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»Er hat es ja nicht gethan.«

Einunddreißigstes Kapitel.
Nach vierzehn Tagen

Zwei Wochen sind eine lange Zeit für ein ungeduldig Herz! Wie langsam verfloß für Ella diese Zeit, in der sie von Vater Carlet getrennt war! Jeder Tag erschien ihr unerträglich lang, und mit banger Sehnsucht erwartete sie stets den Abend, um aus dem Munde ihres jungen Freundes täglich von Neuem zu hören, daß alles so gut gehe, wie man es nur wünschen könne. Aber all ihrem weiteren Drängen und Fragen setzte Johann ein eisernes Schweigen entgegen. Nur am dritten Tage nach Carlet's Verschwinden war der junge Mann kaum im Stande, sein Geheimniß zu bewahren. Glückstrahlend trat er zu Ella in das Zimmer, und die Blicke des jungen Mädchens folgten ihm in sprachlosem Staunen, als er singend, pfeifend und lachend auf und ab ging und unzusammenhängende Worte vor sich hin murmelte: »Der brave Mann! – Welches Glück! – Wie hat sich nun alles mit einem Male geändert! – Gottes Segen ruht auf seinem Thun. – Es lebe die Freude!«

Am andern Morgen, sowie all die folgenden Tage war Johann wieder ruhiger, aber doch konnte man noch immer eine tiefe Befriedigung in seinen Zügen lesen, und auch seine Mutter war von einer seltenen Heiterkeit.

Frau Lebeau war jetzt eifrig damit beschäftigt, ihren Umzug nach der neuen Wohnung zu bewerkstelligen, die zu der Tischlerwerkstätte gehörte, und die Johann mit übernommen hatte. Ella war der guten Frau behülflich, soviel es ihre Zeit erlaubte, und oftmals unterdrückte sie einen stillen Seufzer, wenn sie daran dachte, daß sie selbst die Herrin dieser Räume hätte sein können. Es waren zwei hübsche Zimmer, aus denen die kleine Wohnung bestand; das kleinere richtete Frau Lebeau für sich selbst ein, während sie das größere und schönere, welches noch zum Theil mit den Möbeln des früheren Besitzers geschmückt war, für ihren Sohn bestimmte. Eine prachtvolle, alte Commode mit feingearbeiteten Metallgriffen, ein Wäschschrank, ein großer Tisch mit gedrechselten Füßen, und ein schönes bunt bemaltes Bett hatte Johann aus der früheren Einrichtung übernommen, und Ella wunderte sich im Stillen, daß der junge Mann all diese eleganten Dinge für seinen eigenen Gebrauch behielt, anstatt damit das Zimmer seiner Mutter zu schmücken.

Endlich waren die vierzehn Tage verflossen; der Umzug war beendet, und alles war in der neuen Wohnung des jungen Tischlers in schönster Ordnung. Die kupfernen Casserollen funkelten vom Sims des Heerdes herab, und aus dem Schranke glänzten die bunt bemalten Tassen und Schüsseln hinter den Glasscheiben hervor. Selbst die weißen Gardinen hingen schon in zierlichen Falten an den Fenstern, und kein Nagel fehlte mehr an der Wand. Noch einmal warf Johann einen prüfenden Blick über die soeben vollendete Arbeit, und voller Befriedigung rieb er sich die Hände.

»Da wären wir fertig,« rief er heiter; »ein König kann kein hübscheres Logis haben! – Jetzt, Fräulein Ella, bringe ich Sie und meine Mutter wieder nach Hause, und wenn wir dort sind, erzähle ich Ihnen eine sehr interessante Geschichte.«

Ella blickte verwundert zu dem jungen Manne auf. Was konnte er ihr Wichtiges mitzutheilen haben, als daß Vater Carlet wieder zu ihr zurückkehre? Aber ehe die Frage noch über ihre Lippen gekommen war, nahm Johann schon wieder das Wort.

»Fragen Sie mich nichts,« sagte er; »ich erzähle Ihnen kein Wort, ehe Sie nicht daheim sind; dort werden Sie alles erfahren. Also, lassen Sie uns eilen.«

Bald hatten sie die Wohnung erreicht, und Ella setzte sich voller Spannung neben Frau Lebeau nieder und erwartete mit Ungeduld die Erzählung ihres jungen Freundes. Aber Johann zögerte noch immer; er schloß sorgfältig die Thür, öffnete dann das Fenster und blickte auf die Straße hinab.

»Aber, lieber Freund, ich vergehe vor Ungeduld,« rief Ella endlich, als Johann noch immer ruhig am Fenster verweilte.

»Einen Augenblick noch, ich komme gleich, Fräulein Ella … So, nun wollen wir anfangen!«

Lächelnd schloß er das Fenster, holte sich einen Stuhl herbei und setzte sich dem jungen Mädchen gegenüber.

»Ich habe Ihnen neulich schon erzählt, liebes Fräulein, daß ich so glücklich war, Vater Carlet zu finden. Denken Sie, der arme, alte Mann hätte sich beinahe ertränkt.«

»Sich ertränkt!« rief Ella entsetzt und rang die Hände.

»Er hat es ja nicht gethan, beruhigen Sie sich doch. Zu rechter Zeit kam noch Jemand, um ihn daran zu hindern. Der Fremde, der ihn gerettet hatte, war ein freundlicher Herr; er ließ sich Vater Carlet's Geschichte erzählen, und als er dieselbe hörte, kam ihm ein glücklicher, ein ganz herrlicher Gedanke. Er plauderte noch ein Viertelstündchen mit Vater Carlet, dann setzte er sich in eine Droschke und fuhr mit ihm nach einem Hause … ich weiß wohl,« unterbrach er sich selbst, »das klingt außerordentlich unklar, aber in kurzer Zeit werden Sie alles genauer erfahren … Bleiben Sie nur ruhig sitzen,« wandte er sich dann an Ella, die gespannt aufhorchte, als sich auf der Treppe Schritte vernehmen ließen, »es kommt Niemand zu Ihnen. Das sind nur meine Arbeiter, die unsre letzten Sachen fortbringen sollen … Ich traf also Vater Carlet, als er eben nach dem bewußten Hause fuhr, und da erzählte er mir alles. Hätte ich ihn nicht unterwegs getroffen, so wäre der Herr, welcher ihn begleitete, noch zu Ihnen gekommen und hätte Sie über des Vaters Schicksal beruhigt. Aber natürlich war es ihm lieber, daß ich es that. Heut sind es nun vierzehn Tage, seit Vater Carlet in dem bewußten Hause ist, und da er jetzt dort nichts mehr zu thun hat, …«

»Nun?« fragte Ella athemlos.

»Nun, da er dort nichts mehr zu thun hat,« wiederholte

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Mein Liebling! mein Herzblatt!

Johann und blickte verstohlen nach der Thür, »so bleibt er auch nicht länger dort, sondern …«

Aber weiter kam Johann nicht mit seiner Erzählung. Ella hatte auf dem Corridor ein leises, ihr so wohl bekanntes Husten gehört; rasch flog sie nach der Thür, öffnete dieselbe und lag in den Armen ihres geliebten Vaters.

»Mein Liebling! Mein Herzblatt! Mein liebes, bestes Kind,« sagte er bewegt, indem er ihr zärtlich über die Wangen strich. »Ach Gott, wie glücklich bin ich jetzt. Wie hübsch ist sie geworden, seit ich sie nicht mehr gesehen habe!«

»Gesehen? Er sieht wieder! Ist es denn wahr, ist es wirklich wahr?« rief das junge Mädchen mit zitternder Stimme und wandte sich fragend zu dem alten Herrn, der Vater Carlet begleitete.

»So wahr ich Arzt bin, mein liebes Fräulein, Ihr Vater kann wieder sehen,« erwiederte der Fremde.

»Und Sie haben ihn geheilt?«

»Ich unternahm es, und Gott ließ es gelingen. Herr Lebeau wird Ihnen bereits erzählt haben, daß ich so glücklich war, Ihren Vater aus einer großen Gefahr zu erretten. Ich erfuhr von ihm, daß er bereits seit langer Zeit blind sei und nahm ihn deshalb mit nach meinem Hause, um seine Augen zu untersuchen. Es stellte sich bald heraus, daß er den grauen Staar hatte, und da ich diese Operation bereits oft ausführte, so machte ich mit gutem Muthe den Versuch, auch Ihrem Vater das Augenlicht wieder zu geben. Doch aber war es zweifelhaft, ob die Operation gelingen werde. Ich wollte deshalb in Ihnen nicht vorzeitig Hoffnungen erwecken, die vielleicht nur zu einer um so schmerzlicheren Enttäuschung geführt hätten; auch Ihrem Vater war es eine Beruhigung, wenn Sie, liebes Fräulein, vorher nichts von unserm großen Unternehmen wußten, und so hielten wir es bis jetzt vor Ihnen geheim. Ich hatte Ihren Vater in ein Krankenhaus gebracht und habe dort nach zwei Tagen die Operation ausgeführt. Sie ist über Erwarten gut gelungen, und vollständig geheilt führe ich Ihnen Ihren lieben Vater jetzt wieder zu. – Nein,« sagte er abwehrend, »danken Sie mir nicht; ich bin reichlich durch das Vergnügen belohnt, so braven Menschen eine Freude bereitet zu haben. Nur eine kleine Bitte möchte ich an Sie richten … «

»Ach, mein Herr, verfügen Sie ganz über uns.«

»Nun, wer weiß, ob der ersten Bitte nicht noch eine zweite folgt. Für heute ersuche ich Sie alle zum Mittagessen meine Gäste zu sein. Heut Abend um sechs Uhr erwarte ich Sie mit Ihrem Vater und auch Frau Lebeau und ihren Sohn. Jetzt lasse ich Sie allein, denn Sie werden sich viel zu sagen haben. Auf Wiedersehen!«

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