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In einer Viertelstunde war der Umzug beendet.

Dreizehntes Kapitel.
Der Umzug

Als Frau Robert das Zimmer betrat, müde und erschöpft von den steilen Treppen, sah sie verlangend nach einem Sitz umher; aber nichts, als der Baumstamm fiel ihr in die Augen. Mit einem verwunderten Kopfschütteln ließ sie sich darauf nieder, und athemlos trocknete sie sich mit ihrem karrirten Tuche die Stirn, während Carlet ihr seine neuesten Bedenken mittheilte. Schweigend gab sie anfangs nur einige Zeichen der Zustimmung, dann aber sagte sie nachdenklich:

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»Sie haben ganz recht, alter Freund, Sie sind hier nicht gut aufgehoben. Die Stube ließe sich ja sauber und ordentlich herrichten, aber was hilft Ihnen das? Die schlechten Nachbarn werden Sie deshalb doch nicht los. Sie müssen das Haus verlassen. – Ich weiß eine hübsche, kleine Wohnung, und ich denke, die alte Frau Peters, der sie gehört, wird Sie für wenig Geld darin aufnehmen. Ich will einmal mit ihr reden, und am nächsten Markttage bringe ich Ihnen dann Bescheid. – Doch halt! da sind ja noch die Federn, die ich der Kleinen versprochen hatte; ich habe sie mir von einigen Bekannten auf dem Markte geben lassen, und da sind auch gleich noch einige Stöckchen und ein Knäul Zwirn. Die Kleine will ja gern selbst etwas verdienen, da muß man ihr im Anfang ein wenig helfen. Nicht wahr, mein kleiner Liebling? … Aber es ist vielleicht besser, ich erkundige mich gleich nach der Wohnung,« fuhr sie nach kurzem Sinnen fort. »Es ist noch nicht spät, und ich könnte die ganze Sache gerade noch vor der Heimfahrt abmachen. Wenn Frau Peters Ihnen die Wohnung vermiethen will, bin ich in einer Stunde wieder hier.«

Mit diesen Worten eilte Frau Robert aus dem Zimmer und überließ Carlet all den Gedanken, die auf ihn einstürmten. Welche Veränderungen gingen plötzlich in seinem Leben vor! Er hatte bisher nichts bedurft und nichts gewünscht und war bei allen Entbehrungen froh und zufrieden gewesen. Welche Folgen hatte es jetzt für ihn, daß er in jener Nacht das Kind von der Straße bei sich aufgenommen und ihm ein Obdach gegeben hatte! Mit diesen Gedanken beschäftigt, saß Carlet schweigend am Kamin und halb willenlos befolgte er dabei alle Bitten und Befehle, die Ella indessen aller Augenblicke in der heitersten Laune an ihn richtete.

»Vater Carlet, bitte binde mir einmal diese Federn an den Stock. … So, da ist wieder ein Besen fertig! Gehen wir nachher wieder auf die Straße, damit ich sie verkaufen kann? Ich rufe dann: Kauft Federbesen! Kauft Federbesen! Hier kommt die kleine Besenverkäuferin!«

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Carlet band indessen den Faden um die Federn, knüpfte ihn fest und sah dann wieder schweigend vor sich nieder, bis das Kind von neuem dieselbe Bitte an ihn richtete. Als Frau Robert zurückkehrte, lag bereits ein ganzes Dutzend Besen auf dem Tische.

»Das ist recht, daß du so fleißig bist,« sagte die Bäuerin zu Ella, und zu Carlet gewendet fügte sie mit leiser Stimme hinzu: »Das kleine Ding wird eine Menge Geld damit verdienen. … Ich habe nun mit Frau Peters gesprochen; sie ist bereit, Ihnen eine Stube und eine kleine Kammer zu vermiethen und will sich auch gern des Kindes ein wenig annehmen. Ein Mann weiß ja nicht immer, was so ein kleines Ding braucht. Wenn es Ihnen recht ist, wird sie auch das Essen für Sie und die Kleine besorgen. Ella hat bis jetzt zu schlechte Kost gehabt, man sieht es ihr an. Wenn sie gesund bleiben und groß werden soll, so muß das anders werden. … Nun will ich aber gehen, es ist schon spät. Uebermorgen komme ich mit meinem Wagen her und besorge Ihnen den ganzen Umzug. Ich bringe dann auch noch allerlei nützliche Dinge mit. Kaufen Sie vorher nichts, was Ihnen zu fehlen scheint. Nun leben Sie wohl, und bleiben Sie gesund bis übermorgen. Auf Wiedersehn!«

Zwei Tage darauf hielt Frau Robert's kleiner Wagen vor der Thür, um Carlet's geringe Habseligkeiten abzuholen. In einer Viertelstunde war der ganze Umzug beendet, und das Kissen, der Tisch, der Baumstamm, der Schemel und das, was Carlet sein Hausgeräth nannte, waren auf dem Wagen untergebracht. Nur den Strohsack hatte Carlet zurücklassen müssen. Frau Robert fand, daß er zu alt und schlecht sei, um ihn mit in die neue Wohnung zu nehmen, und schweigend gehorchte der Alte den Anordnungen der Bäuerin und verkaufte ihn für wenige Groschen an den Trödler; aber sorgenvoll überlegte er dabei, worauf Ella nun diese Nacht ihre müden Glieder strecken solle. Die Kleine selbst bekümmerte sich darum wenig. Sie saß vorn auf dem schmalen Sitz neben Frau Robert, welche selbst die Zügel in der Hand hielt. Sie sang und jubelte und freute sich des ungewohnten Vergnügens, in einem so hübschen, kleinen Wagen zu fahren.

Frau Peters wohnte in einer engen, alten Straße nahe dem Wasser. Sie war die Eigenthümerin einer halben Etage in einem schmalen, hohen Hause. Vor einer Reihe von Jahren fand man in Nantes diese sonderbare Einrichtung ziemlich oft. In den schönen Straßen in der Mitte der Stadt hatte ein einzelnes Stockwerk schon einen bedeutenden Werth; aber die Hälfte einer fünften Etage, wie sie Frau Peters in einem ziemlich entlegenen Theile der Stadt besaß, war ein sehr bescheidener Besitz. Doch aber konnte sie ein ganz bequemes Leben führen, da sie die vier Stuben, die sie selbst nicht bewohnte, für einen mäßigen Preis an Fremde vermietete und sich auch noch manchen Groschen durch Stricken verdiente. Frau Peters war schon seit vielen Jahren Wittwe; sie stand ganz allein in der Welt und hatte weder Kinder noch andere Verwandte. Für ihre Miether war sie stets zu jedem Dienste und jedem Opfer bereit; dafür hoffte sie aber auch, daß sich eine barmherzige Hand finden würde, wenn sie selbst einmal erkranken sollte, was zum Glück bisher noch nie vorgekommen war. Sie war eine kleine, magere Frau; ihr immer freundliches Gesicht war von vollem, schneeweißen Haar umrahmt, und die muntern, grauen Augen beschattete eine große Brille. Den ganzen Tag lang saß sie auf ihrem Lehnstuhl an dem Fenster, das von Epheu und Kresse umrankt war, vor einem kleinen Tisch, auf dem ein dickes Buch neben Strümpfen und Wollknäulen seinen Platz hatte. Neben ihrem Sitz auf einem niedrigen Schemel schlief ihre Katze, ein ganz wunderbar gut gezogenes Thier; sie konnte ein Knäul über die Erde rollen sehen, ohne damit zu spielen und hatte in ihrem Leben noch niemals genascht; ja, sie war sogar im Stande, ruhig neben einem Bratwürstchen zu liegen, ohne nur ein einzig Mal das Pfötchen darnach auszustrecken.

Frau Peters saß, wie immer, strickend an ihrem Fenster, als sie ein leises Klopfen an der Thür vernahm. Sie öffnete, und Frau Robert mit ihren Schützlingen trat in das Zimmer. Die Frauen wechselten einige Worte mit einander, dann nahm die Wirthin einen Schlüssel aus ihrem Korbe, wandte sich zu Carlet und sagte:

»Sie können Nanny's Zimmer bekommen; das ist jetzt frei.« Und bedauernd fügte sie hinzu: »Die arme Nanny hat zwölf Jahre dort gewohnt; sie hätte das Zimmer sicher nicht verlassen, wenn sie nicht gestorben wäre. Sie hat mir all ihre Möbel hinterlassen, und da ich keinen andern Platz für dieselben habe, wäre es mir recht lieb, wenn Sie die Sachen in dem Zimmer dulden wollten. Unbequemlichkeiten sollen Sie natürlich nicht davon haben, ich werde sie selbst immer in Ordnung halten.«

Dann schloß sie eine Thür auf, und staunend blickte sich Carlet in dem geöffneten Zimmer um, das ihm mit fürstlicher Pracht eingerichtet schien. Es war indessen nur ein einfaches Stübchen mit frisch getünchten Wänden, nicht sehr groß, aber von einer ausgesuchten Sauberkeit, und die kleinen Bilder an den Wänden, die bunten Tassen und Gläser auf dem Kamin, gaben ihm, im Verein mit der weiß und roth gewürfelten Bettdecke, ein gar freundliches Ansehn. Eine alte Komode, ein Tisch und drei Rohrstühle bildeten die übrige Einrichtung des Zimmers. Das Bett stand in einem schmalen Alkoven, aus dem man in zwei kleine Kammern gelangte. Die eine derselben war klein und dunkel und, wie Frau Peters sagte, für Holz und Wirthschaftsgegenstände bestimmt; die andre dagegen hatte ein kleines Fenster, war hell und freundlich, und ein Feldbett stand darin aufgeschlagen.

»Dies Bett mache ich der Kleinen zum Geschenk,« sagte Frau Robert. Ich habe es eben hergebracht und auch einen guten, neuen Strohsack und ein Federbett dazu. Meine Hühner und Gänse haben in diesem Jahre soviel Federn gegeben, daß ich gern etwas davon für Ella's Bettchen nahm. Hier ist auch noch eine wollne Decke; sie ist zwar schon alt, hält aber doch noch warm, und die Wäsche zu den Betten wird Ihnen Frau Peters leihen. Es ging nicht an, daß Sie mit dem Kinde ferner ein solches Zigeunerleben führten, wie bisher. Sehen Sie das nicht ein, Vater Carlet?«

»Ich sehe es wohl ein,« erwiederte der arme Carlet niedergeschlagen, »aber ich weiß nur nicht, wie ich es einrichten soll, um so viel Geld …«

»Ja, lieber Freund,« unterbrach Frau Robert heftig seine Rede, »dann werden Sie besser thun, das Kind nicht zu behalten.«

Diese Worte schnitten Carlet tief ins Herz, und er blickte so kummervoll vor sich nieder, daß die alte Wirthin Mitleid mit ihm empfand.

»Versuchen Sie es doch erst einmal,« sagte sie freundlich; »wir werden ja sehen, ob es geht. Das kleine Mädchen sieht so nett und artig aus. Und sehen Sie nur, wie sich Miezchen von ihr streicheln läßt; das ist ein sehr gutes Zeichen. Die Katze läßt keinen schlechten Menschen in ihre Nähe kommen, sie hat dafür ein wunderbar feines Gefühl.«

In der That sah man durch die halbgeöffnete Thür, wie Ella neben Miezchen's Stuhle stand und mit der Hand über den Rücken der Katze strich, indem sie ihr leise Schmeichelworte zuflüsterte. Das Thier schnurrte dabei zufrieden und ließ sich mit gnädiger Miene die Liebkosungen gern gefallen.

Dem freundlichen Zuspruch der beiden Frauen gelang es endlich, Carlet von allen Zweifeln und Sorgen zu befreien. Er übergab der Wirthin die kleine Summe, die er von der ungewöhnlich reichen Einnahme der letzten Tage erübrigt hatte und bat sie, dieselbe für ihn und seine Kleine zu verwenden.

Mit gutem Muthe sah er nun in die Zukunft und hoffte, daß sein Pflegetöchterchen ihm auch ferner so viel Glück und Segen bringen werde, wie in diesen ersten Tagen ihres Zusammenlebens.

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