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Michel lenkte die Ochsen und dachte an sein Kind.

Siebenundzwanzigstes Kapitel.
Veränderungen.

Das Haupt ist tot, die Glieder weinen:
Fahr hin in Frieden, treuer Mann!
Wer wird in Liebe sie vereinen,
Wie es dein milder Sinn gethan?
Wo Lieb' und Eintracht nicht bestehn,
Da muß man auseinandergehn.

Ludwig konnte nicht begreifen, worin der Fehler lag, als er heimlich davonging, um Magdalene aufzusuchen, doch merkte er wohl, daß die anderen ein Unrecht darin fanden, denn sowohl sie selbst als auch der Hauptmann hatten es gesagt, und er fühlte sich sehr bedrückt dadurch. Er war daher während der Heimreise sehr schweigsam, und sein Mißbehagen, verbunden mit dem tiefen Kummer, daß er nun doch ohne seine geliebte Freundin zurückkehren müsse, steigerte sich, je mehr sich die Brüder der Heimat näherten. Als sie den Omnibus verlassen hatten, wäre er am liebsten wieder fortgelaufen, aber Lorenz hielt ihn fest und brachte ihn sicher nach Hause.

Die alten Tregans empfingen den Flüchtling sehr unfreundlich; Monika war im Grunde ihres Herzens wohl froh, ihn wiederzusehen, doch ließ sie nichts davon merken, sondern brummte halblaute Scheltworte gegen »die sauberen Dämchen, welche den Eltern ihre Kinder abwendig machten.« Anna und Peter überhäuften den Knaben mit so bitteren Vorwürfen, daß er sich nicht zu retten wußte und ein böses Gesicht machte, während der kleine Herbert hinauslief und seinem Großvater schon von weitem zurief: »Ludwig ist wieder da!« »Ludwig!« rief Michel, welcher eben die Ochsen vor dem Pfluge lenkte und dabei an sein verlorenes Kind dachte; er blieb einen Augenblick wie versteinert stehen, dann warf er die Peitsche fort und stürzte auf das Haus zu, während die klugen Tiere ruhig ihren Weg fortsetzten. Als er Ludwig erblickte, der in seinen Armen eine Zuflucht vor den Strafreden der übrigen suchen wollte, mäßigte er seine Freude und sagte ernst und traurig: »Deine Mutter hat um dich geweint, mein Junge, das bringt einem Kinde kein Glück.«

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Die einfachen Worte fanden den Weg zu seinem Verständnis besser als alle heftigen Vorwürfe, und als Katharina atemlos ins Zimmer trat und ihn weinend an ihr Herz schloß, da brach auch er in Thränen aus und warf sich vor ihr auf die Kniee. »Vergieb, Mutter, vergieb!« schluchzte er, indem er sie fest umschlang.

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Er versuchte nie wieder zu fliehen, aber er blieb still und traurig und magerte sichtbar ab, als ob er der Hoffnung, die ihm Leben und Kraft verliehen hatte, für immer entsagt habe. Er machte auch keine Wanderungen mehr, sondern heftete sich an die Schritte seiner Mutter, half ihr bei allen Arbeiten und wiederholte immer von Zeit zu Zeit in rührender Ergebung die Worte: »Mutter, du sollst nie mehr über deinen Ludwig weinen.« Die erste Freude empfand er, als Lorenz von einem Brief des Hauptmanns erzählte, worin dieser ihm von seinem Besuch in Ancenis berichtete und ihm mitteilte, er habe sein Mündel zu sich genommen, und sie werde einstweilen bei ihm bleiben. Es folgten viele herzliche Grüße von Magdalene an Michel, Katharina und ihren lieben kleinen Ludwig. Er wußte bald den ganzen Brief auswendig.

Der Herbst stand vor der Thür und mit ihm ein großes Ereignis: Joseph, der älteste Sohn des Hauses, hatte seine Dienstzeit beendet und sollte zu den Seinen zurückkehren. Man erwartete ihn mit Ungeduld, war er doch so lange Zeit fortgewesen! Freilich mischte sich in diese Erwartung auch eine leise Sorge, ob der Dienst im Regiment ihn nicht sehr verändert und den heimischen Sitten entfremdet haben würde. Aber man tröstete sich damit, daß ein echter Bretone bald wieder der alte würde, wenn er nur erst den Boden der Heimat unter den Füßen habe. Anna hatte ihre besonderen Befürchtungen, ob sich das künftige Familienhaupt ihrer Herrschaft wohl ebenso willig beugen würde wie alle anderen Glieder des Hauses, aber sie behielt diese Gedanken für sich und stimmte in die allgemeine Freude mit ein.

Aber einer sollte Joseph nicht mehr begrüßen. Während der Herbstsaat wurde Michel in einem anhaltenden Regenwetter ganz durchnäßt, und der Mann, der sein ganzes Leben lang der Hitze und Kälte, dem Schnee und Regen getrotzt hatte, verfiel in ein hitziges Fieber, das ihn nicht mehr von seinem Bette aufstehen ließ. Der Geistliche, den man am dritten Tage holte, riet der Familie, den Arzt kommen zu lassen, während er selbst an Lorenz schrieb. Als dieser kam, fand er seinen Vater hoffnungslos krank, und zwei Tage später hauchte der brave Mann, umgeben von den weinenden Seinen, die Seele aus, still und friedlich, wie er gelebt hatte. In seinen letzten Stunden legte er Lorenz die Sorge für seine Mutter und Ludwig ans Herz und empfahl ihm Magdalenens Besitztum. »Behüte es, als ob es dein eigenes wäre, bis zu dem Tage, an dem sie mündig wird, es ist nicht mehr weit bis dahin. Dann suche sie auf und übergieb ihr alles, aber nicht eher, damit die Herren vom Gericht sich nicht darein mischen können. Versprich mir das!« Und Lorenz versprach es.

Die herbstlichen Regengüsse bespülten kaum die Erde, unter der Michel Tregan ruhte, als Joseph zurückkehrte; die Erbteilung begann, und da ein minderjähriges Kind in der Familie war, ließen sich die Herren vom Gericht, denen der Verstorbene so wenig Gutes zugetraut, nicht ausschließen. Es ist nicht leicht, ein Erbe zu teilen, das hauptsächlich aus Grund und Boden besteht, und Lorenz hätte am liebsten den ganzen Besitz zusammengelassen, aber er mußte schon nach wenig Wochen erkennen, daß nicht nur die Gemeinschaft der Güter, sondern auch die Gemeinschaft des Lebens eine Unmöglichkeit sei.

So lange Michel lebte, hatte er in seinem Hause den Frieden erhalten, jeder gehorchte ihm gern als dem eigentlichen Familienhaupt, da sein alter Vater zu dieser Stellung unfähig geworden war. Nach seinem Tode sollte sein ältester Sohn an seine Stelle treten, aber Joseph hatte während seines militärischen Lebens die Landwirtschaft etwas vergessen und konnte sich nicht gleich in allen Verhältnissen zurechtfinden. Wie konnte er befehlen, wenn er bei jeder Gelegenheit die anderen um Rat fragen mußte? Wandte er sich damit an Lorenz, so ging alles gut, denn dieser sagte ihm Bescheid, ohne ihn zu verspotten; mußte er sich aber in dessen Abwesenheit an Peter Kado oder den alten Jakob wenden, so gab es stets ein Schelten und Necken über den Herrn der Wirtschaft, der nicht einmal wußte, wann man die nötigsten Arbeiten vornehmen sollte. Jakob riß mehr und mehr das Regiment im Hause an sich, und er und seine Frau quälten die arme Katharina, die sie nie geliebt und nur um Michels willen geschont hatten.

Ein Grund fortwährenden Haders war Magdalenens Besitz. Ihre Ländereien hatten sich ausgedehnt; es gab Kühe und Hühner, welche dem Fräulein gehörten, und die neben dem Futter, welches ihnen auf Kosten ihrer Herrin geliefert wurde, doch noch manches Bund Heu und manches Körnlein fraßen, was dem Schlosse gehörte. Das alles war den alten Tregans ein Dorn im Auge, und Anna und Joseph stimmten ihnen lebhaft bei. Ebenso waren diese darin einig, Ludwigs Erbanteil an sich zu nehmen: er würde doch nie imstande sein, sein Land zu bearbeiten, meinten sie; mußte man aber für ihn arbeiten und ihm alle Bedürfnisse des Lebens geben, so konnte man auch gleich sein Erbe unter die anderen teilen. Solche Vorschläge mußte Katharina täglich anhören und all diese Reibereien machten ihr das Leben so schwer, daß Lorenz sie bei jedem Besuch in bitteren Thränen fand. Er versuchte es nicht, sie zu trösten oder den andern Vernunft zu predigen, denn er wußte, daß sie alle ihren Charakter nicht ändern würden, aber er dachte lange und ernstlich nach, und ehe es zur endgültigen Teilung kam, führte er eines Tages seine Mutter ins Freie hinaus, um ungestört mit ihr zu sprechen.

»Mutter,« sagte er, »du bist hier nicht glücklich, und Ludwig ist es auch nicht, es wäre daher am besten, ihr beide ginget fort. Dir wird es das Herz nicht brechen, denn du bist nicht hier geboren, und für Ludwig ist ein Haus so gut wie das andere. Laß uns teilen: du nimmst dein eingebrachtes Geld zurück, Joseph und Anna mögen einen größeren Anteil an Land erhalten als wir beiden Brüder, denn ihnen bleibt die Sorge für die alten Großeltern. Wir wählen uns unsern Anteil so, daß er an Fräulein Garays Besitz anstößt; von deinem Gelde bauen wir uns ein Haus und leben dort alle drei in Frieden bei unserer Arbeit. Wenn Magdalene mündig wird, kann sie uns als Pächter behalten, wir können ihr Eigentum behüten und verwalten wie kein anderer. Wer weiß? vielleicht kommt sie uns sogar einmal besuchen.«

Katharina widersprach zuerst lebhaft, denn welche Freude ihr auch die Aussicht machte, mit ihren beiden Lieblingssöhnen zusammen zu leben, so wollte sie doch ein solches Opfer von Lorenz nicht annehmen; sollte er, der so viel Mühe und Fleiß darauf verwendet hatte, ein Gelehrter und ein feiner Herr zu werden, sich wieder in einen einfachen Bauer verwandeln? Aber Lorenz wußte sie zu überreden, daß er das Landleben vor allem liebe, und als sie bedachte, welch eine traurige Zukunft ihres Ludwig unter den Geschwistern im Schlosse warte, wenn sie einmal nicht mehr wäre, sagte sie zu allen seinen Vorschlägen »ja«, und die Teilung wurde so ausgeführt, wie er es gewünscht hatte.

Lorenz verlor keine Zeit, sondern fing sofort zu bauen an. Da er sein eigener Baumeister war, konnte er alles aufs billigste und beste einrichten, und seine Mutter wurde nicht müde, sein Geschick zu bewundern und ihre Freude auszusprechen, daß sie auf ihre alten Tage ein so schönes Haus bewohnen solle. Doch war es eigentlich sehr einfach, da es nur aus einem Erdgeschoß und einem Stockwerk darüber bestand; aber es hatte gute Keller, und die unteren Räume waren statt des Estrichs mit bunten Ziegeln ausgelegt, während die oberen sogar Dielen hatten. Rund um das Haus lief eine Rabatte, die mit Buchsbaum eingefaßt und mit Rosen, Levkoyen und Veilchen bepflanzt wurde. Katharina hatte ihr verschlossenes Bett in dem unteren Saal, der nach bretonischer Sitte zugleich als Küche und Eßzimmer diente, in der Stube daneben wohnten die beiden Brüder. Die oberen Zimmer blieben vorläufig leer.

Wenn der gute Michel noch gelebt hätte, so würde sich Katharina für die glücklichste Frau in der Welt gehalten haben. Zu keiner Zeit ihres Ehestandes hatte sie nach ihrem Belieben schalten, kommen und gehen können, ohne die alten Tregans hinter sich schelten und brummen zu hören; sie hatte das alles aus Liebe zu ihrem Manne ohne Klage erduldet, aber seit er tot war, war diese stete Quälerei ihr unerträglich geworden. Nun lebte sie mit ihren Söhnen in friedlicher Ruhe; alles war bequem eingerichtet, der Milchkeller war hell und sauber, die Ställe leicht zu erreichen und doch ein wenig abseits, damit keine Unsauberkeit die nächste Umgebung des Hauses verunziere. Es fehlte nicht an einem Taubenschlage und Bienenstöcken im Gemüsegarten, der mit den schönsten Obstbäumen bepflanzt wurde, welche Lorenz aus Nantes kommen ließ, und deren Sorten man hierzulande noch gar nicht kannte. Er nannte die neue Niederlassung »das Waldhäuschen«, weil sie an das Wäldchen stieß, das Magdalene so innig geliebt hatte. Dies Gehölz war mächtig herangewachsen, es schützte das Haus gegen die Nordwinde und bildete, vom Thal aus gesehen, einen hübschen, grünen Hintergrund, von dem sich die weißen Mauern freundlich abhoben.

Auch Ludwig entwickelte sich kräftiger an Leib und Seele, seit er nur mit Liebe und Schonung behandelt wurde; er fing ernstlich zu lernen an und weigerte sich nie mehr zu arbeiten, was seine Mutter und Lorenz von ihm verlangten. Aber war auch dieser glücklich? Er setzte alle seine Kräfte ein, um den neuen Besitz zu befestigen und ihm sein Gedeihen zu sichern, er studierte eifrig alle neuen Erfindungen auf dem Gebiete der Landwirtschaft; wenn er teure Maschinen nicht anschaffen konnte, so erfand er ähnliche, die er sich selbst herstellte, und immer war er voll reger Thätigkeit in seinem Beruf, voll warmer Freundlichkeit gegen die Seinen. Aber wenn das Tagewerk beendet war, dann suchte er vergebens nach einem verwandten Geist, um mit ihm zu verkehren und die Gedanken auszutauschen, die durch seine Studien in ihm angeregt waren und ihn mit einem höhern Streben erfüllten, als es seine Umgebung verstehen und teilen konnte. Er zog sich daher abends früh zurück, und während Ludwig schlief, vertiefte er sich in seine Bücher, die er freilich bald auswendig wußte. Hatte er einmal eine unerwartete Einnahme, so ging er nach Vannes, um sich neuen Vorrat beim Antiquar zu kaufen, und so lange er daran studierte, erschien ihm das Leben leichter und genußreicher.

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