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Siebzehnter Brief.

Unser Kutscher und sein Gespann. – Eine Schweizer Diligence. – Murten. – Unbeständigkeit des menschlichen Sinnes. – Unsere Fahrt nach Vevey. – Der Genfer See. – Schwierigkeiten beim Miethen eines Hauses. – »Mon repos« auf einen Monat gemiethet. – Vevey. – Der große Marktplatz. – Das Stadthaus. – Umgebungen von Vevey. – Sommerkirche und Winterkirche. – Die Geistlichkeit des Kantons. – Die Bevölkerung des Waadtlandes. – Erfordernisse bei den Wahlen im Waadtlande.

Lieber – –,

Der kleine Savoyarde war pünktlich, und nach dem Frühstücke wollten wir auf und davon, auf dem ebenen und lebhaft befahrenen Wege, nach Murten zu. Dieser Mann und sein Gespann waren der Inbegriff der ganzen Lohnkutscherkaste und ihres Gewerbes. Er selbst war ein kräftiger, sonnenverbrannter, untersetzter kleiner Bursche, gerade recht dazu gemacht, ein Wagenpferd zu besteigen; seine Pferde waren grobsehnig und so mager, daß man ihren Beruf nicht verkennen konnte. Alle Gebeine ihres Gerippes seufzeten noch vom schweren Druck der Miladies und der Last des schweren englischen Wagens, und mich deuchte fast, sie seien froh, eine ganze nordamerikanische Familie, statt Einer dicken Engländerin und ihrer Aufwärterin weiter zu bringen. Der Morgen war schön, und unser letzter Blick nach dem Oberlande war so sonnig und ergötzlich. Dort standen sie längs dem Horizonte gereihet, gleich Gebirgswarten (keine Leuchtthürme) der Himmelsräume, ernst, schroff, strahlend und riesengroß.

Ein anderes Reisefuhrwerk der schlechtern Art, oder wo Wagen und Pferde dem Fuhrmanne eigenthümlich gehören, und die Reisenden einzelne Plätze bedingen, fuhr vor uns her, einen langen Hügelweg bergan, und bot uns eine vorzügliche Gelegenheit dar, die darinsitzende Gesellschaft genau zu betrachten. Da es eine von den Gruppen war, wie man sie häufig auf der Landstraße antrifft, so will ich ihnen eine kurze Schilderung davon entwerfen.

Der Fuhrmann war nur ein etwas größeres Exemplar vom kleinen Savoyarden, und seine Pferde, es waren ihrer drei, glichen wandelnden Strohbündeln. Der Wagen war geräumig und, ich möchte sagen, sogar angemessen, aber keinesweges schön. Oben auf war eine Wandung, und innerhalb derselben waren alle Reisegepäcke unter einem darüber ausgespannten Tuche aufgeschichtet, wodurch letzteres obenher ein eckiges Ansehen gleich einem Bergrücken bekam. Die lustigen Leutchen im Wagen hatten es vorgezogen, für sich Raum zu gewinnen, anstatt sich durch allerlei Packen und Bündel in ihrer freien Regsamkeit stören zu lassen. Hierbei muß ich bemerken, daß das freie und unabhängige Amerika das einzige Land ist, in dem ich jemals gereist bin, wo die Annehmlichkeit und die Angemessenheit bei einem Fuhrwerke das erste ist, worauf gesehen wird, dann erst auf das Gepäck und zuletzt auch auf den Reisenden Rücksicht genommen wird. Die Amerikaner sind ein besonders gutherziges Volk, und wahrscheinlich lassen sie sich daher auch weit eher als irgend ein Volk der Erde, Dinge einbilden, die dem Wunsche, es Jedem recht zu machen, einigen Anstoß geben dürften. Der Verfasser ist öfter meilenweit gefahren, gefoltert von der Angst, es einem Koffer recht bequem zu machen; und die Einrichtungen auf den Dampfböten sind oft so sehr darauf berechnet, Jedermann zu genügen, daß Jedermann aufs Aeusserste belästigt wird. Alles dieses geschieht mit der unbezähmbarsten Höflichkeit und Gutherzigkeit von allen Seiten, und diese Leute lassen täglich in allen ihren geselligen Verhältnissen die Wahrheit der Regel empfinden, daß »das, was Alle thun wollen, von Niemanden gethan wird.« Zum Glücke für die Pferde waren nur vier Passagiere im Wagen, obschon der Wagen Raum hatte für ihrer acht. Der eine war, nach seiner grünen Kappe mit einem mißförmigen Schilde über den Augen, seinen blonden, struppigen, unausgekämmten Haaren, seinen vierschrötigen hohen Schultern, seinem halbmännlichen halbweiblichen Anzuge, seiner Pfeife und dem großen Tabacksbeutel zu schließen – unstreitig ein deutscher Student, der eine Reise nach Süden machte, um seine metaphysischen Studien mit der Ausbeute einiger praktischer Ansichten von Menschen und Sachen zu beschließen. Der andere war ein Jude, jeder seiner Gesichtszüge sprach den Handelsgeist deutlich aus, und er gehörte so durchaus seinem Volke an, daß ich keine besondere Heimath für ihn auszumitteln wußte. Er war bejahrter, behutsamer, weniger lustig, und wahrscheinlich weit welterfahrner, als seine übrigen Reisegefährten. Lachten die Andern, so lächelte er bloß; sangen jene, so brummte er zwischen den Zähnen; und schienen sie nachzusinnen, dann sah er fast finster aus. Ich wußte nichts Anderes aus ihm zu machen, als daß er die fortlaufende Baßbegleitung zu den höhern Noten der übrigen Leutchen darstellte. Der dritte war ein Italiener, »für einen Dukaten.« Sein dichtes, buschiges, verwirrtes, lockiges Haupt voll Haare war mit einem kleinen scharlachrothen Käppchen bedeckt, nachlässig zur Seite ausgestülpt, als ob der Zufall es dahin gebracht hätte; sein Auge, groß, blitzend, pechschwarz, der Blick schlau und schwärmerisch; seine Zähne schimmerten wie Elfenbein; und die Sonne, die glorreiche Sonne, die Bilder Italiens, denen er im Geiste zugewandt war, wie er ihnen leiblich entgegenreiste, hatten alle seine Lebensgeister aufgeregt. Ich fing einige Worte schlechtes Französisch auf, die mir andeuteten, daß er und der Deutsche sich einander über ihre beiderseitigen Nationaleigenheiten neckten. So ist der Mensch; seine Eigenliebe und Eitelkeit findet zuerst im eigenen Ich ihren Mittelpunkt, und jeder ist gleich damit fertig, jeden Vorwurf von sich abzuwehren, und käme er selbst von der eigenen Mutter; dann erst treten Weib, Kind, Bruder, Freund innerhalb der Umzäunung der Selbstliebe, die Alles Uebrige ausschließt, so weit jene allein mit dem Mittelpunkte, dem Ich, in unzertrennlicher Verbindung stehen; darauf kann der Egoismus weiter gehen und sein Geburtsland umfassen, wenn das Land eines Andern feindselige Ansprüche geltend machen will. Erst wenn es sich von dem Menschen, dem Thiere gegenüber handelt, dann kann die Selbstliebe sogar zur allgemeinen Menschenliebe sich erheben!

Murten mit seinen Jericho-Mauern empfing uns bald, und wir fuhren an ein Gasthaus an, wo für unsere Rosse Häckerling und für uns ein etwas mehr widerhaltendes Voressen bestellt wurde. Nachdem wir unser Mahl verzehrt, überließen wir den Pferden ihr kärgliches Futter, und spazierten voran, um den kleinen Savoyarden auf dem Schauplatz der großen Schlacht zwischen den Schweizern und Burgundern zu erwarten. Die Gegend hat sich seit dem fünfzehnten Jahrhundert bedeutend umgewandelt, und der Anbau hat längst den Morast, in welchem so viele der letzteren umkamen, verschwinden lassen, obgleich man leicht gewahr wird, wo dieser Sumpf sich ehemals befunden haben mag. Ich habe nichts Neues über Avenche mitzutheilen, dessen weitläufige römische Trümmer, nachdem wir Rom selbst gesehen, uns kaum eine Lust anwandeln ließen, sie eines Blickes werth zu halten, und wir fuhren bis vor die Thüre des Bären in Payerne, ohne auszusteigen. So lange wir Kinder bleiben, bilden wir uns ein, Näschereien könnten nie den Magen verderben, und wir weisen die Vorstellung, daß Torten und Zuckerpflaumen uns einst gleichgültig werden könnten, mit Verachtung von uns; ein wenig späterhin schwören wir einer ersten Liebschaft immerwährende Beständigkeit und schließen Freundschaft für die Ewigkeit; die Zeiten vergehen, wir heirathen drei- oder viermal, erschießen ein paar Busenfreunde, und vergessen die Gesichter derer, von denen wir wähnten, ihre Züge würden unauslöschlich in unserm Herzen fortleben. Sie werden sich über diese Abschweifung wundern; sie entstand aus der Bemerkung, daß ich mich selbst im Gähnen überraschte, als ich wieder Einiges von der Königin Bertha und ihrem Sattel reden hörte. Manche Leser erinnern sich noch vielleicht aus des Verfassers »Ausflügen in die Schweiz,« daß dieser, zugleich mit einer Fußumkleidung versehene Sattel, der seit neun Jahrhunderten verstorbenen Bertha noch heutigen Tages in der Kirche von Payerne gezeigt wird, wo sich auch das Begräbniß dieser Fürstin befindet, die, während sie ausritt, zu spinnen pflegte, und daher ihre Füße vor dem Ausgleiten aus den Steigbügeln durch jene bequeme und in ihrer Art einzige Einrichtung des Sattels zu sichern wußte.
Anm. d. Ueb.
Dieser Zustand von Gleichgültigkeit, zudem man endlich gelangen kann, ist wirklich schaudervoll! Wir verließen Payerne bei guter Zeit und frühstückten in der » auberge inévitable« zu Moudon . Hier wurde es nöthig, weiter zu beschließen, wohin wir uns wenden wollten; denn dieß hatte ich mir auf unserer Karrenfahrt bei dem kleinen Savoyarden vorher ausbedungen, das wir von hieraus freie Wahl haben müßten. Das Wetter war so herrlich, die Jahreszeit fast dieselbe, und die meisten Nebenumstände waren denen fast ganz ähnlich, unter welchen wir vor vier Jahren eine so überaus ergötzliche Fahrt an das obere Ende des Genfersee's gemacht hatten, daß wir dem Wunsche nachgaben, das Vergnügen von ehedem von neuem auf solch einer Fahrt zu genießen, und uns also nach Vevey wandten.

Hier an dem Punkte, wo die Landstraßen auseinander gehen, lenkten wir wir also von der Hauptstraße, welche nach Lausanne führt, in südlicher Richtung ab. Wir rollten bald darauf längs dem Rande des kleinen bläulichen Sees vorüber, der auf dem Hochlande sich befindet und wegen seiner Krabbenkrebse berühmt ist. Wir wußten, nur wenige Minuten bedurfte es, um uns an den Rand des großen Abhanges gelangen zu lassen, und unser aller Augen waren geschäftig und unsere Häupter in eifriger Bewegung. Ich selbst setzte mich ganz vorn an, fest entschlossen, mir solle Nichts von einem Anblick verloren gehen, den ich noch immer mit fortwährendem Vergnügen im Andenken behielt.

 

Ganz wider die Regel in solchen Fällen, übertraf dießmal die Wirklichkeit unsere Erwartungen. Ungeachtet unseres langen Aufenthaltes in Italien und der großen Abwechselung und Mannichfaltigkeit der schönen Gegenden, die wir dort zu sehen hatten, so glaube ich, empfand doch Niemand von uns das geringste unbehagliche Gefühl fehlgeschlagener Erwartung. Vor uns lag der Genfersee, weitausgedehnt, tiefblau und ruhig, seine Fläche mit Segeln überhaucht, oder beschattet von hochragenden Bergen, die Ufer bald schroff und abstürzend, bald verschwimmend in dem leuchtenden Grün der Niederungen; dort das feierlich-düstere, geheimnißvolle, schlachtenähnliche Rhonethal; rings Schlösser, Städte, Dörfer, Weiler, Thürme; alle Abhänge überreich an Weingelände; Landhäuser, Kirchen; aus den entlegenen Bergwiesen erhoben sich die braunen Sennhütten, gleich matteren Basreliefs, mit dem Hintergrunde von Felsenzacken, Berggipfeln und Gletschern. Alles, in ein Bild vereinigt, ist eine der bezaubernsten Landschaften einer Erde, die nur zu schön ist für ihre oft undankbaren und sinnesverderbten Bewohner, einer Welt, die in jedem ihrer Züge das Bild des göttlichen Urhebers offenbart!

Einer unserer Freunde pflegte ein Geschichtchen von dem schwarzen Bedienten eines Reisenden, der den Niagarafall besuchte, zu erzählen, der sein Entzücken beim Anblick dieses gemüthergreifenden Wassersturzes nicht anders auszudrücken vermochte, als durch ein überlautes Lachen; ich sollte es kaum eingestehen, aber in der That, ich machte es wie jener Neger, ich lachte, als dieser überherrliche Anblick so plötzlich, meine Fassung bewältigend, mir vor Augen trat. Mein Lachen war aber eine Art triumphirenden Lachens, denn ich bemerkte hier, meine Empfindungen seien noch nicht gänzlich abgestumpft, es sei noch möglich, Begeisterung für irgend Etwas in mir zu wecken; da diese Gegend mich mit solchem Entzücken erfüllen konnte.

Unser erster Entschluß war, einen Monat in dieser schönen Umgebung zuzubringen. Wir deuteten auf ein Gebäude, das etwa tausend Fuß unter uns, auf einer kleinen grasigten Anhöhe von dem See bespült, uns anlachte. Es hatte ganz das niedliche Ansehen eines mittelalterlichen Schlößleins, und wir fanden es daher ganz vorzüglich zu einem kurzen Aufenthalte von Leuten geeignet, die blos auf schöne malerische Gegenden ausgehen. Wir kamen überein, daß nichts für uns Passenderes könne aufgefunden werden, und wir verfolgten sogleich diese Richtung bergunter, zwischen Weingärten und ländlichen Wohnungen, nicht um Schlösser in die Luft zu bauen, sondern um eins im Thale zu bewohnen. Es war beschlossen, in diesem Schlößchen uns anzusiedeln, wenn es für Geld und gute Worte zu haben wäre, oder die Sache sich sonst auf irgend eine Weise ausführen ließe.

 

Es war noch frühe, als wir das Wirthshaus in Vevey erreichten, und kaum war ich aus dem Wagen gestiegen, so ging ich aus, um wegen des kleinen, einem alten Schloß ähnlichen Häuschens, Erkundigungen einzuziehen. Wie in mehren Ländern Europa's, wies man mich auch hier sogleich an eine weibliche Person, die allerlei Dinge besorge, eine Art Hausmaklerin, die alle Wege und Gelegenheiten kenne. Diese Frau versorgte Reisende mit Wäsche, Tisch- und Bettzeug; wo es nöthig war; selbst mit Silbergeschirr; sie verstand alle Dinge auf eine leichte Weise einzuleiten, weil sie allzeit wußte, wo und an wen man sich wegen alles Benöthigten wenden könne; es ist dieses ein Fortschritt in dem System der in einandergreifenden Vertheilung der menschlichen Geschäfte, der Ihnen ein Lächeln abnöthigen wird, der aber von großem Nutzen ist und im Ganzen, wie alle Theilung der Arbeit, der Sparsamkeit förderlich ist.

 

Diese Besorgerin aller möglichen Aufträge theilte uns mit, es seien ungewöhnlich viele Häuser mit Hausrath zu vermiethen, in der ganzen Umgegend, weil die neueren politischen Unruhen deren gewöhnliche Bewohner, Engländer und Russen, daraus vertrieben hätten. Mehrere Eigenthümer würden aber, sagte sie, gegen die kurze Zeit, für welche wir uns verbindlich machen wollten, Manches einzuwenden haben; denn, statt auf einen Monat, sei man hier gewohnt, auf ein Jahr zu miethen. Indessen kam es auf einen Versuch an, und nachdem wir unsere Mahlzeit bis zu unserer Rückkehr bestellt hatten, nahmen wir einen Wagen und fuhren längs dem Ufer des See's nach Clarens zu, das in den Schilderungen Rousseau's so hoch steht. Nur das muß ich noch erinnern, daß ich nicht eher von der Stelle wich, bis die Frau mich über und über versichert und überzeugt hatte, daß das kleine niedliche alterthümliche Schlößchen auf dem Hügel, das wir vom Berge herab erblickten, und das wirklich eine Burg gewesen war, für eine anständige Familie durchaus nicht bewohnbar wäre, sondern zu einer ärmlichen Pachterwohnung ausgeartet sei; und hier zu Land paßt: »Liebe in ärmlicher Hütte« recht gut in der Einbildung, aber durchaus nicht in der Wirklichkeit. Wir gaben daher unser »Schlößlein am Hügel« auf, so sehr uns dieß leid that, und begaben uns nach Clarens, wo man uns zuerst ein weitläufiges Gebäude, ohne Schatten, ohne irgend eine poetische Zugabe, besehen ließ. Diesen Vorschlag wiesen wir sogleich ab. Wir machten noch einige andere Versuche, bis uns die Schatten der Nacht überraschten. In einer dieser zu vermiethenden Wohnungen war der Eigenthümer beschäftigt, eine Kuh aus einer Obstbaumpflanzung hinauszujagen, und vermuthlich erhitzt von dieser Anstrengung, wies er die Unterhändlerin auf eine rohe Weise ab, und da er hörte, wir wollten die Wohnung nur auf einen Monat miethen, so sagte er, er habe keine » maison garnie«; ich konnte dagegen nichts einwenden, und so kehrten wir spät Abends unverrichteter Sache in unser Gasthaus zurück.

Den nächsten Morgen früh fingen wir aufs Neue an, mit großem Eifer uns um eine Wohnung zu bemühen. Wir bestiegen den Bergabhang hinter der Stadt; krochen zwischen Weingärten, Obstpflanzungen, Sommerhäuschen, Anhöhen, Schlößchen und Landhäusern umher, um eine ländliche Wohnung aufzusuchen, die wir aber, wegen ihrer Abgelegenheit vom See, wieder aufgaben. Darauf besuchten wir ein freundliches Plätzchen, ein wahrhaftes Ideal eines Aufenthaltes für Leute unseres Schlages, die blos auf das Malerische ausgingen. Es hieß Château de Piel, ein kleiner Weiler unmittelbar am Ufer des See's, und lag ganz in der Nähe von Vevey und doch in völliger Abgeschiedenheit. Das Haus war geräumig, ziemlich bequem eingerichtet, und einige alterthümliche Thürme befanden sich bei dem neuern Anbau; eine einzeln stehende Ruine und eine lange Terrasse lag unter den Fenstern mit der Aussicht über den blauen See nach den herrlichen Felsen von Savoyen hinüber. Auch hier blieben unsere Bemühungen fruchtlos, wegen der nur kurzen Zeit, für welche wir diese Wohnung in Anspruch nehmen konnten. Es ist für den Verfasser keine leichte Aufgabe, mancher ihn persönlich betreffenden Vorfälle zu erwähnen, ohne daß er befürchten müßte, seine Absicht dürfte in einem Lande mißdeutet werden, wo so Manche geneigt sind, anderen Leuten so niedrige Bewegungsgründe aufzubürden, als irgend möglich. Doch so viel darf er von dem Zustande fortschreitender Civilisation und Intelligenz in Europa voraussetzen, daß er auf jeden Fall sagen darf, daß selbst seine geringen Ansprüche auf literarischen Ruf ihm oftmals von großem Nutzen gewesen seien, und selbst in jenen Ländern, deren Vorurtheile er öffentlich angegriffen, sei ihm bei irgend einer Gelegenheit dieser literarische Ruf nie von erheblichem Nachtheil gewesen. Diese Rücksichten nahm man bei den englischen Zöllen, bei allen Behörden auf dem ganzen Festlande, und sogar sehr häufig in den Wirthshäusern. In Italien wurde ihm bei einer Gelegenheit eine Wohnung, die man ihm bereits verweigert hatte, auf die von ihm selbst gestellten Bedingungen wieder angeboten, blos weil man den schriftstellerischen Ruf achtete; und eben bei der oben erwähnten Gelegenheit, ließ der Eigenthümer des Château de Piel sich sehr höflich entschuldigen und sein aufrichtiges Bedauern ausdrücken, daß sein Aufseher sich genöthigt gesehen habe, einem Manne von solchem Rufe eine abschlägige Antwort zu geben. Selbst der Kuhtreiber zollte dem schriftstellerischen Rufe ähnliche Rücksicht. Kurz, um die Wahrheit zu sagen, das einzige Land, in welchem der Verfasser von seinem schriftstellerischen Ruf nachtheilige Folgen erfahren hat, ist sein eigenes.

Während dessen blieben uns jedenfalls zwei oder gar drei gewöhnliche maisons meublées in der Stadt selbst vorbehalten, und am Ende nahmen wir unsere Zuflucht zu einem Hause » mon répos« genannt, das ganz nahe am See in einer abgelegenen Gegend der Stadt sich befand. Es wurde sogleich eine Köchin angenommen; und binnen weniger als vierundzwanzig Stunden nach unserer Ankunft in Vevey hatten wir unsere Haushaltung eingerichtet und zählten uns zu denen, die ihren eignen Topf in der Gemeinde kochten. Das ging freilich nicht so schnell von Statten, wie in Spaa; allein hier hatte das Trachten nach dem Malerischen uns aufgehalten, während wir in Spaa nur auf unsere Bequemlichkeit bedacht waren. Unsere Wohnung war hier hinreichend geräumig, vollkommen reinlich, und, wenn auch Teppiche und Matten fehlten, welches Dinge sind, die in der Schweiz fast gar nicht gebraucht werden, so befanden wir uns doch so behaglich darin, als man es von einem Reise-Bivouak nur verlangen kann. Wir mußten für diese Wohnung mit Möbeln, Leinenzeug und Küchengeschirr, im Ganzen für den Monat sechszig Dollars bezahlen. Hätten wir auf ein Jahr miethen können, so würden wir freilich alles um weit billigern Preis erhalten haben.

Das Erste, was wir vornahmen, als wir uns in mon répos eingemiethet hatten, war, uns nach einem Kahne umzusehen. Das war bald geschehen; denn es befanden sich deren immer mehre in dem sogenannten Hafen in Bereitschaft. Einen eigentlichen Hafen besitzt Vevey streng genommen nicht, obgleich einige erste Anfänge eines Hafendammes vorhanden sind, hinter denen aber kaum ein Nachen sicher liegen würde. Die Fahrzeuge, deren man sich auf dem See bedient, sind große Böte mit zwei Matten, deren Verdecke weit breiter sind, als ihr eigentlicher Rumpf, und die ihre Lasten meistens auf dem Deck, nicht unter demselben, aufnehmen. Die Segel derselben sind weder leichtflatternde lateinische, noch schwerfällige Schleppsegel, doch ähneln sie jenen weit mehr, und nehmen sich daher, vorzüglich in der Ferne, ziemlich malerisch aus. Diese Fahrzeuge sind auch keinesweges zu schnellen Fahrten eingerichtet, sie suchen bei jedem heftigen Wind das Ufer; es müßte denn sehr günstiger Wind sein, und selbst dann sucht man das Land zu erreichen. Nichts kann eine deutlichere Vorstellung des rohen Anfangs der Schifferei geben, als das Aeußere eines solchen Fahrzeugs, und doch scheint ihre Bauart für diesen See hinreichend zweckmäßig zu sein. Glücklicherweise hat die Schweiz keine Zollhäuser, und der König beider Sardinien scheint verständig genug, um seinen Savoyarden den Genuß freien Handelsverkehrs fast in gleichem Maße zu verstatten, als ihre Nachbarn sich dessen erfreuen. Drei Kantone, Genf um das untere Ende, Waadtland fast längs dem ganzen nördlichen Ufer, und Wallis um das obere Ende herum, umgrenzen den See, nebst Savoyen, welches die Ufer längs der Höhlung des Halbmondes einnimmt. Viele Städte und Städtchen liegen um den Genfersee her, unter welchem Genf, Lausanne und Vevey die vorzüglicheren sind. Letzterer Ort liegt unmittelbar am Fuße der Chardonne, einer hohen landeinwärtsziehenden Abtheilung des Gebirges, welches der Jorat genannt wird, und wird auf diese Weise völlig vor Nordwinden geschützt. Diesen Vortheil genießt Vevey gemeinschaftlich mit dem ganzen Landstrich zwischen Lausanne und Villeneuve, eine Strecke von mehr als fünfzehn (englischen) Meilen; und da die Berge eine natürliche Mauer bilden, so werden hier die Früchte südlicherer Breiten mit Erfolg angebaut, ungeachtet die Höhe des Sees über dem Weltmeere wohl dreizehnhundert Fuß betragen mag. Zwar wird Vevey häufig von Fremden besucht, aber es ist doch weniger der Sammelplatz der vornehmen feinen Welt als Lausanne; daher scheinen mir auch die Sitten hier weit einfacher zu sein und auch ist es wahrscheinlich hier weit wohlfeiler zu leben. Etwa vier bis fünftausend Einwohner mag der Ort haben, doch da er einige beträchtliche große Plätze hat, so nimmt er bedeutend mehr Raum ein, als dieses bei Orten von gleicher Einwohnerzahl in Europa gewöhnlich stattfindet. Kein besonderes ausgezeichnetes Gebäude findet sich hier, im Ganzen ist aber die Bauart des Städtchens nicht übel.

Die ersten drei bis vier Tage brachten wir damit zu, daß wir uns in der Umgegend bekannt machten, und im Ganzen gefiel es uns hier sehr wohl. Unser Häuschen steht nur einen Steinwurf weit vom Wasser entfernt, an einer Stelle, wo sich eine im Manhattanesischen Dialekte sogenannte »Batterie« befindet. Die Art, wie die englische Sprache in Amerika, und eben so sehr in England selbst, verdorben wird, ist ein sehr beklagenswerther Umstand. Irgend eine Veranlassung bewog die Manhattanesen, eine gewisse Einzäunung einen Park zu nennen. Dieser Name war wahrscheinlich im Anfange bezeichnend genug, denn es mochte wohl eine Absicht vorhanden sein, einen Park anzulegen; obgleich diese Einzäunung gegenwärtig kaum groß genug ist, um ein Bleichgarten zu heißen. Doch dieser Name ist später auch auf andere eingezäunte Plätze übergetragen worden, und so haben wir bereits, in gewöhnlicher Sprechweise, einen Sankt Johns Park, einen Washingtonspark, und endlich, nicht letztlich, sogar einen Douane-Street-Park, eine Umzäunung von der Gestalt, und auch kaum viel größer, als ein dreieckiger Hut. Die Anlage eines ehemaligen Fort längs dem Wasser wurde in einen öffentlichen Spaziergang umgewandelt, und behielt passend genug den Namen Batterie. Aber nun hat man ähnliche Spaziergänge anzulegen beschlossen, und auch auf diese den Namen Batterie ausgedehnt. So bezeichnet nun im Manhattanetischen Dialekte irgend eine Umzäunung, vom Wasser abgelegen, mit dem Namen Park, und eine ähnliche Umzäunung nahe am Wasser, mit dem Namen Batterie! Unsere würdigen Aldermen mögen dieses für gutes Englisch ausgeben, aber sie werden schwerlich Jemand sonst dazu überreden, daß dieses wirklich Englisch sei, und blos ihre Stadtgenossen werden ihnen vielleicht glauben. Diese Batterie führt zu dem Hafendamme und dem großen Platze. An dem ersten Ende des letztern befindet sich ein kleines halb und halb schloßähnliches Gebäude mit den Farben des Kantons an den Fensterläden, welches einigermaßen als das Staatsgebäude zu betrachten ist, und ehemals die Wohnung des Landvogtes war, des Statthalters, welchen Bern sonst hersandte, um hier im Namen der Bürgerschaft zu regieren. Der Marktplatz ist von bedeutender Größe, und gewöhnlich liegen auf ihm große Haufen von Brettern u. dgl. zur Ueberschiffung nach dem untern Theil des Sees bestimmt, denn allerlei Holzwaare scheint ein Hauptgegenstand des Handels dieses Städtchens zu sein. Der gewöhnliche Markt wird ebenfalls hier gehalten, und auch sieht man hier die meisten Wirthshäuser. Das Rathhaus oder Stadthaus ist ein alterthümliches Gebäude in einem engergebauten Stadttheile; und an dem nordwärts befindlichen Thore befinden sich die Ueberbleibsel eines andern Gebäudes alterthümlichen Ansehens, vermuthlich ebenfalls zu öffentlichem Gebrauche. Außer diesem Wenigen und den schönen Aussichten hat Vevey nichts besonders Anziehendes. Ihre Umgebungen sind ihr eigentlicher Stolz. Außer dem Ufer des See's, das in seinen mannichfachen Formen und eigenthümlichen Reizen ausgezeichnet schön ist, gibt es nicht leicht eine anmuthigere Abdachung, als die, welche hinter der Stadt sich befindet. Gerade an dieser Stelle ist die Neigung des Abhanges nicht so beträchtlich als sowohl weiter östlich und weiter westlich, aber sie ist darum auch weit mehr zum Anbau geeignet, wie zur Anlage von Weilern, und von häufigen Unebenheiten und natürlichen Terrassen unterbrochen. Genau kann ich die Ausdehnung dieser abwärts geneigten Fläche nicht angeben, aber, nach dem Augenmaße zu urtheilen, meine ich, daß man ungefähr eine Stunde Weges weit von der Stadt aus diese Abdachung übersehen kann. Sie ist übersäet von Weilern, Schlössern, Landhäusern, Kirchen, Hütten, dazu mit Weingärten, von denen mehre in der Nähe der Stadt liegen; und das mannigfache Grün der Rasen, Baumpflanzungen und Laubgänge von Nußbäumen ist sehr schön.

Unter andern Gegenständen, welche diesen Hintergrund schmücken, sieht man eine Kirche an einem steilen Abhange ungefähr eine Viertel (englische) Meile hinter der Stadt. Es ist ein steinernes Gebäude von einiger Größe, und nimmt eine geeignete künstliche Terrasse ein, die, wie sich leicht denken läßt, eine herrliche und anmuthige Aussicht gewährt. In dieser wohnten wir dem Gottesdienste bei, am ersten Sonntage nach unserer Ankunft, und fanden die Gebräuche einfach und prunklos, denen der Presbyterianer sehr ähnlich. Im Aeußern dieses Gebäudes war dagegen eine Pracht zur Schau gestellt, die Sie kaum bei einem so einfachen Volke anzutreffen glauben möchten, und wogegen der beifallbuhlende Aufputz mit Teppichen, Kissen und Kabinetzierrathen unserer eigenen gottesdienstlichen Gebäude weit zurückstehen muß. Dieses ist die Sommerkirche von Vevey; im Winter bedient man sich einer andern. Dieses geht weiter als der Luxus der römischen Damen, die ihre Sommer- und Winterringe hatten, und doch sich mit denselben Tempeln das ganze Jahr hindurch begnügten. Von dem rechten Gesichtspunkte aus betrachtet, ist in diesem Benehmen etwas recht Vernünftiges; es liegt ein schöner Gedanke darin, eine Anhöhe zu ersteigen, um da die Gottheit zu verehren, von wo aus man die Herrlichkeiten einer prachtvollen Schöpfung weit umher überblickt, was immerdar das Gemüth mit Ehrfurcht gegen die Allmacht erfüllt, und wenn dieses auch nicht das ganze Jahr hindurch ausführbar ist, so zeigt es von gesundem Urtheil, daß man wenigstens die Gelegenheiten nicht von der Hand weist, die solche Vortheile darbieten. Ich habe öfter in der Schweiz in romantischen Lagen schöne Kirchen auf Höhen erblickt; dieses ist aber der erste Fall, der mir einen solchen Zweck der hohen Lage derselben offenbart hätte. In dieser Kirche befindet sich ein Monument zum Andenken Ludlow's, eines der Richter Karls, und eine Inschrift gibt ihm das Lob hoher bürgerlicher und sittlicher Verdienste.

Die Geistlichkeit in diesem Kanton, wie in den meisten, wo nicht allen andern, wird vom Staate erhalten. Es besteht weit mehr religiöse Duldsamkeit, als früher in Neu-England zu Hause war; jeder Bürger kann sich zu einer religiösen Gemeinschaft bekennen, welche ihm zusagt, ist aber genöthigt, zur Erhaltung der religiösen Gebräuche die Kosten mitzutragen. Hier sind nun die Besoldungen der Geistlichen nach einem gemeinschaftlichen Maßstabe bestimmt, ohne Rücksicht auf besondere Sekten oder Kirchsprengel. Zuerst erhalten die Prediger kaum dreihundert Dollar jährlich. Diese Besoldung wird nach Ablauf von sechs Jahren um etwa fünfzig Dollars erhöht, und nach abermals verflossenen sechs Jahren ebenfalls um andere fünfzig Dollar, bis die ganze Besoldung auf zweitausend schweizer oder dreitausend französische Franken angewachsen ist, welches nicht ganz sechshundert Dollars ausmacht. Dazu erhalten die Prediger ein Haus mit einem Garten, und ihren Wittwen und Waisen werden Jahrgelder bewilligt. Im Ganzen mengt sich der Staat hier zu viel in die blos den Bürgern zu überlassenden religiösen Angelegenheiten; doch ist Ein Vortheil hierbei wohl zu erwägen, daß hier die Menschen keine Anreizung haben, den Altardienst zum Gegenstand geldsüchtiger Entwürfe zu machen. Die Erfahrung lehrt, daß selbst da, wo Geistliche nicht von ihren Gemeinden allein abhängen, die Religion dennoch der Geldgierde zum Deckmantel dienen könne; letzteres liegt also in der Persönlichkeit der Prediger, nicht in den mehr oder weniger abhängigen Verhältnissen derselben. Der rechtschaffene Geistliche wird es bleiben, mag ihn der Staat, oder die Gemeinde wählen und besolden. Dagegen erwächst den Gemeinden ein Vortheil aus der ihnen verstatteten Wahl des Predigers, ohne Einmischung der Staatsbehörden, indem sie dann einen solchen freiwillig wählen werden, dem sie wirklich vertrauen, und der also desto erfolgreicher auf sie wirken kann, während ein von den Behörden eingesetzter Prediger desto weniger heilsamen Einfluß üben wird, jeweniger er den Wünschen der Gemeinde zusagt, welcher er aufgedrungen wird. Die Bevölkerung des Waadtlandes beträgt ungefähr 155,000 Seelen, und zählt einhundert acht und fünfzig protestantische Prediger, außer vier katholischen; demnach beinah Einen Geistlichen auf jedes Tausend Seelen; welches ungefähr das Verhältniß ist, das in Newyork ebenfalls stattfindet.

Im Gespräch mit einem verständigen Waadtländer, beim Zurückkehren von der Kirche, bemerkte ich, daß in diesem Kantone große Theilnahme wegen der letzten Verschwörung in Bern angeregt worden war. Die Waadtländer haben denjenigen Hang zur Freiheit entwickelt, welche immerdar die Folge einer langwierigen politischen Abhängigkeit zu sein pflegt, und welche den Schwächern so natürlich antreibt dem Stärkeren sich zu widersetzen. Doch wird keineswegs behauptet, daß die Herrschaft von Bern besonders drückend auf ihren untergebenen Landschaften gelastet habe; wo aber in irgend einem Falle der Vortheil des Waadtlandes z. B. mit dem Vortheile des großen Kantons in Streit kam, da mußte freilich das Waadtland zurückstehen. Selbst die Reaktion, die aus der politischen Abhängigkeit hervorging, die mehr als dritthalb Jahrhunderte währte, hatte weit früher schon, ehe man an die letzteren Veränderungen denken konnte, hier eine weit volksthümlichere Regierungsform, als in andern Gegenden der Schweiz herbeigeführt, und daher zeigte auch jetzt die Bevölkerung einige Theilnahme in der Betrachtung jener Bestrebungen der aristokratischen Partei. So fern es Ihnen lieb sein kann, die Einrichtungen bei den Wahlen eines der freisinnigsten Schweizer Kantone mit den bei uns bestehenden zu vergleichen, will ich Ihnen die Grundzüge der Wahlordnung des Waadtlandes entwerfen, wobei ich vorzüglich Picot als Gewährsmann benutze.

Der Abstimmende muß ein Jahr lang gesetzlich im Kanton einheimisch gewesen, Bürger geworden sein, das Alter von fünfundzwanzig Jahren erreicht haben, und zu der Zahl der drei Viertheile der höchstbesteuerten Bürger gehören, oder auch drei zur Landmiliz gewordene und dienstthuende Söhne haben. Dienende Personen, solche die von Kirchspielen Unterstützung erhalten, Bankeruttirer, Staatsverbrecher, überführte Missethäter bleiben für immer von dem Rechte der Abstimmung ausgeschlossen.

Diese Einrichtung, zwar weit vorzüglicher als die französische, die einen bestimmten Betrag direkter Besteuerung als Bedingung des Stimmrechtes festgesetzt, ist von Grund aus fehlerhaft, weil dadurch nur das Eigenthum und noch dazu eine besondere Art des Eigenthums zur Bedingung der Macht im Staate gemacht wird. Diese Einrichtung ist im Grunde weiter nichts, als die alte nur etwas anders zugestutzte englische Weise; und die neuere in England vorgegangene, mit dem Namen einer Reform bezeichnete Umwälzung gibt eben einen Beweis, daß dieses System in sich selbst den Keim zu dessen lebendige Thätigkeit bedingenden Veränderungen in sich trage. Da jede politische Streitfrage genau genommen nur im wirkenden Leben praktisch entschieden werden kann; so werden Veränderungen allezeit dann wirklich nöthig werden, wenn eine Veränderung der Umstände solche nothwendig verlangt, und das sind alsdann Reformen im eigentlichen Sinne; wenn sie aber eine solche ernste Gestalt annehmen, um sogar die Grundsätze eines Staates über den Haufen zu werfen, so sind die alsdann entstehenden Veränderungen, auch wenn sie weniger geräuschvoll vollbracht werden, doch im eigentlichen Sinne keine bloße Reformen, sondern wirkliche Revolutionen. Jedes Staatsgrundgesetz müßte daher eigentlich, wo irgend möglich, so eingerichtet und begründet sein, um die Möglichkeit aller Veränderungen, die die Umstände erfordern könnten, zuzulassen, ohne dadurch selbst aufgehoben zu werden, und sein Fortbestehen als Staatsgrundsatz gefährdet zu sehen. Weil man in Amerika auf dieses nothwendige Erforderniß eines Staatsgrundgesetzes vom ersten Anfange an bedacht gewesen war, so ist bei uns in einem halben Jahrhunderte keine revolutionäre Aenderung der Staatsgrundsätze erlebt worden, wie wohl einige geringere Aenderungen in der Verfassung vorgenommen wurden; während dieser Zeit ist fast ganz Europa, sei es in der Theorie, sei es in der Praxis, sei es in beiden Beziehungen, wirklich revolutionirt worden. Der kurze Zeitraum seit der Begründung unserer Unabhängigkeit kann nicht als Beweis wider uns gelten, weil es nicht sowohl die Zeit ist, als vielmehr die Veränderungen, welche die Zeit herbeiführt, die den eigentlichen Probirstein politischer Systeme darstellen und wirklich hat Amerika bereits jene gewöhnlichen Veränderungen erlebt, welche das Wachsthum der Macht, die Vervielfältigung der Interessen und andere einflußreiche gesellige Verhältnisse eines Staates hervorbringen, und während der Dauer von fünfzig Jahren, die zwei verschiedenartige Jahrhunderte umfassen, hervorbringen mußten. In allen Dingen, die die Regierungsform nicht zunächst betreffen, ist das heutige Amerika dem von 1776 weit weniger ähnlich, als das heutige Frankreich dem von 1600. Es ist zwar Mode, unsere Verfassung als eine solche zu betrachten, deren Tauglichkeit erst durch die Erfahrung sich bewähren müsse, oder als einen gewagten Versuch, der noch keinesweges die Probe bestanden habe, und gleichwohl ist unsere Verfassung nahe daran, die älteste Verfassung der ganzen Christenheit zu werden. Nationen werden nicht leicht von der Erde vertilgt, – vielmehr bestehen sie unter mannigfachen Veränderungen fort, und Namen erhalten sich längere Zeit als Sachen. Ich rede hier natürlich nur in Beziehung auf bezeichnende und hervorstechende Veränderungen im Haushalte der Völker, ohne auf die mancherlei Mystifikationen anspielen zu wollen, unter denen persönliche Interessen ihren verborgenen Einfluß auszuüben streben.



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