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Das wußtest du doch längst, Ella!

Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Neue Freunde

Es kommt wohl selten vor, daß zwei Familien, die beide auf demselben Corridor wohnen und täglich unzählige Male an einander vorüber gehen, nicht bald eine innige Freundschaft schließen oder in bittere Feindschaft gerathen. Ella war so freundlich und dienstfertig und jederzeit so heiter und sanft, daß nur eine ganz besonders zänkische und unliebenswürdige Frau ihrer Anmuth hätte widerstehen können. Und zänkisch und unliebenswürdig war Frau Lebeau durchaus nicht; sie war eine ganz vortreffliche Frau, zwar ein wenig geschwätzig, aber in Ella's Augen war dies durchaus kein Fehler, da sie viel lieber still zuhörte, als daß sie selber sprach.

So wurden die beiden Nachbarinnen denn bald die allerbesten Freunde und leisteten sich gegenseitig eine Menge kleiner Dienste, die sie immer enger mit einander verbanden. Der alte Carlet seinerseits war daran gewöhnt, mit Frau Peters sein Schwätzchen zu machen, und so war er sehr vergnügt, nun an ihrer Stelle eine andere Frau zu finden, mit der er manches Stündchen verplaudern konnte. Die beiden alten Leute vertrugen sich vortrefflich mit einander, und es kam Carlet vor, als hätte er Frau Lebeau schon seit undenklichen Zeiten gekannt.

Die Zimmer, welche Ella's Eigenthum ausmachten, hatten ihren Ausgang alle auf einen langen Corridor, welcher durch einige hohe Fenster Luft und Sonne erhielt. Einige Pflanzen, welche an diesem warmen, geschützten Plätzchen vortrefflich fortkamen, brachten die Bewohner der Zimmer auf die Idee, dort kleine, schwebende Gärten anzulegen, auf die sie die äußerste Liebe und Sorgfalt verwendeten. Vom frühen Morgen ab wurden die Blumen gepflegt und begossen, die trocknen Zweige und gelben Blätter entfernt, und jeder frische Keim, der während der Nacht aus der Erde hervorgesproßt war, jede Blüthe, die sich seit dem verflossenen Abend erschlossen hatte, wurde mit Jubel begrüßt und im Triumph den Hausgenossen gezeigt.

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Während des ganzen Sommers strahlten diese Fenster in den schönsten Farben; Nelken, Veilchen und Reseda, Rosen und Tausendschönchen zierten nacheinander die kleinen Gärten mit ihren bunten Blüthen, und an den Seiten kletterten an feinen Drähten Kresse, Wicken und Winden empor.

Welch Vergnügen war es für die beiden kleinen Familien, nach der Arbeit im Corridor am Fenster zu sitzen, wo die Blumen dufteten und Ella's Zeisig aus voller Kehle schmetterte, als wollte er seine Freude bezeugen, daß er dies kleine Paradies bewohnte. Zuweilen sang Ella auch wohl ein Liedchen mit dem Vogel um die Wette. Dann legte Carlet den Finger auf den Mund und winkte seiner alten Freundin zu schweigen, und andächtig lauschten beide dem Doppelgesang und wußten nicht, wessen Stimme die schönere sei. Sie freuten sich an dem kleinen Concert, das sie täglich im eignen Hause hörten und hatten ebensoviel Vergnügen davon, wie die reichen Leute an ihren Opern und großen Musikaufführungen.

Frau Lebeau's Sohn verließ während des Sommers das Haus bereits immer am frühen Morgen und kehrte erst, wenn es dunkelte, wieder dahin zurück. Deshalb nahm er in der ersten Zeit niemals an den fröhlichen Zusammenkünften Theil, die Carlet und Ella mit Frau Lebeau an ihren Blumenfenstern hatten. Als aber der Winter kam, kehrte der junge Tischler schon immer, sobald es dunkelte von seiner Arbeit zurück. Jetzt hatte freilich die Kälte den gemüthlichen Stunden im Corridor ein Ende gemacht; aber dafür bat Frau Lebeau den alten Carlet und seine Tochter, doch den Abend in ihrem Zimmer zuzubringen, »damit man nur ein Feuer und ein Licht brenne.« Am nächsten Abend versammelte sich der kleine Kreis in Carlet's Zimmer, und bald war allen das Zusammensein so zur Gewohnheit geworden, daß selten ein Abend verging, den die beiden Familien nicht in Gemeinschaft verlebten. Gewöhnlich kam Frau Lebeau mit ihrem Sohne in Carlet's Zimmer, da des Alten Arbeit sich schwerer von einem Ort zum andern bringen ließ, als das leichte Körbchen mit Frau Lebeau's Strickzeug. Da der junge Tischler auch nicht gern müßig dabei saß, so half er Vater Carlet bei seiner Arbeit oder wenn er ein gutes Buch im Hause hatte, so gab er den allgemeinen Bitten nach und las aus demselben vor. Frau Lebeau freute sich dann und war ganz stolz, ihren geliebten Sohn lesen zu hören, Ella und ihr Vater aber nahmen das lebhafteste Interesse an dem Inhalt des Buches. So hatte Johann jederzeit aufmerksame Zuhörer, und nur dann und wann wurde er von Carlet unterbrochen, der mit überlegener Miene zu Ella hinüberrief: »Das wußtest du doch längst, Ella!« In seinen Augen wußte Ella alles; sie war für ihn der Inbegriff aller Gelehrsamkeit.

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Legte Johann dann das Buch zur Seite, so wurde noch über den Inhalt desselben gesprochen, verschiedene Meinungen ausgetauscht, über entgegengesetzte Ansichten gestritten, kurz der Abend war so rasch verflossen, daß Frau Lebeau beim besten Willen nicht Zeit gefunden hatte, ihren Freunden mitzutheilen, daß die Nachbarin aus dem dritten Stock heut auf dem Markte ein Huhn gekauft habe, daß die alte Plättfrau in der Dachstube Trauer um ihre Katze trage, und was der wichtigen Neuigkeiten mehr waren.

Der wiederkehrende Sommer fand die beiden Familien eng befreundet. An den Festtagen machten sie gemeinsam kleine Ausflüge in die Umgegend, und Ella liebte vor allem eine Fahrt mit dem Dampfschiffe zu machen. Mit Vergnügen weilte dann das Auge auf den fruchtbaren Ufern des Flusses, an denen niedriges Gehölz mit üppigen Wiesen wechselte, und auf den hübschen Villen und Landhäusern, die hie und da aus dem dunkeln Grün des Waldes hervorleuchteten. Die kleine Gesellschaft belustigte sich damit, eins derselben auszuwählen und in Gedanken für sich einzurichten, ohne dabei die Sorgen und die Unruhe zu empfinden, die der wirkliche Besitz mit sich bringt. Aber während Ella und Johann ihre Luftschlösser bauten, blieb Vater Carlet meist auf dem festen Boden der Wirklichkeit stehen. Auf allen Ausflügen begleiteten ihn seine kleinen Windmühlen, denn er war daran gewöhnt, sie stets mit sich zu führen, so daß sie ihn in keiner Weise belästigten. Und wo er auch immer hinkam, überall waren die zierlichen Mühlen das Entzücken der Kinder und brachten Vater Carlet reichliche Einnahme. Es wäre dem braven Alten kein Vergnügen gewesen, wenn er einen Weg gemacht hätte, ohne etwas dabei zu verdienen.

Vater Carlet war jetzt zufriedener denn je, und er gewann das Leben von Tag zu Tag lieber. Er sowohl, wie Ella verdienten reichlich soviel sie bedurften; es fehlte ihnen an nichts, sie hatten gute Freunde, was wäre ihnen noch zu wünschen übrig geblieben!

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