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Ach, die niedliche kleine Puppe!

Zehntes Kapitel.
Ella will auch Geld verdienen

Es dunkelte bereits, als Carlet sein Zimmer wieder betrat. Alles blieb still bei seiner Ankunft, und kein lauter Jubel tönte ihm, wie am Mittag entgegen. Verwundert zündete er ein Licht an und leuchtete damit im Zimmer umher. Ella saß am Kamin, und ihr Köpfchen ruhte auf den Armen, die sie auf dem Holzstamm gekreuzt hielt. Sie schlief ruhig, und nur zuweilen schluchzte sie noch leise, wie Kinder thun, die sich in den Schlaf geweint haben.

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Als Carlet mit dem Lichte vor ihr stand, erwachte sie sogleich.

»Ach, lieber Vater Carlet,« rief sie, die Arme um ihn schlingend, »ich dachte, du kämst gar nicht mehr wieder.«

»Gar nicht, mein kleines Schäfchen? Wie kannst du so etwas denken! Du warst wohl sehr unglücklich, daß du so allein warst?«

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»Ja, ich habe mich so entsetzlich gelangweilt, und als es dunkel wurde, fürchtete ich mich. Ich wagte nicht einmal nach dir zu rufen, weil ich dachte, die bösen Kunstreiter könnten es hören. Zuletzt habe ich geweint, und was dann geschah, weiß ich nicht.«

»Du hast geschlafen, mein Liebling, und jetzt sollst du Abendbrod essen. Morgen aber wird es dir besser gehen. Ich bringe dir hier ein schönes warmes Kleid mit, wollene Strümpfe und gute, feste Schuhe. Das kannst du morgen alles anziehen, und wenn ich sehe, daß die Kunstreiter nicht mehr hier sind, dann kommst du mit mir in die Stadt. Du kannst dich dann auch bei der guten Dame bedanken, die dir alle die hübschen Sachen schickt. Sieh einmal, dies große Bündel.«

Ella hatte es bereits neugierig betrachtet; sobald sie aber hörte, daß es für sie bestimmt sei, ergriff sie es, breitete die Sachen auf dem Tische aus einander und zog das Kleid sogleich über ihre Schultern.

»Sieh doch das schöne Kleid!« rief sie freudestrahlend. »Wie lang es ist! Ich sehe aus, wie eine Dame. – Ach, und hier ist eine niedliche, kleine Puppe! Sie ist von Holz und sieh doch! was sie für einen rothen Mund und für himmelblaue Augen hat! Ist sie nicht allerliebst? Aber der eine Arm ist zerbrochen; das haben gewiß die bösen Kunstreiter gethan. Du armes Kind, du hast gewiß keine Mama gehabt. Jetzt aber soll dir niemand mehr etwas thun; jetzt bleibst du bei mir und schläfst in meinem Bett. – Aber lieber Vater Carlet,« rief sie nun plötzlich, ihre Schätze von neuem musternd, »gehört dies alles wirklich mir? Da sind ja eins, zwei, drei Hemden, ein schöner wollner Rock und eine Menge Strümpfe! Wo bringe ich denn nun alle meine Sachen unter? Ach dort ist noch Platz auf dem Brett neben der Thür. – Sieh einmal her, Väterchen, wie hübsch ich alles geordnet habe. – Die schöne, schwarze Schürze, sie hat zwei ordentliche Taschen; da kann ich all das Geld hinein thun, das ich verdiene. Ich habe immer das Geld eingesammelt, wenn ich getanzt hatte. Ich sagte dann immer: Lieber Herr, schöne Dame, geben Sie mir etwas, damit ich noch besser tanzen lerne. Darauf machte ich eine Verbeugung, und dann habe ich stets etwas erhalten.«

Carlet hörte ihr betroffen zu. Er arbeitete nicht gerade übermäßig viel; aber er verdiente sich seinen Lebensunterhalt und hatte noch nie gebettelt.

»Armes Kind, das Tanzen war eben ihre Arbeit,« sagte er entschuldigend zu sich selbst. »Jetzt wirst du aber kein Geld mehr einsammeln,« wandte er sich dann zu der Kleinen. »Du bist nicht mehr bei den Kunstreitern und sollst nicht mehr tanzen. Ich tanze ja auch nicht, ich verkaufe Windmühlen; das ist eben ein anderes Gewerbe.«

»Ja, das ist deine Beschäftigung,« erwiederte die Kleine rasch. »Aber ich verkaufe doch keine Mühlen, ich will tanzen. Ich muß doch auch etwas verdienen.«

Carlet hatte sich auf den Schemel gesetzt und Ella's Erklärung aufmerksam angehört. Bei ihren letzten Worten aber brach er in ein lautes Gelächter aus.

»Warum lachst du denn?« fragte die Kleine verwundert. »Strobel hat es oft gesagt, wenn ich krank war, und Mama wollte, daß ich im Bette liegen blieb. ›Sie muß tanzen,‹ rief er dann mit seiner rauhen Stimme, ›wozu ist sie denn da, wenn sie nicht einmal tanzen will? Jeder muß sein Brod selbst verdienen!‹ Und als ich einmal nicht tanzen konnte, nahm er mir mein Abendbrod fort, und nur ganz heimlich konnte mir Mama etwas geben, als er es nicht sah.«

»Du armes Kind! Bei mir sollst du immer etwas zu essen haben, ohne daß du tanzest. Es ist jetzt auch zu kalt, du kannst das dünne Kleidchen nicht tragen, und in diesem hier kannst du doch nicht tanzen.«

»Bist du denn aber so reich?«

Carlet lachte von neuem.

»Darauf habe ich dir ja schon einmal geantwortet. Wie kannst du denken, daß ich reich bin! Sehe ich denn so aus?« Ella schüttelte den Kopf.

»Dann muß ich aber auch arbeiten,« sagte sie. »Nur die Kinder der reichen Leute brauchen kein Geld zu verdienen.«

»Laß nur gut sein, später sollst du auch arbeiten. Thust du es denn so gern, oder fürchtest du dich vor mir, wie vor dem bösen Strobel?«

»Nein, im Gegentheil.«

»Nun, warum denn?«

»Für die Kunstreiter arbeitete ich, weil ich mich vor ihnen fürchtete; für dich will ich es aber thun, weil ich dich lieb habe.«

Bei diesen letzten Worten schlang Ella ihre kleinen Arme um Carlet's Hals und küßte zärtlich seine gefurchte Wange.

»Du bist mein gutes, kleines Mädchen,« sagte Carlet gerührt und liebkoste die Kleine, als wäre sie sein eignes Kind. Lächelnd lauschte er ihrem fröhlichen Geplauder, suchte ihr beim Abendbrod die besten Bissen heraus und bettete sie dann sorglich wieder auf seinen Strohsack.

Lange blieb er dann noch an ihrem Lager stehen und betrachtete liebevoll das schlafende Kind. Schon längst dachte er nicht mehr daran, Frau Robert oder Mutter Günther zu fragen, was aus seinem Schützling werden solle. Er fühlte sich mit seiner kleinen Pflegetochter so glücklich, wie nie zuvor, denn es war ihm gar zu süß, von jemand geliebt zu werden. Bis jetzt hatte er das nie gekannt, aber nun schien es ihm unentbehrlich.

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