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»Gieb mir einen deiner Töpfe, ich kann ihn auch noch tragen.«

Dreizehntes Kapitel.
Die Ährenleserin.

Goldne Frucht trägt das Gelände,
Segen schuf der Sonne Glut:
Frisch gerührt die fleiß'gen Hände,
Nach der Arbeit ruht sich's gut.

Magdalene war in der That größer als Katharina und Anna, aber ihre feinen Arme, ihr schlanker Wuchs waren nicht gemacht, um Lasten zu tragen, und der Korb wurde ihr bald sehr schwer. Sie nahm ihn aus einer Hand in die andere, aber es wollte nicht viel helfen, beide Arme ermüdeten, und ihre Schritte wurden immer kleiner und langsamer. Glücklicherweise war auch ihre Gefährtin schwer beladen und bedurfte hin und wieder einiger Augenblicke, um auszuruhen, nach welchen Magdalene ihre Bürde mit neuer Kraft aufnahm. »Mut, Mut, wir sind bald da!« sagte Anna lachend, als sie das junge Mädchen so atemlos und erhitzt sah. »Sehen Sie dort, die Leute haben ein schönes Stück Arbeit seit heute morgen geleistet; die Betglocke hat schon geläutet, zwei von ihnen sind noch fleißig, aber die anderen haben sich gelagert und warten auf das Essen. Sieh da, einer von den beiden kommt hierher gelaufen, es ist Lorenz – o der Nimmersatt! könnte er nicht warten wie die anderen?«

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Wirklich kam Lorenz wie ein gehetztes Reh auf sie zu, aber nicht aus Sehnsucht nach der Mahlzeit. Er bemächtigte sich sofort des Korbes, den Magdalene trug. »Anna, schämst du dich nicht?« rief er. »Ist sie dazu gemacht, solche Lasten zu tragen? – o Fräulein Magdalene, hat meine Mutter das erlaubt?«

»Ich habe gar nicht auf ihre Erlaubnis gewartet,« erwiderte sie heiter, »ich wollte Anna gern helfen. Ich bin stärker, als sie glauben, und Sie hätten viel mehr Grund, müde zu sein.«

»Ich? nicht im geringsten; die Kräfte ruhen aus, wenn man die Thätigkeit wechselt, und es thut einem gut, seine Arme zu rühren, wenn man zehn Monate lang nur mit dem Kopfe gearbeitet hat. Gieb mir einen deiner Töpfe, Anna, ich kann ihn auch noch tragen! Siehst du, wie die Arbeit vorschreitet? Wir werden bis zum Abend mit dem Mähen und Aufbinden der Garben fertig sein, und wenn die andere Partie ebenso tüchtig geschafft hat, können wir morgen anfangen, zu dreschen. Soll ich dir sagen, Anna, wer der beste Arbeiter unter den vieren ist? Ich denke, es ist gut, so etwas zu wissen, wie?«

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Er lachte herzlich und zeigte dabei zwei Reihen der schönsten, weißen Zähne, seine blauen Augen leuchteten, und sein Gesicht, welches von der Hitze und Anstrengung gerötet war, sah weniger mager aus als gewöhnlich. Er schritt tüchtig zu, in der einen Hand den Korb, in der anderen den Henkeltopf, und alle drei erreichten bald den Rand des Feldes, wo die Schnitter sich im Schatten eines hohen Dornbusches gelagert hatten. Magdalene verteilte die Schüsseln, die Anna der Reihe nach füllte, dann setzten sich die Mädchen nieder, um das Ende der Mahlzeit abzuwarten und das leere Geschirr heimzutragen. Lorenz erheiterte alle durch seine lustigen Scherze er schien keine Ermüdung zu spüren; ab und zu wendete er sich an Magdalene, fragte teilnehmend, ob sie sich auch wohl fühle, ob sie nicht zu sehr ermüdet sei; dann rühmte er ihr das günstige Erntewetter, und man merkte, daß es ihm eine wahre Lust sei, die Sichel zu führen und das gehauene Getreide zu betrachten.

»Haben Sie schon Getreide mähen sehen?« fragte er, »ist es nicht ein hübscher Anblick? Noch schöner ists, wenn abends die Garben gebunden werden. Sie haben auch dreschen sehen, als Sie noch ganz klein waren, aber Sie erinnern sich dessen wohl nicht mehr – oder doch? Das hätte ich nicht gedacht. Klingt es nicht wie Musik, wenn die Flegel im Takt auf die Tenne schlagen? Man könnte ein Lied nach der Melodie singen.«

»Ich wette, Sie haben eins dazu gemacht!« rief Magdalene.

Lorenz lachte. »Vielleicht! aber Sie würden es nicht verstehen, es ist bretonisch.«

»Ich verstehe schon ein wenig davon und dann können Sie es mir übersetzen. Sie müssen es mir morgen vorsingen.«

»Gut, wenn ich den anderen den Refrain beigebracht habe, damit sie am Ende jeder Strophe einfallen können. – He Kameraden, seid ihr fertig? An die Arbeit, an die Arbeit! wir müssen heute abend die Erntekrone aufstecken, und morgen räumen wir den Ährenleserinnen das Feld.«

Diese Worte stellten Magdalenen ein biblisches Bild vor die Seele: Ruth und Naemi, die Felder von Bethlehem, den alten Boas …

»Ich möchte auch Ähren lesen,« sagte sie, »ich bin fast so arm wie Ruth, aber ich möchte den alten Boas nicht heiraten; ich denke, er müßte dem Vater Tregan ähnlich sehen!«

Sie mußte über diese Idee lachen, sprang aber schnell hinzu, um Anna bei dem Einpacken des Geschirrs zu helfen, worauf sich beide auf den Rückweg begaben. Magdalene blieb zuweilen stehen, um sich die lachenden, sonnenbeglänzten Felder anzusehen; sie mußte denken, daß das Leben auf dem Lande doch schön sein könnte, wenn man es nur mit einigen Dingen schmückte, die auf Schloß Doué fehlten.

Die beiden kehrten viel schneller zurück, als sie hinausgegangen; der Weg hatte ihnen guten Appetit gemacht, und als Anna die Hoffnung aussprach, man würde ihnen ihren Anteil verwahrt haben, stimmte ihr Magdalene von Herzen bei. Sie fanden das Zimmer leer, die Ernteleute hatten ihr Mahl beendet und waren wieder an die Arbeit gegangen; so setzten sich die Mädchen zusammen an den Tisch und tafelten sehr vergnügt. Katharina ging hinaus, um nach dem Vieh zu sehen, kam aber nach wenigen Minuten ganz aufgeregt zurück.

»Magdalene,« rief sie, »komm, mein Kind, komm schnell und sieh!«

»Was giebt es denn?« fragte das junge Mädchen.

»Deine Klaudine, das brave Tier, hat ein Kälbchen!«

Magdalene fand dies Ereignis nicht so überaus interessant und wußte seine Bedeutung durchaus nicht nach ihrem ganzen Umfange zu schätzen, doch folgte sie dem Ruf, und die ganze Familie begleitete sie in den Stall.

Klaudinens Söhnchen war sehr hübsch mit seinen großen, unschuldigen Augen, seinem hellen, glatten Fell und seinem zarten Körper, der auf zitternden Beinchen stand. Es herrschte nur eine Stimme, daß es ein prächtiges Kalb sei, und man stritt sich lebhaft über sein Gewicht. Klaudine betrachtete es mit Unruhe, sie fürchtete wohl, man könne es ihr fortnehmen, doch wurde sie ruhig, als Magdalene sie und ihr Kind liebkoste. Während die Frauen die Abendmahlzeit für die ganze Erntegesellschaft rüsteten, sangen sie das Lob des Kalbes und seiner Mutter in allen Tonarten, und Magdalene hatte das Gefühl, daß die Verdienste Klaudinens auch auf sie herüberstrahlten.

Als das Essen fertig war, sagte Katharina, sie müsse aufs Feld hinaus, um Michel und Lorenz die gute Kunde zu bringen. Magdalene sah sie groß an, sie begriff nicht gleich, daß es sich um die Geburt des Kalbes handle; dann erklärte sie, sie wollte mitkommen, und schritt an der Seite ihrer guten Pflegemutter leichtfüßig dahin.

Die Sonne neigte sich dem Horizonte zu, lange Schatten fielen auf das Feld und die Schnitter, welche noch eifrig beschäftigt waren, die Garben zu binden, sie mit starken Armen emporzuheben und nebeneinander aufzustellen. Am Rande des Feldes stand eine Schar armer Weiber und Kinder, welche darauf warteten, daß die Arbeit zu Ende wäre; all diese Menschen, die kahlen Stoppeln, die goldenen Ährenbündel waren von den letzten Sonnenstrahlen rosig angehaucht. Magdalene fühlte, wie die friedliche Schönheit ihr in die Seele drang, gerade wie die Lieblichkeit des erwachenden Frühlings im Gehölz; das Bild einer großen Stadt mit ihren lärmenden Straßen, ihren hohen Häusern trat ihr vor die Augen – aber es lockte sie nicht. Katharina hatte inzwischen ihrem Mann und ihrem Sohn die frohe Nachricht schon von weitem zugerufen, und das junge Mädchen erhielt auch hier wieder lebhafte Glückwünsche. Lorenz bemerkte ihr Erstaunen wohl, er lächelte und sagte, während er seine letzte Garbe band: »Man muß die kleinen Gaben nicht verachten, Fräulein Magdalene; ein Kalb ist für den Bauer ein Schatz, deshalb wünscht man Ihnen Glück dazu.«

Als die Arbeit vollendet war, winkte Michel die armen Frauen heran; sie beugten sich zur Erde und suchten sorgsam jede herabgefallene Ähre auf.

»Sehen Sie,« sagte Lorenz, »das ist dasselbe, was Ruth that, haben Sie Lust, es ihr nachzumachen? Hier ist ein Fleck, wo viele Ähren an der Erde liegen, und da ist sogar ein ganzes Häuflein noch auf dem Halm stehen geblieben. Nehmen Sie meine Sichel, aber schneiden Sie sich nicht damit. O, Sie verstehen sie zu führen, Sie würden eine gute Schnitterin abgeben!«

»Nun lassen Sie mich meine Ähren binden,« sagte Magdalene lachend, »Sie sollen sehen, was für eine hübsche Garbe ich machen kann!« Sie setzte sich in eine Furche und wand ihre Getreidehalme mit Kornblumen, Klatschrosen und Maßliebchen zu einem riesigen Strauß zusammen.

Lorenz sah ihr lächelnd zu. »Das ist hübsch, wenn Sie es als Zierde in Ihre Stube setzen wollen, aber wenn man Brot daraus machen will, so taugen die Blumen nicht dazu. Aber es thut nichts, lassen Sie es nur so, nun ist die Arbeit gethan, und wir können zum Abendessen nach Hause gehen.«

»Sie sind wohl sehr hungrig?« fragte Magdalene, indem sie aufstand und ihm folgte.

»Ja, tüchtig hungrig; die Ernte ist schwere Arbeit, aber wenn man monatelang bei seinen Büchern gesessen hat, beim Scheine einer räucherigen Lampe, in einem düstern, feuchten Zimmer, dann thut es wohl, sich im hellen Sonnenschein unter Gottes freiem Himmel abzumühen. Wenn ich hierher komme, fühle ich mich glücklich, ich atme freier als in der Stadt, ich lebe auf, ich fühle mich zum Lachen und zum Weinen aufgelegt und begreife kaum, wie ich anderswo habe leben können.«

»Aber sind Sie denn gezwungen worden, zu studieren? Ich glaubte, Sie liebten Ihre Bücher.«

»Ich liebe alles miteinander, Sie sehen, ich bin nicht schwierig.« Er lachte so heiter, daß Magdalene einstimmen mußte.

»Aber Sie gehen wieder in die Stadt zurück?« fragte sie. »Sie wollen das Priesterseminar besuchen und Geistlicher werden, wie Anna sagt?«

»Anna denkt immer gleich, wenn einer nur lesen kann, könnte er auch gleich Priester werden. Aber ich bin noch nicht dazu entschlossen – nein, noch gar nicht – ich weiß wirklich noch nicht, was ich anfangen werde.«

»Aber wie ging es eigentlich zu, daß Sie die Schule besuchten, während Ihr älterer Bruder nicht dort gewesen ist und auch sonst niemand in der Familie lesen und schreiben kann?«

»O, das ist eine ganze Geschichte – ein Zufall …«

Er schwieg, und Magdalene ging gleichfalls schweigend neben ihm her; sie hatte die größte Lust, von diesem Zufall zu hören, aber sie mochte doch nicht danach fragen.

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