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Von seiner Art

Der schwere Kampf mit Terkop hatte Tarzan doch stark mitgenommen, aber obschon er noch müde war, ging er am folgenden Morgen nach Westen in der Richtung auf die Küste.

Er ging nur langsam und schlief die Nacht über in der Dschungel. Spät am folgenden Morgen gelangte er zu seiner Hütte.

Einige Tage lang blieb er dort. Er ging nur soweit aus, als es nötig war, um Nüsse und andere Früchte zu finden, mit denen er seinen Hunger stillen konnte.

In einigen Tagen hatte er sich wieder völlig erholt, aber am Kopfe hatte er noch die erst halb zugeheilte Wunde, die vom linken Auge ausgehend sich über den Schädel hinzog bis zum rechten Ohr. Es war das Mal, das Terkop ihm hinterlassen hatte, als er ihm einen Streifen der Kopfhaut abriß.

Während seiner Erholung hatte Tarzan versucht, sich aus dem Felle Sabors, das während der ganzen verflossenen Zeit in der Hütte gelegen hatte, einen Mantel herzustellen, aber er bemerkte, daß die Haut trocken und hart geworden war wie ein Brett, und da er nichts vom Gerben wußte, war er gezwungen, seinen Lieblingsplan aufzugeben.

Darum entschloß er sich, sich einige Kleidungsstücke von einem der schwarzen Männer aus Mbongas Dorf anzueignen, denn er wollte auf jeden Fall seine höhere Entwicklung beweisen, und nichts schien ihm ein bezeichnenderes Merkmal der Menschenwürde zu sein als Schmuck und Kleidung.

Zu diesem Zwecke suchte er die verschiedenen Arm- und Bein-Schmucksachen zusammen, die er den in seiner Schlinge erlegten Schwarzen abgenommen hatte, und legte sie genau so an, wie seine Opfer sie getragen hatten.

Vorerst hing er sich an den Hals die goldene Kette mit dem diamantenbesetzten Medaillon seiner Mutter, der Lady Alice. Seinen Köcher mit Pfeilen trug er auf dem Rücken und zwar an einem über der Schulter hängenden Ledergurt, den er ebenfalls einem Schwarzen abgenommen hatte.

Um den Leib trug er einen Gürtel aus dünnen Streifen einer ungegerbten Haut, die er ebenfalls für die selbstgemachte Scheide des Jagdmessers zurechtgeschnitten hatte. Der lange Bogen, der Kulonga gehört hatte, hing über seiner linken Schulter.

So sah der junge Lord Greystoke wirklich wie ein wilder Krieger aus, zumal die Fülle seines schwarzen Haares ihm über die Schultern fiel, während er das über die Stirne herabhängende Haar mit seinem Messer abgeschnitten hatte, um nicht am Sehen verhindert zu sein.

Seine starke, gut entwickelte Gestalt war muskulös wie die eines römischen Gladiators, und sie wies die schönen Linien einer griechischen Gottheit auf, in der sich Kraft, Geschmeidigkeit und Schnelligkeit verkörperten.

Tarzan war aber auch gleichzeitig eine Verkörperung des Urmenschen.

Mit der edlen Haltung seines schönen Kopfes über den breiten Schultern und dem lebhaften Blick seiner intelligenten klaren Augen hätte er bei einem wilden kriegerischen Volke des Urwaldes als ein Halbgott gelten können.

Solche Gedanken lagen Tarzan aber augenblicklich fern. Er war betrübt, daß er keine Kleider hatte, um all dem Dschungelvolk zu zeigen, daß er ein Mensch, nicht aber ein Affe sei, und oft erfaßte ihn ein Zweifel, ob er nicht doch ein Affe würde.

Das Haar fing an, ihm auch im Gesicht zu sprossen. Alle Affen hatten Haare im Gesicht, aber die Schwarzen waren, mit sehr wenigen Ausnahmen, bartlos.

Allerdings hatte es in seinen Büchern Bilder von Männern gegeben, die eine Menge Haare auf den Lippen, den Backen und dem Kinn hatten, aber trotzdem war Tarzan entsetzt. Täglich schärfte er sein Messer und suchte damit seinen aufsprossenden Bart, das entwürdigende Zeichen des Affen, fortzukratzen.

So lernte er mit vieler Mühe sich zu rasieren, wenn es ihm auch nicht vollkommen gelang.

Als Tarzan sich nach dem blutigen Kampfe mit Terkop wieder gekräftigt fühlte, begab er sich auf den Weg nach Mbongas Dorf. Anstatt sich auf den Bäumen fortzubewegen, folgte er sorglos einem gewundenen Pfad durch die Dschungeln, als er plötzlich einem schwarzen Krieger begegnete.

Das erstaunte Gesicht des Schwarzen war geradezu komisch, und noch ehe Tarzan seinen Bogen zur Hand nehmen konnte, hatte der Mann kehrt gemacht und lief davon, indem er laute Hilferufe ausstieß, und die andern zugleich zu warnen.

Tarzan kletterte in die Höhe, um auf den Bäumen die Verfolgung fortzusetzen. In wenigen Minuten erblickte er die Wilden, die zu entkommen suchten.

Es waren ihrer drei, die – einer hinter dem andern – sich durch den dichten Urwald hindurcharbeiteten.

Tarzan überholte sie bald. Sie merkten nicht, daß er sich über ihren Köpfen fortbewegte, und sie gewahrten ihn auch nicht, als er sich über einen unteren Ast duckte, der sich über ihren Pfad ausdehnte.

Die zwei ersten ließ Tarzan ruhig durch, als aber der dritte kam, warf er leise seine Schlinge herunter, die den Schwarzen gerade um den Hals traf. Ein fester Ruck, – und die Schlinge war zu.

Das Opfer stieß einen röchelnden Schrei aus, und als seine Genossen sich umsahen, erblickten sie ihn, wie er in der Luft baumelte und gleichsam durch Zauberkraft in das dichte Laubwerk der Bäume hinaufgezogen wurde.

Vor Entsetzen schreiend liefen sie weiter.

Tarzan erledigte seinen Gefangenen schnell und ruhig. Er nahm ihm seine Waffen und Zierat ab und – was ihn am meisten freute – ein zierliches Schurzfell, aus einem Tuchlappen bestehend, das er sich nun selbst umband.

Jetzt war er wenigstens ordentlich wie ein Mensch angezogen. Nun konnte niemand mehr an seiner hohen Abstammung zweifeln. Wie gern wäre er jetzt zum Affenstamme zurückgekehrt, um sich ihren erstaunten Blicken in seinem ganzen würdevollen Staate zu zeigen.

Den Leichnam des Schwarzen nahm er auf die Schulter und ging dann leise damit nach dem Dorfe, wo er sich die Pfeile holen wollte.

Als er sich der Umzäunung näherte, sah er eine aufgeregte Gruppe um die zwei Flüchtlinge, die, vor Schrecken und Erschöpfung zitternd, kaum imstande waren, die Einzelheiten ihres fürchterlichen Abenteuers wiederzugeben.

Mirando, – so erzählten sie – der ihnen etwas voraus war, habe plötzlich laut schreiend kehrt gemacht und ihnen zugerufen, ein furchtbarer weißer nackter Krieger verfolge ihn. Alle drei seien dann so schnell, wie ihre Beine sie nur tragen konnten, nach dem Dorfe zu gelaufen. Dann aber habe ein tödlicher Schrei Mirandos sie veranlaßt, umzuschauen, und da hätten sie etwas ganz Entsetzliches gesehen: den Körper ihres Kameraden aufwärts nach den Bäumen fliegend; die Arme und die Beine hätten in der Luft gezappelt, und aus dem offenen Munde habe die Zunge herausgehangen. Keinen andern Ton habe man mehr gehört, und es sei auch kein Geschöpf mehr bei ihm zu sehen gewesen.

Die schwarzen Dorfbewohner gerieten nun auch in eine furchtbare Angst, aber der weise alte Mbonga schien der ganzen Sache sehr zweifelnd gegenüberzustehen. Er dachte, das Ganze sei bloß eine Erfindung, weil sie vor irgend einer wirklichen Gefahr zurückgewichen seien.

Ihr erzählt uns da, sagte er zu den beiden, eine große Geschichte, weil ihr es nicht wagt, uns die Wahrheit zu sagen. Ihr seid nicht so kühn, zu gestehen, daß, als der Löwe auf Mirando sprang, ihr davonliefet und ihn im Stiche ließet. Ihr seid Feiglinge!

Kaum hatte Mbonga dies gesagt, als ein Krachen in den Zweigen der Bäume über ihm die Schwarzen in erneuter Angst zum Aufschauen veranlaßte. Bei dem Anblick, der sich ihnen bot, erschauerte auch der weise alte Mbonga, denn der Leichnam Mirandos kam aus der Höhe heruntergepurzelt und fiel gerade zu ihren Füßen auf den Boden.

Mit einem Nu waren alle Schwarzen auf den Beinen. Sie liefen aber nicht in ihre Hütten, sondern verschwanden in dem dunkeln Schatten der umgebenden Dschungel.

Nun kam Tarzan in das Dorf herunter und holte sich wieder die nötigen Pfeile. Er aß auch die Speisen auf, die die Schwarzen ihm dorthin gesetzt hatten, um seinen Zorn zu besänftigen.

Bevor er sich entfernte, trug er den Leichnam Mirandos an die Dorfpforte und band ihn an dem Zaune fest. So schien das tote Gesicht um die Ecke nach dem Pfade auszuschauen, der nach der Dschungel führte.

Dann kehrte Tarzan, jagend, immer jagend, nach der Hütte am Strande zurück.

Die zitternden Schwarzen machten wohl ein Dutzend Anläufe, ehe sie in ihr Dorf zurückkehrten, da sie an dem schrecklich grinsenden Gesicht ihres toten Genossen vorbeigehen mußten. Als sie nun die Speisen und die Pfeile verschwunden fanden, wußten sie, was sie nur zu sehr befürchtet hatten, daß Mirando den bösen Geist der Dschungel gesehen hatte.

Sie konnten sich jetzt alles erklären. Nur die starben, die den furchtbaren Geist der Dschungel gesehen hatten, denn es war kein Lebender im Dorfe, der ihn je erblickt hatte. Deshalb mußten die, die durch seine Hand getötet worden waren, ihn gesehen haben.

Tarzan wollte die Schwarzen nicht weiter belästigen, solange sie ihn mit Pfeilen und Nahrung versahen. Mbonga befahl übrigens, daß dem Geist auch weiterhin nicht bloß ein Speiseopfer dargebracht werde, sondern daß ihm auch Pfeile beigelegt werden sollten, und das geschah dann auch seither.

Sollte der freundliche Leser einmal nach jenem fernen Dorf in Afrika kommen, so wird er noch heute knapp vor der Umzäunung eine kleine strohbedeckte Hütte sehen, vor der ein kleiner eiserner Topf mit einer Menge Speisen und daneben ein Köcher mit wohlgetränkten Pfeilen steht.

*

Als Tarzan wieder die Küste mit der Hütte erblickte, wurde ihm ein ganz ungewohntes Schauspiel zuteil.

Auf dem ruhigen Wasser des vom Land umschlossenen Hafens schwamm ein großes Schiff, und am Strande selbst lag ein kleines Boot.

Aber das Wunderbarste war eine Anzahl weißer Männer, so wie er, die sich zwischen dem Strande und seiner Hütte bewegten.

Tarzan sah, daß sie in mancher Hinsicht aussahen wie die Männer in seinen Bilderbüchern. Er kroch vorsichtig durch die Bäume, bis er dicht über ihnen war.

Es waren zehn Männer, dunkelfarbige, sonnengebräunte, häßliche Gestalten. Sie waren jetzt bei dem Boot versammelt und sprachen laut aufeinander ein, wobei sie erregt mit Händen und Fäusten umherfuchtelten.

Da legte einer von ihnen, ein kleiner, schwarzbärtiger Kerl mit häßlichem Gesicht, dessen Haltung Tarzan an Pamba, die Ratte, erinnerte, seine Hand auf die Schulter eines Riesen, der nahe bei ihnen stand und mit dem all die andern sich herumgezankt hatten.

Der Kleine zeigte landeinwärts, so daß der Große gezwungen war, sich von den andern abzuwenden, um in die angegebene Richtung schauen zu können. Als er sich umdrehte, zog der kleine häßliche Mensch einen Revolver aus seinem Gürtel und schoß den Riesen in den Rücken.

Der Getroffene griff mit den Händen nach seinem Kopfe, aber seine Knie brachen zusammen, und ohne einen Laut von sich zu geben, stürzte er nieder. Er war tot.

Der Knall des Schusses, der erste, den Tarzan gehört, erfüllte ihn zwar mit Staunen, aber seine Nerven waren zu gesund, als daß der ungewohnte Klang Entsetzen in ihm hervorgerufen hätte.

Am meisten war er über das Verhalten der weißen Fremden verwirrt. Mit gerunzelter Stirne dachte er über allerlei nach. Er sagte sich, es sei doch gut, daß er seinem ersten Einfall, diesen weißen Männern entgegenzugehen und sie als seine Brüder zu begrüßen, nicht gefolgt sei. Sie waren offenbar nicht anders als die Schwarzen, nicht mehr gesittet als die Affen und nicht weniger grausam als Sabor.

Einen Augenblick standen die andern da und schauten auf den kleinen häßlichen Kerl und auf den auf dem Strande liegen, den Riesen.

Dann lachte einer von ihnen und gab dem Kleinen einen Klaps auf den Rücken. Das geschah aber offenbar nicht in einer feindlichen Absicht.

Gleich darauf setzten sie das Boot aufs Wasser; alle sprangen hinein und ruderten nach dem großen Schiff, auf dessen Deck Tarzan andere Gestalten sich bewegen sah.

Als sie an Bord geklettert waren, kam Tarzan von seinem Baume herunter und schlich sich nach seiner Hütte und zwar so, daß diese immer zwischen ihm und dem Schiffe war.

Er ging durch die Türe hinein und fand, daß im Innern alles durchwühlt worden war. Seine Bücher und seine Bleistifte lagen auf dem Boden, seine Waffen und Schilde und seine anderen Sachen waren ringsum zerstreut.

Als er sah, was hier angerichtet worden war, erfaßte ihn ein großer Schrecken, und eine lebhafte Röte überzog sein gebräuntes Gesicht.

Er eilte zu dem Schranke und durchsuchte das Fach, in dem er das Kästchen verborgen hatte, das seine wertvollsten Schätze enthielt. Erleichtert atmete er auf, als er es noch vorfand.

Das Bild des jungen Mannes und das kleine schwarze Buch lagen noch unversehrt darin.

Doch was war das?

Sein aufmerksames Ohr hatte einen schwachen, aber ungewohnten Ton gehört.

Er stürzte nach dem Fenster und schaute hinaus nach dem Hafen. Da sah er, daß von dem großen Schiff ein Boot zu dem andern heruntergelassen worden war, das schon auf dem Wasser lag. Zugleich kletterten allerlei Leute von dem großen Schiff in die Boote herunter.

Einen Augenblick später wurden eine Anzahl Kisten und Ballen in die wartenden Boote heruntergelassen, die dann vom Schiffe abstießen.

Tarzan ergriff ein Stück Papier, und mit einem Bleistift schrieb er darauf einige Zeilen voll kräftiger Buchstaben.

Diesen Zettel befestigte er mit einem kleinen Holzsplitter an die Türe. Dann nahm er sein Kästchen, seine Pfeile und so viel Bogen und Speere, als er nur tragen konnte, stürmte damit zur Türe hinaus und verschwand im Walde.

Als die beiden Boote auf dem Silbersand des Ufers aufgelaufen waren, stieg eine sonderbare Gesellschaft von Menschen ans Land.

Es waren im ganzen zwanzig Seelen, wenn man von den fünfzehn rohen, häßlichen Seeleuten überhaupt sagen konnte, daß sie einen unsterblichen Funken hatten, denn sie waren wahrhaftig eine äußerst unangenehme Gesellschaft.

Die andern Mitglieder der Gruppe waren sehr verschiedener Art.

Der eine von ihnen war ein ältlicher Mann mit weißem Haar und großer Hornbrille. Sein Rücken war schon etwas gebeugt. Er trug einen schlecht sitzenden, aber sauberen Gehrock, der ebensowenig wie der glänzende Zylinderhut als Tracht für die afrikanische Dschungel paßte.

Das zweite Mitglied der Gesellschaft war ein schlanker junger Mann in weißer Hose, hinter dem ein anderer ältlicher Mann mit hoher Stirn und lautem, herausfordernden Wesen kam.

Dann folgte eine riesige Negerin, die so farbenprächtig gekleidet war wie Salomo. Ihre großen rollenden Augen richtete sie in offensichtlicher Furcht zuerst nach der Dschungel und dann nach der fluchenden Bande von Matrosen, die im Begriffe waren, die Kisten und Ballen aus den Booten herauszuholen.

Das letzte Mitglied der ans Land gekommenen Gesellschaft war ein Mädchen von ungefähr neunzehn Jahren. Ein junger Mann, der am Bug des Boots stand, hob sie hoch und trocken aufs Land, und sie dankte ihm mit einem freundlichen Lächeln, doch wurde zwischen den beiden kein Wort gewechselt.

Schweigend ging die Gesellschaft nach der Hütte. Welches auch ihre Absicht sein mochte, jedenfalls sah man, daß sie sich über einen bestimmten Plan geeinigt hatten, bevor sie das Schiff verließen, und so gingen sie auf die Hütte zu: erst die Matrosen mit den Kisten und Ballen und dann die fünf so ungleichen Leute. Die Männer setzten ihre Last nieder; da bemerkte einer von ihnen die Notiz, die Tarzan an der Türe angebracht hatte.

Ho, Kameraden! rief er. Was ist das? Dieser Zettel war vor einer Stunde noch nicht da!

Die andern drängten sich heran, reckten den Kopf in die Höhe, aber da die meisten von ihnen nicht lesen konnten und die andern sehr ungeschickt darin waren, wandte einer von ihnen sich schließlich zu dem alten Herrn im Gehrock und hohen Hut und sagte zu ihm:

Herr Professor, kommen Sie mal her und lesen Sie diesen schönen Zettel!

Der Gerufene kam langsam heran, gefolgt von den andern Mitgliedern der Gesellschaft. Seine Brille zurechtsetzend, betrachtete er einen Augenblick den Zettel, wandte sich dann ab und ging weiter, indem er vor sich hinmurmelte:

Sonderbar! Höchst sonderbar!

He, altes Fossil, rief ihm der Mann zu, der ihn herbeigerufen hatte, glauben Sie, wir hätten Sie gerufen, bloß damit Sie den Zettel für sich lesen sollten? Kommen Sie mal wieder her und lesen Sie ihn laut vor!

Der alte Herr kehrte zurück und sagte: Gewiß, liebe Leute, entschuldigen Sie vielmals. Es war ganz gedankenlos von mir. Aber es ist wirklich sonderbar, ganz sonderbar.

Er betrachtete die Notiz wieder und las sie durch, und jedenfalls wäre er wieder weiter gegangen, um darüber nachzudenken, wenn nicht der Matrose ihn am Kragen gepackt und ihm ins Ohr geschrien hätte:

Lesen Sie es laut, alter Idiot!

Gewiß, gewiß! antwortete der Professor sanft, und nachdem er seine Brille nochmals zurechtgesetzt hatte, las er laut:

Dies ist Tarzans Haus, der wilde Tiere und manchen Schwarzen getötet hat. Man bleibe von den Dingen, die Tarzan gehören. Tarzan wacht.

Affen-Tarzan.

Wer zum Teufel ist Tarzan? fragte der Mann, der zuerst gesprochen hatte.

Er spricht offenbar englisch, sagte der junge Mann.

Aber was heißt Affen-Tarzan? fragte das junge Mädchen.

Ich weiß es nicht, Miß Porter, antwortete der junge Mann. Vielleicht haben wir einen flüchtigen Affen aus dem Londoner zoologischen Garten entdeckt, der eine europäische Erziehung in dieses Dschungelheim mitgebracht hat. Was halten Sie davon, Herr Professor Porter? fügte er hinzu, indem er sich an den alten Herrn wandte.

Professor Archimedes Q. Porter rückte wieder seine Brille zurecht.

Ach ja, in der Tat; ja, wirklich sehr sonderbar, sagte der Professor, aber ich kann dem nichts hinzufügen, als was ich schon über diesen merkwürdigen Fall gesagt habe. Und damit wandte er sich um, um wieder nach der Dschungel zu gehen. Aber Papa, rief das junge Mädchen, du hast ja bisher noch nichts darüber gesagt.

Schon gut, schon gut, Kind! antwortete Professor Porter in mildem, nachgiebigen Tone. Plage nur deinen kleinen Kopf nicht mit so schweren, sonderbaren Problemen. Und wieder ging er in einer andern Richtung fort, seine Blicke auf den Boden gerichtet, die Hände hinterm Rücken, unter den herabfallenden Schößen seines Rockes.

Ich wette, der alte Affe weiß selbst nicht mehr als wir, murmelte der häßliche Matrose.

Reden Sie ein bißchen höflicher, schrie ihn der junge Mann an, der über den beleidigenden Ton des Matrosen wütend war. Sie haben unsere Offiziere ermordet, und Sie bestehlen uns. Wir sind zwar in Ihrer Gewalt, aber wenn Sie Professor Porter und seine Tochter nicht anständig behandeln, so breche ich Ihnen mit meinen bloßen Händen das Genick. Dabei trat der junge Mann so dicht an den Matrosen heran, daß dieser beschämt sich entfernte, obschon er zwei Revolver und ein Dolchmesser im Gürtel hatte.

Verfluchter Feigling! schrie der junge Mann. Wage es nur nicht, auf jemand zu schießen! Und entschlossen drehte er ihm den Rücken und ging scheinbar gleichgültig von dannen.

Die Hand des Matrosen griff heimlich nach einem seiner Revolver. Seine bösen Augen glänzten vor Rache, als der junge Engländer in dieser Weise davonging. Die Blicke seiner Kameraden waren neugierig auf ihn gerichtet, aber er zögerte noch, denn im Grunde genommen war er ein noch größerer Feigling, als William Cecil Clayton es sich vorgestellt hatte.

Was er eigentlich tun wollte, weiß man nicht, denn plötzlich trat ein anderes Ereignis ein, mit dem bisher keiner der Beteiligten gerechnet hatte und das ihr Leben auf dieser unwirtlichen Küste Afrikas stark beeinflussen sollte.

In dem Laub eines nahen Baumes hatten zwei scharfe Augen alle ihre Bewegungen verfolgt. Tarzan hatte gesehen, welches Aufsehen sein Zettel erregt hatte, und da er von der gesprochenen Sprache dieser sonderbaren Menschen nichts verstehen konnte, so sagten ihm ihre Bewegungen und der Ausdruck ihrer Gesichter desto mehr.

Tarzan war entrüstet, als er sah, daß der kleine Matrose mit dem Rattengesicht einen seiner Kameraden erschoß, und als er nun bemerkte, daß dieser sich mit dem fein aussehenden jungen Mann zankte, wurde sein Ärger noch größer.

Noch nie hatte er die Wirkung einer Feuerwaffe gesehen, obschon er in seinen Büchern manches darüber gelesen hatte, aber als er gewahrte, daß der Matrose nach einem Revolver griff, dachte er an die Szene, die er kurz vorher beobachtet hatte, und er glaubte, jetzt werde auch der junge Mann ermordet werden.

Er nahm deshalb einen vergifteten Pfeil aus seinem Bogen und zielte auf den Matrosen, aber das Laub war so dicht, daß er sich sagte, der Pfeil werde durch die Blätter oder die Zweige abgelenkt werden, er nahm deshalb einen schweren Speer, den er aus seiner luftigen Höhe herabschleuderte.

Clayton war erst ein Dutzend Schritte weit gegangen. Der Matrose hatte seinen Revolver halb herausgezogen. Die anderen standen da und harrten der Dinge, die da kommen sollten.

Professor Porter war schon in der Dschungel verschwunden, und auch der aufgeregte Samuel T. Philander, sein Sekretär und Assistent, war ihm dorthin gefolgt.

Esmeralda, die Negerin, war eifrig beschäftigt, das Gepäck ihrer Herrin aus dem neben der Hütte hingeworfenen Haufen von Kisten und Ballen herauszusuchen.

Miß Porter hatte sich abgewandt, um Clayton zu folgen, als etwas sie veranlaßte, sich wieder dem Matrosen zuzuwenden. Und da geschahen nun drei Dinge fast gleichzeitig: Der Matrose hatte seine Waffe herausgezogen und feuerte sie auf Claytons Rücken ab; Miß Porter stieß einen lauten Warnungsruf aus, und gleichzeitig kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel ein langer Speer geflogen und traf den Matrosen in die rechte Schulter.

Der Revolverschuß war in der Luft verhallt; er hatte sein Ziel verfehlt. Der Matrose aber krümmte sich zusammen, indem er vor Schrecken und Schmerz aufschrie.

Clayton wandte sich rasch um und kehrte zurück. Die Matrosen standen erschrocken zusammen und hielten ihre Waffen bereit, während sie gleichzeitig die Dschungel scharf beobachteten. Der Verwundete lag auf dem Boden und wand sich schreiend vor Schmerzen.

Unbemerkt hob Clayton den Revolver auf, den der Matrose hatte fallen lassen, und steckte ihn heimlich ein. Dann trat er zu den Matrosen, die noch immer mit ihren Blicken die Dschungel durchsuchten.

Wer kann das gewesen sein? flüsterte Jane Porter, und der junge Mann wandte sich um, um sie zu betrachten, wie sie mit großen erstaunten Augen neben ihm stand.

Ich glaube, es ist der Affen-Tarzan, der auf uns aufpaßt, sagte er in einem etwas zweifelnden Tone. Ich frage mich nur, für wen der Speer eigentlich bestimmt war. Wenn für Snipes, dann ist unser Affenfreund wirklich ein guter Freund. Aber um Himmelswillen, wo ist denn Ihr Vater und Mr. Philander? In der Dschungel treibt sich was herum, und dazu bewaffnet. – Hallo, Professor! Mr. Philander! rief der junge Clayton in den Wald, aber es kam keine Antwort.

Was ist da zu tun. Miß Porter? fragte der junge Mann besorgt und unentschlossen. Ich kann Sie nicht hier allein mit den Mordgesellen lassen, und Sie können nicht mit mir in die Dschungel gehen. Es muß aber jemand Ihren Vater suchen gehen. Er ist imstande, ganz sorglos weiter zu gehen, ohne der Gefahren zu achten und ohne auf die Richtung aufzupassen, und Mr. Philander ist auch nicht viel praktischer als er. Entschuldigen Sie meine Offenheit, aber unser aller Leben steht hier auf dem Spiel, und wenn wir Ihren Vater finden, so muß etwas geschehen, um ihm die Gefahren klar zu machen, denen er Sie und sich selbst durch seine Sorglosigkeit und Zerstreutheit aussetzt.

Ich bin ganz mit Ihnen einverstanden, antwortete das junge Mädchen, und ich nehme Ihnen Ihre Offenheit gar nicht übel. Der teure alte Papa würde ohne Zögern sein Leben für mich aufopfern, vorausgesetzt, daß es gelänge, seine Aufmerksamkeit einen Augenblick an eine unbedeutende Sache zu fesseln. Es gibt nur ein Mittel, ihn in Sicherheit zu bringen, und das ist, ihn an einen Baum anzuketten. Der arme teure Vater ist so unpraktisch!

Ich hab's! rief Clayton plötzlich aus. Können Sie mit einem Revolver umgehen?

Jawohl! Weshalb?

Ich habe einen. Mit ihm werden Sie und Esmeralda in dieser Hütte verhältnismäßig sicher sein, während ich nach Ihrem Vater und Mr. Philander suchen gehe. Kommen Sie, rufen Sie die Schwarze, und ich will davoneilen. Sie können noch nicht weit gegangen sein.

Jane Porter tat, wie er es ihr vorgeschlagen, und als Clayton die Tür fest hinter ihnen verschlossen sah, wandte er sich nach der Dschungel.

Mehrere Matrosen hatten ihrem verwundeten Kameraden den Speer aus der Schulter gezogen. Als nun Clayton herankam, fragte er, ob er von einem von ihnen einen Revolver geliehen bekommen könne, weil er die Dschungel nach dem Professor durchsuchen wolle.

Als der vom Speer getroffene Matrose bemerkt hatte, daß er nicht starb, hatte er seine Fassung bald wiedergefunden, und mit einem Hagel von Schimpfworten verweigerte er dem jungen Mann im Namen seiner Kameraden eine Waffe.

Der Mensch namens Snipes hatte nämlich die Rolle des Führers übernommen, seitdem er den andern ermordet hatte, und es war noch so wenig Zeit verflossen, daß noch keiner seiner Genossen diese Autorität in Frage gestellt hatte.

Clayton antwortete nicht, sondern zuckte nur mit der Schulter. Beim Fortgehen hob er aber den Speer auf, der Snipes die Schulter durchstochen hatte, und mit dieser primitiven Waffe ging der Sohn des damaligen Lord Greystoke in die dichte Dschungel.

Einige Augenblicke später rief er laut die Namen der Gesuchten. Die beiden in der Hütte Wartenden hörten den Schall seiner Stimme immer schwächer und schwächer, bis er zuletzt unter der Myriade von verschiedenartigen Urwald-Geräuschen unterging.

Als Professor Archimedes Q. Porter und sein Assistent Samuel T. Philander auf das vielfache Drängen des letzteren sich zur Rückkehr entschlossen hatten, waren sie in dem wilden Labyrinth der Dschungel völlig verirrt, ohne es auch nur zu ahnen.

Es war der reinste Zufall, daß sie die Richtung nach der West-Küste Afrikas einschlugen, statt nach Sansibar auf der entgegengesetzten Seite des schwarzen Weltteils.

Als sie nun in kurzer Zeit an den Strand kamen, aber kein Lager erblickten, war Philander überzeugt, daß sie nördlich ihres Bestimmungsortes seien, während sie in Wirklichkeit etwa zweihundert Meter südlich davon waren.

Diesen unpraktischen Theoretikern fiel es gar nicht ein, laut nach ihren Freunden zu rufen, um deren Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Statt dessen nahm Mr. Samuel T. Philander mit der ganzen Sicherheit, die eine Schlußfolgerung aus seiner falschen Voraussetzung ergibt, den Herrn Professor Archimedes Q. Porter fest am Arm und führte den nur schwach widersprechenden alten Herrn in die Richtung nach Kapstadt, das fünfzehnhundert Meilen weiter südlich lag.

Als Jane Porter und Esmeralda sich heil in der Hütte befanden, war der erste Gedanke der Negerin, die Tür von innen zu verrammeln. Sie wandte sich deshalb um, um nach geeigneten Gegenständen dafür zu suchen, aber beim ersten Blicke in das Innere der Hütte stieß sie einen Schrei des Entsetzens aus, und wie ein erschrockenes Kind lief das große schwarze Weib zu ihrer Herrin und verbarg ihr Gesicht zwischen ihren Schultern.

Bei dem Schrei hatte Jane Porter sich umgewandt und das bleiche Menschengebein auf dem Boden liegen sehen, und gleich darauf erblickte sie auch das Skelett auf dem Bette.

In welchen schrecklichen Ort sind wir geraten! murmelte das erschrockene Mädchen, das sich trotzdem zu beherrschen suchte.

Zuletzt befreite sie sich von der Umarmung Esmeraldas, die noch immer am Schreien war, ging durch den Raum zu der kleinen Wiege und fand auch darin ein Skelett.

Welch schreckliche Tragödie mußte sich in dieser Hütte abgespielt haben! Das Mädchen schauderte bei dem Gedanken an die Gefahren, denen sie und ihre Freunde in dieser schrecklichen Hütte ausgesetzt sein konnten, in der böse Geister zu Hausen schienen.

Von diesen düsteren Ahnungen suchte sie sich aber schnell zu befreien, und mit ihrem kleinen Fuße ungeduldig auf den Boden stampfend, bat sie Esmeralda, doch mit Weinen aufzuhören.

Hör auf, Esmeralda, sofort! rief sie ihr zu. Du machst es nur schlimmer. Ich habe nie ein so böses Kind gesehen.

Sie schlug schon einen sanfteren Ton an, und ihre Stimme zitterte, als sie an die drei Männer dachte, auf deren Schutz sie angewiesen war, und die nun in dem schrecklichen, tiefen Wald umherirrten.

Als das Mädchen sah, daß die Tür im Innern mit einer starken hölzernen Stange versehen war, versuchte sie diese mit Hilfe Esmeraldas als Riegel vorzuschieben, und das gelang denn auch ihren vereinten Anstrengungen.

Dann setzten sie sich Arm in Arm auf die Bank und warteten.


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