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Erster Theil.
Aufenthalt in Frankreich


Erster Brief.

Einfluß der letzten französischen Umwälzung. – General Lafayette. – Skizze seines Privatlebens. – Meine Besuche bei ihm. – Seine Ansicht über Ludwig den Sechzehnten. – Herr Morris und Herr Crawford. – Doppelbild Ludwigs des Achtzehnten. – Karl der Zehnte. – Maria Antoinette. – Legitimität des Herzogs von Bordeaux. – Entdeckung des Anschlags von 1822. – Lafayettes Benehmen dabei. – Der Neger-Spion. – General Kniephausen. – Louis-Philipp und Lafayette. – Mein Besuch bei Hofe. – Der König, die Königin, Madame Adelaide und die Prinzessinnen. – Marschall Jourdan. – Der Herzog von Orleans. – Unterredung mit dem Könige. – » Adieu l'Amerique.« – Gespräch mit Lafayette. – Das Juste milieu. – Verträglichkeit einer Monarchie mit republikanischen Institutionen. – Partei für den Herzog von Bordeaux.

Paris, im Februar 1832.

Lieber – –,

Ihre Betrachtungen über den Einfluß der letzten Umwälzung auf die geselligen Verhältnisse der Franzosen sind weit scharfsinniger, als wahr. Während die Nation im Ganzen weniger erlangt hat, als sie von den ernsten politischen Erschütterungen, die sie in den letzten vierzig Jahren erduldete, zu erwarten berechtigt war; so hat sie demungeachtet einige ihrer Rechte errungen, und, was weit wichtiger ist, sie hat diese ihre Rechte höher achten gelernt und ist in der Erkenntnis der Mittel, sich ihrer zum gemeinsamen Nutzen und zum Wohl der Gesammtheit zu bedienen, weiter gekommen. Das Ende muß zu wesentlicher Verbesserung ihres Zustandes führen, oder vielmehr solches leuchtet schon jetzt ein. Weniger günstig hat sich die Veränderung in der geselligen Bildung gestaltet, und doch nimmt auch hier die Gesittung allmählig zu, und es bricht eine kräftigere Denkungsart hervor. Nichts gleicht dem Irrthume, Frankreich habe, ohne irgend wohlthätige Folgen, so Vieles erdulden müssen.

Um mir eine bestimmtere Vorstellung von den frühern Verhältnissen zu bilden, habe ich mir unausgesetzt bei Lafayette nähere Erkundigungen eingeholt. Die Ihnen bereits mitgetheilten Unterredungen und Eröffnungen sind hinreichend gewesen, Sie mit dem feinen geselligen Ton, mit der ungekünstelten Rechtlichkeit vertraut zu machen, mit der dieser Mann sich selbst über seine bittersten Feinde ausläßt; ich kann aus den vielen vertraulichen und freien Mittheilungen, mit denen er mich begünstigte, keines einzigen Beispiels mich entsinnen, das mir die leiseste Vermuthung hätte erregen können, als habe er jemals die Menschen aus dem Gesichtspunkte persönlicher Abneigung oder vorgefaßter Meinung beurtheilt. Diese Treuherzigkeit und Einfachheit seiner Ansichten bilden einen schönen Zug seines Charakters; und die Gefälligkeit der Denkungsart desselben (wenn dieser Ausdruck verstattet ist) wirft einen Glanz über seine rauhesten Unebenheiten, der ganz besonders geeignet ist, seinen Urtheilen Eingang zu verschaffen.

Ihr Wunsch, etwas Näheres aus dem Privatleben dieses außerordentlichen Mannes zu erfahren, ist ganz natürlich: aber er ist schon so lange der öffentlichen Aufmerksamkeit ausgesetzt gewesen, daß es schwierig ist, etwas Neues darüber zu sagen. Doch kann ich Ihnen einige Züge darüber mittheilen zu ihrer besondern Unterhaltung.

Ich bin in diesem Winter öfter als sonst mit ihm zusammen gekommen, was ich zufällig einem Commitee von Amerikanern verdanke, welche den verbannten Polen Unterstützung zufließen zu lassen beabsichtigten. Sie kommen wöchentlich in meinem Hause zusammen, und es ist selten, daß er bei diesen wohlwollenden Verhandlungen fehlt. Seine eignen Soirées hat er überdies aufgegeben, und da ich seltener seine Zeit in Anspruch nehmen darf, amtlicher Abhaltungen wegen, so habe ich, so oft ich es wünsche, Zutritt bei ihm während seines einfachen stillen Mittagsmahles.

Die Essenszeit ist nämlich die gewöhnliche Zeit unseres Zusammentreffens; denn die Geschäfte des Generals in der Kammer nehmen ihm fast immer den Morgen ganz in Anspruch; und ich bin ebenfalls gewöhnlich bis zur Essenszeit beschäftigt. In Paris speist man namentlich um sechs Uhr, doch werden die Deputirten meistens etwas länger aufgehalten; und wenn ich also Lust habe, ihn zu sprechen, so eile ich von meinem eignen Tisch und komme in der Regel noch zeitig genug in der Rue d'Anjou an, um ihn noch an dem seinigen zu finden.

Sobald Lafayette nach seiner ohne viel Umstände erfolgten Entlassung von dem Oberbefehl der Nationalgarde das Hotel des Generalstabes verlassen, kehrte er wieder in seine nette einfache Behausung in der Rue d'Anjou zurück. Das Hotel selbst macht zwar einige äußere Ansprüche, aber die Gemächer, wenn auch hinreichend für eine einzelne Person, gehören nicht zu den Besten; sie stoßen an die Straße, welches selten oder nie bei vorzüglicheren Zimmern der Fall zu sein pflegt. Man gelangt zu denselben mittelst der Haupttreppe, und die Thüre ist eine von den einfachen und versteckten Zugängen, die in Paris so häufig zu den Wohnungen selbst der berühmtesten Männer des Jahrhunderts geleiten. Hier habe ich Fürsten, Marschälle und Staatsbeamten jedes Ranges die Schelle ziehen sehen, um eingelassen zu werden, wo kein anderer Glanz ihnen entgegen strahlt, als allein der große Mann darin. Dergleichen kann hier statt finden, wo der Gedanke sich daran gewöhnt, alle verschiedenen Ansprüche auf Auszeichnung zu wägen; aber schwerlich in einem Lande, wo das Trachten nach Geld das einzige und verkrämernde Lebensziel ausmacht, und wo also prächtige Schaustellung nothwendig wird, um es desto sicherer zu erreichen.

Die Gemächer Lafayettes sind ein großer Vorsaal, zwei Salons und ein Gemach, worin er gewöhnlich sitzt und schreibt, und worin er jetzt auch schläft. Diese Gemächer folgen aufeinander, und sie stoßen zur Seite an einige andere Zimmer und Kammern. Seine Dienerschaft in der Stadt besteht aus dem deutschen Bedienten, Namens Bastian, der ihn bei seinem letzten Besuch in Amerika begleitete, dem Laquai, der ihm in den Wagen hilft, und dem Kutscher. Vielleicht hat er eine Köchin, aber nie habe ich weibliche Dienstboten in seinen Zimmern angetroffen. Keiner trägt Livree, obgleich seine Ausstattung, Wagen, Pferde, Hausrath im Uebrigen anständig sind. Eins ist mir besonders aufgefallen. Ungeachtet seiner innigen Anhänglichkeit an Amerika und dessen Gebräuche, hat Lafayette doch, während man in Paris sich deren immer häufiger bedient, keine Teppiche bei sich eingeführt. Ich habe bei ihm, weder in la Grange, noch in der Stadt deren jemals gesehen, so viel ich mich erinnern kann.

So wie ich mich an der Thüre zeige, macht Bastian, der gewöhnlich das Thürsteheramt versieht, und in dieser Beziehung ganz diplomatisch eingeübt ist, mir sogleich ein Zeichen des Willkommens, und bemerkt dabei, der General speise eben. Seit einiger Zeit überhebt er mich der Zeremonie des vorherigen Anmeldens; denn er führt mich sogleich ins Schlafzimmer. Hier finde ich Lafayette an einem Tische sitzen, der gerade groß genug ist, um ein Gedeck und eine einzelne Schüssel zu fassen, oder mit andern Worten, gerade groß genug, um keines andern Tischtuches zu bedürfen, als einer Serviette. Sein kleiner Schooshund ist sein einziger Gesellschafter. Da es sich immer von selbst versteht, daß ich schon gespeist habe, so gibt es keine höflichen Redensarten weiter; sondern ich setze mich sogleich an die Ecke des Kamins, während er fortfährt zu essen. Seine Mahlzeiten sind ganz einfach, aber gut; ein gebratenes Hühnchen ist unveränderlich eine seiner Schüsseln. Zwei oder dreimal setzt man ein anderes Gericht ihm vor, und in der Regel wird die Mahlzeit mit eingemachten Früchten beschlossen, besonders Datteln, die er sehr gern ißt. Gewöhnlich treffe ich ihn bei den letzten seiner Schüsseln an.

Während er speist, berührt die Unterhaltung alles im Laufe des Tages in den Kammern Vorgekommene, die europäische Politik, die Theilnahmlosigkeit in Amerika, oder die Neuigkeiten aus der königlichen Umgebung, von denen er immer sehr gut unterrichtet ist, obschon er aufgehört hat, dort zu erscheinen.

Einer meiner letztern Besuche bei ihm hatte besonders mein Interesse erregt. Denn gewöhnlich bleibe ich nur eine halbe Stunde, und entferne mich dann, um ihn in seinen abendlichen Besuchen nicht zu stören, die aber nicht häufig vorkommen; aber gerade damals bat er mich, zu verweilen, und ich brachte fast zwei Stunden bei ihm zu.

Wir plauderten eine Weile über den geselligen Zustand Frankreichs während der alten Zeit. Ich erkundigte mich nach der königlichen Familie, um seine Ansichten von den Charakteren der einzelnen Glieder derselben kennen zu lernen. Er schilderte Ludwig den Sechzehnten als einen wohlwollenden Mann, der den Freuden der Tafel etwas zu sehr ergeben, aber recht viel Gutes zu wirken fähig gewesen wäre, wenn ihn nicht böse Rathgeber umgeben hätten. Eine seiner Bemerkungen spannte meine Aufmerksamkeit. »Ludwig der Sechzehnte hat seinen Tod,« sagte Lafayette, »weit mehr dem schlechten Rath seines Gouverneurs Morris zu verdanken, als irgend etwas Anderm.« Sie können sich vorstellen, daß ich mir nähere Erklärungen ausbat; zumal da sonst, wenn die Rede auf Herrn Morris kam, seine Ausdrücke jederzeit freundlich und anerkennend gewesen waren. Er erläuterte seine Bemerkungen mit den Worten: Daß Herr Morris, von einem Lande, wie Amerika kommend, stets mit großer Achtung angehört worden sei, und daß dieser sich gegen Alles, was an Demokratie streife, beständig ausgesprochen, daher auch immer zum Widerstande gerathen habe, selbst da noch, als alles Widerstreben schon zu spät und selbst gefährlich geworden war. Lafayette untersuchte die Beweggründe des Herrn Morris nicht im Geringsten, sondern nannte ihn blos einen schlechten Rathgeber. Dabei machte er mir bemerklich, wie die Volksabgeordneten in Amerika damals nicht immer dem Grundsatze der Volksfreiheit treu angehangen hätten, und er bewies mir solches durch Einzelheiten, die ich nur mit Verdruß wiederholen könnte. Ich habe des Urtheils über Herrn Morris gleichwohl erwähnt, weil seine aristokratischen Grundsätze durchaus kein Geheimniß geblieben sind, weil jenes Urtheil allen persönlichen Angriff vermied, und weil ich es von mehren Seiten längst bestätigt gefunden habe. Dagegen ließ Lafayette dem Herrn Crawford alles gebührende Lob widerfahren, der, wie er sagte, sich durchaus so benommen habe, wie es einem amerikanischen Minister ziemte.

Neu ist übrigens dies Beispiel keinesweges, daß unsere Stellvertreter den herrschenden Gefühlen in unserm Lande hinsichtlich der Volksrechte nicht treu sich anschließen. Es ist der Gegenstand öfterer Rüge in Europa, wie der nicht seltenen Beschwerden derer, die für das, was sie als ihre gerechte Ansprüche erkannt, zu kämpfen bereit sind; Mehre der letztern haben mich versichert, daß unsere Bevollmächtigten hier alle mögliche Hemmung bewirken.

Ueber Ludwig den Achtzehnten fället Lafayette das Urtheil, er sei der falscheste Mensch gewesen, dem er jemals begegnet sei; sein wörtlicher Ausdruck war: » l'homme le plus faux.« Er räumte ein, er sei ein talentvoller Mann gewesen, aber die Doppelsinnigkeit seines Charakters sei ihm angeboren, und nicht etwa blos die Folge seiner Stellung im Leben. Dies sei auch bereits den Gefährten seiner frühern Jugend bekannt gewesen, und Jene pflegten wohl untereinander, als Jünglinge und unbedachte Scherztreiber, oftmals zu äußern, dem Grafen von Provence irgend zu trauen, sei durchaus gefährlich.

Von Karln dem Zehnten sprach er wohlmeinend, und schrieb ihm einen ganz verschiedenen Charakter zu. Er stellt ihn als den ehrlichsten unter den drei Brüdern dar, aber durchaus dem gefährlichen Zeitpunkte nicht gewachsen, in dem er zum Herrscher berufen ward; er hielt seine religiösen Uebungen für aufrichtig gemeint, und die Beschuldigung, daß er ein erklärter Jesuit gewesen, verwarf er als durchaus unwahrscheinlich.

Marien Antoinetten sei großes Unrecht geschehen, behauptete er weiter; er berührte die sie betroffenen übeln Nachreden mit großer Vorsicht, indem er sagte, ich als Amerikaner müsse vor allen Dingen über Manches wegsehen, was in einem geselligen Zustande, wie man ihn bei uns gar nicht kenne, durchaus keinen Anstoß finden könnte. Indem er diesen Gegenstand mit der Feinheit des Weltmannes und der Zartheit eines guten Gesellschafters besprach, fügte er hinzu, daß er sie durchaus von allen den entehrenden Beschuldigungen freisprechen müsse, die aus niedrigen Gerüchten geschöpft wären; zwar habe sie einen jungen Schweden Einen Grafen von Königsmark. vor andern Männern ausgezeichnet, was in ihrer Lage allerdings unvorsichtig gewesen sei; doch sei kein Grund vorhanden, der irgend vermuthen lasse, daß ihre Neigung zu unerlaubten Schritten geführt habe.

Ich fragte ihn um seine Meinung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Herzogs von Bordeaux; doch er behandelte das Gerücht vom Gegentheil als eines jener verächtlichen Hülfsmittel, zu welchen die Menschen bisweilen greifen, um den Zwecken ihrer Parthei zu dienen, wie eine Sache, die nicht werth sei, daß wir ihr die geringste Aufmerksamkeit schenkten.

Mich ergötzte die einfache Weise, mit welcher Lafayette von seinen eignen Bestrebungen sprach, eine Veränderung der Regierungsform, während die letzte Dynastie noch bestand, herbeizuführen. Er war über diesen Gegenstand schon damals in seinen Aeußerungen gegen mich ganz offen; doch damals wäre es offenbar Schlechtigkeit gewesen, wenn ich über seine mir gemachten Mittheilungen irgendwo sonst etwas geäußert hätte. Dieses Hinderniß fällt jetzt weg, und so kann ich einige seiner Aeußerungen wiedergeben, ohne gleichwohl im Stande zu sein, darin den kalten ruhigen Ton walten zu lassen, der sich in dem Manne selbst ausspricht. Es kam die Rede auf den Anschlag von 1822, oder auf die Verschwörung, die in der Armee bestanden. Er antwortete auf eine meiner Fragen: »Freilich sollte ich in jener Umwälzung eine bedeutende Rolle übernehmen, und als die Zeit da war, setzte ich mich in meinen Wagen, ohne Reisepaß; fuhr querfeldein nach – –, nahm dort Postpferde und eilte so schnell, als möglich, nach – –. Aber in – – traf mich ein Eilbote mit der unerwarteten Nachricht, unser Anschlag sei entdeckt, und mehre unserer Hauptverbündeten seien schon gefangen genommen. Man rieth mir, so schnell ich könne, mich nach der Grenze zu begeben. Statt dessen wandte ich an der Landstraße um, kehrte nach Paris zurück und nahm wieder meinen Sitz in der Deputirtenkammer ein. Man sah ziemlich verwundert und erstaunt aus, als man meiner gewahr wurde, und mir kam es vor, als hätten Manche darauf gerechnet, daß ich durchaus flüchten müsse. Die ministerielle Partei erhob ihre Stimme, um die Opposition der Anreizung zur Empörung zu beschuldigen; dagegen äußerten Perrier und Constant ihren Unwillen gegen solche entwürdigende Anklagen. Ich schlug einen verschiedenen Weg ein. Ich bestieg die Tribüne, und forderte die Minister auf, sie möchten auftreten und meine politischen Handlungen beleuchten, meine Wankelmuth, meine Verrätherei ans Licht bringen, deren sie mich schuldig glaubten, und wenn sie dieses würden gethan haben, fügte ich hinzu, dann würde ich meinerseits ihre Gesinnungen und Handlungen offenbaren. Damit war die Sache aus; sie ließen sich nicht weiter darauf ein.« Ich fragte ihn, ob er nicht besorgt gewesen sei, daß man ihn festnehmen und zur Verantwortung ziehen werde? »Das war mein geringster Kummer«, sagte er, »man wußte, daß ich den fremden Mächten das Recht absprach, in Frankreich eine Regierung einzuführen; aber sie wußten eben so gut, daß sie nicht treu an der konstitutionellen Charte gehalten hatten. Ich machte kein Geheimniß aus meinen Grundsätzen, gab öfter Briefe unversiegelt auf die Post, ungeachtet ich mich in denselben ganz offen über die Regierung geäußert hatte. Ueberhaupt fürchteten sie, wie ich glaube, mich weit mehr, als ich sie zu fürchten hatte.«

Es ist unmöglich, Ihnen durch eine bloß schriftliche Erzählung eine deutliche Vorstellung von der unterhaltenden Weise zu geben, womit er diese Umstände mittheilte, – eine Art zu erzählen, die durch sein Englisch, das zwar gut sich hören läßt, aber doch mitunter gebrochen ist, noch einen eigenthümlichen Reiz erhält. Gewöhnlich zieht er zu solchen Unterredungen das Englische vor.

»Was ich sagen wollte; woher«, fragte er mich plötzlich, »haben Sie die Idee zu Ihrem Harvey Birch im Spion genommen?« Ich erwiederte, die Idee sei durch eine Anekdote, die der Gouverneur Jay einige Jahre früher, als das Buch erschienen, mitgetheilt habe, veranlaßt worden. Darauf entgegnete er mir mit Lachen, er hätte mir gleichfalls den Helden zu meinem Roman in der Person eines Negers stellen können, der ebenfalls Harvey hieß, wie ich glaube (denn den Namen weiß ich nicht mehr), und den Spion machte, sowohl für ihn als für Lord Cornwallis, während er den Befehl gegen diesen in Virginien führte. Er schilderte diesen Neger, als der Amerikanischen Freiheit treu ergeben, der sich ganz seinem Dienste gewidmet habe, dabei aber Erlaubniß hatte, auch für Lord Cornwallis thätig zu seyn, wo es darauf ankam, Nachrichten einzuziehen. Nachdem letzterer sich hatte ergeben müssen, machte er dem General Lafayette einen Gegenbesuch. Harvey war gerade im Vorzimmer mit dem Putzen der Stiefeln seines Herrn beschäftigt, als Lord Cornwallis eintrat. »Ei, sieh da, Master Harvey«, rief letzterer aus, »bist du hier? bist du es wirklich selbst?« »O ja doch, Herr Cornwallis« sagte er, »muß ich versuchen zu thun Etwas, das ist gut für das Vaterland.« Dieser Neger war, wie er mich versicherte, gar listig und keck und besaß ächt patriotische Gesinnungen.

Er brachte mich zum Lachen durch ein Geschichtchen, welches ihm, wie er sagte, die englischen Offiziere von dem General Kniephausen erzählt hatten, der 1776 die hessischen Miethtruppen anführte. Dieser Offizier war ein tapferer Degen, verstand aber nichts von Seewesen, und von der Erdbeschreibung nicht viel mehr. Auf der Ueberfahrt von England nach Amerika befand er sich auf dem Schiffe des Lord Howe und brachte mehre langweilige Wochen zu, da die Flotte eine ungewöhnlich lange Reise machte wegen des schlechten Segelns mancher Transportschiffe. Endlich vermochte General Kniephausen nicht länger ruhig zu bleiben, sondern rückte eines Tages steif vor den Admiral und redete ihn folgendermaßen an: »Mylord! wohl weiß ich, daß es des Soldaten Schuldigkeit ist, auf dem Meere zu gehorchen; doch, da die Truppen Seiner Hochfürstlichen Durchlaucht, meines allergnädigsten Herrn, meiner Obhut anvertraut sind, so achte ich es für meine Pflicht, geziemend anzufragen, ob es nicht möglich sei, daß während einer der letzten dunkeln Nächte, wir etwa bereits an Amerika vorbeigesegelt sein könnten?«

Ich fragte den General, ob er kürzlich bei Hofe gewesen? Seine Antwort war ganz kurz und bezeichnend: »Der König schenkt meinem Berichte von dem Programm des Stadthauses keinen Glauben, und wir stehen daher einander gegenüber, wie zwei kampffertige Edele, die einander gegenseitig der Lüge zeihen. Die Umstände verbieten indessen den Gang in den Boulogner Wald, um mit einander Schüsse zu wechseln«, fügte er lachend hinzu, »und gleicherweise verbieten die Umstände, uns gegenseitig zu besuchen.« Ich nahm mir die Freiheit, ihm zu sagen, daß ich längst vorhergesehen, wohin es noch mit der Freundschaft Ludwig-Philipps kommen müsse, und erwähnte dabei zum ersten Mal in unsern Unterredungen meines eigenen Besuches bei Hofe in seiner Gesellschaft. Doch die Erzählung dieser Begebenheit muß ich erst aus meinem Notizenbuche für Sie aufschreiben. Die Zeit, worauf sich dieses bezieht, fällt in das Jahr 1830.

Ich erhielt des Morgens vom General Lafayette ein Billet, worin er mir mittheilte, daß Herr Mac Lane, der aus Besuch von London angekommen, dem Könige vorgestellt zu werden wünsche; diesen Abend sei Empfang bei Hofe, und er wünscht, bei dieser Gelegenheit unsern Minister bei der Englischen Regierung hier einzuführen, da Herr Rives seine Creditive noch nicht empfangen und daher bei feierlichen Anlässen hier noch nicht auftreten könne. General Lafayette drang so sehr in mich, mich anzuschließen, um dem Herrn Mac Lane gefällig zu sein, daß ich, obschon kein sonderlicher Hofmann, und obgleich ein solcher Besuch sich mit meinen ruhigen Gewohnheiten schlecht verträgt, mich dennoch entschloß, nachzugeben.

Zur geeigneten Stunde hatte der General die Gutmüthigkeit, mich abzuholen, und wir begaben uns darauf miteinander zu Herrn Mac Lane. Darauf fuhren wir mit diesem Herrn zusammen nach dem Palais Royal, und mein ehemaliger Kriegskamerad, Herr T – –, der dieser Einführung bei Hofe ebenfalls beiwohnen sollte, folgte in seinem eignen Wagen nach.

Der innere Raum des Pallastes war voll Menschen, und nach der Haupttreppe wogte ein großes Gedränge; aber die Erscheinung Lafayette's machte den Weg frei, und in der Menge entstand eine Bewegung, die ganz seine persönliche Popularität durchblicken ließ. Ich hörte die Worte »die Amerikaner« von Munde zu Munde; dieß zeigte, wie man ihn ganz mit uns indentificirte, wohl auch dieselben Grundsätze ihm in der öffentlichen Meinung beigelegen mochte. Einige jüngere Hofbeamten empfingen ihn unten an der Treppe; doch weiß ich nicht, ob ihr Erscheinen zufällig oder absichtlich war; ich vermuthe das Letztere. Wie dem auch sei, der General wurde mit der tiefsten Ehrerbietung und mit der freundlichsten Gefälligkeit bewillkommt.

Die Vorhalle war bereits mit Menschen erfüllt; wir folgten unserm Geleitsmanne, dessen Gegenwart uns überall Bahn machte, bis er der Thüre ganz nahe gekommen, wo mehre der ausgezeichnetsten Männer Frankreichs versammelt waren. Ich sah manche im Gewühle, die mir bekannt waren, und einige Minuten verstrichen unter gegenseitigem Zuwinken des Wiedererkennens. Doch wurde bald meine Aufmerksamkeit auf ein Zwiegespräch zwischen dem Marschall Soult und Lafayette hingelenkt, das mit der vollkommensten Bonhommie und Einfachheit geführt ward. Den Anfang hatte ich überhört, und ich vernahm nur, wie sie über ihre Beine sprachen, welche sie gegenseitig der Unfähigkeit, sie zu tragen, beschuldigten. »Aber Sie wurden auch am Beine verwundet, mein Herr«, bemerkt Lafayette. »Dieß Bein« erwiederte der Marschall, »ist freilich bei Genua ein wenig übel behandelt worden; aber« sagte er mit einem wahren Fechterblick niedersehend, »Sie, General, wurden Sie nicht auch in Amerika verwundet?« »Oh, das war Nichts; das sind schon mehr als fünfzig Jahr her, und noch dazu war es in einem gerechten Kampfe, – der Fall und der Bruch ist blos Schuld, daß ich jetzt hinken muß.« Gerade in diesem Augenblicke öffnete sich die große Thüre, vor uns stand der quasi-republikanische Königshof geschaart, und die zwei alten Degen hinkten vorwärts.

Zunächst der Thüre stand der König, in der Generalsuniform der Nationalunigarde, ganz ohne Ordenszeichen, in schönem dreifarbigen Schmuck. Die Königin, Madame Adelaide, die Prinzessinnen, Einige von den Kindern standen etwas weiter ab, die erstern beiden an ihrer Spitze und letztere hinter ihnen gruppirt. Nur wenige Damen waren ebenfalls zugegen; und im Anfange sah ich diesen Abend nichts von den Herzögen von Orleans und Nemours.

Lafayette fand sich unter den zuerst Eintretenden, und wir befanden uns daher in seiner Nähe. Der König trat näher, und ihm entgegen mit dem Ausdruck des freudigen Willkommens, – mir schien es gekünstelt, – doch sie gaben einander herzlich die Hände. Darauf wurden wir namentlich vorgestellt, und jedem von uns ward die Ehre des Handgebens zu Theil, wenn ich diese Auszeichnung so nennen darf, welche fast die Hälfte der Eintretenden mit uns theilten. Das Zudrängen war so zu sagen. Meines Bedünkens erwies man uns Allen die gewöhnlichen Bewillkommungszeichen, und damit war Alles abgethan.

Bald darauf näherten wir uns der Königin, bei der unser Empfang weit förmlicher war. Die meisten der Eintretenden begnügten sich mit einer Verbeugung gegen diese Gruppe aus der Ferne; weil aber die Königin einige Lust bezeugte, einige Worte an unsere Gesellschaft zu richten, so traten Herr Mac Lane und ich näher hinzu. Zuerst redete sie meinen Begleiter französisch an, und ich war, weil er diese Sprache nicht verstand, genöthigt, den Dollmetscher zu machen. Doch die Königin sagte sogleich, sie verstehe englisch, obschon sie es schlecht spreche, und bat ihn, er möchte in seiner Sprache zu ihr reden. Madame Adelaide schien mit unserer Sprache weit vertrauter zu sein. Gleichwohl war die Unterredung nur kurz und der umständlicheren Erwähnung nicht werth.

Die Königin Amalie ist eine Dame von freundlichem und, wie ich meine, geistvollem Aeußern. Sie hat mehr bourbonische als österreichische Gesichtszüge. Sie schien ängstlich bemüht, einen guten Eindruck zurückzulassen, und im Ganzen ähnelte sie in Haltung und Benehmen der Herzogin von Saint-Leu. Hortensie, Gemahlin des vormaligen Königs von Holland, Ludwig Napoleon. Sie steht in dem Ruf, eine vortreffliche Gattin und Mutter zu sein, und ohne auf einmal plötzlich in die Rolle eines Hofmanns zu fallen, kann ich wohl sagen, daß sie diesen Ruf mit Recht verdienen mag. Sie ist von schmalem Wuchs aber einnehmender Bildung, und man kann ihr deutlich ansehen, daß sie in ihrer Jugend recht hübsch war.

Ich erinnere mich kaum ein offeneres, geistreicheres und einnehmenderes Antlitz gesehen zu haben, als das der Madame Adelaide, der Schwester des Königs. Von ihrer Schönheit sind nur noch wenige Spuren übrig, außer dem Reize des Ausdrucksvollen, und dieser Reiz muß sie ehemals schön gemacht haben, da er sie noch jetzt anziehend macht. Ihr Benehmen war weniger reizbar, als das der Königin, und ich meine, daß ihr Geist weit mehr ihr Aeußeres beherrscht.

Die Prinzessin Louise (die Königin von Belgien) und die Prinzessin Marie sind hübsch und zeigen sich in der ruhigen bescheidenen Haltung gut erzogener junger Damen. Erstere ist bleich und hat ein treffend bourbonisches Gesicht und ähnelt den Profilen auf den französischen Goldmünzen; letztere dagegen hat mehr italienische und klassische Umrisse und dabei eine lebhaftere Farbe des Gesichts.

Alle waren in ganz einfachem Anzuge; kaum konnte man es großen Diner-Staat nennen; die Königin und Madame Adelaide waren in Soireehüten. Die Prinzessinnen, wie in Frankreich unverheirathete Damen von groß, daß sich keine Gelegenheit darbot, das Geringste hohem Stande pflegen, erschienen ohne allen Schmuck mit gewöhnlich aufgestecktem Haar.

Nachdem die feierliche Einführung vorüber war, unterhielt ich mich mit der Beobachtung der Anwesenden. Es war ein Lever, keine Gemäldeausstellung, es befanden sich keine Damen unter den Besuchenden. Diejenigen Herrn, welche nicht in Uniform erschienen, waren in gewöhnlichem Soiree-Anzuge, der jetzt bis auf schwarze Röcke und lange Beinkleider herabgekommen ist.

Zufällig befand ich mich in der Nähe eines Mannes, der ganz das revolutionäre Ansehen hatte, das uns durch die Kupferstiche von Buonaparte und von seinen Offizieren nach dem italienischen Feldzuge so bekannt geworden ist. Sein Antlitz lag ganz im Halstuche vergraben, sein Haar war lang und wild, sein Anzug glänzend aber steif und schlechtpassend. Doch war es ein Marschallsrock, und, was mir besonders auffiel, ganz ohne Ordenszeichen. Ich war neugierig, wer diese Reliquie von 1797 sein mochte; denn abgesehen von seinem Range, den das Kleid verrieth, war er so ungemein häßlich, daß er kaum einem Menschen ähnelte. Ich erfuhr nachher, es sei der Marschall Jourdan gewesen.

Es war einigermaßen unterhaltend, die verschiednen Individuen zu beobachten, die anwesend waren, um der neuen Dynastie ihre Huldigung darzubringen. Manche waren mir persönlich und genau als treue Anhänger der vorigen Regierung bekannt; Krieger sah ich, die nicht angestanden hätten, diesen Ludwig-Philipp über die Klinge springen zu lassen, wenn Karl der Zehnte es geboten hätte. Aber die Zeiten hatten sich geändert. Jetzt kamen sie, um sich dem neuen Herrscher vorzustellen, manche um ihre Bereitwilligkeit zu zeigen, irgend eine Beförderung zu erlangen; andere um das Terrain zu erforschen; andre wieder, um ihren Verdruß zu bemänteln, und alle kamen sie, um die Umstände zu ihrem eigenen Vortheil zu benutzen. Es war zum Lachen leicht, diejenigen zu unterscheiden, welche des guten Empfanges sich sicher däuchten, da sie zur herrschenden Partei gehörten; und wieder diejenigen, die wenig zu hoffen, oder die ganz gleichgültig schienen. Die Zahl der Letztern war ganz gering. Ein mir persönlich bekannter Offizier vom Generalstabe hatte ganz das Ansehen eines Mannes, der durch ein Versehen in ein unrechtes Haus unerwartet eintritt. Er war vermöge seines Ursprungs und seiner Ansichten ein Buonapartist; aber der Zufall hatte ihn den Händen der Bourbons überliefert, und jetzt war er auch hier, um zu sehen, was vom Hause Orleans zu hoffen sei. Sein Empfang war nicht vielsprechend, und ich wußte die unentschiedene und schwankende Haltung dieses Mannes mit Nichts zu vergleichen, als mit einer von unerwartetem Kugelregen begrüßten Truppenlinie.

Nachdem wir uns eine Zeitlang im großen Gewühle, das um den König am gedrängtesten war, unterhalten hatten, näherten wir uns einem zweiten Kreise in einer andern Abtheilung des Saales, wo der Herzog von Orleans erschienen war. Er war eben mit Lafayette im Gespräch begriffen, der uns gleich darauf, einen nach dem andern, vorstellte. Der Prinz ist ein artiger schöner junger Mann, dessen Gesichtszüge weit mehr Oesterreichisches haben, als sonst irgend ein Glied der königlichen Familie, so weit ich nämlich von dem jetzigen Aussehen seiner Geschwister auf ihre künftige Gesichtsbildung schließen darf. In Gestalt, Wuchs und Bewegung gleicht er unserm W –– außerordentlich, auch in den Gesichtszügen findet sich eine große Aehnlichkeit, wiewohl letzterer hier Manches voraus hat. Während unseres letzten Aufenthaltes in Paris wurde er daher öfter für den Herzog von Chartres angesehen. Unser Empfang lief gnädig ab; der Thronerbe schien sehr bemüht, auf Jedermann einen guten Eindruck machen zu wollen.

Das eigentlich Unterhaltende sollte noch kommen. Vom Stehen ermüdet, hatten wir uns an einem Winkel des Saales etwas im Rücken des Gedränges, wo die Unhöflichkeit des Sichsetzens unbemerkt bleiben konnte, nach Stühlen umgesehen. Der König zog sich bald darauf in seine Gemächer zurück, und die Anwesenden begannen ebenfalls sich hinwegzubegeben. Bereits drei Viertel mochten schon weg sein, als ein Aide de Camp auf uns zu kam, um uns zu fragen, ob wir die drei Amerikaner seien, welche durch den General Lafayette eingeführt worden wären? Als wir dieß bejahten, bat er uns, ihn zu begleiten. Er geleitete uns an eine Thür, am andern Ende des Saals, ein Gemach in großem Maßstabe, wo wir General Lafayette antrafen, der uns erwartete. Der Aide oder Hofbeamte, oder wie sein Titel lauten mag, ging durch die Thüre, zu welcher der König sogleich heraustrat. Es schien, als ob der General, mit unserm ersten Empfange unbefriedigt, eine nochmalige Wiederholung desselben wünsche. Der König sah ernst und unzufrieden aus, und ich konnte auf den ersten Blick merken, daß er dieser außerordentlichen Huldigung gern überhoben gewesen wäre. Da Herr Mac Lane zufällig der Thür zunächst stand, so richtete er einige Worte an ihn auf Englisch, welches er ziemlich geläufig spricht, ohne sonderliche Betonung. Ueberhaupt sagte er Jedem von uns nur Weniges, und seine Aeußerungen waren ganz allgemein und ohne Bedeutung. Einmal kam er bis an T ––, fragte ihn, ob er von New-York komme; sah mich starr an, da ich etwas weiter vom Eingange stand, murmelte einige Worte, verbeugte sich gegen uns Alle und ging weiter. Mir war dieß Benehmen auffallend, aus dem Verdruß und Unwillen hervorleuchtete, und der ganze Vorgang hatte etwas Unbeholfenes und Unbehagliches. Ich zog daraus keine günstige Vorbedeutung für den Einfluß des Generals.

Unterdessen wurde der große Saal fast leer, und wir machten uns ebenfalls auf den Weg nach unserm Wagen. Der General Lafayette ging uns voran, und da er langsam ging, und gelegentlich stehen blieb, um sich zu unterhalten, so waren wir fast die Letzten im Vorsaal. Während wir durch das letzte äußere Vorgemach kamen, so blieb der General fest in der Thüre stehen, um mit Jemand zu sprechen. Herr Mac Lane und Herr T –– gingen ihm zur Seite, und deshalb blieb ich in einiger Entfernung zurück, um den Weg nicht gänzlich zu versperren. Mein Standort mußte einem gewöhnlichen Zuschauer Anlaß geben, zu vermuthen, ich gehöre gar nicht zu der Gesellschaft. Ein junger Hofbeamte (ich nannte sie Aides de Camp, wiewohl ich glaube, daß sie Kammerherrendienste versahen, eine Art Amtsverrichtung, die vielleicht in diesem republikanischen Königthume noch nicht ans Licht getreten ist) wartete im Vorgemach auf den freien Durchgang, doch schien er es für unartig zu halten, hastig an einer Gruppe, worin Lafayette die Hauptfigur war, vorbeizustreifen. Er wandte und drehte sich zwar mit einiger Unbehaglichkeit, blieb aber doch höflich entfernt. Nach einigen Minuten ging die Gesellschaft weiter, und ich blieb dennoch, das Ende erwartend, stehen. Kaum war der Durchgang frei, so sauste der Hofmann vorüber, und machte seinen Gefühlen Luft, indem er laut und deutlich ausrief: » Adieu l'Amerique!«

Es ist fast als sichere Regel anzunehmen, daß die Gedanken des Herrschers sich in der Ausdrucksweise und in dem Benehmen der Höflinge widerspiegeln. Die dem General erwiesene Achtsamkeit war mir ungewöhnlich geziert und gezwungen vorgekommen, und das Benehmen des Königs war Nichts weniger als natürlich; und manche kleine Begebnisse während dieses Abends hatten dazu beigetragen, mich bemerken zu lassen, daß der frühere große Einfluß Lafayette's bei Hofe bald auf Nichts herabkommen werde. Ich hegte von jeher kein großes Zutrauen zu einem republikanischen Könige; aber diese persönliche Berührung beider Parteien machte meine Muthmaßung gewiß, daß General Lafayette hier wieder sich durch seine eigene redliche Gesinnung und seinen gutmüthigen Charakter hatte täuschen lassen.

Während wir die Haupttreppe hinabstiegen, erwähnte ich des obenerzählten Vorfalls gegen Herrn Mac Lane, und setzte hinzu, meines Bedünkens seien die guten Zeiten für den General jetzt vorüber, und binnen wenigen Monaten könne vielleicht schon völliges Erkalten zwischen Ludwig-Philipp und Lafayette eintreten. Doch hatte für Letzteren noch in diesem Augenblick Alles einen so freundlich lächelnden Anschein, daß meine Meinung keinen Eingang finden konnte, wiewohl ich glaube, daß er bald selbst Gründe finden mochte, anders über die Sache zu denken nach einem zweiten Besuche bei Hofe. Denn einige Tage darauf erhielten wir sämmtlich die Einladung, an der königlichen Tafel zu speisen.

Gleichwohl hatte ich Jenes Adieu l'Amerique gegen General Lafayette selbst nicht erwähnt, weil ich diesen Gegenstand viel zu zart ansah, als daß ich ihn hätte berühren dürfen.

Er überraschte mich nun auf einmal mit der Frage, ob ich glaube, daß eine ausübende Gewalt, die auch nur einem einzigen Beamten, wie in den Vereinstaaten, oder eine ausübende Gewalt, die dreien oder fünfen in die Hände gegeben würde, sich für die Verhältnisse Frankreichs am besten schicken würde? So sehr ich an die Kühnheit und Beharrlichkeit seiner Meinungen mich gewöhnt hatte, so war ich doch gar nicht darauf gefaßt, seine Gedanken gerade in diesem Augenblick mit einer solchen Streitfrage beschäftigt zu finden. Doch ist der Zustand von Frankreich in der That kritisch, und es dürfte uns gar nicht wunderbar erscheinen, wenn irgend einmal eine neue Volksbewegung entstünde.

Ich erwiederte dem General Lafayette, daß nach meinem geringen Urtheile die von ihm gestellte Frage viele Seiten des Für und Wider darbiete. Die Namen würden nicht viel dabei thun; aber jedwede Regierungsform würde ihre Haupttriebfedern, die aus dem allgemeinen Wunsche und Interesse hervorgingen, jeder Zeit durch eine geschlossene Uebereinstimmung in den Ansichten erhalten, möchte nun die Macht einem Einzelnen oder einem ganzen Dutzend anheimfallen. Die englische Verfassung nähere sich zwar einer Theilung der ausübenden Gewalt; doch sei auch dort die Macht so ausgetheilt, daß an keine eigentliche Trennung zu denken sei; gingen die Sachen schlimm, so pflegten die Minister zurückzutreten; das Parlament aber führe sowohl die Controle der ausübenden, als der gesetzgebenden Gewalten der Regierung. Mir scheine jedoch Frankreich keinesweges zu solch einer Verfassung geschickt zu sein, weil die Franzosen gewohnt wären, einen ebensowohl wirklichen als blos namentlichen König zu haben; und ihre Neigung zu allerlei verstecktem Treiben werde ihre Staatskunst noch eine gute Weile schwankend und unsicher machen. Ein Directorium würde entweder die Kammern controliren, oder von ihnen controlirt werden. In dem einen Falle würde das Directorium leicht in sich selbst getheilter Meinung werden, im andern würden die Kammern in Faktionen zerfallen und keinen Ausweg finden, um das Gleichgewicht wiederherzustellen.

Er war selbst der Meinung, daß das Mittel, durch ein Directorium allem Uebel zu steuern, für den französischen Staat unausführbar sei. Weiter fragte er mich, was ich von allgemein gleicher Stimmberechtigung für Frankreich erwarte. Darauf entgegnete ich, ich hielte solches ebenfalls der jetzigen Lage Frankreichs nicht angemessen. Ich pflege nämlich wenig Gewicht auf jene ältere Ansicht zu legen, welche in Tugend und Demokratie einen ursächlichen Zusammenhang nachzuweisen bemüht sei; wenn gleich ich zugeben müsse, daß beide der Wirkung nach, nahe verbunden sein können. Ein bestimmter Grad von Kenntniß des Geschäftsganges, wie der Behandlungsweise und der Gegenstände selbst, sei von der zweckmäßigen Ausübung des Wahlrechtes durchaus unzertrennlich; damit werde nicht gefordert, daß jeder Wählende in der Theorie der Staatsverwaltung überhaupt bewandert sei; sondern es sei blos nöthig, daß den Stimmberechtigten der Zusammenhang zwischen ihrer Wahl und ihren Interessen, mit besonderer Rücksicht auf die Rechtsansprüche eines Jeden klar sei. Eine solche Einsicht sei durchaus nicht schwer zu erlangen in allem Gewöhnlichen, wo nur irgend Mittel vorhanden seien, die wirkliche Lage der Dinge kennen zu lernen. Wo dagegen irgend theoretische Fragen zur Sprache kämen, wie dieß in allen auf politische Oekonomie bezüglichen Gegenständen geschehen könne, so sähe ich nicht, wie tiefer begründete Kenntnisse die gute Sache mehr fördern würden, da meistentheils die scharfsinnigsten Männer gerade nur die äußersten Gegensätze in allen schwierigen Streitfragen ins Auge zu fassen pflegten. Was nun das jedem Staatsbürger zustehende Recht angehe und die Macht, dasselbe auszuüben, sowie seine Interessen unmittelbar in der Verfassung vertreten zu wissen, so sei dieses für sich klar, und es sei blos noch die Frage, wer zur öffentlichen ungestörten Ausübung dieses Rechtes die erforderlichen Mittel habe oder nicht; und daraus folge wiederum, daß, dasjenige, was hauptsächlich erforscht werden müsse, eben die Natur dieser Mittel selbst sei.

In dem jetzigen gesellschaftlichen Zustande sei meiner Meinung nach durchaus erforderlich, daß Jedermann lesen könne, damit er im Stande sei, sich seines Stimmrechtes mit Vorsicht und Schonung zu bedienen. In Ländern, wo Jeder liest, könnten noch andere Befähigungen vorausgesetzt werden; nur dürften freilich keine zu hohe Anforderungen gestellt werden, welche den Gesichtskreis der großen Menge zu sehr überragen; in einem Lande aber, wie Frankreich ist, würde ich Niemanden ein Stimmrecht geben, der nicht auch gelernt hätte, wie man lesen müsse, und wäre er auch so reich als Crösus.

Ich gab zu, daß das gegenwärtige System in Frankreich sich nicht lange werde halten können. Wenige Jahre möchte es sich vielleicht erfolgreich behaupten als eine Art von Reaktion; sobald aber die aufgeregten Fluthen wieder ihr gewohntes Bette gefunden, so würde der Erfolg die widerstrebenden Elemente der Vereinigung despotischer Einrichtungen mit den Erfordernissen einer freien Verfassung bald gewahr werden lassen. Dahin gehörten unter andern die vorausberechneten Sätze des Code Napoleon und die Preßfreiheit, um nicht anderer schneidender Widersprüche zu erwähnen. Das » juste milieu«, das der General so treffend beschrieben Als der König sich des Ausdrucks; » juste milieu,« zuerst bedient hatte, und seine Anhänger ihn zu ihrem Wahlspruch erwählten, da sagte Lafayette in der Kammer: »er begreife recht gut, was dieses juste milieu bedeute in irgend einem besonderen Falle; es bedeute entweder mehr oder weniger als die Wahrheit in solchem bestimmten Falle. Wenn aber eine politische Partei immer den Mittelweg wählen wolle; so komme ihm die Sache so vor, als ob, wenn ein verständiger Mensch die Behauptung aufstellte, daß Vier und Vier zusammen Acht sei, und ein Narr dagegen schreie: ›Herr, Sie irren sich; Vier und Vier macht Zehn‹; alsdann der Vertreter des Juste milieu schuldig sei, zu sagen: ›Meine Herren, Sie beide sind in Extremen befangen; vier und vier macht neun‹.« Gemeinlich heißt es, es fehle Lafayette'n an esprit. Doch dieß war bei weitem das Treffendste, das der Verfasser jemals in den französischen Kammern hörte, und überhaupt hat er Wenige gekannt, die witzigere Dinge mit mehr Anspruchlosigkeit äußerten, als General Lafayette. Das lag eben in seiner geistigen Entwickelungsweise, daß er wenig zu tieferen Forschungen hinneigte, sich aber desto mehr durch sein gesundes Urtheil auszeichnete., könnte nicht lange Stand halten; nur zu bald würde die Regierung sich zu strengen Maßregeln gezwungen sehen, um sich selbst nicht aufgeben zu müssen. Denn weder in der Politik noch in der Religion vermöge der Mensch zu gleicher Zeit »Gott zu dienen und dem Mammon.« Darauf erzählte ich ihm einen Vorfall, der mir selbst am Abend des ersten Jahrestags der jetzigen Regierung begegnet sei.

Mit einbrechender Nacht befand ich mich damals in den Tuillerien, in der Absicht, das Feuerwerk in Augenschein zu nehmen; und da ich ein wenig außerhalb des Gewühls meinen Standpunkt genommen, so war ich unter einem Baume mit einem etwa sechzigjährigen Franzosen allein. Nach einigen gewechselten Reden hielt mein Gesellschafter mich, wie gewöhnlich, für einen Engländer. Als ich seinen Irrthum berichtigt, eröffnete er sogleich eine Unterredung über die gegenwärtige Lage Frankreichs. Er fragte mich, ob ich glaube, daß die Dinge so fort gehen würden. Ich sagte: Nein, nach meiner Ansicht würden zwei oder drei Jahre hinreichen, um das jetzt herrschende System zum Schluß zu bringen. »Herr, Sie irren sich,« sagte mein Gefährte. Zehn Jahre sind erforderlich, um diejenigen, die sich seit der letzten Umwälzung der Zügel jetzt bemächtigt haben, aus dem Sattel zu heben; sämmtliche jungen Leute wachsen in den neuern Ansichten auf, und in zehn Jahren werden sie hinlänglich erstarkt sein, um die jetzige Ordnung der Dinge umzustürzen. Denken Sie an mich, das Jahr 1840 wird eine veränderte Regierungsform in Frankreich erleben! Ueber diese Prophezeiung lachte Lafayette laut auf, denn diese entsprach seiner ungeduldigen Erwartung keineswegs. Dabei spielte er auf die Verspottung an, welche seine eigne Idee: »eine Monarchie mit republikanischen Institutionen«, seither erfahren habe, und verlangte meine Meinung darüber zu hören. Meine Antwort auf diese und andere seiner Fragen legt meine Meinungen über diesen Gegenstand offen dar; und sofern ich, als Beschreiber meiner Reisen, die auf ihnen erworbenen Ansichten mitzutheilen befugt bin, will ich Ihnen solche hier in ihrer ganzen Ausdehnung andeuten. Also weit entfernt, einen Widerspruch in der Vorstellung von einem Königsthrone mit republikanischen Einrichtungen umgeben, zu finden, wie Andere solches gethan; scheint mir vielmehr gerade dieses System am meisten für den gegenwärtigen Zustand Frankreichs zu passen. In dieser Beziehung darf aber unter Monarchie nicht eine Monarchie im wahren Sinne, oder eine solche, wo die Macht des Königs überwiegt, verstanden werden; sondern im Gegentheil nur jene scheinbare Königsgewalt, wie solche jetzt in England besteht, und ehemals unter den Dogen in Venedig und Genua bestanden hat. In England hat die Aristokratie augenscheinlich alle Gewalt in Händen, mittelbar durch den König, und ich sehe nicht ein, weßhalb eine Verfassung nicht in Frankreich sollte ihrerseits herrschen können, wenn sie eine hinreichend breite Grundlage bekäme, um sie geschickt zu machen, selbst den Namen einer Republik anzunehmen. In beiden Fällen würde das Staatsoberhaupt blos die Verkörperung einer Idee darstellen; die Obergewalt würde in seinem Namen, aber nach dem Willen der Constitution ausgeübt werden; sie würde ein Widerhall des Parliaments sein, um auch dann die Meinung der gesetzgebenden Körperschaften auszusprechen, wenn jemals eine Aenderung in den Personen oder eine Aenderung in den Maßregeln nöthig werden sollte. Es ist allerdings wahr, daß in einem solchen Systeme keine wesentliche Theilung oder Trennung der gesetzgebenden von der ausübenden Macht vorn herein statt finden würde; allein dieß ist heutiges Tags und war längst wirklich der Fall in England, und seine Staatsmänner brüsten sich mit der Aeußerung, »der Plan arbeite tüchtig«. Während gleichwohl der Plan nicht halb so tüchtig in England arbeitet, als behauptet wird, außer für diejenigen, denen die wesentlichsten Vortheile daraus entsprießen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil die Gesetzgebung auf keiner hinreichenden populären Basis ruht; so arbeitet der Plan dennoch im Ganzen für das Allgemeine weit besser, als wenn er das entgegengesetzte Ziel verfolgen würde, wie solches ehemals stattfand, als noch der König das Parliament beherrschte, anstatt daß das Parliament mittelst des Königs hätte herrschen sollen. In Frankreich sind die Begebenheiten hinreichend reif, um diesem Grundsatz einige Ausdehnung zu geben, und zwar in der sichersten und heilsamsten Absicht. Die Franzosen des gegenwärtigen Zeitalters sind darauf vorbereitet, eine erbliche und politische Aristokratie entbehren zu können; da ihnen vor allen Dingen Nichts gehässiger ist, als bevorrechtete Stände, und wohl keine Nation, selbst nicht die Amerikaner, gesündere Lebensansichten und klarere Begriffe über diesen Gegenstand festhält, als eben die Franzosen. Die Erfahrung der letzten fünfzehn Jahre hat die Schwierigkeit, eine unabhängige Pairschaft in Frankreich einzuführen, hinlänglich bewiesen, ungeachtet aller Bemühungen der Regierung, die auf das Vorbild Englands sich stützend, und hierin selbst den Wünschen des Letztern entgegenkommend, doch immer erfolglos blieben. Demungeachtet sind den Franzosen die Erinnerungen und die Gewöhnungen einer Monarchie verblieben. Unter diesen Umständen sehe ich keine sonderliche Schwierigkeit, um das System Lafayettes zu verwirklichen. Vielmehr wird irgend ein Weg in diesem Sinne, wenn man die Freiheit nicht ganz verloren geben will, der sicherste sein. Denn alle Erfahrungen haben bewiesen, daß ein König, der in der That und nicht blos dem Namen nach herrscht, jederzeit mächtiger ist als das Gesetz; und die Behauptung, es lasse sich eine solche Macht durch Staatsgrundgesetze beschränken, ist nichts weiter, als ein Ding der Einbildung, das Nirgends existirt. Wohl kann ein König, der nicht blos dem Namen nach herrscht, in seinem Ansehen durch die öffentliche Stimme sinken, und durch die äußerste, mittelst des Grundgesetzes bewirkte Gegenwehr einigermaßen in Schranken gehalten werden; doch wo solch ein Fall eintreten müßte, wäre es besser gewesen, dem offenen Kampfe zuvorzukommen, und daher sollte man lieber damit anfangen, eine solche Verfassung zu begründen, welche die traurige Nothwendigkeit gewaltsamer Abwehr von vornherein unnöthig macht.

Für Frankreich ist, meiner Ansicht nach, eine Pairschaft weder ein wünschenswerthes noch ein ausführbares Unternehmen. Gewiß ist für den König wohl die Möglichkeit vorhanden, eine ausgewählte politische Körperschaft eine Zeitlang zu unterhalten, so lange er nämlich sich selbst behaupten kann, damit diese in seinem Interesse handele und seine Befehle ausführe; aber es ist eine Thorheit, einer solchen Körperschaft von Miethlingen die Eigenschaften einer Pairschaft beilegen zu wollen. Sie gleichen den berüchtigten » mandamus« Räthen, die so geschäftig waren, die Revolution in unserm Vaterlande zum eiligen Abschluß zu fördern, und gleicherweise sind sie weit geschickter, ähnliche schlechte Dienste ihrem Herrn zu leisten, als sonst irgend Andere. Sobald sie auf irgend eine Weise zu wirklicher Unabhängigkeit gelangten, etwa zu dem Grade, wo sie eine drohende Stellung im Staate einnehmen könnten; so würden sie bald durch ihre Vereinigung den übrigen Zweigen der Regierung gegenüber zuviel Gewalt erlangen, wie dies in England geschehen ist; und alsdann würde Frankreich einen »mit aristokratischen Institutionen umgebenen Königsthron« besitzen. Die Ansicht ist zwar gänge und gäbe, daß eine Aristokratie in einer Monarchie unentbehrlich sei, ist aber nichts destoweniger ein grober Irrthum. Eine Aristokratie dem Namen nach ist, in welcher Gestalt sie auch erscheinen mag, die gewöhnliche Folge der monarchischen Verfassung, schon deswegen, weil in ihr sich der Gesinnung, die Politik oder die Laune des Fürsten widerspiegelt. Dagegen wird eine verfassungsmäßige Aristokratie immerdar der königlichen Macht gefährlich. Frankreich würde demnach von der allgemeinen Regel keine Ausnahme machen; sondern weil die Menschen sehr leicht in die Täuschung verfallen können, als gehöre es mit zur Freiheit, den Einen seiner Macht zu berauben, während der Mantel derselben auf eine Minderzahl fällt; so, meine ich, würde ein solcher einschleichender Irrthum sich leicht bereitwillig zeigen, den Aristokraten bei der Verfolgung ihrer Absichten dienstbar zu werden, sobald nur die Gewöhnung einmal die Nation mit dem Bestehen einer solchen Körperschaft ausgesöhnt hätte. Allein dieses kann ich ebenfalls nur unter der Voraussetzung einräumen, daß sich die Grundlagen zur Errichtung einer Pairschaft wirklich in Frankreich nachweisen ließen; doch dieses Verhältniß muß ich geradezu, wie bereits gesagt, in Abrede stellen.

Wenn also in England ein Thron, von aristokratischen Institutionen umgeben, bestehen kann, was könnte Frankreich hindern, seinen Königsthron mit republikanischen Institutionen zu umgeben? Der Name einer Republik schließt die Idee einer Demokratie nicht aus, wiewohl es diese nicht nothwendig einschließt. Der Name Republik bezeichnet überhaupt eine Verfassung, in welcher das Gemeinwesen, das Gemeinwohl die vorherrschende und leitende Idee ist, statt der erblichen und unveräußerlichen Machtberechtigung eines Einzelnen. Daher erscheint es durchaus nicht unausführbar, eine Verfassung in Frankreich dieser Idee gemäß zu befestigen, welche die Bedingungen eines Gemeinwesens zur Grundlage hätte, und welche dennoch einen Königsthron, als erforderliches Getriebe, um den wahren Willen der Konstituenten in geeigneten Fällen kundzuthun, beibehalten könnte. Das ist Alles, was die königliche Macht in England vermag, und warum sollte solche in Frankreich noch mehr vermögen? Wollte man also, statt des Systems der wahlfähigen Boroughs in England, in Frankreich ein erweitertes Wahlsystem einführen, so würde die Idee Lafayettes völlig verwirklicht werden. Selbst das Streben der englischen Reform kann den Beweis augenscheinlich machen, daß seine Vorstellungen nicht so wunderlich sind, als man uns hat überreden wollen. Der französische Thron würde alsdann besetzt werden, wie Korsika besetzt worden ist, nicht eines wirklichen für die Nation daraus entspriessenden Nutzens halben, sondern um den Unannehmlichkeiten einer anderweitigen Besetzung vorzubeugen.

Im Laufe der Unterredung gab ich dem General Lafayette folgende Skizze von einer Verfassung für Frankreich, wie ich, wenn ich ein Franzose wäre, wünschen würde, sie Frankreich geben zu können, wenn mir eine Stimme darin gestattet würde. Ich theile Ihnen diese Aeußerungen im Einklange mit den bereits ausgesprochenen Ansichten mit, gleich einem Reisenden, der seine Bemerkungen über das Gesehene mittheilt, und zugleich, um Ihnen die genauere Beurtheilung meiner Meinungen über den Zustand dieses Landes möglich zu machen. Ich würde eine Monarchie einführen, und Heinrich der Fünfte müßte ihr König sein. Ich würde ihm seiner Jugend wegen den Vorzug geben, welche es möglich macht, ihn zu der erforderlichen Kenntniß seiner Obliegenheiten heranzuziehen; auch seiner Abstammung wegen, welche seine Herrschaft dem Namen nach befestigen würde, und, was damit nahe zusammentrifft, seine wirkliche Herrschaft; denn ich glaube fest, mehr als halb Frankreich würde aus innerem Antriebe, ungeachtet sie das Gegentheil jetzt behaupten, der gegenwärtigen Dynastie den rechtmäßigen Stamm seiner alten Könige vorziehen. Sobald dieses in Ordnung wäre, würde ich die Wahlfähigkeit so weit ausdehnen, als irgend die Umstände es möglich machten; so daß ich wenigstens eine Million bis zu anderthalb Millionen Wähler herausbrächte. Alle und jede Idee von Vertretung des Eigenthums würde ich fallen lassen, als die verderblichste, beengendste und fehlerhafteste Grundlage eines Wahlsystems, das jemals ersonnen ward, und das jederzeit den einen Theil des Gemeinwesens wider den andern in Streit bringen muß, und welches grade durch dieses Mittel das Eigenthum aller gefährdet, das es zu beschützen vorgibt. Eine ermäßigte Befähigung durch Eigenthum in Verbindung mit der Befähigung durch Intelligenz würde ich eher gelten lassen. Dahingegen vereinigt jetzt Frankreich, so wie ich die Dinge ansehe, grade die beiden schlechtesten Grundlagen zur Wahlfähigkeit, die man jemals ausgesonnen hat. Die Befähigung zu einem Wähler wird nehmlich durch einen bestimmten Beitrag direkter Steuern angegeben. Diese Wahlberechtigung ist aber so hoch angesetzt, daß sie an die Repräsentation streift, und Frankreich hat bereits so hohe Steuern, daß eine Erleichterung der Lasten eine der ersten Sorgen sein muß, mit welchen eine gute Regierung sich zu befassen hätte; daraus würde aber folgen, daß, je mehr man diesen Zweck freier Institutionen erreichte, desto geringer auch die Mittel, die Freiheit zu erhalten, werden müßten, eben durch die mit der Verminderung der Abgaben eintretende Verminderung der Wahlberechtigten; und desto leichter würde man sich darnach der Repräsentation des Eigenthums völlig versichern können. Eine einfache Regel, daß, um Wähler zu sein, man überhaupt nur Eigenthum zu besitzen brauche, würde eine weit bessere und in ihren Folgen ersprießlichere Einrichtung sein, als die gegenwärtige.

Jedes Departement müßte eine bestimmte Anzahl Deputirter senden, indem die Wahlzettel nach dem Amerikanischen Plane vertheilt würden. Ueber die Dauer der Amtsverrichtung derselben ließen sich mancherlei Betrachtungen anstellen, doch dürfte diese die Zeit von fünf Jahren nicht überschreiten, und ich würde sogar den kürzern Zeitraum von drei Jahren vorziehen. Die jetzige Pairskammer würde ich in einen Senat umgestalten, und seine Glieder sollten eben so lange walten, als die Deputirten. Ich sehe nicht ein, warum der einen Körperschaft eine längere Zeit gestattet werden sollte, als der andern; und ich getraue mir zu beweisen, daß in unserm eignen Lande aus einer solchen Einrichtung große Unannehmlichkeiten hervorgegangen sind. Auch sehe ich nicht ein, wozu es nütze, daß ein Theil periodisch austrete; vielmehr sehe ich darin einen Nachtheil, indem dadurch leicht der Fall eintreten kann, daß die ältern Abgeordneten durch ihre vielleicht bestrittenen Ansichten mit den neugewählten in Streit gerathen über die gangbarsten Ansichten der neuesten Tage. Dergleichen Zwistigkeiten sind immer in unserm Lande dem Gange der Ereignisse hemmend in den Weg getreten, und haben oftmals die Einheit und Uebereinstimmung in den Handlungen unserer Regierung vernichtet. So wollte ich auch, daß jeder Wähler für jeden Senator abstimme; auf diese Weise würden in Frankreich die Lokalinteressen durch die Deputirten vertreten werden; während der Senat im eigentlichen Sinne ganz Frankreich repräsentiren müßte. Diese vereinigten Maßregeln würden eine allgemeine Controle bewirken, und das Ministerium würde alsdann eine Emancipation des Gesammtwillens werden, wovon der König blos das Organ vorstellen würde.

Ich zweifle gar nicht, daß auch unsre Angelegenheiten einen weit bessern Fortgang haben würden, könnten wir einen Plan aussinnen, wodurch die Minister die bestehende ausübende Gewalt unnöthig machten. Der Vorschlag des Herrn Hillhouse, daß die Senatoren jährlich durch das Loos den Präsidenten bestimmen sollten, ist meines Erachtens dem Wählen desselben vorzuziehen; aber einigermaßen würde diese Weise, den Präsidenten zu ernennen, wieder der Vorwurf treffen, daß sie einen Mangel an Uebereinstimmung in den verschiedenen Zweigen der Staatsgeschäfte hervorbringe. Frankreich entbehrt weder der äußern Zugaben des Königthums, denn es hat Paläste, Parks und, was dahin gehört, in Überfluß, noch entbehrt es der dazu erforderlichen Gewöhnungen und Vorstellungen; bei uns ist von beiden Nichts zu finden. Darin liegt zugleich ein faktischer Grund, um in Frankreich das einfache Mittel zur Ernennung eines Ministeriums nicht von der Hand zu weisen; bei uns dagegen ist ein solches nicht anzuwenden. So würden wir recht gut in Frankreich einen Thron, von republikanischen Institutionen umgeben, errichten können, und wenn auch dieser Thron nicht so gewaltig als der bestehende erschiene, so würde er dagegen weit fester stehen, als ein Thron von Bajonetten umgeben, und eben dadurch Frankreich selbst am Ende mächtiger erheben.

Der Hauptmißgriff, der im Jahre 1830 geschah, bestand darin, daß man den Thron aufstellte, ehe die Republik feststand, daß man auf Menschensinn statt auf Institutionen baute.

Ich kann nicht sagen, daß Lafayette diesem Allem seinen Beifall gegeben hätte. Er hatte Gründe für die Unausführbarkeit der von mir angedeuteten Nichtberücksichtigung persönlicher Interessen, welche gegen eine solche Reform thätig und vernichtend auftreten würden; Gründe, deren genauerer Auseinandersetzung und Erwägung ich Nichts entgegen setzen konnte. In Beziehung auf den Herzog von Bordeaux blieb er dabei, daß das Reich der Bourbons in Frankreich ganz vorüber sei, das Land sei ihrer müde geworden. Es möchte anmaßend scheinen, daß ein Fremder eine andere Ansicht, einer so hohen Auctorität gegenüber, behaupten wollte, »aber können wir anders urtheilen, als nach dem, was unsere Augen sehen?« und die Wahrheit nöthigt mich, zu sagen, daß ich diese Meinung nicht unterschreiben kann. Meine eigne Beobachtung, so unvollkommen sie auch sein mag, hat mich zu diesem Resultate geführt. Ich glaube, es gibt Tausende selbst unter denen, die jetzt die Tuilerien umlagern, die sich beeilen würden, bei dem ersten die gegenwärtige Dynastie ernsthaft betreffenden Mißgeschick, die bisherige Maske abzuwerfen, und sich an die sogenannte legitime Partei anschließen würden. Rücksichtlich der Parteien halte ich die republikanische für die am meisten unternehmende, sie ist im Besitze der meisten Fähigkeiten im Verhältniß zu ihrer Anzahl, ist aber nicht eben zahlreich. Die Freunde des Königs sind theils aktive theils passive Menschen, sind die Unentschlossensten und hängen am wenigsten durch gegenseitige Uebereinstimmung zusammen; was sie verbindet, ist der Wunsch, ihr wechselndes Interesse zu fördern, und ihre Zahl übertrifft die republikanische Partei beträchtlich. Aber bei weitem die zahlreichste Partei ist die der Karlisten oder Henriquinquisten; sie sind am weitesten durch das Land verbreitet, thätig im Verborgenen, und überdem vom Landvolke, vorzüglich im Süden und Westen unterstützt.

Soviel gab Lafayette zu, was Alle jetzt einzusehen scheinen, daß es ein Fehlgriff war, dem Lande nicht vorher eine gediegenere Verfassung zu sichern, ehe man den König auf den Thron erhob. Doch meinte er, es sei weit leichter, die Weisheit einer solchen Maßregel hinterher zu beurtheilen, als ihrer im Drange der Ereignisse sich zu bedienen. Die Welt ist überhaupt über fast die meisten Begebenheiten, welche auf jene drei Tage folgten, wie ich glaube, in Irrthümern befangen.



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