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Zweiter Theil.
Ausflug an den Rhein.


Dreizehnter Brief.

Fähre über den Rhein. – Das Dorf Rüdesheim. – Der Hinterhäuser Wein. – Trunkliebe. – Neapolitanische Neugierde rücksichtlich Nordamerika's. – Aufzählung von Rheinweinen. – Ingelheim. – Der Johannisberg. – Kloster-Weine. – Unverhältnißmäßige Preise. – Schloß und Berg von Johannisberg. – Der Nassauer Staat. – Das Schloß zu Bieberich. – Die Gärten. – Wiesbaden. – Oeffentliche Spaziergänge. – Frankfurt am Main.

Lieber – –,

Ungefähr eine Stunde, nach dem wir die Rittersteiner Veste verlassen hatten, kamen wir über die Brücke, welche nach Bingen führt. Wieder hatten wir, als ächte Pflastertreter, noch nicht ausgemacht, wo wir die Nacht zubringen wollten, und gar nicht, wie Pflastertreter, blickten wir jetzt ungeduldig nach dem jenseitigen Rheinufer in das nassauische Gebiet hinüber. Eine Brücke war nicht da; vielleicht doch eine Fähre. Ich winkte dem Postmeister, der an den Kutschenschlag kam, um ihn deßhalb zu fragen. »Gewiß, wir haben eine Fähre, so gut eine in Deutschland zu haben ist.« – »Und können wir mit Ihren Pferden uns der Fähre anvertrauen?« - »Ja, ja, das thun wir öfter.« – Die Sache war in einer Minute in Ordnung. Die Vorspannpferde wurden in den Stall zurückgeführt, und mit den zwei übrigen Pferden fuhren wir zum Wasser hinab. Ein Fahrzeug stand schon bereit, und mit Hülfe eines Spriet-Segels befanden wir uns in der Mitte des Stromes, ehe wir uns noch recht darüber besonnen hatten. Binnen zehn Minuten landeten wir im berühmten Rheingau, am Fuße eines Hügels, an dem die Weinstöcke Rüdesheims empor grünten. Eine alte Sage erwähnt: »wie Karl der Große von seiner Burg zu Ingelheim aus dem Fenster bemerkte, daß der Schnee auf der Höhe über Rüdesheim eher wegschmolz, als auf den benachbarten Hügeln, so ließ er daselbst Rebengelände anlegen.« Was ist aus Karln dem Großen und aus seinen Nachkommen geworden? Niemand kennt sie mehr; aber die Nachkömmlinge seiner Weinpflanzungen sind fortwährend vorhanden.

In wenigen Minuten folgte uns François mit der Reisekalesche und den Pferden, und bald befanden wir uns bequem unter Dach in einem Wirthshause des Dorfes Rüdesheim. Hier sahen wir uns auf einmal mitten in die reichste Weingegend von Europa, vielleicht von der ganzen bewohnten Erde, versetzt. Ich sah meinen Wirth neugierig an, um zu sehen, welchen Eindruck diese Bemerkung auf ihn machen werde; doch er schien aus der Sache keinen Vortheil ziehen zu wollen. Er erzählte, eben habe ein öffentlicher Verkauf von Weinen stattgefunden, bei dem ich hätte dabei sein sollen; er beschwerte sich, gar manche saure und herbe Sorten seien von Leichtgläubigen als ächter labender Wein aufgespeichert worden; und sagte, möchten auch Andere den Johannisberger vorziehen, er nehme gern mit gutem Hinterhäuser Hinter den Häusern, so genannt, da die Weinreben auf flacherem Land als der Hügel, hinter dem Dorf standen.
Diese Fußnote fehlt in der deutschen Übersetzung und ist gemäß dem Originaltext eingefügt. Anmerkung zur Übertragung in den E-Text.
vorlieb. –»Ob ich eine Flasche versuchen wolle?« Der Vorschlag war annehmbar, und bei der Mahlzeit versuchte ich eine Flasche von seiner ältesten und besten Sorte; und fortan muß ich mich ebenfalls für den Rüdesheimer Hinterhäuser erklären. Man kann davon nicht leicht ein Maß trinken, ohne seine Wirkung zu spüren, wie das mit vielen französischen Weinen angeht; aber ich bin überzeugt, daß »dieser der wahre Artikel für unsern Markt« ist, um mich eines ächten Manhattanesischen Ausdrucks zu bedienen. Er ist wohl geeignet, eine Seereise auszuhalten, ohne deßhalb ein so starkes Gebräu zu sein, als das, was bei uns unter dem Namen Madeira und Sherry getrunken wird.

Es ist eine eigene Erscheinung, daß man nur in Gegenden des Weinwachses sich auf den rechten Gebrauch dieser köstlichen Naturgabe versteht. In solchen Gegenden gehört der Wein nicht zu den Luxusgegenständen, sondern zu den täglichen Bedürfnissen; man übertreibt selten den Gebrauch desselben bis zum Mißbrauch, von der wohlthätigen Wirkung desselben kann man sich nicht so leicht eine Vorstellung machen, wenn man solche nicht selbst mitempfunden hat. Ich will damit nicht sagen, daß es in diesen Gegenden keine Neigung zum Trunk gebe, denn diese ist wahrscheinlich in Frankreich, Deutschland, Italien und in der Schweiz eben so häufig, als bei uns; aber die Trinker in diesen Gegenden bedienen sich weit seltener jener angreifender Getränke, die überall unter den Namen: Branntwein, »Agua diente«, u. dgl. bekannt sind. Eines Tages fuhr ich über die Bai von Neapel in meinem gemietheten Segelboote: la divina providenza, welches mit ein und zwanzig Ruderern bemannt war, denen ich gerade eben so viel zahlen mußte, als mich Wagen und Pferde auf eine gleiche Zeit gekostet hätten. Da fiel es auf einmal dem Padrone ein, der sich gerade mit uns eingeschifft hatte, sich über Amerika, die dortige Lebensart und vorzüglich über die Verhältnisse der arbeitenden Klassen zu erkundigen. Unsere Antworten bewirkten eine ziemliche Aufregung unter der Mannschaft, und als sie hörten, Arbeiter bekämen dort täglich einen Dukatone für ihre Anstrengungen, da erklärten die ehrlichen Burschen sich, wohl zur Hälfte, zur Auswanderung bereit. » Ma, il vino, signore, quale è il preso del vino?« fragte der Padrone. Ich sagte ihm, bei uns gehöre der Wein zu den Luxusgegenständen, und sein Preis übersteige die Mittel derer, die sich von Tagelohn ernähren müßten. Darauf folgt ein allgemeines bemitleidendes und spöttisches Gelächter, das mich hinreichend überzeugte, daß von der Divina Providenza kein Einziger auswandern werde.

Es ist kaum nöthig, Ihnen und Ihres gleichen zu erläutern, daß die Weine, welche bei uns »Hock« heißen, vom Rheine kommen, und daß jeder Sorte eigentlich der Name ihres Ursprungs gebührt. Letztere Regel wird hier überall befolgt; eben so sind die Namen: Claret, Burgundy und Sherry in Frankreich und Spanien ganz unbekannt. Zwar haben die Franzosen ihre Burgunder, die Spanier ihre Xeres-Weine: aber unter vin de Bourgogne versteht man Weine von verschiedenen Farben und sehr abweichenden Eigenschaften. Das nämliche gilt von andern Weingegenden. Was bei uns Claret heißt, kommt in Frankreich unter dem Namen von Bordeaux-Weinen vor; Clairet hingegen ist auch ein französischer Name, der noch bisweilen vorkommt, und ein dünnes, unkräftiges Getränk bezeichnet.

Der Rheingau, oder derjenige Theil des Nassauer Gebiets, indem wir uns eben befanden, bringt den besten Rheinwein hervor. Die vorzüglichsten Weinlagen sind Johannisberg, Hochheim (woraus unser »Hock« entstand), Geißenheim, Steinberg und Rüdesheim. Der Johannisberg gehört gegenwärtig dem Fürsten von Metternich, Geißenheim dem Grafen von Ingelheim; Hochheim und Rüdesheim sind Dörfer, wo die Weinberge unter verschiedene Besitzer vertheilt sind. Wie es sich mit Steinberg verhält, weiß ich nicht. Der Johannisberger in bester Lage steht in sehr hohem Rufe; auch der Geißenheimer ist sehr angenehm von Geschmack, und nimmt rasch im Preise zu; doch der Hochheimer Dom-Wein wird sehr gesucht, und von dem Rüdesheimer Hinterhäuser habe ich Ihnen schon berichtet. Doktor Sommerville hat mir einmal gesagt, er habe reinen Johannisberger Wein einer chemischen Analyse unterworfen, und gefunden, daß derselbe weit weniger Säure als irgend ein ihm bekannter Wein habe. Der Steinberger fängt jetzt an, immer mehr in Aufnahme zu kommen; er duftet unter allen deutschen Weinen am lieblichsten; sein Duft oder seine »Blume«, (die Franzosen sagen: bouquet) ist mitunter fast zu stark.

Rüdesheim war vor Zeiten ein römisches Standquartier, und wahrscheinlich stammen die Weinanpflanzungen aus den Zeiten der römischen Herrschaft her. Noch sieht man hier beträchtliche Trümmer, wie ich glaube, dem Grafen von Ingelheim gehörig, von welchen man glaubt, daß sie von römischen Bauten herrühren; der jetzige Besitzer hat sie zum Theil ausbessern und zu einem Lustaufenthalt, während der Weinlese, einrichten lassen. Das ist also eine wahrhaft klassische »villagiatura.« Es war uns merkwürdig, diese ziemlich ausgedehnten Ueberreste zu untersuchen, nachdem wir erst kurz vorher ein Schloß aus der Feudalzeit durchspähet hatten; und man kann nicht anders, als zugeben, daß die Söhne des Südens ihr weit und breit behauptetes Uebergewicht auch hier nicht verläugneten. Ingelheim, wo Karl der Große einen Palast hatte, und woselbst er auch, nach der Meinung Einiger, geboren wurde, kann an dem andern Ufer des Flusses deutlich gesehen werden, aber von dieser Stelle aus wenigstens sieht man nicht das Geringste mehr von seinem Palaste. Da zeigt sich der Unterschied zwischen dem falschen und dem wahren Römer. Noch eine Ruine ist da, ein kleiner runder Thurm, der an unser Wirthshaus anstößt, und auch Eines von unsern Zimmern zufällig enthält, und das ebenfalls sehr alt ist, wahrscheinlich eben so alt, als das Andenken des großen fränkischen Herrschers.

Nach dem Frühstück verließen wir Rüdesheim, fuhren ganz nahe an die Geißenheimer Höhen, und lenkten von der Landstraße abseit, um den Johannisberg zu besuchen, der eine (englische) Meile vom Wege abliegt. Wir fuhren rings um den Hügel, der von drei Seiten her ein kegelförmiges Ansehen hat, und von der übrigen den Anblick eines unregelmäßigen Hügelkammes darbietet, und sich an die hintere Seite des Schlosses anlehnt. Wenn Sie das Glück haben, eine Flasche Wein von diesem Weinberge (ächt oder unächt, denn in diesem Falle ist der falsche Simon Petrus dem wahren fast täuschend ähnlich) zu erhalten, so werden Sie ein ziemlich gut getroffenes Abbild des Schlosses auf dem Siegel desselben zu sehen bekommen.

Ich weiß Ihnen keinen andern Grund dafür anzugeben, warum dieser Wein früher so wenig bekannt war, während dagegen der Hochheimer in so großem Rufe stand, als blos den Umstand, daß Berg, Schloß und Weinanlagen vormals einem geistlichen Orden angehörten, bis die französische Revolution ausbrach; und die Mönche zogen natürlich vor, ihren guten Wein allein zu trinken. Hierin unterschieden sie sich ganz und gar von den Einwohnern von Brie. Ich ging nämlich eines Tages mit Lafayette durch seine Ländereien in Lagrange spazieren, und drückte ihm meine Verwunderung darüber aus, als ich sah, daß einige Bauern Wein machten. »Ja wohl, mein lieber Freund, wir machen hier Wein, aber wir nehmen uns auch gar wohl in Acht, ihn nicht zu trinken«, antwortete der General. Die Klosterbrüder des Johannisbergs hingegen machten Wein und tranken ihn auch allein.

Der Johannisberg hat öfter seine Besitzer gewechselt. Bald nach unserer Rückkehr von unserer früheren Rhein-Reise, saß ich einmal bei Tische zwischen dem Charge d'Affaires von Nassau und dem Herzog von Valmy. Ersterer sprach davon, daß ich kürzlich im Nassauischen gewesen sei, und fragte mich, wie mir das Land gefallen habe. Bei solcher Gelegenheit lobt man gern, wenn man kann, und das konnte ich aus Ueberzeugung, und daher sprach ich von den reichen Weingärten, und gelegentlich fing ich an, den Johannisberg hoch zu preisen. Je mehr ich ihn lobte, desto ernster wurde der Diplomat, so daß ich der Meinung war, ich wäre noch weit entfernt, seine eigene hohe Meinung zu erreichen, daher in meinen belobenden Ausdrücken immer weiter ging. Ein Wink, unter dem Tische gegeben, hieß mich schweigen. Der Charge d'Affaires gab mir bald daran zu verstehen, der Johannisberg trage blos etwas herbe Trauben für meinen Nachbar; denn Napoleon hätte dem erstern Herzoge diese Domäne geschenkt, und die Alliirten hätten sie dem Sohne desselben wieder abgenommen. Das war nicht das einzige Mal, daß ich die Erfahrung machte, wie aufmerksam man in diesem Theile der Welt seine Worte bewachen müsse, damit man nicht irgend eine empfindliche politische Saite rauh berühre.

Der jetzige Besitzer des Johannisbergs hat das Schloß, welches sehr geräumig ist, recht schön einrichten lassen, aber ohne allen Prunk, und es befindet sich dort wirklich eine freundliche Folge großer und bequemer Gemächer. Ich sah im ganzen Gebäude wenig Spuren der frühern klösterlichen Einrichtung. Die Weinstöcke ranken sich längs dem ganzen kegelförmigen Hügelabhange bis zu den Fenstern des Schlosses hinauf. Die besten Weinstöcke befinden sich in der Nähe des Schlosses in der Richtung gegen Südosten. Die Aussicht ist schön und dehnt sich weit aus; Alles was dieser Anlage fehlt, um sie zu einem recht angenehmen Aufenthalte zu machen, ist Schatten; aber den kann man an derselben Stelle nicht zugleich mit dem guten Wein verlangen. Der gänzliche Mangel an Baumpflanzungen benimmt indessen einer solchen Anlage viel von ihrer guten Wirkung. Der Eigenthümer befindet sich selten hier, wie man dieses aus dem Hausrathe abnehmen kann, der zwar neu und angemessen war, aber doch mancher kleinen Annehmlichkeiten ermangelte, die man in einem gewohnten Aufenthalte regelmäßig anzutreffen pflegt.

Nach den Angaben der Lagerbücher hält dieser Weinberg drei und sechzig Acres, also ungefähr so viel, als ich die Größe desselben nach dem Augenmaß schätzte. Der Ertrag ward auf fünf und zwanzig Stückfässer angegeben, jedes zu dreizehnhundert Flaschen gerechnet. Manche dieser Weine aus den besten Jahrgängen werden um vier oder fünf Dollars die Flasche verkauft. Ich machte die Bemerkung, daß der Boden aus sehr verschiedenartigen Bestandtheilen und Steinen von muschelartigem Ansehen und weißlicher Farbe gemengt war. Ich vermuthe, daß bei weitem die meisten Landleute solchen Boden als zum Ackerbau untauglich verwerfen würden.

Ich kaufte eine Flasche Wein von einem Hausofficianten, welcher sagte, er habe Erlaubniß, ihn zu verkaufen. Der Preis war zwei und einen halben Gulden, oder einen Dollar, und der Wein war weniger werth, als der, den ich um denselben Preis aus dem Keller meines Wirthes in Rüdesheim bekommen hatte. Vielleicht steckte ein Betrug dahinter, obschon die geringern Sorten Johannisberger auch nicht besser als der größere Theil der gewöhnlichen Weine der Umgegend zu sein pflegen.

Vom Johannisberg stiegen wir die Ebene hinab, und folgten der Richtung nach Bieberich. Dieses ist ein kleines Städtchen am Ufer des Rheins, und ist ein kleiner Aufenthaltsort des Herzogs von Nassau. Nassau nimmt, nach den Tabellen, unter den deutschen Bundesstaaten die vierzehnte Stelle ein, denn es hat dreimalhundert und acht und dreißigtausend Einwohner, und stellt etwa dreitausend Mann zum Bundeskontingent. Allem Anschein nach ist die Bevölkerung eher etwas größer. Die herrschende Linie stammt aus dem alten Geschlechte der nassauischer Fürsten, von dessen einem, wie ich glaube, jüngern Zweige der König von Holland abstammt; die jetzige Herzogin ist eine würtembergische Prinzessin und eine Schwester der Großfürstin Helena, von der ich Ihnen schon so oft erzählt habe. Dieser kleine Staat ist eine von den im Jahr 1315 neugebildeten souveränen Herrschaften, die außer den alten Besitzungen aus verschiedenen hinzugefügten Trümmern zusammengesetzt wurden. Im Ganzen scheint er blos zur Oberherrlichkeit und zur bessern Verwaltung einer Anzahl trefflicher Weinanlagen ins politische Dasein gerufen worden zu sein.

Während der letztern Zeit ist Nassau durch die sogenannten liberalen Umtriebe ziemlich beunruhigt worden, obschon die Regierungsform bereits das ist, was man auf dieser Seite des atlantischen Meeres eine repräsentative Regierungsform nennt. Es ist die alte Theorie, daß kleine Staaten besser als größere geeignet seien, eine populärere Verfassung zu haben. An die Wahrheit dieser Theorie kann ich nun schlechterdings nicht glauben; diese Theorie ist meiner Meinung nach blos in der Absicht ersonnen worden, um den zufälligen Verhältnissen Europa's zu genügen. Die Gefahren der Volksherrschaft sind Ueberschreitungen der Gesetze von Seiten des Volkes, wie jene furchtbaren Irrungen, in welche die Menschen durch Mißverstehen dessen, was Wahr und Recht ist, hineingerathen können, Mißdeutungen, Unverstand, falsche Vorstellungen von ihren wahren Interessen, und jene kleinen Dorfklätschereien, in welchen Jeder sich zum Richter über die Denk- und Handlungsweise seiner Nachbaren aufwirft, wenn er auch nicht immer im Stande ist, einzelne Handlungen und Thatsachen zu beurtheilen. Dagegen die Mißbräuche der Herrschaft Einzelner sind geradezu herabwürdigende Gewaltthätigkeit, in welcher die Rechte der Gesammtheit lediglich den Interessen und der Politik Eines Herren und seiner Günstlinge aufgeopfert werden. Aber eben deshalb kann es nicht fehlen, daß in einem großen Staate die vom Volke ausgehenden Verkehrtheiten und Anmaßungen, durch die Uebermacht und durch das Gesammtinteresse der übrigen Mitbürger in Schranken gehalten und unterdrückt werden. Denn es ist kaum möglich, daß ein Wahn, im Volke angeregt, der zu Volksaufständen führen könnte, sich unverweilt über die ganze Ausdehnung des Gebietes einer größern Bevölkerung verbreiten sollte; folglich werden alle übrigen Bewohner, so lange sie ruhig bleiben, besonnen erwägen, was vorgeht, und am Ende durch ihren Einfluß die Aufgeregten in die gesetzlichen Schranken zurückweisen. Ebenso wird der Absolutismus in kleinen Staaten durch die Nachbarlichkeit und die Vertrautheit mit allen Einzelnheiten in den gehörigen Schranken gehalten. In Hauptstädten werden verletzende Ereignisse und weitgreifende Schlechtigkeiten gar nicht einmal beachtet, während man aus Dörfern viel darüber spricht und thätig entgegenwirkt. Daher wird ein Alleinherrscher in einem kleinen Ländchen sich weit eher gegen den Einfluß einer thätigen öffentlichen Meinung nachgiebig beweisen. Wann ich der Freiheit wirklich als eines köstlichen Gutes mich erfreuen soll, so will ich sie auch einathmen in langen Zügen, gleich den Wissenschaften, so soll sie mich gleich einem eigenthümlichen Luftkreise umwehen; und muß ich dagegen dem Loose mich fügen, der Unterthan eines Despoten zu sein, so bescheere mir der Himmel, daß mein Oberherr nur einen kleinen Staat beherrsche. Dieses Letztere kann ich freilich nur so lange wünschen, als ich ein redlicher Mann bleibe; denn wollte ich durch knechtischen Sinn und durch Verläugnung rechtschaffener Gesinnungen steigen, so müßte ich freilich vorziehen, daß mein Schutzherr zugleich der größte und mächtigste Alleinherrscher sei. Kleine Staaten sind an sich selbst gewöhnlich ein Uebelstand; aber sie werden es weit weniger sein, wenn jeder einen unumschränkten Gebieter hat. Das Nassauer Volk hätte besser gethan, sich zu mäßigen in seinen Anforderungen an die Fortschritte der neuen Zeit; während dagegen die Einwohner von Frankreich ihrem Ziele mit Macht und Nachdruck nachstreben sollten; allein statt dessen, drängt das Volk von Nassau desto ungeduldiger vorwärts, blos weil die Macht ihres Herzogs so viel weniger furchtbar ist; denn die Menschen halten desto weniger den »richtigen Mittelweg«, je mehr sie demselben in leeren Worten zugethan scheinen.

Wir begaben uns in das Biebericher Schloß, welches ohne gerade größer zu sein, als gewöhnlich, ein recht sehenswürdiges Gebäude ist. Wir konnten nicht umhin, mit dem Hause unseres Präsidenten Vergleichungen anzustellen, und gewiß, so weit Geschmack und Annehmlichkeit hier in Betracht kommen, konnte diese Vergleichung nur zum Nachtheile für uns Amerikaner ausfallen. Es ist leicht, übelgemeinte Glossen über verschwenderische Ausgaben zu schreiben, während man eben recht damit beschäftigt ist, den Armen des mühsamen Ertrages seiner Erndten zu berauben. Was aber das Schloß von Bieberich betrifft, so wüßte ich nicht, daß es mit solchen schmählichen Hülfsmitteln aufgebaut worden sei. Die Sucht, Alles zu tadeln, was nicht in dem Bereich unsrer Lieblingsmeinungen paßt, ist dem wahren republikanischen Geiste eben so fremd, als Heuchelei der Frömmigkeit. Mißbräuche solcher Art haben auch bei uns stattgefunden, und die öffentlichen Gelder sind auch bei uns nicht immer redlich und besonnen verwaltet worden. Doch dieses sind Fehler, die von der menschlichen Natur bisweilen unzertrennlich sind, und es ist Thorheit, wider jeden Fehltritt der einzelnen Menschen anzukämpfen, bis wir wirklich im Stande sind, überall Fehlerfreies an dessen Stelle zu setzen. Der einzelne Umstand, daß eine Nation gleich der unsrigen es ertragen, daß eine ganze Generation darüber hinging, während ihr oberster Staatsbeamter in einem Hause zubringen mußte, überall von Ländereien, so nackt, wie Kornfelder sein können, umgeben, beweist nichts für die Sparsamkeit in ihrer öffentlichen Verwaltung; sondern zeigt vielmehr, daß uns der Zartsinn oder das Mitgefühl mangelte, um die Entbehrung zu fühlen, (wie es wahrscheinlich hier der Fall war), oder daß es uns an der erforderlichen Aufmerksamkeit und Bereitwilligkeit gebricht, um reichlich zu geben, wo uns doch die Mittel, reichlich zu geben, zu Gebote stehen.

Die Gartenanlagen in Bieberich sind von ziemlichem Umfange und dazu schön. Wir selber können es durch unser Beispiel bezeugen, daß diese Anlagen nicht kleingeisterischer Weise blos zum ausschließlichen Vergnügen einiger Weniger angelegt worden sind; und dasselbe dürfen wir jedem Fürsten nachrühmen, dessen Gärten wir in Europa betraten. Das Innere des Schlosses ist mit einem Marmor eigener Art, der in diesem Herzogthume gebrochen wird, geschmückt und der eine herrliche Wirkung hervorbringt. Eine kreisförmige Halle in der Mitte des Gebäudes, die von einer Kuppel überragt wird, macht einen vorzüglichen Eindruck, weil sie durch eine Kolonnade aus diesem Material verschönert wird.

Die herzogliche Familie war eben anwesend, und in einem der Säle wurden die Vorbereitungen zum Anrichten des Mahles gemacht; die ganze häusliche Einrichtung war in dem Geschmacke eines begüterten und umgänglichen adeligen Geschlechtes gehalten. Die Hofhaltung war durchaus nicht geräuschvoll, wir sahen nur wenige Dienerschaft, und doch begegneten wir einigen Sprößlingen des Herrscherhauses unter Obhut einer Gouvernante auf einem Spaziergange durch die Anlagen.

Bieberich, das Städtchen sowohl, als das Schloß, liegt ganz nahe am Ufer des Flusses, der zwischen Bingen und Mainz vielfältige Krümmungen macht, viele Inseln bildet, und dabei im Ganzen fast eine halbe (englische) Meile breit ist. Dieses gewährt, von den Anhöhen her betrachtet, eine Ansicht, als ob man einen See überblickte.

Von Bieberich aus wandten wir uns gerade in das Innere des Rheingaues nach Wiesbaden, einem einigermaßen berühmten Badeorte und zugleich Sitz der herzoglichen Regierung. Wir kamen bei guter Zeit an; denn es ist kein großes Unternehmen, von der Grenze eines dieser kleinen Staaten in deren Mitte zu kommen. Wir bestellten unsere Mahlzeit und begaben uns auf den Weg, um die Löwen zu sehen. Die Gegend von Wiesbaden hat von der Natur keiner besonderen Gaben, außer seiner Heilquellen, sich zu erfreuen. Der Ort liegt in einer Vertiefung, denn ein Thal kann man es nicht nennen; im Sommer soll es darin außerordentlich heiß, aber im Winter soll der Aufenthalt hier sehr angenehm sein. Ich kenne keinen Ort, wo man so Viel aus Wenigem zu machen verstanden hätte, als dieß mit den öffentlichen Spaziergängen in Wiesbaden der Fall ist. Die Quellen sind beinahe, oder vielleicht völlig eine (englische) Meile von der Stadt entfernt, und das zwischenliegende Land erhebt sich ganz allmählig bergan. Von der Anhöhe windet sich ein kleiner Bach, kaum breit genug, um eine Mühle treiben zu können, abwärts der Stadt zu. Die Ufer dieses kleinen Baches sind mit Bäumen bepflanzt worden; hin und wieder sind künstliche Hemmungen angelegt und Wasserfälle hergerichtet worden; Wege sind anmuthig gebahnt, Brücken über den Bach geschlagen, Felsen aufgethürmt u. s. w. und mit Hülfe dieser Einrichtung spaziert man diese (englische) Meile Weges unter dem Schatten eines anmuthigen Gehölzes, das nur wenige Ruthen breit ist, und kann dabei sich einbilden, man durchstreiche einen Park von zweitausend Acres. Zehn Jahre würden hinreichen, einen solchen Spaziergang bis zur größten Vollendung zu bringen, und dennoch findet sich Nichts dem Aehnliches in ganz Nordamerika. Freilich kann man bei uns Cigarren rauchen, Congreßwasser trinken, politische Streitfragen erörtern, und sich selbst für einen großen Staatsmann halten; mitunter pfeifen, seine Nägel in Gesellschaft säubern, nie aus dem Zuge der Unterhaltung herauskommen; schwören, man sei mit dem zufrieden, wie man es habe, ohne mit einem anderen gesellschaftlichen Zustande bekannt zu sein; Dollars auf lästigen Aufwand vergeuden und mit Cents knickern, wo Annehmlichkeit und Angemessenheit die Börse in Anspruch nimmt, eben weil man nichts Besseres kennt; dabei diesen verkehrten Geschmack mit dem Namen der Anhänglichkeit an vaterländische Sitte beschönigen, ohne dazu des Genusses eines anmuthigen Spazierganges durch schattende Gebüsche längs einem murmelnden Gewässer zu bedürfen! Alles dieses kann man thun und mehr noch, wenn solches unwidersprechliches Behagen gewährt; eben so steht es dem Esquimaux-Indianer ganz wohl an, zu behaupten, ein Stück Wallfischspeck sei weit vorzüglicher, als Beefsteaks. Ich wundere mich, daß diese verhärteten hochweisen Patrioten nicht wieder rückwärts gehen zu Schlachtkeulen, Skalpiermesser und gemalter Antlitzzier!

Die Stadt Wiesbaden, wie alle einigermaßen wichtigen deutschen Städte und Städtchen, die ich bisher gesehen habe, Köln ausgenommen, ist freundlich und reinlich in ihrem Aeußern. Auch die Bauart der Häuser ist gut und schreitet sichtlich vorwärts in gutem Geschmack. Wohl werden Sie schon manches von den Boulevards und anderen Annehmlichkeiten gehört haben, die sich bei französischen Städten oder in deren Nähe befinden; aber im Ganzen sind sie offene Lichtungen, ohne Geschmack angelegt. Sogar die Champs-Elisées in Paris haben an sich wenig Schönes aufzuweisen; denn landschaftliche Gärtnerei fängt jetzt erst an, in Frankreich in Aufnahme zu kommen; mir scheint es fast, als seien sie bei den Deutschen in und nahe bei ihren Städten weit häufiger, als selbst in England.

Am nächsten Morgen verließen wir Wiesbaden, nachdem wir von den Bädern Gebrauch gemacht, und fuhren ganz langsam nach Frankfurt am Main, das von Wiesbaden etwa zwanzig (englische) Meilen entfernt ist. Hier fanden wir uns abermals in unserem früheren Quartier, im weißen Schwan ein, das den Ruf eines Gasthauses zweiten Ranges hat, und wohin mich vormals der Zufall hingebracht hatte; wir hatten, wie gewöhnlich, vortreffliches Essen und guten Wein. Der Wirth ließ, zum Ruhme Deutschlands, uns Pilgern eine besondere Schüssel, die ganz volksthümlich und sehr beliebt sein sollte, auftragen. Es war, was die Franzosen eine » jardiniére« nennen, ein Rebhuhn mit etwas Kohl, gelben Rüben, weißen Rübchen und dergleichen umlegt.

Ich benutzte die Gelegenheit, mich wieder einmal mit dem Gange der Weltangelegenheiten » au courant« zusetzen, indem ich mich in eine der Lesegesellschaften begab, die man durch ganz Deutschland unter dem Namen Redouten, Casinos, oder denen ähnlich, antrifft. Es scheint, daß Pfeifen auf dem Frankfurter Casino nicht geduldet werden, weil es ein anständiges und stattliches Gesellschaftshaus ist. Fremde müssen, wie gebräuchlich, sich darin einführen lassen.



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