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Carlet fing an, der Kleinen zu helfen.

Siebentes Kapitel.
Die kleine Hausfrau

Als Carlet das Zimmer verlassen hatte, spielte Ella ein Weilchen mit ihrer kleinen Mühle; dann betrachtete sie den langen Stock, an dem Vater Carlet sein buntes Spielwerk befestigt hatte, aber zuletzt wurde sie dessen auch müde, und sie fing an sich zu langweilen.

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»Es ist doch recht häßlich hier!« seufzte sie. »Nicht einmal die Sonne kann ordentlich hereinscheinen; die Fensterscheiben sind aber auch gar zu schmutzig … Ach, da liegt ein Lappen! Ich werde sie putzen. Vater Carlet wird gewiß nicht böse darüber sein.«

Geschäftig nahm sie den Krug, legte ihren Lappen in den Napf, goß Wasser darauf und fing an das Fenster zu waschen. Aber gar bald mußte sie inne halten, denn ihr Arm konnte die höheren Scheiben nicht mehr erreichen.

»Könnte ich mich nur auf etwas stellen … der Schemel ist zu klein … Aber dort der Baumstamm, den kann ich nehmen … Er ist entsetzlich schwer; heben kann ich ihn nicht, aber vielleicht läßt er sich fortstoßen.«

Mit aller Kraft versuchte das kleine Mädchen nun, den Baumstamm vorwärts zu schieben, allein sie vermochte nicht, ihn von der Stelle zu bewegen; endlich aber gelang es ihr, ihn umzuwerfen, und vergnügt klatschte sie in die Hände.

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»Jetzt kann ich ihn fortrollen,« rief sie jubelnd und schob den Baumstamm bis an das Fenster. »Das ist prächtig! jetzt reiche ich bis an die oberen Scheiben hinauf.«

Eben hatte die Kleine ihre Arbeit vollendet, als Carlet zurückkehrte. Trotz der Kälte strahlte Ella's Gesichtchen in den lebhaftesten Farben. Sie hatte sich bei der Arbeit so angestrengt, war so oft von dem Stamme herabgesprungen, um den Lappen ins Wasser zu tauchen und hatte so viele Mühe gehabt, wieder auf ihren hohen Stand hinaufzusteigen und auf den Fußspitzen zu stehen, daß glühende Röthe ihre Wangen bedeckte. Aber ein Blick auf das Fenster belohnte auch all ihre Mühe; man konnte jetzt wieder deutlich erkennen, daß es Glasscheiben waren, und das Wasser, das die kleine Wäscherin in ihrem Eifer reichlich auf die Erde schüttete, hatte dort so viel Schmutz aufgeweicht, daß ein scharfes Auge beinahe die ursprüngliche Farbe des Fußbodens wieder erkennen konnte.

Ueber Carlet's Gesicht flog ein fröhliches Lächeln, als er die Geschäftigkeit des Kindes sah.

»Seh' mal einer diese gute, kleine Hausfrau! du hältst ja hier schon große Wäsche. Auf diesen Gedanken wäre ich nie gekommen. Ueber diese Frauen! Sind sie auch noch so klein, das Wirthschaften liegt ihnen schon im Blute. Aber bis an die oberste Scheibe konntest du doch nicht heranreichen! Komm, setze dich auf meine Schultern … du kletterst ja wie eine Katze. Bist du nun zufrieden? Sitzest du auch bequem? … So, nun ist das Fenster fertig, nun ruhe dich aus.«

»Noch nicht! Bitte mache das Fenster jetzt auf.«

»Da, nun ist es offen, aber wozu?«

»Um es auch auf der andern Seite zu waschen; da ist es noch viel schmutziger. Sieh, wie klar die Scheiben werden; die Sonne kann jetzt ordentlich hindurch scheinen. Wie hübsch das Fenster nun aussieht.«

Carlet lachte und fing nun an, der Kleinen bei ihrer Arbeit zu helfen. Dann wischte er das Wasser vom Fußboden auf, damit Ella sich nicht erkälte, und da sah er zu seiner Verwunderung unter dem Fenster einen hellen, farbigen Fleck, auf dem man die Zeichnung des steinernen Bodens erkennen konnte.

»Wir müssen die ganze Diele so sauber machen, wie diese eine Stelle,« sagte Ella eifrig.

»Aber nicht heut; ich muß nun gehen und Geld verdienen.«

»Aber wo ist deine Milch?«

»Es gab keine mehr; ich habe ein Stück Käse gegessen, das ist ebenso gut. Nun, mache nur deshalb kein so trauriges Gesichtchen; ich habe sehr gut gefrühstückt. – Jetzt werde ich dich nun wieder einschließen, während ich fortgehe. Da hast du einige Reste von meinem bunten Papier; wenn es dir Vergnügen macht, so darfst du sie zerschneiden. Zu Mittag bin ich wieder bei dir und bringe dir etwas zu essen mit. Wenn dich friert, so hülle dich in meine warme Decke ein. Sei indessen vergnügt, mein Liebling, ich bin bald wieder bei dir. – Aber du hast mir deinen Namen noch immer nicht gesagt! Wie heißt du denn?«

»Eigentlich heiße ich Elisabeth, aber ich werde immer Ella genannt.«

»Nun, so leb wohl, Ella.«

»Lebe wohl, Vater Carlet.«

Der gute Alte nahm seine Flöte und seine Mühlen und ging nach der Thür; auf der Schwelle drehte er sich noch einmal nach der Kleinen um. Sie lief auf ihn zu und schlang zärtlich beide Arme um seinen Hals. Bewegt verließ der Alte das Zimmer. Als er die Treppen hinab stieg, hörte er, wie eine der Nachbarinnen auf ihren kleinsten Knaben schalt und ihn schlug. Unzählige Male schon hatte er dies ruhig mit angehört, aber heut erregte es seinen Unwillen. Er begriff nicht, wie man es über das Herz bringen könne, ein Kind so grausam zu schlagen.

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