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Der Portier ließ ihn achselzuckend hinaufgehen.

Zwanzigstes Kapitel.
Ein Besuch in Nantes.

Und ist's auch wenig nur,
Was ich von ihr erfuhr,
Doch ist's ein leichtes Band,
Das sie und mich umspannt.

Hören Sie, Tregan,« sagte eines Morgens der Baumeister, bei welchem Lorenz arbeitete, »hier ist eine dringende Angelegenheit, die ich unmöglich selbst erledigen kann. Einer meiner alten Kunden hat einen Bauplatz in Nantes gekauft und will ein Haus darauf bauen; die Stelle muß genau vermessen werden, ehe der Riß gezeichnet werden kann. Fahren Sie hinüber und sehen Sie sich die Sache an, ich weiß, Sie verstehen es. Hier ist der Brief meines Kunden, den Sie unterwegs lesen können, und hier das nötige Geld. Adieu!« Lorenz war ebenso überrascht als erfreut über einen Auftrag, der ihn gerade dahin führte, wohin er zu gehen wünschte; er machte sich sogleich auf den Weg, las pflichtmäßig seinen Brief und dachte dann ernstlich darüber nach, wie und wo er Magdalene oder zunächst den Notar auffinden könne. Er war noch nicht ganz zum Ziel gelangt, als er an seinem Bestimmungsorte ankam, wo er sich zunächst vollständig seiner Pflicht widmen mußte, was er mit soviel Geschick that, daß der Auftraggeber seines Prinzipals ihn nach abgemachten Geschäften einlud, bei ihm zu Mittag zu essen. Während der nötigen Vorbereitungen blieb Lorenz eine Weile allein im Zimmer und fand dort ein Buch liegen, das ihn mehr anzog, als alle Romane der Welt es in diesem Augenblick gekonnt hätten: nämlich ein Adreßbuch der Stadt Nantes.

Er fand den Namen Daussier, den er nie geschrieben gesehen hatte, unter einigen ähnlich klingenden heraus, notierte sich sorgfältig seine Adresse, suchte sich auf dem Plan der Stadt die Straße aus und konnte, nachdem er dies erreicht, kaum noch an etwas anderes denken. Vergebens machte sein Wirt ihn auf verschiedene Delikatessen aufmerksam, er achtete nicht auf das, was er aß, und empfahl sich, sobald die Höflichkeit es irgend gestattete.

Lorenz war nie zuvor in Nantes gewesen, daher kostete es ihn ein endloses Umherirren, bis er endlich an der richtigen Thür ankam. Der Portier wollte ihn zuerst ziemlich rauh abweisen, weil die Geschäftsstunden längst vorüber wären, aber der junge Mann war zu fest entschlossen, zum Ziele zu gelangen, um sich durch solche Schwierigkeiten aufhalten zu lassen; er erklärte, er müsse unter allen Umständen Herrn Daussier sprechen, und der Portier ließ ihn endlich achselzuckend hinaufgehen, obgleich ihm seine Annahme sehr zweifelhaft war. An der obern Thür empfing ihn das Mädchen mit gleichem Bescheide: der Herr nähme abends nie Geschäftsbesuche an, er möge am nächsten Tage zwischen elf und zwei Uhr wiederkommen.

Unmöglich konnte Lorenz so lange warten, er hätte eigentlich schon heute mit dem letzten Zuge nach Vannes zurückkehren müssen. Während er noch dastand und überlegte, ging Herr Daussier selbst durchs Vorzimmer. Mit einem Sprunge war jener an seiner Seite. »O mein Herr,« rief er, »verzeihen Sie, daß ich Sie belästige, ich möchte nur ein Wort mit Ihnen sprechen – sind Sie der Notar des Fräulein Garay?«

»Jawohl, der bin ich.«

»Können Sie mir sagen, wo sich das Fräulein aufhält? Wir haben so lange nichts von ihr gehört! Ich bin der Sohn ihrer früheren Amme Katharina Tregan.«

»Ach so, ich erinnere mich. Fräulein Garay befindet sich recht wohl, sie schreibt von Zeit zu Zeit an mich.«

»Also ist sie nicht in Nantes?«

»Nein, sie lebt in Ancenis, bei Frau Reichmann in der alten Wallstraße; Sie können unter dieser Adresse an sie schreiben, nur wenn es sich um Geschäfte handelt, bitte ich, sich an mich oder an Hauptmann Bauqueur in Trentemoult zu wenden.«

»Besten Dank, mein Herr, wir haben keine geschäftlichen Beziehungen zu ihr. Aber vielleicht würden Sie so gut sein, ihr zu schreiben, daß die ganze Familie ihrer alten Amme an sie denkt und ihr alles Gute wünscht.«

»Ich werde Ihre Bestellung gern ausrichten. Und nun adieu, mein junger Freund, grüßen Sie Ihre brave Mutter von mir.«

Er nickte und verließ Lorenz ohne Umstände, der seinerseits auch nichts weiter von ihm begehrte. Er war froh, etwas von Magdalene erfahren zu haben, und als er am nächsten Sonntag nach Hause kam und den Seinen von der Unterredung mit dem Notar erzählte, hörten ihm alle, mit Einschluß der alten Tregans und der jungen Kados, zu denen auch ein ganz kleiner Sprößling gehörte, mit offenem Munde zu.

»Also du weißt, wo sie ist, Lorenz, und daß es ihr gut geht?« rief Katharina. »Höre doch, Michel, der Notar wird ihr schreiben, daß wir oft an sie denken und sie immer noch herzlich lieb haben. O mein Lorenz, welch ein guter Gedanke von dir!«

»Ich hoffe«, sagte Michel, »du hast ihm nichts von den Feldern gesagt, die wir für die Kleine – ich wollte sagen, für das Fräulein gekauft haben?«

»Nein, Vater, geht ihn das etwas an?«

»Nicht im geringsten, daher ist es gut, daß er nichts davon weiß, diese Herren vom Gerichte bringen doch nur alles in Verwirrung. Wenn man es einmal jemand sagen müßte, so würde ich mich lieber an den Hauptmann wenden, aber am besten ist es, wir behalten die ganze Sache für uns. Ich habe das Land in deinem Namen gekauft, Lorenz, du bist mündig und weißt, wo sie lebt; sobald sie einundzwanzig Jahre alt ist, magst du sie aufsuchen und ihr dies Eigentum übergeben. Sie kann damit machen, was sie will, doch würde es mir leid thun, wenn sie es verkaufte. – Du sagst, der Hauptmann lebt in Trentemoult, wo ist das?«

»O, das weiß ich genau,« sagte Peter Kado, »ich bin einmal dorthin gegangen, als ich in Nantes diente. Es ist ein kleiner Ort am andern Ufer der Loire, wo lauter Fischer in kleinen Häuschen wohnen. Man findet immer einen Kahn, der einen übersetzt.«

»Wenn ich noch einmal nach Nantes kommen sollte,« bemerkte Lorenz, »so will ich den Hauptmann in Trentemoult aufsuchen, er wird vielleicht genaueres über Fräulein Magdalene wissen.«

»Warum willst du nicht lieber nach Ancenis, Lorenz?« fragte Katharina, »ich bin überzeugt, unsere liebe Kleine würde sich freuen, dich zu sehen und von uns zu sprechen.«

Lorenz schüttelte den Kopf. »Ich weiß doch nicht, Mutter, ob die Dame, bei der sie lebt, das gern sehen würde, auch habe ich viel zu thun und kann nicht umherreisen. Ich glaube auch, Fräulein Magdalene braucht uns jetzt nicht mehr, und ich möchte mich ihr nicht aufdrängen. Aber ihre Adresse wollen wir uns merken: bei Frau Reichmann in Ancenis, alte Wallstraße.«

»Bei Frau Reichmann in Ancenis, alte Wallstraße,« wiederholte eine sanfte Stimme.

Alle wendeten sich nach dem Sprecher um, Ludwig war unbemerkt eingetreten und hatte ohne Zweifel begriffen, wovon die Rede war, denn seine Augen glänzten und seine Wangen glühten.

»Was hast du, mein lieber Sohn?« rief seine Mutter.

»Magdalene!« rief er mit einem glücklichen Gesicht, und dann wiederholte er noch einmal, wie ein Schüler, der seine Aufgabe hersagt: »bei Frau Reichmann in Ancenis, alte Wallstraße.«

»Das wird er sicher nicht vergessen,« sagte Katharina. »Wenn er sich eine Sache einmal in seinen Kopf prägt, dann bleibt sie auch für immer darin. Mein armer Junge! wenn unser liebes Fräulein noch bei uns wäre, würde er auch ein anderer sein, sie wußte ihm Verstand einzuflößen. Aber seit sie fort ist, ist er ganz verstummt und wieder ganz still und einfältig geworden.«

Katharina hatte recht, Ludwig vergaß die Adresse nicht, denn man hörte oft, wie er sie mit halblauter Stimme vor sich hinsagte oder die Beschreibung wiederholte, die Peter Kado von Trentemoult gemacht hatte. Er sprach wenig, aber seine Gedanken schienen beschäftigt; es mußte etwas in ihm arbeiten, denn sein Aussehen war ganz verändert. Er aß mit besserem Appetit und wurde kräftiger, sein Gesicht verlor das kränkliche Ansehen und färbte sich rosiger. Ach, dachte Katharina, welche Wunder thut es schon, wenn er nur von Magdalene reden hört! Käme sie selbst wieder her, so könnte wohl noch ein ganz vernünftiger Mensch aus meinem armen, einfältigen Knaben werden!

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