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Zweiundzwanzigster Brief.

Erhabene Wüste. – Ein Morgenspaziergang. – Der »Col du St. Bernard.« – Ein See. – Lage eines römischen Tempels. – Eintritt ins italienische Gebiet. – Eine schauerlich einförmige Umgebung. – Rückkehr ins Kloster. – Geschmacklose Einrichtung des Gebäudes. – Ursprung und Bestimmung desselben. – Das Todtenhaus. – Die Hunde des Sankt-Bernhard Klosters. – Die Kapelle. – Bestattung des Generals Desaix daselbst. – Die Klosterkost und das Benehmen der Mönche. – Abreise aus dem Kloster. – Vorstellung unseres Führers von den Amerikanern. – Napoleons Uebergang über den großen Sankt-Bernhard. – Aehnliche Uebergänge in früheren Zeiten. – Fortschaffen der Geschütze über die steilen Abhänge hinan. – Napoleons ausgestandene Gefahr. – Unsere Rückkehr nach Vevey.

Mein theurer – –,

Am andern Morgen standen wir frühe auf, und als ich meinen Kopf zum Fenster hinausstreckte, da brachte mich die schneidende Luft fast in den Wahn, als seien wir plötzlich nach Sibirien versetzt worden. Kein Monat im ganzen Jahre geht hier oben ohne Frost vorüber; die Lage ist zu hoch, als daß es anders sein könnte, und da wir bereits den 27. September hatten, so war die Jahrszeit hinreichend vorgerückt, um kälteres Wetter eintreten zu lassen. Eilig legten wir unsere Kleider an und unsere Bärte ab, und gingen ins Freie, um uns umzusehen.

Mönche, Kloster und historische Erinnerungen waren bald aus unserm Gedächtnisse verschwunden beim erhabenen Eindruck der starren Oede, die um uns herrschte. Der »Col« ist ein schmaler Bergkamm, zwischen ungeheuren Berggipfeln, die sich zufällig an dieser Stelle der Hochalpenkette fortlaufend verbinden und auf diese Weise einen Bergpaß bilden, der einige tausend Fuß niedriger fortläuft, als ohne denselben hinüberzukommen möglich sein würde. Das Kloster steht nur wenige Yards vom nördlichen Abhang entfernt und gerade an der Stelle, wo die niedrigste Aushöhlung gebildet wird; vor dem Gebäude und hinter demselben erheben sich in kurzen Abständen von dem Gebäude die Felsen immer höher hinan. Ein wenig südlicher weichen die Bergspitzen hinreichend auseinander, um dem Bette eines kleinen dunkeln, winterlich aussehenden Wasserspiegels Raum zu lassen, der eine eiförmige Oberfläche zeigt, und etwa fünfzig bis sechzig Acres Land bedecken mag. Dieser See füllt fast die ganze Ebene des Col aus, und wird gegen Norden von der Lage des Klosters, östlich vom Berge, westlich vom Pfade begrenzt, für den kaum hinreichender Raum zwischen dem Wasser und den aufwärtsstrebenden Felsenwänden übrig ist, und südlich von demselben Bergpfade, der an der anderen Seite durch eine Art niedriger Mauer geschützt ist, die aus Felsenblöcken und Steintrümmern etwa zwanzig bis dreißig Fuß hoch aufgeschichtet ist. Hinter dieser rohen Mauer oder den einzelnen Felsenblöcken mochte sich ein weitausgedehntes Thal befinden.

Wir gingen also in der Richtung dieses muthmaßlichen Thals, von der Pforte des Klosters hinab, bis wir etwa dreißig Fuß tiefer uns in gleicher Höhe mit dem See befanden. Wir umgingen ihn auf dem betretenen Pfade, bloßer Felsen, der durch die Hufe von Pferden und durch die Füße der Wanderer nur allmählig gangbarer geworden ist, und so gelangten wir allgemach an die letzte Krümmung des eiförmigen Beckens. Hier war die Stelle, wo die Römer dem Jupiter der Schneegestöber einen Tempel errichtet hatten; denn dieser Bergpfad ist bereits im grauen Alterthume häufig benutzt worden. Wir betrachteten diese Stelle mit blinder Verehrung; denn diese Ueberreste hätten wir eben so gut für das Gemäuer eines Salatbeetes der Mönche halten können, denn ein solches befand sich in einer Mauereinfassung in dem Felsen ganz in der Nähe, und war fast eben so groß und, wie ich glaube, fast ebenso ergiebig, als diejenigen, welche man bisweilen auf den Gallerieabtheilungen eines Schiffes antrifft. An dieser Stelle betraten wir den Boden von Italien!

Indem wir von der Grenze aus weiter gingen, folgten wir immerfort dem Rande des See's, und gelangten zu einer Stelle, wo die Wasser an einem niedrigen Uebergange südwärts abtröpfelten; der Pfad nahm dieselbe Richtung, ging durch das Bollwerk von Felsenblöcken hindurch, und kam bis an den Rand des südlichen Abhangs, der weit steiler war, als der an der anderen Seite. Eine kurze Strecke zog sich der Pfad ganz schmal längs den Felsenmauern-Rändern hin, bis zu dem entferntesten Punkte des Bergkammes, so lange er noch »Col« genannt wird, dessen südliche Schneide unregelmäßig gestaltet war, und von dort aus zog der Pfad an den am wenigsten steilen Absätzen des Abhanges, in seiner fortgesetzten Richtung nach Italien hinab. An dem Punkte, wo wir uns befanden, mochten wir etwa eine halbe (englische) Meile vom Kloster entfernt sein, und dieses ist also die Breite des Col. Wir konnten wenigstens eine halbe Stunde tief in den braunen Bergkessel hinabsehen, ohne eine Spur von Pflanzenwuchs zu entdecken. Ueber uns, um uns, unter uns, wo irgend unser Blick ausruhete, den Himmelsraum, die fernen Eisgipfel, den See, das Kloster und seine Umgebungen ausgenommen, traf er auf nichts, als auf dunkle, dräuende, rostfarbene Felsenmassen. Alle Gebäude, selbst deren Bedachung, bestanden aus demselben Gestein und boten also durchaus nichts dar, was dieser düstern Einförmigkeit einigen Reiz verleihen konnte.

Sobald wir von unserem Spaziergange zurückgekommen waren, erlaubten wir dem Kloster und seinem langen Bestehen, der Art seiner Begründung und Einrichtung, seiner jetzigen Lage und Allem, was poetisches Gefühl für uns beide thun konnte, von Neuem auf uns einzuwirken; aber leider waren die Mönche ganz gewöhnliche Menschen, ihre Aeußerungen wie ihr Benehmen ermangelten der ruhigen würdevollen Haltung des reiferen Alters und des strengen sittlichen Lebenswandels; das ganze Gebäude hatte zu viel von dem mechanischen Treiben, vom Geruch und Rauch einer Küche; und dazu kam noch, daß das berühmte Hospiz des heiligen Bernhard sich in Beschreibungen weit malerischer ausnahm, als in der Wirklichkeit. Sogar die Klostergebäude waren in sehr schlechtem Geschmack angelegt, und sahen einem scheunenähnlichen Manufakturgebäude ziemlich gleich und sie würden ein ziemlich abstoßendes Aeußere haben, wenn das Material nicht dem Ganzen einen einnehmend düstern Eindruck mittheilte.

 

Es ist ein Unglück, daß das Schlimme so oft ein so sehr gefälliges lockendes Aeußere hat. Obschon ich ein wenig dazu aufgelegt war, den besondern Punkt des Geschmacks recht gründlich in Erwägung zu ziehen; so war ich doch auch der Meinung jenes religiösen Mannes, der seine geistlichen Lieder in Volksweisen setzen wollte, damit der Teufel nicht alle gute Musik zu seinem Eigenthum erkläre, und in dieser Beziehung halte ich es für sehr beklagenswerth, daß keine etwas bessere Uebereinstimmung zwischen Schein und Wesen auf dem großen Sankt Bernhard besteht.

Das Kloster soll von einem gewissen Bernhard de Menthon, einem Augustiner in Aosta, im Jahre 962 gestiftet worden sein, der später, seiner Heiligkeit wegen, kanonisirt wurde. Zu jenen früheren Zeiten mag diese Stiftung äußerst nützlich gewesen sein; denn an Poststraßen oder an Mac-Adamisirten Straßen wurde damals bei Alpenreisen noch nicht gedacht. Auch jetzt ist dieses Hospiz von großem Werth, da wohl neun Zehntheile derer, die hier übernachten, arme Leute sind, die nichts bezahlen. Zu manchen Jahreszeiten und bei gewissen Veranlassungen ziehen Bauern in großer Anzahl diesen Weg; mein Führer versicherte mich, er habe bisweilen in so zahlreicher Gesellschaft im Kloster übernachtet, daß es achthundert Gäste zählte, eine Mittheilung, die übrigens einer der Mönche bestätigte. Aber solche zahlreiche Wanderungen kann nur ein großer Jahrmarkt oder ein großes Fest veranlassen. Früher war das Kloster sehr reich und konnte die Unkosten der Bewirthung so vieler Gäste aus eigenen Mitteln bestreiten; aber seit der Revolution hat das Kloster den größten Theil seiner Besitzungen verloren und blos ein kleines festgesetztes Einkommen übrig behalten. Dabei hat es die Freiheit, periodische Beisteuern in der Umgegend zu erheben, und dieses trägt ihm ein Ziemliches ein. Alle, die zahlen können, lassen ein Geschenk von größerem oder geringerem Werth zurück, und mittelst aller dieser Beiträge zusammen bleibt die milde Stiftung immer noch in ihrer Wirksamkeit.

Es sterben Mehre jährlich auf dem Berge; aber Niemand kann da begraben werden, dagegen steht nicht weit vom Kloster ebenfalls ein Todtenhaus, wohin die Todten gebracht werden. Es ist ein dem Luftdurchzug offenes Gebäude und es enthält etwa vierzig bis fünfzig Leichname in jeder Art von Zerstörung bis zur völligen Verwitterung, ohne eigentlich in Fäulniß überzugehen, und es erregte das Ganze einen höchst widrigen Eindruck. Sobald das Fleisch gänzlich verschwunden ist, so werden die Gebeine in eine kleine Steinumhegung hineingeworfen, die ganz nahe dabei befindlich ist; und Schädel, Schenkelknochen und Rippen lagen hier in einem walzerähnlichen Durcheinander aufgehäuft.

Bald nachdem wir von unserem Spaziergange nach Italien zurückgekehrt waren, öffnete ein Novize eine kleine Thüre in der äußersten Mauer des Klosters, und die famösen Hunde des heiligen Bernhard brachen gleich sich krümmenden Tigern hervor, und recht affamirte Bursche schienen sie in der That zu sein. Ihre Bewegungen, ihr Schnobern und Brummen hatte etwas Elephantenähnliches; einer, der so nah an mir vorbeistrich, daß er meine Kleidung streifte, gab mir zu verstehen, daß von einem solchen angefallen zu werden, bedenklich ablaufen könnte. Fünf unter ihnen allen waren hochbeinige starke Bullenbeißer mit kurzhaarigem Pelz, langen buschigen Schwänzen und von gelblicher Farbe. Ich habe diesen sehr ähnliche Thiere in Amerika gesehen. Sie sind abgerichtet, auf dem Pfade zu bleiben, können Erfrischungen und Lebensmittel am Halse tragen, und spüren öfter im Schnee erstarrte Körper auf. Aber man hat ihren Instinkt und ihre Dienstleistungen weit übertrieben; letztere bestehen hauptsächlich darin, daß sie dem Reisenden den Weg zeigen, indem sie auf den Pfaden voranlaufen. Wenn Jemand sich im Winter verspätet hat, so sehe ich recht gut ein, daß ein solcher starker Hund dem, den er kennt und treu anhängt, von großem unschätzbarem Nutzen sein müsse. Manche behaupten, die uralte Rasse sei ausgestorben, und ihre Nachfolger ließen den Mangel der reinen Abstammung in dem Mangel der ursprünglichen Eigenschaften erkennen, wie alle Eindränglinge.

Man zeigte uns nun ein Gemach, worin sich eine kleine Sammlung von Mineralien und von römischen Ueberresten befand, die man in der Gegend der Trümmer des römischen Tempels aufgelesen hatte. Um sieben Uhr erhielten wir Kaffee, Brod und Butter; darauf trat der Prior ein und ladete uns ein, die Kapelle zu besuchen, die von mäßiger Größe und einfach verziert ist. An einer Säule ist eine Büchse befestigt mit der Ueberschrift: für die Armen, und unter den Armen auf diesem Berge werden diejenigen gemeint, welche die Gastlichkeit des Hospizes genießen; folglich war es leicht, den Wink zu verstehen. Wir ließen einige wenige Franken durch die Oeffnung gleiten, während der Prior absichtlich anderswohin sah, und es fiel uns auf, daß wir jetzt die Erlaubniß erhielten, uns wegzubegeben. Die Ueberreste des General Desaix ruhen in dieser Kapelle, und eine kleine Tafel ist seinem Andenken gewidmet. Es wäre einfältig und unvernünftig, über die schlechte Kost zu klagen, an einem Orte, wo alle Lebensmittel nur mit der äußersten Beschwerde zu bekommen sind; und daher will ich über diesen Gegenstand auch weiter nichts sagen, als daß wir das Mahl des heiligen Bernhard nicht sonderlich rühmen konnten, damit Sie doch wissen, woran Sie sind. Was das Benehmen der Mönche betrifft, so können wir freilich, in Bezug auf uns selbst, nichts anders sagen, als daß wir im geringsten nicht die warme Theilnahme und herzliche Gastlichkeit fanden, welche die Reisenden ihnen nachzurühmen gewohnt sind; im Gegentheil fiel uns die Kälte und Zurückhaltung ihres Betragens auf, und ich erinnerte mich dabei recht eigentlich an das gewöhnliche frostige Benehmen der Amerikaner. Die eigene Art von Kälte in unserem Benehmen, das aber auch leicht aus dem Abstoßenden sich plötzlich in das Vertrauliche wieder umsetzt, hat oftmals schon zu allerlei Bemerkungen Veranlassung gegeben, kann indessen nur von denen beurtheilt werden, die ein anderes Benehmen gewohnt sind. Zwei oder drei Tage nach der Rückkehr des Verfassers von seinen europäischen Reisen, nach einer Abwesenheit von fast acht Jahren, wurde in Newyork eine öffentliche Mahlzeit einem Seeoffizier zu Ehren veranstaltet, und er erhielt eine Einladung, derselben als Gast beizuwohnen. Hier fand er eine große Gesellschaft, von denen die Hälfte ihm persönlich Bekannte waren. Ohne eine einzige Ausnahme redeten diejenigen, die mit ihm sich in ein Gespräch einließen (und zwei Drittheile seiner Bekannten sprachen mit ihm kein Wort), ihn auf eine Weise an, als ob sie ihn nur etwa seit der vorigen Woche nicht gesehen hätten, und Jedermanns Benehmen war so kalt und verschlossen, daß er nur mit Mühe sich überreden konnte, es sei gar nichts Störendes vorgefallen. Er konnte nicht wohl annehmen, man habe ihn eingeladen, um ihn nachlässig zu behandeln, und er versuchte daher, alte Erinnerungen wieder aufzufrischen. Doch die Kälte war so allgemein, das es ihm unmöglich wurde, das Ende des Mahles abzuwarten. – Dieses Benehmen mag zur Ordensregel gehören; es mag die Folge sein der gewohnten und unaufhörlichen Anforderungen an ihre Aufmerksamkeiten und Dienstleistungen; es mag vielleicht nur Laune sein; oder es konnte eine Folge der Vorurtheile gegen das Land sein, wo wir herkamen, Vorurtheile, welche in dem gegenwärtigen erregten Zustande von Europa weit greller sich äußern, als es sonst der Fall gewesen wäre.

Unsere Maulthiere standen bereit, und wir verließen diesen Ort sogleich nach dem Frühstück. Ein Felsenrücken ganz nahe an dem Hospiz bildet die Wasserscheide für die auf dieser Berghöhe entspringenden Bäche. Hier lag noch etwas Schnee, und auch an der nördlichen Seite des Abhanges waren einige Schneehaufen, die noch vom vorhergehenden Winter herrührten.

Wir zogen vor, die erste Stunde Weges zu Fuße zu gehen, und so kamen wir an die früher erwähnte Zufluchtshütte. Den Tag vorher hatte unser Führer uns allerlei Neuigkeiten erzählt. Unter andern Dingen brachte er vor, er sei vor kurzem mit einer amerikanischen Familie in dem Kloster gewesen, und beschrieb diese als Leute von ganz eigenthümlichem Aussehen und von eigenthümlichem Geruch. Als wir ihn ein wenig ausfragten, da fand sich's, daß er eine Gesellschaft farbiger Leute aus Sankt Domingo hinaufbegleitet hatte. Sein Kopf schien rücksichtlich Amerikas ein vollkommenes Babel zu sein; denn er betrachtete es nicht wie einen Weittheil, sondern als einen Landstrich, unter einer Obrigkeit und von einer einzigen Nation bewohnt. Dergleichen Albernheiten waren wir schon gewohnt, und da wir sahen, daß er uns für Engländer hielt, so zogen wir den ehrlichen Wicht tüchtig auf wegen seiner Nasenqual, die er in solcher Gesellschaft hatte erdulden müssen. Beim Hinuntersteigen fiel es uns ein, daß wir der Gesellschaft, die wir in Bex verlassen hatten, begegnen würden, und unser Begleiter hatte sich auf das Zusammentreffen mit ihnen bereits gefaßt gemacht. Bald nachdem wir an dem Zuflucht-Häuschen vorüber waren, trafen wir mit jener Gesellschaft zusammen, und unser Führer war ganz erstaunt, und nachdem wir uns trennten, versicherte er ganz ernstlich, es müsse, wie er sehe, zweierlei Arten von Amerikanern geben; denn diejenigen, denen wir eben begegnet seien, hätten durchaus keine Aehnlichkeit mit denen, die er nach dem Kloster begleitet habe. Möge dieser kleine Vorfall eine Veranlassung werden zum Eindringen einiger neuen Ansichten über die »zwölf Millionen« ins Walliser Gebiet!

Die Bevölkerung dieses Kantons, vorzüglich die Frauen, hatte auf dem Berge ein weit gefälligeres Ansehen, als in dem Thale. Nachdem wir Martigny verlassen, kam uns kein Kreidling mehr zu Gesicht; und unter den Frauen waren zarte Gesichtszüge und weiße lebhafte Gesichtsfarbe ganz gewöhnlich.

Vermuthlich wünschen Sie etwas von dem berühmten Uebergang Napoleons über diesen Paß zu erfahren, und von den Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte. Was den Weg hinan betrifft, hat man die Berichte über diese Schwierigkeiten sehr übertrieben. Schon öfter sind Heere über den Paß des großen Sankt Bernhard gegangen. Im Jahre 69 führte Aulus Cäcinna seine Barbaren hinüber. Die Langobarden überschritten ihn im Jahre 1000; eben so haben mehre Heere später in den Feldzügen Karls des Kühnen, so wie auch zu andern Zeiten überschritten. Um das Jahr 900 kamen auf diesem Wege zahlreiche Schaaren türkischer Seeräuber herüber und besetzten den Paß von Saint-Maurice. So ist also die Geschichte voll von Begebenheiten, welche die Idee zu einem wiederholten Uebergange leicht erwecken konnten.

 

Das ist noch nicht Alles. Seit der Zeit, als die Franzosen im Jahre 1796 in die Schweiz eingerückt waren, haben einzelne Heeresabtheilungen diesen Berg besetzt gehalten, und selbst Schlachten auf demselben geliefert. Die Oesterreicher hatten es dahin gebracht, den Gipfel zu umgehen, und schlugen sich einen ganzen Tag hier mit ihren Feinden herum, die endlich das Feld, oder vielmehr den Felsen behaupteten. Ebel schätzt die Anzahl fremder Truppen, die diesen Bergpaß zwischen den Jahren 1798 bis 1801 überstiegen, auf 150000 Mann, die Armee Napoleons miteinbegriffen, welche 30000 Mann stark war.

 

Diese Thatsachen an sich selbst, und es lässt sich gegen ihre historische Wahrheit nichts einwenden, geben dem besprochenen Ereignisse ein ganz anderes Ansehen, als man gewöhnlich die Sache, als sei es ein ganz ausserordentliches Unternehmen, was der Erste Consul hier gewagt, in Beziehung auf die Schwierigkeiten der Ersteigung dieses Bergpasses darzustellen pflegt. Wenn eine kleine Gemeinde jahraus jahrein im Stande ist, die Bedürfnisse von 8000 Menschen hinaufzuschaffen, so konnte für einen Mann, der über das ganze Frankreich zu verfügen hatte, die Schwierigkeit, eine Armee über diesen Paß zu führen, nicht so ungeheuer groß sein. Als wir Martigny verlassen, fing ich sogleich an, mir alle Schwierigkeiten des Weges recht genau einzuprägen, und obschon die Straße von dort bis nach Liddes seit dreißig Jahren wahrscheinlich ziemlich verbessert worden ist, so betrachtete ich die schlechteren Stellen des Weges desto aufmerksamer; ich muß aber gestehen, daß ich in meiner Kindheit durch die neuen Ansiedelungen in meinem Vaterlande in einer schweren hohen alterthümlichen Kutsche über Straßen gereist bin, die eben so schlecht, und dazu über manche Wege, die weit gefährlicher waren, als irgend eine Stelle dieses Weges, bis nach Liddes nämlich. Selbst eine bedeutende Strecke der Straße von Liddes aus ist nicht schlimmer, als die Landstraßen, die wir sonst bei uns zu bereisen hatten; aber für die beiden letzten Stunden Weges werden Räder völlig nutzlos. Als wir diesen Pfad aufwärts ritten, frug mich C – –, auf welche Weise ich glaubte, daß man Geschütze die steilen Abhänge hinaufbringen könne. Ohne mich lange zu besinnen, antwortete ich ihm, ich würde aus Lärchen- oder Fichtenstämmen Schlitten machen lassen, ein Auskunftsmittel, welches von Zwanzigen wenigstens Neunzehn einfallen würde. Später hat mir der Herzog von – –, der während dieses Zuges ein Adjutant Napoleons war, selbst gesagt, dieses Hülfsmittel sei auch wirklich angewandt worden. Mehre tausend Schweizer Bauern wurden damals aufgeboten, welche die mit der Artillerie beladenen Stämme die steilen Bergpfade hinaufziehen mußten. Ich halte es sogar nicht für durchaus unausführbar, Kanonen auch auf Rädern hinaufzuschaffen, aber der andere Weg ist als der leichteste und sicherste bei Weitem vorzuziehen. Kurz, ich zweifle keinesweges, was Anstrengung und natürliche Beschwerlichkeiten betrifft, daß wohl hunderte von Märschen durch die Sümpfe und Wälder in Amerika gemacht worden sind, in welchen Meile für Meile weit größere Hindernisse und Fährlichkeiten zu überstehen waren, als auf diesem so hochgerühmten Alpenübergang. Die Franzosen hatten, wie Sie sich erinnern werden, auf diesem Wege keinen Feind zu bekämpfen, und waren überdieß bereits im ungestörten Besitz des »Col«, denn bereits ein Jahr lang lag eine französische Garnison im Kloster.

 

Das große Verdienst des ersten Konsuls lag nicht in dem Uebergange, sondern in der Ueberraschung, in der wohlberechneten kriegerischen Anordnung des Zuges und in den glänzenden Erfolgen seines unerwarteten Vordringens. Wäre er geschlagen worden, so bin ich überzeugt, daß dann wenig Menschen daran gedacht hätten, seinen Uebergang für sich allein so hoch zu rühmen; vielmehr würden dann Manche ihm vorgeworfen haben, daß er die Felsenmassen als Hinderniß des möglichen Rückzugs hinter sich gelassen hätte. Da er aber nicht geschlagen wurde, so trägt natürlich die Kühnheit des Marsches, die bisweilen eine große militärische Maßregel sein kann, recht eigentlich dazu bei, seinen Ruhm zu erhöhen.

 

Unser Führer zeigte uns eine Stelle, wo nach seiner Erzählung das Pferd des ersten Konsuls ausglitt und ihn einen Abhang hinuntergleiten ließ, als seine Umgebung ihn noch schnell genug beim Rockzipfel faßte, wobei einiges Gestrüppe wohl auch den Fall aufhielt. Diese Erzählung kann wahr sein; denn der Mann behauptete, diesen Umstand von dem Führer vernommen zu haben, der sich zu der Zeit bei Napoleon befand, und ein Fehltritt eines Pferdes kann auch wohl einen Sturz dieser Art verursachen. Der Abhang war steil und hoch; wäre der erste Konsul wirklich an dieser Stelle hinabgestürzt, so würde er gewiß nie die Höhe des Sankt Bernhard erreicht haben.

 

Sobald wir wieder nach Liddes gekommen waren, setzten wir uns wieder in den Wagen und fuhren noch frühe genug nach Martigny hinab. Hier bekamen wir ein anderes Fuhrwerk und kamen durchs Thal hinunter über Martigny und über die Brücke zum Thore des Kantons hinaus, wieder nach Bex, wo wir kurz nachdem es dunkel geworden, eintrafen.

Den nächsten Morgen waren wir frühe Morgens unterweges nach Villeneuve, um das Dampfboot nicht zu verfehlen; dieses gelang auch nach Wunsch, und wir befanden uns bald darauf vor Vevey, und konnten unser Frühstück in » mon repos« einnehmen.



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