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Die Schrecken der Dschungel

Die Matrosen waren Meuterer der »Arrow«. Sobald Clayton in der Dschungel verschwunden war, beratschlagten sie über ihre nächsten Pläne. Sie hielten es aber für angebracht, schleunigst auf die vor Anker liegende »Arrow« zurückzukehren, wo sie wenigstens vor den Speeren des unsichtbaren Feindes sicher waren. Während Jane Porter und Esmeralda sich in der Hütte verbarrikadierten, ruderte die feige Schiffsmannschaft schleunigst in den zwei Booten zu ihrem Schiff zurück.

Tarzan hatte an diesem Tage so viel gesehen, daß es ihm vor lauter Wundern im Kopfe wirbelte. Aber das wundervollste von allem, was er gesehen, war das Gesicht des schönen weißen Mädchens.

Hier war doch wenigstens eine von seiner eigenen Art; dessen war er sicher. Auch der junge Mann und die zwei älteren Herren waren so, wie er sich sein eigenes Volk vorgestellt hatte.

Aber sie waren jedenfalls so wild und so grausam wie die andern Menschen, die er gesehen hatte. Die Tatsache, daß sie allein von der ganzen Gesellschaft unbewaffnet waren, konnte allerdings als Beweis gelten, daß sie niemand getötet hatten. Wenn sie Waffen gehabt hätten, wären sie jedenfalls ganz anders gewesen.

Tarzan hatte gesehen, wie der junge Mann den Revolver des verwundeten Snipes aufgehoben hatte und ihn an der Brust verbarg, und er hatte auch beobachtet, wie er ihn dem Mädchen vorsichtig zusteckte, als es in die Hütte trat.

Er verstand nichts von den Beweggründen all der Erscheinungen, die er beobachtet hatte, aber aus irgendeinem unbestimmten Drange liebte er den jungen Mann und die zwei alten Männer, und zu dem jungen Mädchen zog ihn eine seltsame Sehnsucht hin, die er kaum verstand. Was aber die schwarze Frau betraf, so stand sie offenbar in irgendeiner Beziehung zu dem Mädchen, und deshalb liebte er sie auch.

Gegen die Matrosen, und besonders gegen Snipes, hatte er einen großen Haß. Aus ihren drohenden Gebärden und dem Ausdruck ihrer üblen Gesichter hatte er erraten, daß sie der anderen Gesellschaft feindlich gesinnt waren, und so beschloß er, sie scharf zu beobachten.

Tarzan wunderte sich, daß die fremden Männer in die Dschungel gegangen waren. Er dachte aber gar nicht daran, daß jemand sich in dem Labyrinth von Unterholz verlieren könne, mit dem er so vertraut war, wie der Leser mit der Hauptstraße seiner Heimatstadt.

Als die Matrosen auf das Schiff zuruderten und er wußte, daß das Mädchen mit seiner Begleiterin sicher in der Hütte war, beschloß er, dem jungen Manne in die Dschungel zu folgen, um zu erfahren, was er dort eigentlich vorhatte. Er schwang sich deshalb schnell in der Richtung, die Clayton eingeschlagen hatte, und bald hörte er in der Ferne die jetzt nur mehr vereinzelten Rufe des Engländers nach seinen beiden Freunden.

Nach kurzer Zeit hatte Tarzan den weißen Mann erreicht, der sich, schon ermüdet, an einen Baum lehnte und den Schweiß von der Stirne wischte. Hinter dichtem Laub versteckt, konnte der Affenmensch diesen neuen Angehörigen seiner eigenen Rasse aufmerksam betrachten.

Von Zeit zu Zeit rief Clayton noch immer, und zuletzt fiel es Tarzan ein, daß er wohl nach dem alten Manne suchte.

Tarzan war schon auf dem Punkte, herunterzugehen, um selbst nach ihm zu suchen, als er den gelben Schimmer eines glatten Fells sich vorsichtig durch die Dschungel auf Clayton zu bewegen sah.

Es war Sheeta, der Leopard. Jetzt hörte Tarzan, wie das wilde Tier das Gras niedertrat, und er wunderte sich, daß der junge weiße Mann dadurch nicht gewarnt wurde. Hatte er denn das Geräusch nicht gehört? Dabei trat Sheeta so plump auf, wie Tarzan es noch nie zuvor gehört hatte.

Nein, der weiße Mann hörte es offenbar nicht. Sheeta duckte sich schon, um zu einem Sprunge auszuholen, als plötzlich durch die Stille der Dschungel das furchtbare Geschrei erscholl, wie es die Menschenaffen bei der Herausforderung zu einem Kampfe ausstoßen. Sheeta war dadurch so verblüfft, daß er sich umwandte und sich durch das krachende Unterholz entfernte.

Clayton war wie erstarrt. Sein Blut rann kalt durch die Adern. Noch nie in seinem Leben war ihm ein so fürchterlicher Schrei in die Ohren gedrungen. Er war kein Feigling, aber wenn je ein Mensch die eisigen Finger der Furcht auf seinem Herzen gespürt hat, so war es William Cecil Clayton, der älteste Sohn des Lord Greystoke aus England, an diesem Tage in der Wildnis der afrikanischen Dschungel.

Das Geräusch eines so großen Tieres, das so nahe bei ihm durch das Unterholz drang, und das furchtbare blutdürstige Geschrei aus der Höhe stellten Claytons Mut auf die höchste Probe, aber er konnte nicht wissen, daß er dieser Stimme sein Leben zu verdanken hatte, und daß das Geschöpf, das diese schrecklichen Töne von sich gegeben hatte, sein eigener Vetter war – der wirkliche Lord Greystoke.

Der Nachmittag neigte sich schon seinem Ende zu, und Clayton, betrübt und entmutigt, war in einer furchtbaren Ungewißheit, welche Richtung er einschlagen sollte. Er fragte sich, ob er weiter nach Professor Porter suchen sollte, in welchem Falle er erhöhter Todesgefahr während der Dschungel-Nacht ausgesetzt sein würde, oder ob er in die Hütte zurückkehren sollte, wo er wenigstens Jane Porter gegen die sie von allen Seiten bedrohenden Gefahren beschützen könnte.

Er kehrte nicht gerne zu ihr zurück, ohne ihren Vater gefunden zu haben. Noch mehr aber entsetzte er sich vor dem Gedanken, sie allein in den Händen der Meuterer der »Arrow« zu lassen oder sie den hundert unbekannten Gefahren der Dschungel preiszugeben.

Dann aber sagte er sich, der Professor und Philander seien vielleicht schon in die Hütte zurückgekehrt. Das schien ihm sogar das Wahrscheinlichste zu sein. Er entschloß sich also zur Rückkehr und bahnte sich mühsam einen Weg durch das dicke Gestrüpp in der Richtung, in der er die Hütte wiederzufinden glaubte.

Zu Tarzans Überraschung wandte der junge Mann sich in die Richtung nach Mbongas Dorf. Tarzan konnte das kaum fassen, denn er war überzeugt, daß dies dem Fremden zum Verderben gereichen werde.

Überhaupt war ihm das ganze Verhalten des jungen Mannes unverständlich, denn er sagte sich, es werde sich doch niemand nach dem Dorf der grausamen Schwarzen wagen, wenn er nur mit einem Speer bewaffnet war, zumal er diesen noch so ungeschickt trug, daß man schon daraus ersehen konnte, wie ungewohnt ihm die Waffe war.

Tarzan war ganz bestürzt, denn er war überzeugt, der Fremde werde sehr schnell eine Beute der wilden Tiere werden, wenn er nicht bald nach der Bucht geleitet würde.

Da war ja auch schon Numa, der Löwe, der an den weißen Mann heranschlich und nur mehr ein Dutzend Schritte von ihm entfernt war.

Clayton hörte auf seiner rechten Seite die Bewegung des Tieres, und schon erscholl in der Stille des Abends das fürchterliche Gebrüll des Löwen. Der Mann blieb stehen, wobei er den Speer bereit hielt und in das Gestrüpp starrte, aus dem die schrecklichen Töne kamen. Schon senkten sich die Schatten und es wurde immer dunkler.

Ach Gott, hier allein zu sterben – unter den Fängen eines wilden Tieres, den warmen Atem der Bestie im Gesicht zu spüren und die Tatze auf der Brust! Bei lebendigem Leibe zerrissen zu werden!

Bei diesem Gedanken schauderte Clayton.

Einen Augenblick lang war alles still, Clayton merkte nur an einem leisen Geräusch im Buschwerk, daß sich dort etwas bewegte. Der Löwe bereitete sich auf den Sprung vor. Zuletzt erblickte Clayton nicht zwanzig Schritte entfernt den langen geschmeidigen Körper und den gelbbraunen Kopf eines starken Mähnenlöwen. Die Bestie hielt sich so geduckt, daß ihr Leib den Boden berührte, ihre Bewegungen waren kaum wahrzunehmen. Als ihr Blick Claytons Augen traf, zog sie vorsichtig den Hinterleib an sich.

Der Mann war in Todesangst; er wagte es weder den Speer zu werfen, noch zu fliehen.

Da hörte er ein Geräusch im Baume über sich. Wieder eine neue Gefahr! dachte er, aber er wagte es nicht, den Blick von den gelbgrünen Augen vor sich abzuwenden. Er hörte ein Geräusch wie das Schwirren einer zerrissenen Saite, und im selben Augenblicke sah er schon, daß die gelbe Haut des geduckten Löwen von einem Pfeil getroffen war.

Brüllend vor Schmerz und Schrecken sprang das Tier auf. Clayton stolperte auf die Seite. Als er sich wieder nach dem wütenden König der Tiere umsah, erschrak er über den Anblick, der sich ihm darbot. Im selben Augenblick, wo der Löwe wieder zu einem Angriff ausholen wollte, war ein großer nackter Mensch vom Baum heruntergeeilt und fast direkt auf den Rücken des Löwen gesprungen.

Mit blitzartiger Schnelligkeit hatte er den gewaltigen Nacken mit seinem muskulösen Arm umfaßt, und hob das große Tier auf, als ob es sich um einen harmlosen Hund handelte. Der Löwe aber brüllte und fuchtelte mit den Vordertatzen in der Luft.

Es war eine Szene mitten im Zwielicht der afrikanischen Dschungel, die sich für immer in das Gedächtnis des Engländers eingrub.

Der Mann vor ihm war die Verkörperung leiblicher Vollkommenheit und riesiger Stärke. Und doch hing der Ausgang des Kampfes mit der großen Katze nicht von der Gewalt der Muskeln ab, denn seine Muskeln hielten schließlich doch nicht den Vergleich mit denen Numas aus. Die Überlegenheit des Mannes beruhte nur auf seiner Gewandtheit, seinem Verstand und seinem langen Messer.

Sein rechter Arm hatte den Nacken des Löwen umschlungen, indessen die linke Hand immer wieder das Messer in die ungeschützte Seite hinter der linken Schulter stieß. Das wütende Tier richtete sich auf, so daß es auf den Hinterbeinen stand, und mühte sich in dieser unnatürlichen Stellung ohnmächtig ab.

Hätte der Kampf nur einige Sekunden länger gedauert, so hätte er wohl einen anderen Ausgang genommen, aber alles geschah so schnell, daß der Löwe keine Zeit hatte, sich von seiner Überraschung zu erholen, als er schon leblos zu Boden sank

Dann löste sich die eigentümliche Gestalt, die ihn besiegt hatte, von dem leblosen Körper, und indem sie den wilden, schönen Kopf zurückbog, stieß sie wieder jenes fürchterliche Gebrüll aus, das wenige Augenblicke vorher Clayton so erschreckt hatte.

Vor sich sah dieser einen jungen Mann, nackt, mit Ausnahme eines Lendentuches und einiger barbarischer Zieraten an Armen und Beinen, während auf seiner schmutzigbraunen Brust ein kostbares, diamantenbesetztes Medaillon glänzte.

Der Mann hatte das Jagdmesser schon wieder in die Scheide gesteckt, und hob Bogen und Köcher auf, die er von sich geworfen hatte, als er den Löwen angriff.

Clayton redete den Fremden auf englisch an. Er dankte ihm für seine wackere Hilfe und beglückwünschte ihn zu seiner wunderbaren Stärke und Gewandtheit, aber er erhielt kein andere Antwort, als daß jener ihn anstarrte und mit seiner mächtigen Schulter zuckte, was entweder bedeutete, daß der ihm geleistete Dienst nicht viel zu sagen habe, oder daß er seine Sprache nicht verstand.

Der Wilde – denn für einen solchen hielt ihn Clayton – hatte kaum seinen Bogen und Köcher umgehängt, als er nochmals sein Messer herauszog und ein Dutzend breite Streifen aus dem Fleisch des Löwen herausschnitt. Dann hockte er sich nieder und fing an zu essen, indem er Clayton einlud, ein Gleiches zu tun.

Offenbar schmeckte es ihm vorzüglich, denn seine starken weißen Zähne bissen eifrig in das rohe, blutige Fleisch. Clayton konnte es aber nicht über sich bringen, das ungekochte Fleisch mit seinem sonderbaren Gastgeber zu teilen. Einstweilen schaute er ihm zu, und da kam ihm die Überzeugung, daß dies der Affen-Tarzan sei, dessen Zettel sie am Vormittag auf der Tür der Hütte gefunden hatten.

Dann mußte er aber englisch sprechen!

Clayton versuchte deshalb nochmals, mit dem Affen englisch zu sprechen, aber die Antwort, die er jetzt erhielt, glich dem Geschnatter der Affen, vermischt mit dem Knurren wilder Tiere.

Nein, das konnte der Affen-Tarzan nicht sein, denn es war doch klar, daß er gar kein Englisch verstand.

Als Tarzan seine Mahlzeit beendet hatte, stand er auf, zeigte nach einer ganz andern Richtung, als Clayton sie bisher verfolgt hatte, und ging voran.

Clayton war ganz verwirrt und zögerte, ihm zu folgen, weil er dachte, er würde nur noch tiefer in die Wirrnisse des Waldes geführt werden; aber als der Affenmensch bemerkte, daß er nicht geneigt sei, ihm zu folgen, kehrte er zurück, faßte ihn an der Seite und zog ihn mit sich, bis er sah, daß Clayton seine Absicht verstanden hatte. Dieser folgte ihm dann auch willig.

Der Engländer hielt sich nämlich für einen Gefangenen, und dachte, es bliebe ihm nichts anderes übrig, als dem Wilden zu folgen. So arbeitete er sich denn weiter durch die Dschungel. Die Nacht war völlig hereingebrochen, man hörte im Dickicht nur die leisen Tritte weicher Pfoten, Geknister der Zweige und Geschrei der wilden Tiere.

Plötzlich vernahm Clayton in der Ferne einen Knall. Es war ein einziger Schuß, auf den gleich wieder völlige Ruhe eintrat.

*

In der dunklen Hütte am Strande saßen zwei ängstliche Frauenzimmer an einander gedrückt auf einer niedrigen Bank. Die Negerin schluchzte aufgeregt und verwünschte den Tag, an dem sie ihr teures Maryland verlassen hatte, während das andere Mädchen zwar nicht weinte und äußerlich ruhig schien, aber in seinem Innern doch voll Angst und trüber Ahnungen war. Mehr als für sich selbst fürchtete es für die drei Männer, die im unergründlichen Labyrinth des Urwaldes umherirrten, aus dem jetzt ununterbrochenes Geschrei und Gebrüll, Gebell und Geknurr kam.

Plötzlich hörte es draußen an der Wand der Hütte ein Geräusch wie von einem schweren Körper, der sich daran bewegte. Schon unterschied es die Tritte auf dem Boden. Dann war einen Augenblick alles ruhig, aber gleich darauf hörte es deutlich ein Tier draußen an der Tür schnuppern, nicht zwei Fuß von der Stelle, wo sie zusammengekauert saßen. Instinktiv zuckte das Mädchen zusammen und duckte sich fester an das schwarze Weib.

Still! flüsterte sie. Still, Esmeralda! Das Schluchzen und Heulen der Schwarzen schien nämlich das Tier an der dünnen Wand draußen angelockt zu haben.

Jetzt hörten sie ein leises Kratzen an der Tür. Das Tier versuchte, hereinzukommen, dann trat wieder Ruhe ein. Man hörte die schweren Pfoten rings um die Hütte. Wieder hielten sie inne – diesmal unter dem Fenster, auf das die angstvollen Blicke des jungen Mädchens gerichtet waren.

O Gott! murmelte es, denn in dem vom Mond erleuchteten kleinen Viereck des Fensters sah es den Kopf einer gewaltigen Löwin. Die glühenden wilden Augen waren auf sie gerichtet.

Schau, Esmeralda, flüsterte es, um Himmelswillen, was sollen wir anfangen?

Esmeralda, die sich noch enger an ihre Herrin gedrückt hatte, warf einen erschrockenen Blick nach dem kleinen Fenster, gerade als die Löwin ein lautes Knurren ausstieß.

Das war zu viel für die ohnehin schon überreizten Nerven der Schwarzen.

O Gabriel! rief sie aus und fiel wie eine leblose Masse auf den Boden.

Inzwischen stand die Löwin mit den Vorderpfoten auf dem Fenster, indem sie wütende Blicke in das Innere der Hütte schleuderte. Schon probierte sie mit ihren großen Krallen die Stärke der Latten, mit denen das Fenster vergittert war.

Dem Mädchen war fast der Atem ausgegangen, aber glücklicherweise verschwand der Kopf. Es hörte die Tritte der Löwin sich vom Fenster entfernen. Gleich darauf vernahm es das Tier aber wieder an der Tür, und alsbald begann das Kratzen von neuem. Diesmal griff das Tier mit aller Gewalt die Bretter an, um zu seinen wehrlosen Opfern zu gelangen. Hätte Jane Porter gewußt, wie stark diese Türe war, die Stück für Stück zusammengesetzt worden war, so hätte sie nicht so sehr zu fürchten brauchen, daß die Löwin sie erbrechen könnte.

Als John Clayton diese rohe, aber starke Tür anfertigte, dachte er sich nicht, daß sie zwanzig Jahre später einmal ein schönes, amerikanisches Mädchen vor den Zähnen und den Pranken eines wilden Tieres bewahren würde.

Volle zwanzig Minuten lang schnüffelte und zerrte das Tier abwechselnd an der Tür, und zuweilen brüllte es vor Wut laut auf. Zuletzt aber gab es den Versuch auf, und Jane Porter hörte, wie es zum Fenster zurückkehrte. Dort wartete es einen Augenblick, und dann sprang es mit seinem gewaltigen Gewicht gegen die Fensterstäbe, die im Laufe der Zeit morsch geworden waren.

Das Mädchen hörte, wie die Holzstäbe unter dem Angriff knackten, doch hielten sie noch stand, und das schwere Tier fiel auf den Boden zurück.

Aber immer wieder ging die Löwin zum Angriff auf das Fenster vor, und schließlich hörte die zum Tode entsetzte Gefangene im Innern der Hütte, daß ein Teil des Gitters nachgab. Gleich darauf erschien im Innern eine Pfote und dann der Kopf des Tieres.

Mit seinem mächtigen Nacken und seinen starken Schultern drückte es die Stäbe auseinander, immer weiter drang der geschmeidige Körper in das Innere.

Entsetzt fuhr das Mädchen auf, die Hand auf der Brust und die Augen in der Angst weit aufgerissen vor dem entsetzlichen Tier, das keine zehn Schritte mehr von ihr entfernt war. Zu ihren Füßen lag noch immer die Negerin. Wenn sie diese wieder auf die Beine brächte, so könnte es vielleicht ihren vereinten Anstrengungen gelingen, den blutdürstigen Eindringling niederzuschlagen.

Jane Porter bückte sich, um das schwarze Weib an der Schulter zu rütteln.

Esmeralda! Esmeralda! schrie sie. Hilf mir, oder wir sind verloren!

Langsam öffnete die Negerin die Augen. Das erste, was sie erblickte, waren die drohenden Fänge der Löwin.

Mit einem Schrei des Entsetzens richtete sie sich auf den Händen und Knien auf, und schrie, in dieser Haltung sich durch den Raum fortbewegend, mit allen Kräften ihrer Lunge: O Gabriel! O heiliger Gabriel!

Esmeralda wog etwa 250 Pfund, und das trug nicht gerade dazu bei, ihrem Gang eine gazellenartige Grazie zu geben. Wenn sie sich auf allen vieren fortbewegte, so war das von geradezu durchschlagender Wirkung.

Die Löwin verhielt sich einen Augenblick ruhig, ihren Blick auf die sich fortbewegende Esmeralda richtend. Das Ziel der Negerin schien der Schrank zu sein, in dem sie ihren gewaltigen Körper verbergen wollte, aber ehe sie ihn noch erreicht hatte, brach sie mit einem lauten Schrei, der das Gebrüll in der Dschungel noch übertraf, wieder ohnmächtig zusammen. Während Esmeralda niedersank, erneuerte die Löwin die Bemühungen, ihren starken Körper durch die Fensterstäbe zu zwängen.

Das Mädchen stand bleich und starr an der inneren Wand und dachte mit steigendem Entsetzen nach, wie es wohl der Gefahr entrinnen könnte. Während sie die Hand fest auf den Busen preßte, fühlte sie die harten Umrißlinien des Revolvers, den Clayton ihr am Vormittag gegeben hatte.

Schnell zog sie ihn aus dem Versteck, und ihn auf den Kopf der Löwin richtend, drückte sie ihn ab.

Ein Aufzucken des Feuerstrahls, ein Knall, und ein Schrei des Tieres voller Schmerz und Schrecken.

Jane Porter sah die große Gestalt aus dem Fenster verschwinden, dann sank auch sie ohnmächtig hin, den Revolver neben sich fallen lassend.

Die Löwin war aber noch nicht tot. Die Kugel hatte ihr lediglich eine schmerzliche Wunde in der Schulter beigebracht. Es war mehr der Schrecken über den Schuß, der sie zu ihrem Rückzug veranlaßt hatte.

Sie war noch keineswegs gewillt, den Angriff aufzugeben. Im Augenblicke war sie wieder am Fenster und suchte sich mit erneuter Wut einen Eingang zu erzwingen. Jetzt war das allerdings schwieriger, denn die verwundete Schulter konnte sie nicht mehr gebrauchen.

Sie sah ihre Opfer – die beiden Frauen, die unbeweglich auf dem Boden lagen. Sie hatte von ihnen weiter keinen Widerstand mehr zu befürchten. Die Beute lag vor ihr, das Raubtier brauchte sich nur noch einen Weg durch die Öffnung zu bahnen, um sich ihrer zu bemächtigen.

Langsam wand sie ihren mächtigen Körper durch das Fenster. Jetzt war ihr Kopf drinnen, jetzt auch die eine Vorderpfote und die Schulter.

Behutsam suchte sie auch die verwundete Schulter hineinzuziehen. Einen Augenblick später war auch diese drinnen, und nun folgte der lange geschmeidige Körper nach.

In diesem Augenblick öffnete Jane Porter wieder ihre Augen.


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