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Sie hatten einen unheilvollen Trieb zum Experimentieren.

Achtzehntes Kapitel.
Im Reichmannschen Hause.

In ihrem Lebensbuch ein neues Blatt
Liegt vor der Waise aufgeschlagen.
Was ist's, das sie drauf zu verzeichnen hat?
Ist's Glück und Dank? Sind's Schmerz und Klagen?

Wie kam es denn eigentlich, daß Frau Reichmann, die im vorigen Jahre die Waise so unbarmherzig von sich gestoßen hatte, sich jetzt so überaus bestrebt zeigte, sie in ihre Familie aufzunehmen? Wahrhaft großmütiger Empfindungen war diese Frau nicht fähig, und so war denn auch ihre scheinbare Freundlichkeit gegen Magdalene durchaus nicht frei von Selbstsucht. Der plötzliche Tod des Direktors Garay hatte seiner Zeit viel Aufsehen gemacht, und die geschäftige Welt, die sich immer gern um die Angelegenheiten des lieben Nächsten bekümmert, hatte ihr Mißfallen über die Behandlung, welche die hinterbliebene Tochter von ihren Verwandten erfuhr, laut genug kundgegeben. Ein junges Mädchen aus guter Familie der Mildherzigkeit eines Bauernhauses zu überlassen – das war unerhört! Hauptmann Bauqueur freilich war außer Schuld, jedermann wußte, daß er ein armer Junggeselle sei; auch Herr Ratier konnte Magdalene nicht zu sich nehmen, obgleich er wohl imstande gewesen wäre, ein Jahrgeld für sie zu zahlen. Die Damen von einem gewissen Alter, besonders die Mütter erwachsener Söhne fanden für Frau Burdelau eine Art von Entschuldigung in ihren Verhältnissen, aber der ganze Zorn der empörten Gemüter entlud sich über Fräulein Himberg und Frau Reichmann! Nun gab es noch einige Spötter, welche meinten, die erstere Dame habe wohl die rechte Barmherzigkeit bewiesen, indem sie das junge Mädchen nicht in ihr Haus nahm, denn es konnte es ja niemand, nicht einmal ein Dienstbote, bei ihr aushalten; so blieb also Frau Reichmann als eigentlicher Sündenbock übrig. Sie konnte sich nicht einmal durch den Willen ihres Gatten decken, denn jedermann wußte, daß dieser keinen hatte, und wie gütig hatte sich Herr Garay stets gegen sie bewiesen! Er hatte ihre Kinder reich beschenkt, hatte Herrn Reichmann mit seiner Börse und seinem Kredit aus der Not geholfen und ihm durch seinen Einfluß die Stelle verschafft, welche die ganze Familie ernährte! Man fand, daß die Reichmanns hätten glücklich sein müssen, ihre Dankesschuld gegen das verlassene Kind ihres Wohlthäters abtragen zu können, und die öffentliche Meinung that sich, bei dem entgegengesetzten Verfahren, so unverhohlen und auf so wenig schmeichelhafte Weise kund, daß Frau Reichmann endlich davon Notiz nehmen mußte. Dazu kam noch ein anderer Punkt: Ida und Klara waren vollständig erwachsen und im letzten Winter in die Welt eingeführt worden. Aber die jungen Damen fanden wenig Beifall; sie waren zwar nicht häßlicher oder schlechter angezogen als manche andere, aber man fand ihre Erziehung vernachlässigt, ihre Manieren unfein, und da sie sich ihrer eigenen Unwissenheit durchaus nicht bewußt waren und unbekümmert herausschwatzten, was ihnen in den Kopf kam, so gab es fast ein ganzes Register von Albernheiten, die sie gesagt haben sollten und die mit boshaftem Vergnügen weiter erzählt wurden. Frau Reichmann erfuhr davon, und obgleich in ihren Augen niemand sich mit ihren Töchtern vergleichen konnte, so meinte sie doch, daß der Firnis einer feinen Form und ein gewisser Anstrich von wissenschaftlicher Bildung ihnen nützlich sein könnte, und ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf Magdalene. In ihr hoffte sie eine billige Erzieherin zu erwerben; wenn man ihr den Unterricht der Zwillinge übertrug, sparte man das Schulgeld, und wie gut konnte sie nebenher die zahlreichen Lücken in der Ausbildung der älteren Mädchen ausfüllen! Außerdem würde es sicher einen guten Eindruck machen, wenn man die Waise ins Haus nähme; man konnte ja sagen, es sei dies stets die Absicht gewesen, und man hätte nur das Trauerjahr abwarten wollen. Naturgemäß mußten alle harten Urteile durch die Thatsache, daß sie jetzt ein Glied des Hauses wäre, zum Schweigen gebracht werden. Frau Reichmann bewies dem Notar, daß sie das erste Anrecht auf Magdalene habe; er war sehr bereit, dies anzuerkennen – und so war das Schicksal des jungen Mädchens entschieden.

Es war fast Nacht, als die Reisenden in Ancenis ankamen, und der Empfang war so stürmisch, daß Magdalene zuerst kaum wußte, wie ihr geschah. Ihre Cousinen umringten und küßten sie, und es erhob sich zwischen den ältesten Schwestern ein edler Wettstreit, welche von ihnen dem Gast ihr Bett abtreten und auf einem Lehnstuhl schlafen würde. Zuletzt gewann Esther den Sieg, da sie ein kleines Kabinett für sich allein bewohnte. Frau Reichmann versprach Magdalene, sie solle ihr eigenes Zimmer erhalten, sobald der Notar ihre Möbel geschickt habe; sie sprach die Hoffnung aus, sie würde sich unter ihnen wohl fühlen, da sie ja sehen müsse, wie jedes Glied der Familie ihr mit herzlicher Liebe entgegenkomme. Das junge Mädchen wurde durch so viel Freundlichkeit ganz verwirrt und war froh, sich in Esthers Stübchen flüchten zu können, wo sie, erschöpft von der Reise und vielfacher Gemütsbewegung, bald in tiefen Schlummer sank.

Sie erwachte früh, wie es seit einem Jahre ihre Gewohnheit war, aber da sich noch nichts im Hause regte, so beeilte sie sich nicht mit dem Anziehen. Allmählich fiel ein matter Dämmerschein durch die heruntergelassenen Vorhänge, und zu gleicher Zeit drang das Geräusch der Straße zu ihr herauf: das Rollen der Karren, welche Lebensmittel nach der Stadt brachten, Schritte von Arbeitern, die an ihr Tagewerk gingen, von Frauen, welche die ersten Einkäufe besorgten. Kleine Kaufleute öffneten die Läden und sprachen über die Straße weg mit ihren Nachbarn, Hunde bellten im Streit um gefundene Knochen, ländliche Verkäufer riefen ihre Waren aus, und all diese Stimmen, Fußtritte, rollenden Räder klangen zu einem geräuschvollen Ganzen zusammen, welches Magdalenens entwöhntem Ohr sehr störend erschien. Das Kabinett, in dem sie geschlafen, war sicher nicht schöner und behaglicher als die rote Stube auf Schloß Doué, nur hatte die letztere den Vorzug, größer und luftiger zu sein. Doch sagte sie sich, daß es in ihren Verhältnissen viel günstiger sei, in der Stadt als auf dem Lande zu leben, und daß sie gern mit allem, was sie hier finde, zufrieden sein wolle.

Allmählich wurde es im Hause lebendig; man hörte Tritte, und eine laute Stimme rief: »Annette, du mußt einen Löffel Cichorie mehr in den Kaffee nehmen!«, woraus Magdalene schloß, daß die Sprecherin Ida sei, welche das Küchenregiment führte. Dann fragte eine männliche Stimme, ob man dem Gast sein Frühstück nicht auf sein Zimmer bringen werde, was eine andere lebhaft verneinte. Eine Thür öffnete sich: »Ida,« rief Frau Reichmann, »die Milch läuft ins Feuer, ich rieche es bis hierher. Ist Annette nicht in der Küche?«

In demselben Augenblick kam Annette ganz außer Atem zurück, und es gab ein Durcheinander von lauten, aufgeregten Reden, dem Magdalene entnahm, daß das Mädchen, welches gegangen war, um das Weißbrot zu holen, zu lange ausgeblieben, und daß die Milch, die sie auf dem Feuer gelassen, unterdessen übergelaufen wäre. Annette versicherte, sie habe sich aufs äußerste beeilt, worauf Klara und Esther behaupteten, sie hätten sie an der Straßenecke mit einem andern Mädchen schwatzen sehen. Die Zwillinge gaben ihrem Hunger lauten Ausdruck, und Herr Reichmann, den man im Speisezimmer mit langsamen Schritten auf- und niedergehen hörte, fragte von Zeit zu Zeit in ruhigem Tone, ob es noch nicht bald Frühstück gäbe.

Endlich legte sich der Sturm, und Magdalene wagte sich aus ihrem Stübchen hinaus.

»Da ist die Cousine!« sagte Esther. »Weißt du, ich glaubte, man stünde auf dem Lande früher auf.«

»Ich bin schon lange wach,« versetzte Magdalene, »aber da noch alles still war, fürchtete ich, zu stören.«

»Laß sie doch, Esther,« sagte Frau Reichmann, »die Nacht ist zur Ruhe da, und es ist noch nicht lange Tag. Hast du gut geschlafen, liebe Magdalene? Jetzt komm zum Frühstück, nachher mußt du dein Zimmer aufräumen. Ich betrachte dich ganz als eine meiner Töchter, und sie sind alle wirtschaftlich erzogen; bei einem einzigen Dienstmädchen muß jeder ein wenig Hand anlegen. Bitte in die Küche, wir frühstücken dort, um das Speisezimmer zu schonen.«

Magdalene folgte der Familie und setzte sich, nicht ohne einen Augenblick zu zaudern, auf einen Stuhl, von dem Annette eben einen schmutzigen Lappen fortgenommen hatte. Man trank ein seltsames Gebräu, es sollte wohl Milchkaffee sein, aber es hatte einen wunderlichen, keineswegs erfreulichen Geschmack; vermutlich war die ins Feuer gelaufene Milch durch Wasser ersetzt worden. Sie mußte an Klaudinens schöne, süße Milch denken, doch hütete sie sich, etwas darüber zu sagen, und genoß schweigend, was ihr geboten wurde.

Während des Frühstücks hatte sie Muße, den Familienkreis zu betrachten. Frau Reichmann erschien am frühen Morgen noch weniger anziehend als später am Tage, was vielleicht an den papiernen Lockenwickeln lag, welche ihr Haupt während der »Wirtschaftsstunden« umgaben. Dieser Ausdruck bezeichnete hier im Hause den ganzen Morgen und in besonderen Fällen, wenn es zu waschen, zu plätten oder zu schneidern gab, noch einen guten Teil des Tages. In den Wirtschaftsstunden trugen die jungen Mädchen alte Gesellschaftskleider mit zerknittertem Besatz, zerrissenen Ärmeln und arg befleckten Röcken, erschienen mit ungemachten Haaren und boten daher während eines großen Teils ihres Lebens einen sehr wenig anmutigen Anblick dar. Ida, das Kochgenie, war ein großes, kräftiges Mädchen mit lebhaften Farben; sie lachte laut, sprach oft mit erhobener Stimme und liebte es, ihre Hände auf ihre Kniee zu stützen, was gerade keinen graziösen Eindruck machte. Klara, die Schneiderin, war spitz und mager; sie hatte eine gelbliche Hautfarbe, gelbliche Haare, blasse Lippen und wässerige Augen; in ihrer Familie galt sie für besonders geschmackvoll und fein, was sie durch allerlei kleine, lächerliche Eigenheiten zu beweisen liebte. Esther war braun, bleich, von kleiner, gedrungener Figur; ihr Gesicht schien auf zwanzig, ihr Wuchs auf zwölf Jahre zu deuten, während sie in Wirklichkeit eben das fünfzehnte Jahr erreicht hatte. Frau Reichmann stellte sie Magdalene als ein Mädchen von ungewöhnlicher Begabung vor, welches, wenn es noch einigen Unterricht von der lieben Cousine empfinge, gewiß der Familie Ehre machen würde. Sie wäre immer über ihre Jahre reif gewesen und hätte schon mit zehn Jahren Manschetten ohne ein Fältchen geplättet; in der letzten Zeit aber habe sich in ihr ein großer Trieb zur Litteratur entwickelt, und sie schriebe in Versen und in Prosa. Magdalene sah sie mit großen Augen an, denn sie glaubte, es sei ein Scherz; aber Frau Reichmann sprach im vollen Ernst, und Esther schlug im Gefühl ihrer Bedeutung bescheiden die Augen nieder. Die andern waren augenscheinlich voller Bewunderung für ihr Talent, nur Ida erklärte, sie ziehe einen saftigen Braten oder ein knusperiges Gebäck jedem Gedicht vor, und Magdalene schloß sich im stillen dieser Meinung an, wenigstens so weit sie Esthers Dichtungen betraf.

Die Zwillinge, Nanny und Mathilde, waren an Leib und Seele in den Flegeljahren; sie hatten eine lebhafte Neigung, ihre Finger überall hineinzustecken, sowohl in die Tinte, als in das Eingemachte, und sie nie anders als an ihren Kleidern abzuwischen; sie hörten nie auf das, was man ihnen sagte, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, gehorchen zu müssen; außerdem hatten sie einen unheilvollen Trieb zum Experimentieren, wodurch sie viel Schaden und Ärger anrichteten. Herr Reichmann war ein großer, blonder Mann, dessen verschwommene Züge und mattblaue Augen wenig Energie verrieten; er war stets mit allem zufrieden, mischte sich selten in die Angelegenheiten seiner Familie und gab nie einen Befehl; wenn er aber einmal einen Rat erteilte, so ließen die Seinen ihn sicher unbefolgt, was er mit seinem gewohnten Lächeln aufnahm.

Die Cousinen führten Magdalene im Hause umher, um ihr alles zu zeigen; doch erschien es ihr weder hübsch, noch geschmackvoll, und sie mußte denken, daß die Bänke und Truhen auf Schloß Doué besser an ihrem Platze gewesen wären, als die Möbel und Luxusgegenstände, welche hier ohne alle Harmonie umherstanden. Doch machte es ihr lebhafte Freude, zu hören, daß ein großes Zimmer im zweiten Stock mit ihren Möbeln für sie eingerichtet werden sollte. Wirklich machte man sich, nachdem die Wirtschaftsstunde vorüber war, auf den Weg, um eine Tapete auszusuchen; Magdalene wünschte sich sehr eine graue mit kleinen Rosensträußchen, welche sie an ihr früheres Zimmer in Nantes erinnerte, und sie war froh, daß es ihr gelang, einer andern Tapete zu entgehen, welche an einen Eierkuchen mit Tomatensauce erinnerte und von Frau Reichmann und ihren Töchtern sehr bewundert wurde.

Die Stube wurde tapeziert, die Möbel kamen an, und Magdalene begrüßte jedes Stück mit tiefer Rührung! Leider durfte sie dieselben nicht nach ihrem Geschmack aufstellen, denn ein großes Bett mit rot und gelben Vorhängen, welche lebhaft an die Tomatensauce erinnerten, wurde auf den Platz gestellt, den sie für ihren Schreibtisch bestimmt hatte. Es war das Bett der Zwillinge, denn Frau Reichmann meinte, da sie die lieben, kleinen Mädchen unterrichten wolle, so würde es ihr gewiß angenehm sein, sie immer um sich zu haben. Dadurch erhielten die älteren Schwestern unten mehr Raum, und Klara bekäme eine eigene Stube, die sie sich schon lange gewünscht habe. Wieder schwieg Magdalene dazu, und wieder tauchte das Bild der roten Stube vor ihr auf, in der sie wenigstens ihr eigener Herr gewesen war.

Sie mußte noch oft daran denken, wenn sie unter der fortwährenden Gemeinschaft mit zwei unbändigen Geschöpfen litt, welche sie weder als Verwandte liebten, noch mit der heilsamen Ehrfurcht betrachteten, den Kinder dem gestrengen Fräulein zollen, dem sie gehorchen müssen, weil sie sonst bestraft werden. Sie war nur die arme Cousine, die aus Mitleid im Hause Aufnahme gefunden und keine andere Zuflucht hatte, auf die man also keine Rücksicht zu nehmen brauchte. So betrachteten die kleinen Unholde denn alle Sachen des jungen Mädchens als ihr Eigentum, sprangen mit gleichen Füßen auf die Stühle, spritzten Tinte auf den Teppich und benutzten die Bücher als treffliches Baumaterial. Der armen Magdalene, welche jedes Bruchstück ihres frühern Lebens mit ängstlicher Sorgfalt hütete, waren oft die Thränen nahe bei diesem Betragen, gegen das sie wehrlos war; aber sie mochte vor ihren Cousinen nicht weinen, und allein war sie fast niemals. Unter dem Vorwand, daß sie ganz wie eine Tochter betrachtet würde, gab man ihr die unangenehmsten Dinge zu thun; sie hatte nicht nur ihre bestimmten Obliegenheiten in den Wirtschaftsstunden zu erfüllen, sondern mußte auch den anderen alles abnehmen, was ihnen zu schwer fiel. Klara übertrug ihr gewiß immer die Knopflöcher in den weichen Stoffen und die Einfassungen in den dicken, und Ida stellte sie an, das Gemüse zu putzen oder das Geflügel zu rupfen, denn bei der mangelhaften Einrichtung war Annette nie vorhanden, wenn man sie brauchte.

Esther hatte sich auch beeilt, ihr spezielles Fach, das Plätten, auf die Cousine zu übertragen, während sie sich mit Feuereifer auf das Studium stürzte und nur noch Sinn für litterarische Bestrebungen hatte. Magdalene bot ihr an, sie in Geographie und Rechnen zu unterrichten, wovon sie gar nichts wußte; aber Esther hielt es für unnötig, zu wissen, ob Timbuktu in China oder Patagonien läge, oder was zwölf mal zwölf ergäbe: große Dichter hätten niemals rechnen können, und sie bedürfe dessen auch nicht, um Romane zu schreiben. Die Geschichte ließ sie soweit gelten, als sie guten Stoff für die Tragödie liefern konnte, und Magdalenens Unterricht nahm sie nur in den Fächern an, die ihr selbst Vergnügen machten. Ihre Familie war voller Bewunderung für sie, und während man der armen Cousine nie eine ruhige Stunde gönnte, um ungestört zu lesen oder zu lernen, nahm man die größte Rücksicht auf Esther, die sich zuweilen in ihre Stube zurückzog, um dort einen wunderbaren Mischmasch von Dolchstößen, Feuersbrünsten, Giftbechern und verfolgten Heldinnen zu Tage zu fördern, welchem sie den Namen eines Dramas beilegte. »Esther schreibt,« sagten die Zwillinge und dämpften für einen Augenblick ihren gewohnten Lärm, wenn sie an ihrer Thür vorübergingen. »Esther schreibt,« sagten die älteren Schwestern mit stillem Ärger, denn seit jene von litterarischem Ruhm träumte, rührte sie weder Nadel noch Kochlöffel mehr an. »Esther schreibt,« sagte Frau Reichmann und warf sich stolz in die Brust, denn sie fand alles gut, was ihre Töchter thaten, ob sie die Feder oder das Plätteisen führten, und sie war überzeugt, daß dieses Kind noch einmal berühmt werden würde. »Esther schreibt,« sprach Herr Reichmann den übrigen nach, und wenn er sich auch nicht weiter darum kümmerte, so lächelte er doch dazu, wie zu allem, was in seinem Hause geschah.

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