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Fröhliches Frühstück.

Vierzehntes Kapitel.
Neue Lebensweise

Jetzt begann für Ella und ihren Vater ein ganz neues Leben. Hätte Carlet selbst all diese neuen Einrichtungen treffen, sich selbst um seine Wirthschaft bekümmern müssen, so würde er bald die Flinte in's Korn geworfen haben; aber unter der Fürsorge der guten Frau Peters, die Ella in ihre besondere Obhut nahm, empfand er nur die Annehmlichkeit und Wohlthat eines geregelten Lebens, an das er bisher nicht gewöhnt war. Man sah ihn nie mehr im »grünen Baum,« und Mutter Günther hatte in ihm einen ihrer treusten Kunden verloren. Nur zu rasch war ihm die neue Lebensweise lieb und angenehm geworden, und er ließ Frau Peters gern alles einrichten, wie es ihr gefiel.

An jedem Morgen rief die Wirthin den alten Carlet und sein Töchterchen in ihr Zimmer. Jeder brachte seine Tasse herbei, und fröhlich setzten sie sich dann um den Tisch, auf dem ein großer Krug warmer Milch dampfte und ließen es sich vortrefflich schmecken.

Nachdem auch die Katze ihr Frühstück erhalten hatte, half Ella der Alten beim Reinigen des Geschirrs und der Zimmer. Einen großen, wollnen Lappen in der Hand polirte sie mit Aufbietung aller ihrer Kräfte die Möbel, räumte aus, wischte den Staub ab, und Frau Peters lobte sie dafür, daß sie alles so sauber und eigen besorge und prophezeihte, daß sie einmal eine treffliche kleine Hausfrau werden würde. Waren die häuslichen Geschäfte beendet, so nahm Carlet seine Mühlen und Ella ihre Federbesen, und vereint gingen sie dann, ihre Waaren in der Stadt zum Verkauf auszubieten.

Ella war bald der Liebling aller Frauen auf dem Markte. Als ihr Frau Peters eines Tages aufgetragen hatte, auf dem Markte etwas Gemüse einzukaufen, war sie mit vollem Korbe heimgekehrt, ohne dafür einen Groschen ausgegeben zu haben. Jede Händlerin hatte ihr willig gegeben, was sie verlangte, aber die Bezahlung wollte keine von dem Kinde annehmen. Dies wiederholte sich auch stets von neuem, so oft Ella ihre Einkäufe machen wollte, und Frau Robert war nicht die letzte, welche den kleinen Haushalt mit nützlichen Geschenken versorgte. Niemals brachte sie Holz nach der Stadt, ohne auch an Carlet's Thür einige starke Kloben oder ein Bündel Reisig abzuladen. Bald brachte sie etwas Wolle mit, die ihre Schafe geliefert hatten, aus der Frau Peters dem Kinde ein Röckchen stricken sollte, bald einen Korb Aepfel, Kuchen oder einige Brode; kurz, es verging keine Woche, in der sie nicht den kleinen Haushalt in irgend einer Weise unterstützte. Und wollte Carlet ja einmal etwas dagegen einwenden, so sagte sie, es sei ja alles für »das Kind,« und er mußte dann schweigen.

Carlet's Einnahmen waren indessen auch nicht schlecht. Das hübsche, blonde Kind zog die Käufer noch immer an, und die kleinen Besen, die sie zum Verkaufe bot, erhöhten den täglichen Verdienst stets um einige Groschen. Dabei war Frau Peters eine ehrliche und sparsame Wirthschafterin, die mit ihren neuen Miethern wohl zufrieden war. Für das kleine Mädchen besaß sie eine große Zuneigung, und dann freute sie sich auch, in Vater Carlet einen Nachbar zu haben, mit dem sie hie und da ein Wörtchen plaudern konnte. Nebenbei aber zog sie noch immer ihren kleinen Vortheil aus der gemeinsamen Wirthschaft.

Auch Carlet fühlte von Tag zu Tag mehr, wie behaglich die jetzige Lebensweise sei, und es war ihm bei weitem angenehmer, sein Mittagessen bei der Heimkehr auf dem Tische zu finden, als es selbst einzukaufen und an irgend einer Straßenecke zu verzehren. Und wie unterhaltend verflossen jetzt die sonst so eintönigen Regentage, wenn Ella um ihn her ihre kindlichen Spiele trieb, und dazwischen das Schnurren der Katze und das Klappern von Frau Peters' Stricknadeln die Stille unterbrach. Oftmals kam er auch in den langen Winterabenden mit seiner Arbeit in das Zimmer der Wirthin, und wenn der Alte dann auf die geschickten Fingerchen der kleinen Ella sah, die ihm so fleißig bei seiner Arbeit halfen und ihrem muntern Geplauder lauschte, so dachte er daran, daß er früher wohl auch ganz zufrieden gewesen sei; aber zwischen seinem damaligen Glück und seinem jetzigen war ein so großer Unterschied, wie zwischen einer Mühle für einen halben und einer für einen ganzen Sou.

Zu den Personen, die ein besonderes Interesse für Carlet's Pflegetöchterchen an den Tag legten, gehörten auch die Bewohner des kleinen Hauses in der Rosenstraße. Gleich in den ersten Tagen hatte Carlet die Kleine dorthin geführt, und Ella hatte Frau Terrasson und Pauline in den wärmsten Worten für ihre Güte gedankt. Alle waren von dem lieblichen Kinde entzückt. Sie mußte erst ein Stückchen Kuchen verzehren und dann die verschiedensten Fragen über ihr bisheriges Leben beantworten. Aller Augen füllten sich mit Thränen, als die Kleine von dem Tode ihrer Mutter, von ihrem Unglück und ihrer Flucht erzählte, und von Mitleid erfüllt baten die Kinder die kleine Ella, sie doch recht oft zu besuchen. Die Mutter stimmte dem Wunsche der Kinder bei, und von nun an war Ella ein oft gesehener Gast in dem Hause. Die Kinder legten regelmäßig von ihrem Taschengelde etwas zurück, um für ihre kleine Freundin ein paar Schuhe oder eine Schürze zu kaufen, und Pauline war nie fleißiger, als wenn sie an einem Hemd oder einem Röckchen für Ella nähte.

Während der Winter langsam verfloß war Ella in allen Theilen von Nantes bald ebenso bekannt, wie Vater Carlet. Ein jeder hatte ihre Geschichte erfahren, und man fügte derselben gern noch allerlei Abenteuer hinzu, die dem Kinde nie begegnet waren. Ella wußte aber von alledem nichts. Sie war glücklich, mit Carlet die Stadt zu durchstreifen, Besen und Mühlen zu verkaufen, dem Alten bei seiner Arbeit zu helfen und Abends mit ihrem Kätzchen zu spielen.

Nur einige Stunden gab es in ihrem Leben, an die sie stets mit Seufzen dachte. Frau Peters war nämlich der Meinung, daß kleine Mädchen allerlei Nützliches lernen müssen, und täglich rückte sie einen großen Stuhl neben den ihren und setzte die kleine Ella darauf. Dann gab sie ihr zwei Stahlnadeln in die Hand, um die ein Faden geschlungen war und legte ein Knäul Wolle dazu auf den Schooß des kleinen Mädchens. Wie gern spielte Ella mit solch einem Knäul, indem sie es von einem Ende des Corridors zum andern rollte, und Miezchen sich dann blitzschnell drauf losstürzte, um es zu fangen! Aber jetzt mochte sie es gar nicht mehr sehen, denn es erinnerte sie immer an die häßlichen, bösen Stricknadeln. Wie langweilig war es, in jeder Hand eine solche lange, stählerne Nadel zu halten, und Masche auf Masche von einer Nadel auf die andere gleiten zu lassen! Und wenn Frau Peters ihr sagte, wie nothwendig es für Frauen sei, stricken zu lernen, so dachte Ella, daß sie ja noch lange keine Frau sei und wünschte sich in Gedanken zu ihren Spielen zurück.

Aber fast noch gefürchteter, als die Stricknadeln, war das dicke Buch, welches auf dem Tische der alten Frau lag. Sie schlug es mit ernster Miene auf, zeigte mit der Nadel auf eins der kleinen schwarzen Zeichen, mit denen die Seite bedeckt war und sagte:

»Das ist ein A, dies ein B, u. s. w.«

Ella hörte ihrer Lehrmeisterin andächtig zu und sah aufmerksam auf die genannten Buchstaben. Sie hatte durchaus nichts dagegen, daß dies ein A und dies ein B war; wenn sie aber dann selbst aus der Menge der schwarzen Zeichen ein A oder B heraussuchen sollte, so schienen sie alle die gleiche Form zu haben und tanzten vor ihren Augen zuletzt wild durcheinander. Sie gähnte, blickte heimlich seitwärts nach der Katze, die keine Buchstaben zu lernen und nicht zu stricken brauchte, und nach einer jeden Lehrstunde waren die Augen des, Kindes mit Thränen gefüllt. Frau Peters erklärte dem alten Carlet endlich seufzend, daß es nicht möglich sei, dem kleinen Mädchen das Geringste beizubringen.

Carlet sah die alte Frau bei dieser Erklärung verwundert an. Es war ihm nie eingefallen, daß Ella etwas lernen mußte, und er wagte schließlich die bescheidene Frage, ob das Lernen denn für die Kleine unbedingt nöthig sei.

»Ja, was soll denn einmal aus dem Kinde werden?« entgegnete Frau Peters entrüstet. »Sie kann doch nicht ihr ganzes Leben hindurch Windmühlen verkaufen. Sie muß später doch einmal aus andre Weise ihr Brod verdienen.«

Carlet lachte.

»Das will sie ja auch thun; sie wäre unglücklich, wenn sie das nicht sollte. Das Erste, was sie überhaupt verlangte, war, daß sie ihr Brod selbst verdienen wolle. Sie sehen es ja auch, die Kleine hilft mir, wo sie kann.«

»Das ist ganz richtig, aber sie thut dabei doch nur, was ihr Spaß macht. Das kann unmöglich länger so fortgehen. Sie muß arbeiten lernen, und deshalb müssen Sie das Kind in die Schule schicken.«

»In die Schule? Würde es ihr denn dort gefallen?«

»Warum nicht? Sie hat dort Cameraden, mit denen sie spielen kann, sie lernt nähen, stricken und lesen, und in fünf oder sechs Jahren kann sie dann etwas Ordentliches lernen. Sie haben die Kleine zu sich genommen und sind jetzt ihr Vater; nun müssen Sie auch etwas Ordentliches aus ihr machen. Wenn man sein Brod nicht ehrlich verdienen kann, so stiehlt man es. Wollen Sie, daß sie eine Diebin wird? Wenn Sie die Kleine nicht ordentlich erziehen wollen, so schicken Sie sie lieber ins Waisenhaus.«

»Ich will sie ja in die Schule schicken, Frau Peters; seien Sie nur nicht gleich so entsetzlich böse. Ella soll in die Schule gehen, ich verspreche es Ihnen.«

Er seufzte tief auf und, mit sich selbst sprechend, sagte er nachdenklich: »Wie schwer ist es doch, ein Kind zu erziehen!«

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