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Die Affen

Im Walde des Tafellandes, eine Meile vom Ozean, tobte der alte Affe Kerschak voller Wut unter seinem Volke. Die jüngeren und leichteren Mitglieder seines Stammes kletterten auf die höheren Äste der großen Bäume hinauf, um seinem Grimm zu entfliehen. Sie setzten lieber ihr Leben aufs Spiel, indem sie sich den schwachen Ästen anvertrauten, als daß sie im Bereich des zornigen alten Kerschak geblieben wären.

Die andern Männchen stoben nach allen Richtungen auseinander, wenn das wutschäumende Tier einem von ihnen das Rückgrat zwischen seinen Zähnen zerbrochen hatte.

Ein unglückliches junges Weibchen glitt von dem unsicheren Halt eines hohen Astes herunter und fiel gerade vor Kerschaks Füße.

Mit einem wilden Schrei stürzte der Alte sich darauf, riß ihm mit seinem gewaltigen Gebiß ein großes Stück aus der Seite und schlug das arme Wesen mit einem zerbrochenen Ast nieder.

Und dann erspähte er Kala, die mit ihrem Säugling von der Futtersuche kam. Sie wußte nichts von der Wut des gewaltigen Männchens, bis sie schließlich durch die schrillen Rufe ihrer Kameraden gewarnt wurde und nun auch ihr Heil in wahnsinniger Flucht suchte.

Aber Kerschak war ihr so nahe auf den Fersen, daß er sie beinahe beim Fuß erwischt hätte, wenn sie nicht von einem Baum auf einen andern weit davonstehenden gesprungen wäre, – ein Wagnis, das Affen nur in der größten Gefahr, in der es keinen andern Ausweg mehr gibt, unternehmen.

Der Sprung gelang ihr, aber als sie den Ast des Baumes erfaßte, lockerte sich durch die plötzliche Erschütterung der Halt des kleinen Säuglings, und sie sah, wie dieser dreißig Fuß tief hinunterfiel.

Mit lautem Brüllen kletterte Kala schleunigst hinunter, der Gefahr, die ihr von Kerschak drohte, jetzt nicht mehr achtend, aber als sie das winzige verstümmelte Ding aufhob, war es schon tot.

Stöhnend legte sie den Leichnam neben sich. Kerschak belästigte sie nicht mehr. Mit dem Tode des Kleinen war der Anfall von teuflischer Wut so schnell verraucht, wie er über ihn gekommen war.

Kerschak war ein riesiger König unter den Affen; er wog wohl an die dreihundertundfünfzig Pfund. Seine Stirn war außerordentlich niedrig und zurücktretend, seine Augen waren blutunterlaufen, schmal und nahe über seiner groben flachen Nase liegend; seine Ohren waren groß und dünn, aber schmäler als die seiner Art.

Sein schrecklicher Zorn und seine gewaltigen Kräfte hatten ihm die Herrschast über seinen Stamm verschafft, dem er vor etwa zwanzig Jahren entsprossen war.

Da er jetzt im besten Alter stand, hätte keiner seinesgleichen in dem großen Walde, den er durchstreifte, es gewagt, ihm sein Herrscherrecht streitig zu machen. Er wurde nicht einmal von den andern größeren Tieren belästigt.

Nur der alte Tantor, der Elefant, fürchtete ihn nicht, und vor ihm allein hatte Kerschak Respekt. Wenn Tantor trompetete, floh der große Affe mit seinen Kameraden auf die höchsten Bäume.

Der Stamm der Menschenaffen, über den Kerschak mit eisernen Händen herrschte, zählte sechs bis acht Familien, von denen jede aus einem erwachsenen Männchen mit seinen Frauen und Jungen bestand. Es waren im ganzen sechzig bis siebzig Affen.

Kala war das jüngste Weib eines Männchens namens Tublat, d. h. »gebrochene Nase«, und das Kind, das durch den Absturz zerschmettert worden war, war ihr erstes, denn sie war erst neun oder zehn Jahre alt.

Trotz ihrer Jugend war sie groß und stark, ein prächtiges, wohlgebautes Tier mit einer runden, hohen Stirne, die auf mehr Intelligenz schließen ließ, als sie die meisten ihrer Art besaßen. Sie war denn auch einer größeren Mutterliebe fähig.

Aber sie war immerhin ein Affe, ein riesiges, wildes, schreckliches Tier, das den Gorillas nahe verwandt war, wenn auch klüger als diese.

Als die einzelnen Mitglieder des Stammes sahen, daß Kerschaks Raserei nachgelassen, kamen sie langsam aus ihren Zufluchtsorten in den Bäumen herbei und gingen wieder ihrer Beschäftigung nach.

Die Jungen spielten und scherzten zwischen den Baumen und Sträuchern umher. Von den Erwachsenen lagen einige auf der weichen Matte abgestorbener Pflanzen hingestreckt, während andere über herabgefallene Äste und über Erdschollen turnten, um nach kleinen Käfern und Reptilien zu suchen, die einen Teil ihrer Nahrung bildeten. Andere wieder suchten in der Umgebung die Bäume nach Obst, Nüssen, kleinen Vögeln und Eiern ab.

Nachdem sie auf diese Weise eine Stunde verbracht hatten, rief Kerschak sie alle zusammen und befahl ihnen, ihm zu folgen.

Jetzt hieß es: Fort zur See hinunter!

Sie gingen zumeist auf der Erde, und folgten dem Weg, den die großen Elefanten durch das Dickicht der Bäume, Sträucher und Schlingpflanzen gebrochen hatten. Ihr Gehen war eine rollende, unbeholfene Bewegung, indem sie die Knöchel ihrer geschlossenen Hände auf den Boden setzten und ihren plumpen Körper vorwärts schwangen. Wenn aber der Weg zwischen niederen Bäumen hindurchführte, bewegten sie sich schneller, indem sie sich von Ast zu Ast mit der Gewandtheit ihrer Vettern, der kleinen Kletteraffen, schwangen.

Auch Kala war bei der Truppe, und sie trug den ganzen Weg ihr kleines, totes Kind fest an ihre Brust gedrückt.

Es war kurz nach Mittag, als sie eine Anhöhe erreichten, von wo sie den Strand übersehen konnten, an dem die Hütte lag.

Dorthin führte sie Kerschak!

Er wollte das Geheimnis ergründen, das diese Wohnung barg. Mehr als einmal hatte er gesehen, daß einer seines Stammes dort getötet wurde. Da drinnen war nämlich ein merkwürdiger weißer Affe; der hatte einen seltsamen schwarzen Stock, und wenn er diesen in die Hand nahm, gab es einen lauten Knall und dann blieb einer tot liegen.

Kerschak wollte sich dieses todbringende Werkzeug aneignen und das Innere dieses geheimnisvollen Baues erforschen.

Das mußte ein wunderliches Tier sein, das da drinnen hauste. Er haßte es und hätte es gern in den Hals gebissen. Aber er fürchtete es auch, und deshalb kam er oft mit seinem Stamme dorthin auf Kundschaft. Er wollte eine Zeit abwarten, wo der Weiße nicht auf seiner Hut wäre.

Aber noch jedesmal hatte er Pech gehabt. Sobald er sich mit seinen Angehörigen zeigte, erschien auch der Weiße mit seinem Stock und tötete irgendeinen von ihnen.

So hatte Kerschak es allmählich aufgegeben, einen Angriff zu wagen oder auch nur sich zu zeigen.

Nun war er gespannt, wie es heute gehen würde.

Der Weiße war nirgends zu erblicken. Kerschak wanderte mit seinen Angehörigen um die Hütte.

Als sie sahen, daß die Türe offen stand, krochen sie langsam, vorsichtig und geräuschlos heran. Da gab es kein Knurren und keine Wutschreie, denn sie durften den schwarzen Stock nicht wecken.

Sie kamen näher und näher, bis Kerschak selbst an der Türe war und heimlich hineinguckte. Hinter ihm waren zwei Männchen und dann Kala, die ihr totes Kleines noch immer fest an ihre Brust drückte.

In der Hütte sahen sie den seltsamen weißen Affen halb über dem Tisch liegen, die Arme um den Kopf gestreckt, und auf dem Bette lag eine mit einem Segeltuch bedeckte Gestalt, während von einer kleinen, einfachen Wiege das Wehklagen eines Säuglings herkam.

Kerschak war geräuschlos eingetreten und hielt sich zum Angriff bereit.

Da erhob sich John Clayton plötzlich und sah ihn an.

Er wurde starr vor Schrecken bei dem Anblick, der sich ihm bot: innerhalb der Türe standen drei große Affen, und hinter ihnen kamen deren noch mehr zum Vorschein, – wie viele, wußte er nicht.

Clayton sah, daß er verloren sei, denn seine Revolver und seine Gewehre hingen weit hinten an der Wand, und Kerschak ging zum Angriff vor.

Der riesige Affe stürzte sich auf den Wehrlosen, umfaßte ihn und erdrückte ihn. Es war das Werk einer Minute.

Als er den schlaffen Körper des Leblosen losließ, wandte er seine Aufmerksamkeit der kleinen Wiege zu. Dabei kam Kala ihm aber zuvor. Das Wimmern des Säuglings hatte in ihrer Brust die Gefühle der Mutterschaft geweckt, und da sie diese an ihrem toten Kinde nicht mehr stillen konnte, ließ sie dieses in die Wiege fallen und nahm dafür den lebenden Säugling der Alice Clayton.

Als Kerschak das Kind ergreifen wollte, hatte sie es ihm schon weggeschnappt, und ehe er dazwischen fahren konnte, war sie zur Türe hinausgerannt und auf einen hohen Baum geflüchtet.

Hier liebkoste sie das schreiende Kind an ihrem Busen, und der Instinkt, der in diesem wilden Weibchen ebenso vorherrschte, wie in der Brust der zarten, schönen Mutter, der Instinkt der Mutterliebe, erstreckte sich auch auf das kleine Menschenkind.

Der Hunger hob allen Unterschied auf, und so wurde der Sohn eines englischen Lords und einer englischen Lady an der Brust von Kala, der großen Äffin, genährt.

Inzwischen untersuchten die Affen vorsichtig den Inhalt des Hauses, in das sie eingedrungen waren.

Als Kerschak sich von dem Tod Claytons überzeugt hatte, wandte er seine Aufmerksamkeit der Gestalt zu, die auf dem Bette lag und mit einem Stück Segeltuch bedeckt war.

Bedächtig hob er einen Zipfel des Leichentuches auf, aber als er den Körper der Frau darunter sah, riß er das Tuch mit einem Ruck von ihr weg und packte den stillen weißen Hals mit seinen riesigen behaarten Händen an.

Einen Augenblick drückte er seine Finger tief in ihr kaltes Fleisch ein, aber als er erkannte, daß sie schon tot sei, ließ er von ihr ab, um den Inhalt des Zimmers zu mustern.

Das Gewehr an der Wand zog zuerst seine Aufmerksamkeit auf sich. Das war jener seltsame, todbringende Donnerstock, den er nun schon seit Monaten in der Hand des weißen Affen gesehen hatte und dessen er sich so gern bemächtigt hätte, und nun, da er ihn ergreifen konnte, hatte er nicht den Mut, ihn anzufassen.

Vorsichtig näherte er sich dem Ding, jeden Augenblick bereit, zu fliehen, sobald das Mordwerkzeug losgehen würde. Er erinnerte sich noch sehr wohl, welch lauten Knall es von sich gab, wenn der wunderbare weiße Affe sich seiner bediente, sobald er angegriffen wurde, und wie dann jedesmal einer seines Stammes tot zurückblieb.

Ein dunkles Bewußtsein sagte ihm allerdings, daß der Donnerstock nicht von selbst losgehe und daß er nur gefährlich wurde, wenn einer ihn in die Hand nahm.

Dennoch wagte er nicht, ihn zu berühren. Er ging vielmehr auf und ab, drehte dabei den Kopf, aber so, daß er den Gegenstand seiner Wünsche nicht aus dem Auge verlor.

Der große König der Affen gebrauchte seine langen Arme, wie ein Mensch sich der Krücken bedient; bei jedem Schritt rollte er seinen schweren Rumpf weiter, knurrte oder stieß auch einen jener ohrenbetäubenden Schreie aus, die das Schreckenerregendste im ganzen Dschungel waren.

So ging er auf und ab.

Auf einmal machte er Halt vor dem Gewehr. Langsam streckte er die Hand darnach aus, bis er den glänzenden Lauf beinahe berührte, zog sie abermals zurück und setzte seine eiligen Schritte im Zimmer fort.

Und doch schien es, als ob das große Tier zeigen wollte, daß es keine Furcht kenne und durch sein wildes Brüllen seine Wut bis zu dem Punkte steigern wolle, daß es das Gewehr in die Hand zu nehmen wagte.

Abermals blieb Kerschak stehen, und diesmal gelang es ihm, seine widerstrebende Hand an den kalten Stahl zu führen, um sie aber augenblicklich wieder zurückzuziehen.

Von Zeit zu Zeit wiederholte er diesen seltsamen Griff, aber jedesmal mit wachsendem Vertrauen, bis er schließlich das Gewehr vom Nagel herunterriß.

Da er sah, daß ihm kein Leid geschah, untersuchte er es genauer und befühlte es von einem Ende zum andern, schaute in die schwarze Mündung hinein, betastete das Visier, den unteren Teil, den Schaft und schließlich den Hahn.

Während er so mit der Waffe hantierte, saßen die andern Affen, die mit ihm hereingekommen waren, in der Nähe der Türe zusammengedrängt und beobachteten ihren Herrn, während die da draußen sich drückten und drängten, um wenigstens etwas von dem zu erblicken, was da drinnen vorging. Plötzlich bewegte Kerschak den Hahn. Da gab es einen fürchterlichen Knall in dem kleinen Raum, und die Affen, die innerhalb und außerhalb der Türe waren, stolperten einer über den andern in wilder Angst davon.

Kerschak war ebenfalls erschrocken und zwar so sehr, daß er ganz vergaß, dieses merkwürdige Ding, das den schrecklichen Knall von sich gegeben hatte, beiseite zu werfen, und daß er, es fest in der Hand haltend, zur Türe hinauspolterte.

Beim Hinausstürmen stieß er mit dem Gewehr an die offene Türe, so daß sie hinter ihm zuflog.

Als Kerschak in kurzer Entfernung von der Hütte Halt machte, ließ er das Gewehr fallen, als ob es ein Stück heißen Eisens wäre. Er versuchte auch nicht mehr, es aufzuheben. Der Knall war für die Nerven des wilden Tieres zu fürchterlich gewesen. Aber er war nun überzeugt, daß der schreckliche Stock ganz harmlos sei, wenn man ihn in Ruhe ließ.

Es verging eine Stunde, bis die Affen es wagten, sich wieder der Hütte zu nähern, um ihre Nachforschungen fortzusetzen, aber zu ihrem Leidwesen fanden sie, daß die Türe geschlossen war und daß sie nicht imstande waren, sie zu öffnen.

Die geschickt gearbeitete Klinke, die Clayton an der Türe angebracht hatte, war nämlich zugeklappt, als Kerschak hinausstürzte. Die Affen wußten auch nicht, wie sie sich durch die stark vergitterten Fenster Zutritt verschaffen könnten.

Nachdem sie eine Weile um die Hütte herumgestreift waren, zogen sie sich in das Dickicht zurück, um wieder nach dem höher gelegenen Lande zu wandern, von wo sie hergekommen waren. Kala war die ganze Zeit über mit ihrem angenommenen Kinde auf dem mächtigen Baume geblieben, aber Kerschak rief sie mit den andern herunter, und da seine Stimme keinen Zorn verriet, ließ sie sich leicht von einem Ast auf den andern herunter und gesellte sich zu den andern auf den Heimweg.

Wenn einzelne versuchten, Kalas merkwürdiges Kind zu besehen, so zeigte sie ihnen knurrend die Zähne und stieß sie warnend zurück.

Als sie aber versicherten, daß sie dem Kinde kein Leid antun wollten, erlaubte Kala ihnen, näherzukommen, aber niemand durfte es anrühren.

Kala schien zu wissen, daß ihr Säugling zart und gebrechlich sei, und sie fürchtete, daß die rauhen Hände ihrer Kameraden das kleine Wesen verletzen könnten. Sie dachte an den Tod ihres eigenen Jungen, und um nicht auch ihr neues Kind zu verlieren, drückte sie dieses auf dem Marsche fest an sich, so daß der Weg für sie natürlich sehr beschwerlich war.

Die andern Jungen ritten auf den Rücken ihrer Mütter, wobei sie die kleinen Arme fest um den haarigen Hals legten, während ihre Beine sich unter den Achselhöhlen der Mutter festhielten.

Der kleine Lord Greystoke war an der Brust seiner neuen Mutter besser geborgen, und seine Händchen spielten mit den langen schwarzen Haaren ihres Busens.


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