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Er ließ die Knaben exerzieren, wie richtige Soldaten.

Dreißigstes Kapitel.
Am Ziel.

Lebt wohl! lebt wohl! durch Sturm und Drang
Verfolgten treu wir euren Gang.
Nun sind zerteilt die Wolken all
Und lieblich glänzt der Sonne Strahl.
Er zeugt von einer Liebe Macht,
Die über euch im Himmel wacht;
Er ist der süßen Liebe Bild,
Die warm in Euren Herzen quillt.
Und bleibt ihr nur der Liebe treu,
So blüht das Glück euch täglich neu!

Zwölf Jahre sind verflossen: das Wäldchen ist ein Wald geworden, dessen grünes Dach den ganzen Abhang beschattet. Das Reich des ehemaligen Waldhäuschens hat sich mächtig ausgedehnt, weiter, als der Blick reicht, gehören alle Thäler und Hügel dazu und eine steinerne Brücke spannt sich über dem Flüßchen aus. In der ganzen Bretagne giebt es keine besser bestellten Felder, keine reicheren Ernten als hier, und auf allen landwirtschaftlichen Ausstellungen spielen die Ochsen, die Hühner, das Getreide, das Obst des Herrn Tregan die erste Rolle. Das ursprüngliche Waldhäuschen steht noch, man hält es um der alten Erinnerungen willen hoch; dort verhandelt Lorenz mit seinen Arbeitern, Magdalene mit ihren Armen. Das jetzige Wohnhaus ist viel größer und stattlicher, es hat den alten Namen mit dem des »Waldschlößchens« vertauscht, und die Landleute ringsum betrachten es so völlig als das eigentliche Schloß der Landschaft, daß man den alten Bauernhof nur noch Doué schlechtweg nennt. In Doué wohnen Joseph und Anna mit ihren Familien, denen Lorenz ein treuer Verwandter und guter Nachbar geblieben ist; wenn sie auf seine Ratschläge hören wollten, so könnten sie auch besser vorwärts kommen und ihr Erbe allmählich vergrößern; aber sie halten mit bäurischer Hartnäckigkeit an ihren alten Gewohnheiten fest und mögen an dem Hergebrachten nichts ändern. So bleibt ihr Besitz, wie er ist, sie leben in derselben Weise wie schon ihre Urgroßeltern vor ihnen, in der alten Enge und Beschränktheit fort. Die alten Tregans schlafen seit zwei Jahren auf dem Dorfkirchhofe – niemand hat ihr Scheiden beklagt.

Im Waldschlößchen herrscht so reines, volles Glück, wie es auf Erden nur denkbar ist. Katharina seufzt wohl zuweilen, daß ihr Michel all diese Herrlichkeit nicht mehr erlebt hat, aber sie findet einen Trost in dem Gedanken, daß es dem guten Mann und treuen Vater vielleicht vergönnt sein mag, von dort oben auf das Glück seiner Kinder herabzuschauen und sich noch im Himmel zu freuen, daß sie seinem Namen Ehre machen.

Hauptmann Bauqueur ist alt geworden, aber die Landluft thut ihm so wohl, daß er sich strammer aufrecht hält, als vor zwölf Jahren, und die Gicht gar nicht mehr kennt. Er ist immer noch ein leidenschaftlicher Angler und versorgt den Haushalt mit den schönsten Fischen; außerdem ist er aber eine unschätzbare Autorität für die Kinderstube. Er läßt den kleinen Lorenz und seinen Bruder Xaver exerzieren wie richtige Soldaten; wenn sie einst zu den Fahnen einberufen werden, so wird ihnen der Dienst keine Mühe machen. Aber er lehrt sie auch noch andere Dinge, welche jedermann zur Zierde gereichen: Ordnung und Sauberkeit, Gewissenhaftigkeit und Gehorsam, Wahrheitsliebe und Pünktlichkeit. Dagegen sind die Wissenschaften, das Latein, nicht sein Fall; diesen Teil des Unterrichts überläßt er ihrem Vater, welcher seine Knaben trefflich für das Gymnasium vorbereitet. Der Hauptmann hat noch zwei andere Schüler, einen Knaben und ein Mädchen, deren ganz gehorsamer Diener er ist; vorläufig hat er sie noch nichts weiter gelehrt als Gehen, denn sie sind noch im zarten Alter.

Jean Kerlo ist noch älter als der Hauptmann, aber er macht immer noch seine alten Wanderungen durch das Land und trägt seine Lieder und Neuigkeiten von Hof zu Hof. Er besucht das Waldschlößchen häufig und könnte dort ein sicheres Unterkommen finden, wenn er wollte; Lorenz und Magdalene haben ein Haus gegründet, wo die Alten, die Waisen und Kranken liebevolle Aufnahme und Verpflegung finden; sie haben ihm oft einen Platz darin angeboten, aber er hat es nicht angenommen, er will so frei sterben, wie er gelebt hat. Er weiß, daß ihn der letzte Schlummer vielleicht einmal überraschen wird, wenn er sich unter dem Sternenhimmel auf die kahle Erde bettet, aber der Gedanke hat keine Schrecken für ihn.

Ludwig ist ein schöner, junger Mann geworden, den die Mädchen gern haben; wenn er einmal daran denken wird, ein eigenes Haus zu gründen, so darf er getrost an jede Thür klopfen, man wird ihn freundlich empfangen. Unter dem verständigen und liebevollen Einfluß der Geschwister ist sein Geist völlig erwacht, all seine Anlagen haben sich entwickelt: er ist ein ausgezeichneter Musiker geworden und versteht es, reizende Verse zu machen; wenn er für die ernsteren Wissenschaften weniger Sinn und Verständnis hat, so vergißt man das gern über seinen übrigen Vorzügen.

Aristides Burdelau ist unverheiratet geblieben, seine Mutter hat immer noch nicht die ideale Schwiegertochter gefunden, von der sie träumt. Frau Reichmann ist nach wie vor von ihren fünf ausgezeichneten Töchtern umgeben; ihr Gatte verbringt sein Leben im Klub oder auf der Promenade und fühlt sich überall heimischer als zu Hause. Esther hat mehrere Romane geschrieben, aber es gelingt ihr nicht, einen Verleger dafür zu finden. Magdalene gedenkt der Familie mit Mitleid, aber ohne Groll: sie hat längst gelernt, die freudlosen Jahre in ihrem Hause als eine strenge, aber heilsame Schule zu betrachten, in der sie zur Demut und Ergebung, zur Tüchtigkeit und Genügsamkeit erzogen wurde. An der tiefen Entbehrung, die sie dort erlitten, hat sie den Wert wahrer Liebe erkannt, und die Erinnerung treibt sie oft, sich der Einsamen und Verlassenen mit doppelter Freundlichkeit anzunehmen, während ihr in dem Andenken an die unholden Zwillinge die Gefahr einer verkehrten Liebe zuweilen mahnend vor die Seele tritt und sie warnt, ihre eigenen Kinder nie zur Qual und Plage für andere werden zu lassen.

Die brave Klaudine lebt nicht mehr, nur ihre zahlreiche Nachkommenschaft füllt die Ställe und gewinnt auf allen Ausstellungen die ersten Preise. Man hat sie nicht dem Fleischer überliefert, sondern sie hoch in Ehren gehalten, auch dann noch, als sie keine Milch mehr gab. Magdalene vergaß nie, wieviel sie dem treuen Tier verdankte, und Lorenz teilte ihre dankbare Anhänglichkeit; so erhielt Klaudine ihr Gnadenbrot, den besten Platz im Stall, das beste Futter, die sorgsamste Pflege, und als sie starb, ließ Magdalene aus ihrer Haut einen Teppich machen, der jetzt der Tummelplatz für die Spiele ihrer kleinen Kinder ist. Zum Andenken führt immer eine Kuh auf dem Gut den Namen Klaudine.

Das ganze Land ringsum hat allmählich ein anderes Aussehen angenommen. Das Dorf hat eine Schule und es giebt schon viele junge Leute in der Umgegend, die lesen und schreiben können. Die Wagen bleiben nicht mehr in den tiefen Gleisen stecken, sondern rollen auf gut gehaltenen Landstraßen hin und tragen die reichen Produkte der Felder der Ferne zu. Die leichtere Verbindung führt auch die Menschen näher zusammen, man sieht im Waldschlößchen häufig Gäste, welche die Entfernung von einigen Meilen nicht scheuen, um die Gastfreundschaft des allgemein beliebten Paares zu genießen: giebt es doch kaum ein Haus, wo man einen herzlicheren Empfang, eine interessantere Unterhaltung fände, wo alles Große und Gute so treu gepflegt würde, wie hier. Lorenz ist Friedensrichter seiner Landschaft geworden; wo es gilt, eine neue Erfindung einzuführen, eine Maschine zu verleihen, einem armen Bauern durch vorgeschossenes Geld oder Saatkorn zu helfen, gute Bücher zu verbreiten, da ist er allezeit der erste und kein Besitzer wird weit und breit so hoch geschätzt und genießt so unbedingtes Vertrauen wie er. Magdalene ist stolz auf ihn und sie hat ein Recht dazu: sein edler, frommer Sinn, sein lebendiger Geist, sein menschenfreundliches Herz, sein heiteres Gemüt flößen ihr täglich neue Liebe, neue Hochachtung ein, und stets hat sie den Tag gesegnet, der sie zur Gefährtin dieses seltenen Mannes machte, welcher sich durch die eigene, innewohnende Kraft hoch über die bescheidenen Verhältnisse seiner Geburt emporgeschwungen hat. Sie teilt all seine Bestrebungen, seine Interessen und nie hat sie eine Sehnsucht nach dem glänzenderen Leben einer großen Stadt empfunden; inmitten eines blühenden Besitzes mit all seinen Freuden und Pflichten fühlt sie sich vollkommen befriedigt. Wenn sie ihr Leben überdenkt, ihre glückliche Kindheit, die schweren Jugendjahre, ihr jetziges reiches Glück, so erkennt sie in dem allen die Führungen einer liebenden Vaterhand, die sie sicher zum seligen Ziel geleitet und auch das Leid in Segen verkehrt hat.

Lorenz und Magdalene sind reich geworden, aber ihr Glück findet keine Neider, denn jeder weiß, daß das Paar im Waldschlößchen sein Gut nicht engherzig genießt, sondern mit warmem Herzen und offener Hand alle daran teilnehmen läßt, die in seine Nähe kommen, und der Segen der Armen und Bedürftigen ruht auf dem Hause und allen, die darin wohnen.

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Druck von Carl Marquart in Leipzig.

 


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