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Zweiter Brief.

Die Cholera in Paris. – Deren fürchterliche Verwüstung. – Verödung der Hauptstadt. – Mein Entschluß, zu bleiben. – Todesfälle in den höhern Ständen. – Unerwartete Ankunft und Abreise. – Preiswürdiges Benehmen der Behörden. – Die Karikaturen über die Cholera. – Einladung eines englischen Generals. – Atmosphärische Erscheinungen, die Ankunft der Cholera verkündend. – Lord Robert Fitzgerald. – Diner im Hause von Madame B – –.

Lieber – –

Wir haben wenig Beschäftigung seit meinem letzten Brief gehabt, außer mit der Cholera, die sich in dem Herzen dieser großen menschenerfüllten Hauptstadt, gleich einer Bombe, niederließ. Seit meinen Ausflügen an die Grenzen im letzten Jahre und unserm glücklichen Entgehen der Quarantaine, hatte ich dieses Unheil fast vergessen, als zufällig an meinem Tische die Rede darauf kam, weil grade eine ärztliche Person sich unter den Gästen befand. Dieser benachrichtigte uns auf vorsichtige Weise, daß in der Fakultät unangenehme Vermuthungen stattfanden, und daß man die Besorgniß hege, Paris werde dem immer näherrückenden Uebel nicht entgehen. Daran fügte er noch im Vertrauen gegen Einige unter uns hinzu, er habe eben einen Todesfall gehabt, den er keiner andern Ursache als der ächten asiatischen Cholera zuschreiben könne.

In den nächsten Tagen wurden einige Besorgnisse in den Zeitungen angedeutet, und mit schreckenvoller Eile folgten nun die Berichte, in welchen die Zahl der täglich Sterbenden bis zu Tausenden stieg. Wie durch einen bösen Zauber veränderte sich das Aeußere der Stadt; denn die Fremden flüchteten allgemein, und die gewohnten Gesichter derer, die in den Nachbarstraßen uns täglich vor Augen traten, standen gar bald auch auf der Todtenliste. Eine ganze Reihe von Aepfelhändlerinnen saß an den Straßenecken, zwischen der Rue St. Dominique und dem Pont-Royal, deren Gesichter uns ganz befreundet geworden, wegen des lebhaften Handels, den unser P. mit ihnen trieb, so oft wir zwischen unserm Hotel und den Tuilerien an ihnen vorbei mußten. Diese waren mit einem Mal verschwunden; die letzte von ihnen war; wie ich vernahm, von ihrem Stuhl gesunken, und ehe die ihr zu Hülfe Kommenden das nächste Hospital mit ihr erreichten, bereits verschieden.

Ein Vorfall mag unter so vielen dazu dienen, Ihnen ein schwaches Bild zu entwerfen von dem Zustande von Paris in diesem Augenblicke allgemeiner Bedrängniß. Eine Schwefelholzhändlerin ward am Thore plötzlich von dem Uebel ergriffen, und man hob sie auf einen der steinernen Sitze, deren sich die Dienstboten zu bedienen pflegen. Ich ließ sie in den Hof tragen und die von der ärztlichen Behörde empfohlenen Mittel anwenden. Die Kranke war ein starkes Weib in mittleren Jahren, ihre Mutter war bei ihr; sie kamen aus einem entlegenen Dorfe, um einige Sous durch den Verkauf von Schwefelhölzern zu verdienen. Während man ihnen ärztliche Hülfe leistete, sah ich gelegentlich, auf welche Art dieß arme Volk das Leben fristet. Ihre Nahrung bestand aus trockenen Stücken Brod, das sie auf dem Herwege gebettelt oder gekauft hatten.

Während zwei oder drei vor uns mit der Tochter beschäftigt waren, knieete die Mutter auf dem Steinpflaster, um für ihr Kind, für uns und für sich selbst zu beten. Es lag etwas unbeschreiblich Rührendes in der Aeußerung der natürlichen innigen Anhänglichkeit dieser so tief ins Elend versenkten Wesen. Jemand drückte der alten Frau ein Fünffrankenstück in die Hand; sie dankte zwar dem Gebet, aber ohne einen Blick von der Tochter zu verwenden, in derem Antlitz die Züge des nahenden Todes immer deutlicher wurden, und sie schien eine Weile darauf noch nicht zu wissen, was sie in der Hand hielt. Die Hospitalträger brachten die Kranke weg; die Mutter versprach wieder zu kommen, um uns Nachrichten zu bringen, sie blieb einige Tage aus; wir fragten im Hospitale nach; beide waren gestorben!

Auf diese Weise wurden zehn- bis fünfzehntausend Menschen binnen einigen Wochen hingerafft. Nicht blos einzelne Häuser; nein, bisweilen ganze Straßen beinah starben aus. Da Jedermann flüchtete, dessen Verhältnisse und Umstände solches verstatteten, so werden Sie sich wundern, daß wir vorzogen, in der Stadt zu bleiben. Als die Zahl der Todten täglich zu acht bis neun Hunderten stieg, und die Krankheit in unser Stadtviertel einzudringen begann, so hielt ich es schon der meiner Obhut anvertrauten Personen wegen für Pflicht, mich an einen Ort zu begeben, der außerhalb der Grenzen des Krankheitsgebiets läge. Unsre Koffer waren schon gepackt, die Pässe unterzeichnet, der Wagen im Hofe, als A – – plötzlich krank wurde. Dieß war zwar nicht die Cholera; aber nunmehr überlegte ich, welche Folgen es haben könnte, wenn irgend ein Glied unserer Gesellschaft, vielleicht gar ich selbst, in irgend einem Dörfchen der Umgegend krank würde; welch ein hülfloser Zustand für Frauenzimmer in einem fremden Lande dieß sein müßte. Deßhalb wurde beschlossen, dazubleiben und sich der Vorsehung vertrauensvoll zu überlassen. Wir blieben also in unserer Wohnung während der ganzen Zeit, obschon einige leichte Anfälle der Krankheit in unserm Hause und hunderte in der Nähe ringsum vorkamen.

Die Art, wie Einzelne unserer Bekannten, gleichsam vor unsern Augen wegstarben, war furchtbar überraschend. Heute konnte es unerwartet heißen, der Milchmann sei todt; gestern war es der Fleischersjunge; gleich darauf bringt ein neuer Bedienter eine Meldung von einem guten Freunde, und, nach seinem Vorgänger fragend, hören wir, der sei todt. Dergleichen Fälle ereigneten sich zehn bis fünfzehnmal im engern Kreise unserer nächsten Bekannten.

Anfänglich waren die Todesfälle in den höhern Klassen vergleichungsweise nicht zahlreich; späterhin aber drang die Krankheit in die Reihen der angesehensten Personen ein. Dazu gehörte Herr Perrier, der erste Minister, und der General Lamarque. Auch der Prinz Castelcicala, der neapolitanische Gesandte, ist in unsrer Nachbarschaft an dieser Krankheit gestorben, gleich mehren Andern. Ganz nahe bei uns ist eine kurze Straße, aus der man allein siebzig bis achtzig Todte hinausgetragen haben soll. Die Lage dieses Stadttheils ist etwas niedrig, und die Straße liegt besonders tief.

Dr. S. aus Nordkarolina, der gleich andern Aerzten sich durch Selbstaufopferung und wissenschaftlichen Eifer hervorgethan, gab uns wöchentlich ein oder zweimal Nachricht, wie es mit der Krankheit stehe, und richtete sich dabei in seinem Urtheile mehr nach dem Augenschein in den Spitälern, als nach den öffentlichen Bekanntmachungen, die unvermeidlich und vielleicht auch absichtlich nicht genau sein konnten. Nach ihm starben von den ersten hundert Kranken, die ins Hotel Dieu gebracht wurden, Alle, bis auf einen Einzigen, und dieser Einzige war nur muthmaßlich von der asiatischen Cholera ergriffen gewesen.

Während dieser Zeit zeigten die sonst so lebhaften Straßen von Paris, und noch dazu, in der Periode, wo sonst die meisten Fremden diese Lebhaftigkeit vermehren, jetzt die traurigste Verödung. Oft ging ich allein auf der Terrasse der Tuilerien spazieren, während außer mir keine zwölf Menschen im Garten zu sehen waren, und nicht selten fuhr ich von meinem Hotel in der Rue St. Dominique nach der Place Vendòme, ohne auch nur einem halben Duzend Wagen zu begegnen, Fiacres und Cabriolets de Place mit einbegriffen.

Einmal kam ich aus der Rue de la Paix zu Fuße nach Hause, als gerade die Krankheit am ärgsten wüthete, und ich fand diesen heitern und prachtvollen Stadttheil ganz vorzüglich öde; kaum ein lebendes Wesen war auf den Straßen, außer den Lohndienern, den Laquaien und Kammerzofen der öffentlichen Gasthäuser, deren es in diesem Stadttheile so viele giebt. An den Thüren sah man diese mit unterschlagenen Armen stehen, ein ruhiges Bild des ungewohnten Stilllebens in solcher Umgebung. Da kamen zwei Reisekutschen durch die Rue de Rivoli näher, und dieß brachte einige Bewegung unter diese Leute, die so ganz des täglichen Brods wegen von den Fremden abhängen. Alsobald erscholl der allgemeine düstere Zuruf von einer Gruppe zur Andern: » on part!« bis Einige durch den Schmutz der Wagenräder aufmerksam gemacht, plötzlich ausriefen: » on arrive!« Die Erscheinung von Fremden wirkte in diesem Augenblicke gleich einem Zauberschlage, Ich selbst war nicht wenig über ihren Anblick erstaunt, und noch mehr war ich es, als eine Hand vom Kutschenschlage her mir zuwinkte. Es war Herr H –– aus New-York, ein alter Schulkamerad, ein Freund, dem wir schon öfter auf unsern Reisen durch Europa begegnet waren. Er kam eben mit seiner Familie aus England an, und wunderte sich, daß es in Paris so gar nicht lebhaft wäre, und sagte mir, im andern Wagen sitze Herr van Büren. Sein Besuch in Paris fiel in einen ungünstigen Augenblick. Den andern Morgen besuchte ich die Familie H – – und es ward verabredet, daß wir den andern Tag mit einander in der Rue Dominique zubringen würden: aber sie ließen uns vergeblich warten. Tags darauf erhielt ich einen Brief von O – – aus Amiens datirt, auf seinem Rückwege nach England! Sie waren unbesonnen hergereist, und weise thaten sie daran, von diesem Schauplatz des Schreckens wieder wegzueilen. Herr van Büren blieb, wie ich hörte, auch nur wenige Tage.

Während die meisten unserer Bekannten die Stadt verließen; so hielten es doch manche für gerathener, in der gewohnten Umgebung ihrer bequemen Wohnungen zu bleiben, als sich den Zufälligkeiten einer Reise auszusetzen; zumal da in kurzer Zeit der größte Theil des nördlichen Frankreichs von derselben schrecklichen Seuche befallen wurde. Die Behörden benahmen sich vortrefflich und gaben mehre Beispiele von Selbstaufopferung für das Gemeinwohl; in einzelnen Personen zeichnete sich der Charakter der Franzosen sehr vortheilhaft aus. In dieser Hinsicht kann ich wohl sagen, daß Paris sich weit besser benommen, als London, obschon die Meisten das Gegentheil zu glauben geneigt sind. Man kann in der Regel annehmen, daß die Franzosen weit weniger, als Andere, dazu geneigt sind, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen; aber auf der Stelle und im Augenblick, wo es galt, beobachtet, hat meine Achtung vor ihren Gesinnungen und ihrer Menschenfreundlichkeit durch die Art ihres Benehmens während dieser Zeit bedeutend zugenommen. Ungeachtet der Schauer der furchtbaren Krankheiten offenbarten sich doch oftmals einige der hervorstehenden Züge des Nationalcharakters. Unter andern lieferten Künstler mehre Karikaturvorstellungen der Cholera! Man wird nach und nach so hart durch die Gewöhnung an die von allen Seiten drohende Gefahr, daß man endlich bei solchen Proben abgestumpften Gefühls in das Lachen Anderer miteinstimmt. Sonderbar genug äußerte sich der Menschen wunderlicher Sinn unter harten Prüfungen der Art. Während einer der schlimmsten Perioden der Krankheit begegnete ich einem Landsmann, dem es sonst nicht an Geistesgaben mangelt, der aber die Schwäche hat, das demokratische System unseres Vaterlandes als dessen schlimmsten Flecken zu tadeln. Ich fragte ihn, warum er jetzt in Paris bleibe, da er weder durch Familie noch andere Verhältnisse hier festgehalten werde? »Warum nicht gar«, sagte er, »diese Seuche tödtet ja nur das Lumpenpack; mir liegt Nichts daran – vielleicht Ihnen?« Ich erwiederte, daß ich in meinen Verhältnissen mich unbehaglich fühle, aber doch nicht so sehr, um aufs Geradewohl zu flüchten. Nach einigen Tagen traf ich ihn nicht mehr; er war ebenfalls geflüchtet, wie ich hörte; denn einige Adlichen starben in unserm Stadttheil, und da er merkte, daß die Krankheit sich auch an die höhern Stände wage, so trieb ihn die mitfühlende Angst zur Flucht.

Während die Seuche den höchsten Grad erreicht hatte, sandte ein alter englischer Officier vom Generalstabe, der früher in Indien gedient und jetzt in unserer Nähe wohnt, eine Einladung an mich, mit ihm zu Mittag zu speisen. Ich war es müde, Niemanden besuchen zu können, und ging hin. Hier fand ich eine solche heitere Stimmung, als ob wir uns in dem gesündesten Luftkreise Europas befänden. Herr ––, mein freundlicher Wirth, sagte, er sei an dieses indische Klima längst gewohnt, und die beste Vorbauungskur gegen eine solche Seuche sei gut Essen und Trinken. Ehe wir zu Tische gerufen worden, war eben der Graf – – eingetreten, der mir zuflüsterte, Tags zuvor habe man zwölf bis fünfzehnhundert Menschen begraben, obschon man weniger als tausend in den öffentlichen Blättern genannt hätte. Dieser Herr theilte auch eine sonderbare Anekdote mit, die er aus achtungswürdiger Quelle habe und widergebe, so sagte er, wie er sie gehört. Etwa zehn Tage vor dem Eintreffen der Cholera habe einer seiner Freunde einen von den polnischen Generalen eine Strecke weit zum Mittagsmahl aufs Land begleitet. Als sie aus dem Hause traten, blieb der Pole stehen und betrachtete den Himmel aufmerksam. Sein Begleiter fragte ihn, wornach er sehe; da deutete der Pole nach einem düstern Schimmer in der Athmosphäre von ganz eigenthümlicher Art, und sagte: »In weniger als zehn Tagen wird die Cholera hier sein, denn dergleichen Erscheinungen gingen ihr im Norden immer vorher.« – Genug, wie Herr von – – sagt; denn ich erzähle, was ich gehört habe. Herr – – machte mir auch das Vergnügen, mich bei einem alten freundlichen ehrbaraussehenden Herrn bei dieser Gelegenheit einzuführen, der ganz unseren gutherzigen und friedliebenden Alten aus den vergangenen Zeiten ähnlich sah, die sich unter der geräuschliebenden, vorlauten, geldsüchtigen Race der neuern Zeit ganz und gar verloren hat. Es war Lord Robert Fitzgerald, ein Bruder des unglücklichen Lord Edward sowohl, als jenes Mannes Bruder, der in seinen liebenswürdigen einfachen Briefen so unterhaltend als »Plenipo Bob« sich vernehmen läßt. Dieser Mann ist nun auch gestorben und, wie ich höre, ebenfalls der Cholera als Opfer gefallen.

Ich war noch bei einem andern Diner während dieser Zeit der Verödung, bei Madame B ––, einer Dame von solchem großen Einfluß, daß sie in ihrem Hause Leute von den abweichendsten Ansichten und von den verschiedensten Charaktern versammelt. Bei dieser Gelegenheit hörte ich zu meinem Erstaunen einen der Gäste, den Marschall – – die Bemerkung machen, daß manche die Cholera für ansteckend hielten. Es wäre nicht zu verwundern, wenn solche Meinungen im großen Haufen vorkommen; aber ich war nicht darauf gefaßt, in einem so hohen Kreise dergleichen zu hören.

Bei diesem Diner sagte ein Anderer, unter den Thürstehern sei die Sterblichkeit furchtbar gewesen. Einer seiner Freunde besitze fünf Hotels, und deren Portiers seien sämmtlich gestorben!



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