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Sie schlich unhörbar auf den Fußspitzen aus dem Zimmer.

Sechstes Kapitel.
Ein Beschützer.

Das ist in aller Welt der Brauch:
Wie man sich bettet, so schläft man auch.

Magdalene blieb allein mit den beiden Alten, vor denen sie ein Grauen empfand; als sie bemerkte, daß Jakob ganz in die Rauchwolken seiner Pfeife vertieft war, Monika schläfrig den Kopf auf die Brust sinken ließ und nur noch mechanisch ihr Spinnrad bewegte, schlich sie auf den Fußspitzen unhörbar aus dem Zimmer und atmete erst leichter auf, als sie draußen war. Sie wollte den Weg nach dem Teich suchen, um in Katharinas Nähe zu sein; als sie aber nach oben kam, um sich ein warmes Tuch zu holen, drängte sich ihr ein anderer Gedanke auf. Ihr Zimmer war noch in derselben Unordnung, in der sie es verlassen; niemand hatte es aufgeräumt und augenscheinlich dachte auch niemand daran; Magdalene sah also ein, daß, wenn sie in einem gemachten Bette schlafen wollte, sie selbst es machen müsse. Sie hatte nie dergleichen gethan; in Gedanken verglich sie ihre frühere zierliche Bettstelle von glänzenden Metallstäben, die leichten Matratzen von feinster Wolle mit diesem hohen breiten Gebäude, in dessen massenhaften Federbetten und dicken Decken sie vollständig untergegangen war – sie seufzte über die schwere Aufgabe, ging aber mit einem energischen Entschluß daran. Die Decken und Kissen machten keine Schwierigkeiten, aber nun kam das Unterbett. Nichts ist furchtbarer als ein Feind, der stets zurückweicht, den man nirgends fassen kann. Alle Federn schoben sich auf eine Seite; wo Magdalene auch zugriff, hielt sie immer nur die Leinwand in der Hand; vergebens versuchte sie das Bett herauszunehmen und auf die beiden Stühle daneben zu legen, – aber obgleich sie sich damit abmühte, daß ihr die hellen Schweißtropfen auf der Stirn standen, es wollte ihr nicht gelingen. Endlich verlor sie alle Geduld und riß mit solcher Gewalt daran, daß es auf die Erde fiel.

»Da bleibe nur liegen!« sagte sie triumphierend, »nun zu den Matratzen.« Diese waren jedoch nicht vorhanden, denn die Bauern halten keine Pferde und verkaufen die Wolle ihrer Schafe, oder lassen sie von den Frauen spinnen, um Strümpfe daraus zu stricken. Man legt auf eine starke Schütte Stroh ein oder zwei Federbetten, in deren Dicke man seinen Stolz setzt, denn da die Federn nichts kosten, so stopft man so viel davon in einen Bezug, wie nur hineingehen wollen. Das Bett in der roten Stube, welche die beste des Hauses war, hatte auch das dickste und schwerste Unterbett, und nachdem die arme Magdalene sich bei der Bemühung, das Stroh aufzuschütteln, die Hände arg zerstochen hatte, fing sie einen Kampf mit dem weichen Ungeheuer an, der ihre Kräfte überstieg. Sie konnte es nicht mit einmal aufheben, denn ihre Arme vermochten es nicht zu umspannen und wenn sie mühsam die eine Ecke aus den hohen Rand der Bettstelle gebracht hatte und nun vorsichtig die andere nachschieben wollte, so stürzte die erste wieder herab. Wohl eine halbe Stunde arbeitete sie angestrengt daran, bis plötzlich das ganze Bett herunterfiel und sie mit zu Boden zog. Sie kroch darunter hervor und weinte vor Anstrengung und Ärger; was sollte sie nur anfangen?

Als sie noch müde und mutlos auf dem schrecklichen Bett saß, öffnete sich leise die Thür und Katharina trat herein. »Mein armes Kind,« rief sie, »was machst du hier? Herr Gott, ist es möglich, das arme Lämmchen hat sein Bett machen wollen mit seinen schwachen Armen und den kleinen Händchen und nun sitzt es da und weint! Warte, warte, mein kleines Herzchen, ich will es dir machen; das Stroh ist nicht gut umgeschüttelt, sieh nur, so macht man's!«

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Sie griff mit ihren kräftigen Armen in das Stroh, daß es sich hoch aufbauschte und fuhr fort zu reden. »Ich habe Anna gesagt, ich hätte etwas vergessen und bin hierher gelaufen, um zu sehen, ob du auch nichts brauchst, denn sieh, Großmutter ist ganz gut, aber sie hat ihre Eigenheiten und würde gescholten haben, wenn ich die Wüsche so lange aufgeschoben hätte. Anna ist ein bißchen eifersüchtig; man hat sie verwöhnt und sie mag es nicht gern, wenn man sich viel mit anderen beschäftigt. Aber ich werde schon immer einen Augenblick finden, um dir dein Bett zu machen; versuch es nicht wieder allein, mein Liebling, du könntest dir Schaden thun.«

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Sie beugte sich über das Unterbett, hob es mit einem energischen Griff in die Höhe und warf es auf das Bett. Magdalene half ihr, es glatt streichen, die Betttücher und Kissen in Ordnung bringen und seufzte erleichtert auf, als das gemachte Bett, in seiner ganzen bäuerlichen Großartigkeit fertig vor ihr stand.

»Hab' tausend Dank, du liebe Katharina, und nun laufe schnell davon, denn ich habe große Angst, du könntest um meinetwillen gescholten werden. Das übrige besorge ich allein.«

Sie umarmte und küßte mit dankbarer Zärtlichkeit die gute Frau, die sie nicht nur mit der Liebe einer Mutter ausgenommen hatte, sondern sich auch um ihretwillen dem Gezänk und den Vorwürfen der Ihrigen aussetzte. Dann brachte sie ihr Zimmer in Ordnung und fühlte sich danach so erschöpft, daß sie sich auf einen Stuhl sinken ließ und den Kopf gegen die Kissen stützte, wo sie bald in tiefen Schlummer versank, wie ein müdes Kind.

Die Sonne stand hoch, als sie erwachte, sie hörte unten im Hof Michels Holzschuhe klappern und schloß daraus, daß es Mittagszeit sei. Eilig ging sie herab, eben kamen Anna und Katharina unter Bündeln nasser Wäsche keuchend nach Hause. Die alte Monika, welche das Essen ohne alle Hilfe hatte herrichten müssen, war in sehr übler Laune; sie mußte wohl oben gewesen sein und Magdalene schlafend gefunden haben, denn sie machte sehr bissige Bemerkungen über die Leute, denen die Nacht noch nicht zur Ruhe genüge, die immer erwarteten, es solle ihnen alles Gute im Schlaf zufallen, und die es für sehr bequem hielten, sich an den gedeckten Tisch zu setzen, ohne vorher einen Finger gerührt zu haben. Bei jedem verletzenden Wort lachte sie hämisch, und ihr Mann lachte noch lauter.

Michel sah so rot aus wie ein gekochter Krebs, aber er steckte seine Nase in die Schüssel und sagte nichts; Katharina warf ihrer Schwiegermutter zornige und bittende Blicke zu, die keine Wirkung hatten und Anna, welche bisher meist die Zielscheibe für die Scheltworte der bösen Alten gewesen war, sah mit Genugthuung, daß jetzt ein anderer Gegenstand dafür vorhanden sei.

Die arme Magdalene wußte nicht, was sie thun sollte; sie wagte es nicht einmal, sich an den Tisch zu setzen, denn sie bemerkte wohl, daß die anderen Frauen es nicht thaten, sondern warteten, bis die Männer mit dem Essen fertig wären. Katharina hatte ihr zwar ihre Schüssel dorthin gestellt, aber sie fürchtete sich zu sehr vor den schnöden Reden der alten Tregans und blieb unschlüssig stehen.

Der kleine Ludwig kam ihr zu Hilfe; er stand von seinem Platz am andern Ende des Tisches auf, näherte sich dem jungen Mädchen, küßte mit einer demütigen Gebärde ihr Kleid und faßte ihre Hand. »Gute, heilige Anna,« sagte er, »setze dich zu uns. Willst du nicht von unserer Suppe essen? Sie ist nicht so gut, wie die Speisen des Paradieses, aber die Legende sagt, daß du auch die armselige Kost Hans Tronneks nicht verschmäht hast.«

Er führte Magdalene an den Tisch und verwendete keinen Blick von ihr, während er die folgenden Strophen in bretonischer Mundart sang:

Es diente der heiligen Anna Hans Tronnek mit redlichem Sinn,
Und oft vor ihrem Altare warf er sich betend hin.
Er hat ihr manch brennende Kerze als Opfer dargebracht:
»Mein Haus und Hof und die Meinen nimm, heilige Anna, in acht.«
Und dennoch ward Hans Tronnek von schwerem Unglück bedroht,
Erkrankt sind seine Schafe, und seine Kuh ist tot,
Kein Geld ist mehr im Beutel, das Mehl im Kasten ist aus,
Kein Huhn ist mehr im Stalle, kein Stücklein Speck im Haus.
Es weinen die kleinen Kinder, die Mutter seufzet schwer:
»O heilige Anna, sende uns Rettung und Hilfe her!«
Ein einziges Stücklein Schwarzbrot, mit wenig Salz bestreut,
Das ist im Hause Hans Tronneks die ganze Mahlzeit heut'.
Doch als sie sich niedersetzen, da thut sich auf die Thür,
Die heilige Anna selber, sie schreitet lächelnd herfür.
Und wie von tausend Blumen umwehte sie süßer Duft,
Der Glanz des Paradieses erfüllte die dunkle Luft.
»Gegrüßt seist du, Hans Tronnek!« sprach sie mit holdem Ton,
»Oft sah ich vom hohen Himmel dein treues Opfer schon.
Heut' stieg ich selbst hernieder und komme bei dir zu Gast,
Nun trag' mir auf, Hans Tronnek das Beste, was du hast.«
Sie setzt' an den Tisch sich nieder, sie nahm den Löffel zur Hand –
Doch wie ein lichtes Wölkchen urplötzlich sie verschwand.
Als staunend ihr Hans Tronnek und betend nachgesehn,
Da ist ein herrliches Wunder in seinem Hause geschehn.
Bereit auf seinem Tische die leckerste Mahlzeit stand,
Es war der leere Beutel gefüllt bis an den Rand.
Geheilt im Stalle fand er der Schafe krankes Geschlecht.
So half die heilige Anna Hans Tronnek, dem treuen Knecht!

Die ganze Familie hörte mit Andacht dem Gesange des Einfältigen zu, und unter seinem Schutze fand Magdalene fortan ihren Platz bei den Männern am Tische, statt wie die Frauen mit ihrer Schüssel in einem Winkel am Herde oder auf der Schwelle des Hauses zu sitzen.

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