadt angemalt. Während der Faschingszeit erschienen Masken als Birnen, mit Birnen statt Mützen, oder Birnen austheilend. und das Alles mit solcher Keckheit und bisweilen mit so viel Witz, daß der König überzeugt werden muß, daß die äußerste Freiheit, die er bisher Allen zum Schein gestattete, sich wenig mit seinen geheimen Planen vertrage, Frankreich von Neuem unter eine beschränkende Regierung zu bringen. Die Widersprüche, die sich nothwendig im jetzigen Benehmen des Königs zeigen müssen, werden eine Aenderung des Systems später oder früher herbeiführen.

Zur Vertheidigung der Karikaturen läßt sich kaum Etwas anführen. Sie berühren das Gemüth in einer Weise, die von der Vernunft am meisten sich entfernt, und also auch von dem, was Ziemlich und Recht ist; und es heißt wahrlich das Wort mißbrauchen, wenn man behauptet, die Freiheit könne eine Karrikatur veranlassen oder durch sie befördert werden. Dergleichen Dinge mögen bisweilen als Mittel irgend einen Erfolg herbeiführen, aber jede gerechte Sache muß sich dadurch zu heben suchen, daß sie sich von der Anwendung aller tadelnswerther Mittel ganz rein erhält. Uebrigens waltet ein sonderbares Mißgeschick über die Gesichtszüge der meisten sich in Frankreich auszeichnenden Männer, wodurch gar leicht eine Karrikatur veranlaßt werden kann. Die Zeit der Revolution und des Kaiserreichs scheint ziemlich allgemein gewissen Gefühlen Nahrung gegeben zu haben, die sich durch eine ausgezeichnete Einwirkung den Gesichtszügen eingeprägt hat. Im Ganzen sind die Franzosen, als Nation, nichts weniger, als schön, wovon es nur wenige glänzende Ausnahmen gibt; und mir bleibt es auffallend, daß grade diejenigen, welche eine Aufsehen erregende Rolle spielen, zu den Häßlichsten unter ihren Mitbürgern gehören.

Vor nicht langer Zeit speiste ich am Tische des Herrn von – –, zugleich mit Herrn B. von Newyork. Die Gesellschaft bestand aus etlichen und zwanzig Personen, die alle bedeutendere Rollen während der letzten dreißig Jahre gespielt hatten. Ich machte meinen Nachbar auf die erwähnte Eigenthümlichkeit der Gesichter aufmerksam, und fragte ihn, ob er am Tische ein einziges Gesicht erblicke, das den friedlichen, ehrwürdigen und unbefangenen Ausdruck zeige, wodurch sich das Bewußtsein gerechter Absichten, freimüthige Entschlossenheit und ein Gemüth sich kund gibt, das mit sich selbst im Reinen ist. Wir fanden keins! Mir blieb kein Zweifel übrig, dass Nationalgesichtszüge allmählich durch den Nationalcharakter hervorgebracht werden.

Dagegen kann ich Ihnen eine Vorstellung von der vollkommenen Einfachheit und dem guten Geschmack in französischen Gesellschaften geben; indem ich einen kleinen Vorfall mittheile, der mir an demselben Tage aufstieß. Ein Herr von besonders abstoßendem Aeussern saß neben uns, und gesprächsweise erwähnte er, daß er eine Zeitlang in New-York zugebracht, und sprach von der Stadt und ihren Bewohnern mit lebhafter Theilnahme. B – – quälte sich, um zu erfahren, wer der Mann sein möchte. Ich konnte bloß sagen, er sei ein Mann von scharfem Urtheil und vielen Kenntnissen, den ich öfter schon in Gesellschaften angetroffen, aber seinen Namen hatte ich noch nicht aussprechen hören. Er hatte sich immer mit gleicher Einfachheit und Bescheidenheit benommen, und ich hatte ihn immer für einen Sekretär oder Buchhalter des Herrn vom Hause angesehen, der ein hohes Staats-Amt bekleidete, und ich hatte jenen auch öfter an des Letztern Tisch getroffen. So dachte ich auch noch an den folgenden Tagen.

Die Woche darauf zogen wir aus in die Rüe Saint Dominique. Gerade gegenüber der Einfahrt unseres Hotel befand sich die Einfahrt eines andern Hotel, das ehemals dem Prinzen von Conti gehört hatte. Ein paar Tage nach unserm Auszuge erblickte ich den Unbekannten, der eben aus dem Thore gegenüber herauskam, als ich in das unsrige einbiegen wollte. Er verbeugte sich, grüßte mich, indem er mich beim Namen nannte, und ging weiter. Nun hatte ich die beste Gelegenheit, mich zu erkundigen, wer er sei; ich schritt über die Straße, und fragte den Thürsteher nach dem Namen des Herrn, der so eben herausgekommen sei. »Mai c'est Mr. le Duc.« – Also ein Herzog, welcher Herzog aber? – »Kein anderer, als der Herzog von Valmy, der Besitzer dieses Hotels.« Es war also der jüngere Kellermann, der Held von Marengo! Jetzt ist er längst todt.

Aber ich könnte mit solchen Anekdoten ganze Bände anfüllen. Denn in Ländern, wo es eine bedeutende Anzahl thatenberühmter Männer gibt, wird man in Gesellschaften nie durch die vorlaute Anmaßung und die rücksichtslose Prahlerei belästigt, die so leicht die Anwesenheit eines glücklichen Staatspapierspekulanten bezeichnet. Schlachten, im Gegensatze mit Geldgeschäften, werden selten in Gesellschaften besprochen. Ich habe schon mehrmals erwähnt, wie wenig Aufsehen in Paris die Anwesenheit eines berühmten Mannes erregt, obgleich an keinem Orte der Welt zartere Aufmerksamkeiten solchen Männern erwiesen werden, die, sei es in Wissenschaft, in Kunst oder durch Kriegsthaten, mit Recht berühmt geworden sind. Indessen aus gleichen Ursachen gehen gleiche Wirkungen hervor; und so besorge ich, daß unter der neuen Regierung, in der hauptsächlich die Macht des Geldes herrscht, in welcher allmählig die Gesinnung überhand nimmt, nur Geld sei des Strebens höchstes Ziel, bald jenes prunkende und Aufsehen erregende Benehmen der Papier- und Rentenmännerchen weit allgemeiner werden dürfte, als solches früher der Fall war. Schon jetzt finde ich den gesellschaftlichen Ton auf entschiedene Weise weniger anziehend, und weit sorgenvoller, als vor der Revolution von 1830. Vielleicht sind die Elemente sich gleich geblieben; aber das Aufwogen der bewegten Zeit wirft den Schaum der Oberfläche zu, und dies ist eine natürliche, aber vorübergehende Folge des jetzigen Zustandes.

Da ich gerade solchen Abschweifungen mich hingebe, so will ich die Gelegenheit benutzen, eines ganz neulich mir begegneten Vorfalls zu erwähnen, der mich einigermaßen persönlich näher angeht. Ein Streit über die Kosten der Verwaltung hatte früher, im November schon sich erhoben, und ist jetzt beendigt worden. Die nähern Umstände sind folgende: Im vorigen Juli hatte bereits ein Beamter der französischen Regierung eine Schrift herausgegeben, in welcher er ziemlich ins Einzelne einging, und Stück für Stück zu beweisen suchte, daß die Amerikaner die Wohlthat des Regiertwerdens um Vieles theurer bezahlen müßten, als die Franzosen. Da er sich allein auf dem Kampfplatze befand, und daher sowohl mit den Prämissen als den Conclusionen nach Belieben schalten konnte, so legte dieser Mann uns natürlich eine tüchtige Last auf, und als Corollarium zu der vermeintlich erwiesenen Behauptung, gingen nicht blos er selbst, sondern auch andere, die seine Partei bildeten, so weit, zu behaupten, daß eine Republik der Natur der Sache gemäß, dem Staate weit drückendere Lasten aufbürden müsse, als eine monarchische.

Diese übertriebene Behauptung wurde auch als durchaus begründet angenommen, selbst von einer Mehrzahl trefflich gesinnter Männer, während Monate verstrichen, ohne daß ich das Geringste von dem Dasein derselben wußte. Da erwähnte ein sehr verständiger, durchaus rechtschaffen gesinnter Franzose dieser Behauptung eines Tages in meinem Beisein, und bemerkte, daß er ganz erstaunt gewesen sei, über die Kühnheit dieser Behauptung sowohl, als über das Treffende der dieselben unterstützenden Beweissätze. Das war nun allen frühern Erfahrungen über diesen Gegenstand und überhaupt allem dem, was ich ihm selbst in unsern öftern Unterredungen über die amerikanischen Angelegenheiten geäußert, so schnurstracks entgegengesetzt, daß er wünschte, ich möchte jene Schrift selbst lesen und sie widerlegen, falls ich solches wünschenswerth hielte. Um diese Zeit that auch General Lafayette dieselbe Bitte an mich; er sandte mir die Nummern des Blattes, welche diese Mittheilungen enthielten, und gab mir die Mittel an die Hand, darauf zu antworten. Ich zweifelte keinen Augenblick an dem vollkommenen Rechte eines Amerikaners oder jedes andern, die Irrthümer aufzudecken, wovon diese statistische Abhandlung wimmelt; aber ich hatte keine sonderliche Lust, mich mit einem solchen Geschäft zu befassen. Da ich indessen endlich mich hinreichend überzeugte, es sei ein versteckter Angriff auf den General Lafayette, um ihm zu beweisen, daß er von seinem so oft gerühmten Amerika eigentlich sehr wenig wisse; so gab ich den wiederholten Anforderungen desselben nach, und schrieb ihm einen flüchtigen Brief, in welchem ich, so weit meine Kenntniß des Gegenstandes reichte und meine beschränkten Hülfsmittel solches verstatteten, die Irrthümer jenes Aufsatzes aufzudecken suchte. Dieser Brief veranlaßte Erwiederungen, und der Streit wurde nun auf verschiednen Wegen und von verschiedenen Theilnehmern weiter fortgeführt, bis zu einem Zeitpunkte, wo die verschiedentlich und oft widersprechend ausgeführten Behauptungen unserer Gegner so ziemlich erschöpft schienen. Da hieß es, man habe die erforderlichen Instructionen nach Amerika ergehen lassen, um unwiderlegliche Erkundigungen einzuholen; und man kündigte uns eine nähere Auseinandersetzung des amerikanischen Systems an, sobald sie ihrerseits die nöthigen Verstärkungen erhalten haben würden, um aufs Neue den Kampfplatz zu betreten. Jene angedrohte Auseinandersetzung ist indessen niemals erschienen; und der Verfasser hatte kurze Zeit vorher, ehe er Frankreich verließ, nur noch so viel vernommen, daß die eingezogenen Erkundigungen, die man von Amerika erhielt, unbefriedigend ausfielen. Der Verfasser hatte, als er früher an dem Streite Antheil nahm, sich hauptsächlich auf den Staat New-York beschränkt, da er in Beziehung auf den Staat, wozu er selbst gehörte, sich natürlicherweise weit leichter in Besitz der nöthigen Dokumente setzen konnte, als in Beziehung auf irgend einen andern Staat der Union. Seither haben offiziell bekannt gemachte Berechnungen die Richtigkeit seiner Angaben bestätigt; da die wirklichen Beträge nur um wenige Sous von den von ihm gemachten Schätzungen abwichen, die im Gegentheil mitunter zu hoch gegriffen und also noch zum Nachtheil der von ihm vertheidigten Sache angesetzt waren.

Ich habe keineswegs die Absicht mich hier über diesen nutzlosen Streit zu verbreiten; sondern ich habe dieses Umstandes blos erwähnt, um Sie mit den Gesinnungen eines Theils unserer Landsleute bekannter zu machen, da es einigermaßen nützen kann, nicht blos sie aufzudecken, sondern sie auch nach Verdienst zu würdigen. Hiermit ist mein »Brief an den General Lafayette« zu vergleichen, der bei Baudry in Paris im Druck erschien.



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