Jacob Burckhardt
Der Cicerone
Jacob Burckhardt

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Er begab sich nach Florenz, welches gerade in jenem Augenblick der Sammelpunkt der größten Künstler Italiens war; Michelangelo und Lionardo z. B. schufen damals in ihren (verlornen) Kartons die höchsten Wunder der historischen Komposition; es war ein großer Moment der Kunstgärung. Wer sich davon einen Begriff machen will, suche im linken Querschiff von S. Spirito in Florenz, am zweiten Altar links, das Bild mit der Jahrzahl 1505 auf, welches jetzt gewöhnlich dem Ingegno zugeschrieben wird; aus der Madonna und den Heiligen sehen uns vier, fünf Maler verschiedener Schulen neckend entgegen.

Raffael ließ sich nicht zerstreuen. Er fand unter den florentinischen Malern, wie es scheint, sehr bald denjenigen, welcher ihn gerade in seiner Weise am meisten fördern konnte: den großen Fra Bartolommeo, der nicht sehr lange vorher nach mehrjähriger Unterbrechung sich von neuem der Malerei zugewandt hatte. Dieser war meistens mit ähnlichen Aufgaben beschäftigt wie die Schule von Perugia, nämlich mit Gnadenbildern, nur löste er malerisch, was diese ungelöst ließ; er stellte seine Heiligen und Engel nicht bloß symmetrisch neben- und durcheinander, sondern er bildete aus ihnen wahre Gruppen und belebte sie durch Kontraste und durch grandiose körperliche Entwicklung. Sein Einfluß auf Raffael war bestimmend; die Abrechnung zwischen beiden möchte wohl das Resultat geben, daß Raffael ihm die wesentlichste Anregung zur streng-architektonischen und dennoch ganz lebendigen Kompositionsweise verdankt habe. (Er hat später, vgl. S. 833, e, auf den Frate zurückgewirkt.)

Die früheste Äußerung dieses Einflusses erkennt man in dem Freskobilde, womit Raffael 1506 eine Kapelle des Klosters S. Severo in Perugia schmückte. Die Verschiebung des Halbkreises von Heiligen, welche auf Wolken thronen, geht schon weit über den peruginischen Horizont; hier ist nicht bloß Abwechslung der Charaktere und Stellungen, sondern höherer Einklang und freie Größe. Der Kontrast der obern peruginischen und der untern florentinischen Engel spricht noch deutlich die damalige innere Teilung des Künstlers aus.

In seinen Tafelbildern (vermutlich) aus den Jahren 1504 bis 1506 hat er noch mehr von der frühern Art an sich, so in der MadonnaAls Privatbesitz des Großherzogs von Toskana ist sie hauptsächlich bei Anlaß des Kopierens in einem der Säle der Galerie Pitti zu sehen. Den Sommer hindurch ist dies am häufigsten der Fall. mit vier Heiligen und der dazu gehörenden obern Lünette im königlichen Schloß zu Neapel, auch noch in der Madonna del Granduca. Die letztere hat noch ganz die stumpfe, befangene Draperie Peruginos, ist aber im hohen Ausdruck des Kopfes und in der schönen Anordnung des Kindes schon eine der größten Machtäußerungen von Raffaels Seele, so daß man ihr manche spätere, vollkommnere Madonna schwerlich vorziehen möchte.

Schon entschiedener florentinisch und mehr bewegt ist die kleine Madonna mit den Nelken, in der Galerie Camuccini zu Rom. Vielleicht ein Bild der Befangenheit, welche ersten Schritten in einer neuen Richtung eigen ist; eine fast genreartige Mutter des Christuskindes, im Hauskleid, mit absichtlich gedämpften Farben; übrigens so gedacht und ausgeführt, daß an der Echtheit doch nicht zu zweifeln ist. (Die beiden zusammengesetzten Täfelchen mit heiligen Frauen in derselben Sammlung stammen noch aus Raffaels peruginischer Zeit.)

Raffael lebte 1506–1508 zum zweitenmal in Florenz und diese Periode war bereits sehr reich an bedeutenden Bildern, von denen nur die meisten ins Ausland gegangen sind. Doch gewähren die in Italien gebliebenen wenigstens einen genügenden Faden für die Erkenntnis seiner innern Entwicklung.

Auch jetzt sehen wir ihn wählen; von dem festen Grund aus, zu welchem ihm der Frate verholfenJene Abrechnung zwischen beiden Künstlern ist besonders schwierig, wenn es sich einerseits um Raffaels damals geschaffene heil. Familie in der Münchner Pinakothek, anderseits um die beiden heil. Familien des Fra Bartolommeo im Pal. Corsini zu Rom und im Pal. Pitti (erstes der hintern Zimmer) handelt. Hat Raffael die geschlossene pyramidale Gruppe der Maria, der beiden Kinder, der Elisabeth und des abschließend darüber stehenden Joseph zuerst geschaffen und der Frate ihn unvollständig, mit Weglassung einer Figur nachgeahmt? Oder hat Raffael das unreife Motiv des Frate erst durch seine Zutat zur Reife gebracht? Die Entscheidung ist bedenklich, die Zusammengehörigkeit der Bilder beider bleibt aber handgreiflich. Ich möchte eher die erstere Vermutung annehmen. , greift er mit dem sichersten Takte nur nach dem, was ihm innerlich gemäß ist. Die Breite des Lebens, welche noch das Thema der meisten damaligen Florentiner ist, berührt auch ihn, aber nur soweit sie das Höchste nicht beeinträchtigt: den Ausdruck der Seele und die allmählich in ihm zur sichern Form gedeihenden Grundgesetze der malerischen Komposition.

Man vergleiche nur seine damaligen Madonnen mit denjenigen der Florentiner; selbst diejenigen Lionardos (Vierge aux rochers, Vierge aux balances im Louvre) werden sich als weniger hoch gedacht, als in einem irdischen Beginnen befangen erweisen, der übrigen nicht zu gedenken. Raffael hat schon durch den architektonischen Ernst seiner Gruppenbildung einen Vorsprung, noch mehr aber durch den hohen Ernst der Form, welcher ihn von allen bloß zufälligen Zügen des Lebens fernhielt. Der Intention nach will seine Madonna nicht mehr sein als ein schönes Weib und eine Mutter, wie bei den Florentinern auch; seine Absicht ist (die eigentlichen Gnadenbilder ausgenommen) nicht erbaulicher als die der letztern; wenn man dennoch das Höchste darin findet, so muß dies andre Gründe haben. Die Antwort liegt in der Madonna del Cardellino (in der Tribuna der Uffizien; die als Gegenstück aufgestellte Madonna del pozzo scheint von einem Niederländer oder Lucchesen nach raffaelischen Erinnerungen gearbeitet). Die einfachste denkbare Pyramidalgruppe, durch das Überreichen des Hänflings mäßig belebt; man wird vielleicht in den reizenden Formen, dem reinen Ausdruck den vollen Wert des Bildes suchen; dieselben würden aber weniger wirken, ja vielleicht verlorengehen, ohne die haarscharf abgewogene Harmonie der einzelnen Teile in Form und Farbe. Bei Raffael wirkt immer das einzelne so stark und unmittelbar, daß man darin das Wesentliche zu finden glaubt, während doch der Reiz des Ganzen unbewußtermaßen das Bestimmende ist.

Die höhere Stufe der Madonna del Cardellino ist dann die bekannte Belle Jardinière im Louvre.

Ein Rätsel bleibt die Madonna del Baldacchino im Pal. Pitti. Raffael ließ sie bei seiner Abreise nach Rom unvollendet; später, als sein wachsender Ruhm dem Bilde eine neue Aufmerksamkeit zuwandte, wurde, man weiß nicht durch wen, daran weitergemalt. Endlich ließ Ferdinand, Sohn Cosimos III. dasselbe etwa um 1700 durch einen gewissen Cassana mit einem Anschein von Vollendung versehen, hauptsächlich mittels brauner Lasuren. Die ungemein schöne Anordnung des Kindes zur Madonna (z. B. die Begegnung der Hände), die im großartigen Stil des Frate zusammengestellten Figuren links (S. Petrus und S. Bernhard) gehören wohl Raffael an; vielleicht auch der Oberkörper des Heiligen mit dem Pilgerstab rechts; dagegen möchte der heil. Bischof rechts von ganz fremder Hand dazu komponiert sein. Die beiden köstlich improvisierten Putten an den Stufen des Thrones gehören ebensosehr der Weise des Frate als der Raffaels an; von den beiden Engeln oben ist der schönere aus dem Fresko von S. Maria della Pace in Rom offenbar entlehnt, woraus hervorgeht, daß der erste Vollender jedenfalls erst nach 1514 über das Bild kam.

In seinen florentinischen Bildnissen steht Raffael schon als der große Historienmaler da, der aus dem Zufälligen das Charakteristische, aus dem Vorübergehenden das Ewige auszuscheiden weiß. Vielleicht an dieser Stelle zeigt sich der einzige kenntliche Einfluß Lionardos auf Raffael, sowohl in der Auffassung als in demjenigen Fleiß der Modellierung, welchem kein Detail der Form zu gering ist, sobald es sich um den ganzen und vollen Charakter handelt. Wenn wir von zwei sehr schönen Köpfen andächtiger Mönche in der florentinischen Akademie (Saal der kleinen Bilder) absehen, welche noch aus der ersten florentinischen Periode sein könnten, so wären die Bildnisse des Angelo und der Maddalena Doni (im Pal. Pitti) seine frühesten bekannten Arbeiten dieser Gattung (1505). Dasjenige der Frau zeigt einen unverkennbaren Anklang an die Gioconda Lionardos (im Louvre) nicht bloß in den Äußerlichkeiten, sondern dem innersten Kerne nach. Manches ist noch unfrei, z. B. die Stellung der Hände, auch die Farbe, allein die Auffassung des Charakters und die Haltung ist völlig unbefangen. Von allen Zeitgenossen hätten nur wiederum Lionardo und etwa Giorgione damals etwas ebenso Wertvolles hervorbringen können.

Das Bildnis in der Tribuna der Uffizien, welches ebenfalls Maddalena Doni heißt, dem andern Bild aber wie eine ältere, etwas leidende Schwester gleicht, möchte wohl früher, etwa bald nach der Ankunft in Florenz gemalt sein, als Raffael noch peruginischer dachte und die Gioconda noch nicht kannte. Es ist ein so herrliches und (z. B. in der Anordnung der Hände) bedeutendes Bild, daß die Zweifel an der Echtheit kaum berechtigt scheinen. Unzweifelhaft echt ist jedenfalls Raffaels eigenes Porträt in der Sammlung der Malerbildnisse ebenda (vom Jahre 1506?), von leichter, anmutiger Haltung und höchst meisterhafter Malerei. – Endlich enthält die Galerie (unter N. 229, Saal der Iliade) das Bildnis einer Frau von etwa 35 Jahren, in florentinischer Tracht, welches dem Raffael zugeschrieben wird und jedenfalls von erstem Range ist. Es scheint von einem künftigen Meister des Helldunkels gemalt, was Raffael nie wurde, auch zeigen die Flächen der Leinewand und der Damastärmel eher etwa die Behandlungsweise des Andrea del Sarto. Die Modellierung ist wunderbar schön und fleißig, wie sie Andreas spätere Arbeiten allerdings nicht mehr aufweisen. Die Verkürzung der einen Hand hätte der so weit ausgebildete Raffael unbedingt besser gegeben. – Der Charakter des Kopfes erzählt eine ganze Jugendgeschichte voll Liebe und Güte.

Im Jahre 1507 malte Raffael auch sein erstes großes bewegtes Historienbild; es ist die Grablegung in der Galerie Borghese zu Rom. Ein Werk der höchsten Anspannung aller Kräfte, noch nicht frei von gewissen Befangenheiten (z. B. in der Anordnung der Füße), mit einzelnen Gesichtsformen, welche schon auf ein abgeschlossenes und damit der Manier sich näherndes Ideal hindeuten, wovon Raffael sich später wieder freimachen mußte. Aber ein ewig großes Wunderwerk der Linienführung, der dramatischen und malerischen Gegensätze und des Ausdruckes. Es genügt z. B. die Verteilung der physischen Anstrengung und der Seelenteilnahme zu verfolgen, um Raffael allen Zeitgenossen vorzuziehen. Der Christusleichnam ist in Form und Verkürzung vollkommen edel. – Die Predella dazu, grau in grau die Figuren von Glaube, Liebe und Hoffnung in Rundbildern auf grünlichem Grunde darstellend, mit je zwei Engelknaben zu den Seiten, befindet sich in der vatikanischen Galerie. Es sind scheinbar nur leichte Skizzen, aber schon in Komposition und Gebärde liegt ein Ausdruck, den man nicht bezeichnender wünschen möchte. Mit möglichst Wenigem ist hier möglichst Großes gegeben. (Die obere Lünette, Gottvater mit Engeln, findet sich noch in S. Francesco de' Conventuali zu Perugia, wo einst das ganze Werk stand, aber nicht über der Kopie desselben von Arpino, sondern über einem Altarbild der rechten Seite, die Geburt Christi von Orazio Alfani.)

Mit diesem entscheidenden Werke legitimierte sich Raffael als derjenige, der allein neben Michelangelo die Gedanken Papst Julius' II. ganz würdig ausführen konnte. Der Papst berief ihn 1508 nach Rom, wo er die zwölf noch übrigen Jahre seines kurzen Lebens hindurch jene unbegreiflich reiche Tätigkeit entfaltete, die als moralisches Wunder einzig dasteht. Nicht die Höhe des Genies, sondern die Gewalt der Willenskraft ist das größte daran; jene hätte ihn nicht vor der Manier geschützt; diese war es, die ihn nie auf den Lorbeeren ausruhen, sondern stets zu höhern Ausdrucksweisen emporsteigen ließ. – Die große Menge der Aufträge, der Ruhm und die alles übertreffende Schönheit der Werke sammelten bald eine Schule um Raffael; dieser mußte er in der spätern Zeit die Ausführung selbst ganzer großer Unternehmungen überlassen; es waren Menschen der verschiedensten Anlage, zum Teil geringe Charaktere, aber solange der gewaltige Abglanz von der Gestalt des Meisters auf ihnen ruhte, schufen sie in seinem Geist. Ihre baldige Ausartung nach seinem Tode zeigt noch einmal von der Kehrseite, was er gewesen sein muß.

Wir beginnen mit den noch in Italien vorhandenen Staffeleibildern, welche trotz der inzwischen eingetretenen Gewöhnung des Meisters an die Freskomalerei ihren besondern Charakter vollkommen beibehalten, so daß in ihnen gerade die höchsten Aufgaben der Ölmalerei, die in Raffaels Bereiche lagen, gelöst sind. Als gewissenhaftester aller Künstler tat er sich auch in der Technik nie genug. Wenn man aber von ihm die Farbenglut Tizians und das Helldunkel Correggios verlangt, so zeigt dies ein gänzliches Verkennen seines wahren Wertes. Keines seiner Gemälde würde durch das Hinzukommen dieser Eigenschaften irgend wesentlich gewinnen, weil keines darauf gebaut ist. Was man dagegen wohl bedauern darf, ist das spätere Nachschwärzen seiner Schatten, die im Augenblick der Vollendung gewiß viel lichter waren. Den Beweis liefert z. B. Andrea del Sartos Kopie nach dem Bildnis Leos X., welche sich im Museum von Neapel befindet; mit chemisch günstigern Farben in den Schatten ausgeführt, zeigt sie, wie das Original (im Pal. Pitti) ursprünglich gestimmt gewesen sein muß.

Die Madonnen dieser römischen Zeit sind größtenteils im Auslande. Von der Madonna di Casa d'Alba, einem Rundbilde mit ganzen Figuren in einer Landschaft, enthält z. B. die Galerie Borghese eine alte Kopie; ein köstlicher Nachklang der florentinischen Madonnen, nur mehr bewegt. Die Mad. della Tenda in der Turiner Galerie gilt als eigenhändige Wiederholung des in München befindlichen Bildes; ebenso ist wohl an der Echtheit des sog. Réveil de l'enfantDer Name paßt nicht recht; das Kind ist schon ganz wach und zieht fröhlich an dem Schleier der Mutter. im Museum von Neapel nicht zu zweifeln, obschon das in England befindliche Exemplar schöner sein soll. Die unendliche Anmut dieses Bildes, womit es den Sinn des Beschauers traumhaft umfängt, hat wieder ihren tiefsten Grund nicht in den sehr schönen Formen und Zügen, sondern in den überaus vollkommenen Linien, im Gang der Bewegung der Mutter und des Kindes, in der Lichtverteilung.

Kein einziges dieser Bilder gibt durch direkte Andeutungen zu erkennen, daß die Mutter Gottes gemeint sei. Es ist nur die reinste Schönheit des Weibes und des Kindes, die den Gedanken an das Übernatürliche erweckt. Die Kunst ist nach anderthalb Jahrtausenden wieder einmal auf derjenigen Höhe angelangt, wo ihre Gestalten von selbst und ohne alle Zutaten als etwas Ewiges und Göttliches erscheinen.

Und nun stimmt sich Raffael einmal herab und malt vielleicht nur die schönste Italienerin in Gestalt der Madonna della Sedia (Pal. Pitti). Abgesehen von dem Reiz der Formen und von der nicht wieder so erreichten Komposition im Rund wirkt hier der Ausdruck des Mütterlichen, in Verbindung mit der herrlichen Volkstracht, ganz besonders stark. Es ist das Lieblingsbild der Frauen.

Von den heiligen Familien ist eine der vorzüglichsten, wie es scheint, spurlos verschwunden: die Madonna aus dem Schatz von Loretto. Das Exemplar im Louvre ist nicht besser als einzelne andre gute Schulkopien, deren z. B. das Museum von Neapel zwei enthält (eine davon in der Sammlung des Prinzen von Salerno). Das Motiv ist bekannt: Maria hebt von dem ihr entgegenlachenden, auf einer Bank liegenden Kinde das Leintuch auf, während Joseph zusieht; im Hintergrunde ein grüner Vorhang; die beiden Halbfiguren meist kaum unter Lebensgröße. Es ist eine häusliche Szene, aber gereinigt von dem Kleinbürgerlichen der Nordländer, von dem Renaissanceprunk der Florentiner, ausgeprägt in den höchsten Formen und Linien.

Teilweise von Raffael komponiert und auch ausgeführt ist die Madonna dell' Impannata (d. h. des Tuchfensters) im Pal. Pitti. Waren vielleicht Maria, Elisabeth, die junge Frau links und das Kind ursprünglich zu einem Rundbilde entworfen, welches sich abwärts etwa bis zum Knie der Elisabeth erstreckt hätte? (wobei das Stehen der Maria auf einem andern Plan als die übrigen nicht so auffallen würde) – oder welches Ateliergeheimnis waltet hier ob? Der ganz außerhalb der Gruppe sitzende Johannes ist jedenfalls ein späterer Gedanke, wenn ihn auch Raffael selbst vorgezeichnet haben mag. Über die Teile, die er gemalt hat, herrscht ein Streit, welchen andre schlichten mögen. Der Moment ist einer der liebenswürdigsten: die beiden Frauen haben das Kind gebracht und überreichen es der Mutter; während der Knabe sich noch lachend nach ihnen um wendet, faßt er kräftig das Kleid der Maria, welche zu sagen scheint: »Seht, er will doch am liebsten zu mir.« Feierlicher ist die Szene in der Madonna coldivino amore (Museum von Neapel). Elisabeth wünscht, daß das Christuskind den kleinen links knienden Johannes segne und führt diesem sachte die Hand; Maria betet wie bestätigend dazu; mit Recht hat sie das auf ihrem Knie sitzende Christuskind losgelassen, denn wer segnen kann, der kann auch fest sitzenEbenso richtig hat dies z. B. der Bildhauer Alessandro Leopardo empfunden – wenn die Madonna della Scarpa in S. Marco zu Venedig (S. 592) von ihm ist. Das auf ihrem rechten Knie sitzende Kind schickt sich eben zum Segnen an, und sie läßt die Hände von ihm los. . Gerade an Zügen dieser Art ist die spätere Kunst so arm! – Die Ausführung gilt überwiegend als Schülerarbeit.

Ganz in der Nähe hängt Giulio Romanos Madonna della Gatta, eine in seinen Stil übersetzte Wiederholung des nach Madrid gekommenen Bildes »la perla« von Raffael. Was der Schüler hinzugetan hat, ist lauter Entweihung, die Katze, die Umbildung der Elisabeth zur Zigeunerin, mehrere andre Zutaten. – Ähnlich verhält es sich mit Giulios Madonna della lucertola (Pal. Pitti), nur daß hier wahrscheinlich schon das für raffaelisch geltende Original, ebenfalls in Madrid, nicht ganz von der Erfindung des Meisters ist. Schöner und fleißiger gemalt als die Madonna della Gatta, wirkt das florentinische Bild doch nur wie eine Zusammenstellung von Motiven (ein sog. Pasticcio) nach Raffael.

(Die Madonna ai Candelabri, ehemals in Lucca, ist seit langen Jahren nach England verkauft.)

Nur wenige Gnadenbilder, in welchen Maria thronend oder verklärt erscheint, sind von Raffael vorhanden. Das früheste derselben, noch mit einem kenntlichen florentinischen Nachklang, ist die Madonna di Foligno (in der vatikanischen Galerie) vom Jahr 1512. Als Mutter Gottes mit Heiligen erreicht dies Bild gerade alles das, was die Florentiner gern erreicht hätten: ein gewaltig erhöhtes geistiges Leben in den Heiligen; der innigste Bezug zum gläubigen Beschauer sowohl als zur Jungfrau; letztere übrigens nur als ideale Mutter, nicht als Königin des Himmels, das Kind sogar mit einem Zug der Unruhe – und doch beide so hoch über der Madonna del Baldacchino, als die begleitenden Heiligen des Bildes über denjenigen des letztgenannten. Und welcher florentinische Kinderengel, welche frühere Kindergestalt Raffaels selbst würde dem göttlich holden Engelknaben gleichkommen, welcher mit der Schrifttafel vorn zwischen den Heiligen steht? Deutlich spricht das ganze Bild aus, daß der Meister inzwischen die große monumentale Historienmalerei gepflegt und daß diese ihn über die letzten Schranken hinweggeführt hat. Der kniende Donator, Sismondo Conti, ist der gleichzeitigen Bildnisse Raffaels vollkommen würdig und dabei von einer trostvoll rituellen Andacht beseelt, die sich von der Ekstase des heil. Franz, von der Aufregung des Johannes und Hieronymus merkwürdig unterscheidet.

Später, in der Sixtinischen Madonna (zu Dresden) erreichte und bezweckte Raffael allerdings ein Höheres; der Ausdruck des Übernatürlichen wird nicht bloß durch ideale Form, sondern durch die visionäre Raumbehandlung, durch das Einherwallen auf den Wolken, durch den hochfeierlichen Schwung des Gewandes erzielt. In der Madonna von Foligno ist selbst die sitzend schwebende Hauptfigur noch wie in einem bestimmten Raum behandelt und alles übrige vollends irdisch wirklich. Ein Gemälde, das schon seiner Gattung nach – als Prozessionsfahne – eine Ausnahme bilden mochte (wie dies bei der Sixtinischen Madonna mit Wahrscheinlichkeit angenommen wird), darf indes nicht als Norm für Altarbilder dienen.

Von der Madonna del pesce, welche mit so manchem Meisterwerk unter den spanischen Vizekönigen aus Neapel nach Spanien kam, findet man in S. Paolo zu Neapel (im Durchgang aus der Kirche zur Sakristei) noch eine alte Kopie. In dieser höchst liebenswürdigen Komposition ist Maria wieder in die Mitte der Heiligen herabgerückt, wie in der Madonna del baldacchino, aber die hohe Auffassung der Formen, der reine Schwung der Komposition zeugt von der spätern, vollendeten Epoche des Meisters.

So hat denn Raffael, mit einziger Ausnahme der Sixtinischen Madonna, überall in seiner Maria nur das Weibliche nach allen Kräften verklärt und es darauf ankommen lassen, ob man die Mutter Gottes, die Königin der Engel, die mit allem Glanz der Mystik gefeierte Herrin des Himmels darin erkennen werde oder nicht. Er ist immer so wenig symbolisch als möglich; seine Kunst lebt nicht von Beziehungen, die außerhalb der Form liegen, – so sehr ihm auch das Symbolische da zu Gebote stand, wo es hingehört, wie die Fresken im Vatikan zeigen. Auch sein Christuskind ist mit einziger Ausnahme des grandios unheimlichen Knaben auf dem Arm der Sixtinischen Madonna nur der reinste Hauch kindlicher Schönheit. Italien ist reich gesegnet in dieser Hinsicht, so daß dem Maler oft nur die Wahl schwerfällt, und seit Lippo Lippi und Luca della Robbia hatte die Kunst unermüdlich nach der höchsten Beseelung der Kindesgestalt gestrebt; Raffael kam und zog das Resultat. Sein Christus- und sein Johanneskind zeigen mit Ausnahme der frühesten, peruginisch-sentimentalen Bilder nichts als das schönste Jugendleben, dessen gesunde Äußerung indes nur bis an die Grenzen des Schalkhaften verfolgt wird und erst bei Giulio Romano (anderwärts bei Andrea del Sarto) in das Mutwillige übergeht, um endlich bei spätern Generationen in das Süßliche zu fallen. Dieses bloße schöne Dasein, welches das Wesen des Kindes ist, hört auf mit der ersten Tätigkeit. Es gibt von Raffael keine Darstellung des zwölfjährigen Lehrers im TempelEin mißlicher Gegenstand, insofern dessen Inhalt nie rein in die Darstellung aufgehen kann; man erfährt wohl aus dem Evangelium, aber nie aus dem Bilde, weshalb die Schriftgelehrten so betroffen sind; die Argumente, welche diese Wirkung hervorbrachten, können eben nicht gemalt werden. – Wie sich Lionardo half, s. S. 817, c. – Wir wüßten sehr viel, wenn wir ermitteln könnten, welche Gegenstände Raffael trotz der Wünsche anderer nicht gemalt hat und aus welchen Gründen er sie zurückwies. Es gibt von ihm kein Marterbild; sein weitester Grenzstein nach dieser Seite ist die Kreuztragung (lo spasimo di Sicilia), abgesehen von dem frühen Crucifixus, S. 844 [Anm. 6]. ; wohl aber die eines begeisterten Knaben Johannes (das Original vielleicht das Bild in Darmstadt; ein andres neben vielen Kopien als wenigstens zum Teil eigenhändig anerkanntes Exemplar in der Tribuna der Uffizien zu Florenz; eine alte Schulkopie in der Pinakothek zu Bologna). Der mächtig strenge Ausdruck des herrlichen Kopfes und der äußerst wirksame Gegensatz zwischen dem aufrechten Sitzen und der diagonalen Bewegung läßt über die Mischung der Formen hinwegsehen, welche zum Teil knabenhaft, zum Teil mehr ausgebildet männlich sind. Im ganzen wird man Raffael (auch gegen Tizian) darob Recht geben, daß er den Täufer als Einzelfigur ganz jung bildete; diese Schönheit ist das allein richtige Gegengewicht gegen die Bußpredigt, wenn nicht durch Zutat andrer Figuren eine ganz neue Rechnung eintritt. – Das Rohrkreuz, auf welches Johannes hinweist, bietet in seiner Biegung die einzig harmonische Linie dar.

Endlich noch drei Werke der römischen Zeit, welche jedes in seiner Weise für die Darstellung des Übernatürlichen unvergleichlich groß sind.

Das eine ist symbolische Art: die Vision Ezechiels, im Pal. Pitti; klein, höchst fleißig, obwohl nicht miniaturartig ausgeführt. – Das Mittelalter hatte die aus dem alten Testament und der Apokalypse entnommenen Symbole dem Wortlaut nach symmetrisch gebildet, imposant durch den Ernst der Überzeugung, und auch für unser Gefühl überwältigend durch die Ideenassoziation, die sich an derartige Äußerungen der alten Kirche knüpft. – Raffael übernahm den Gegenstand und bildete ihn im Geiste der großartigsten Schönheit um, soweit es bei dem herben Symbol möglich war. Durch die Verschiebung der Gestalt des Gottvaters bringt er erst den klaren Ausdruck des Schwebens hervor; die aufgehobenen Arme, von zwei Engelkindern unterstützt, geben das Gefühl eines ganz übermächtigen Segnens; Gottvater thront nur auf dem Adler, denn Löwe und Stier, auf welche seine Füße sinken, sind bloß geschickt hinzugeordnet; sie blicken nebst dem anbetenden Matthäusengel empor; Gottvater sieht aber nur letztern an. Man kann dieses verschiedene Verhalten zu den vier Sinnbildern willkürlich nennen: hätten wir aber nur viel von dieser Willkür! – Das Bild möchte etwa in die Zeit der ersten Abteilungen der Loggien fallen. (Das florentinische Exemplar wird mannigfach angezweifelt, dasjenige, welches 1852 im Besitz des Kapitäns Piela in Venedig war, von geübten Augen vorgezogen.)

Das zweite Werk gibt das Übernatürliche durch Spiegelung in einer Genossenschaft von Heiligen: die berühmte heil. Cäcilia (in der Pinakothek von Bologna, gemalt um 1515). Auf der Erde liegen die weltlichen Toninstrumente, halbzerbrochen, saitenlos; selbst die fromme Orgel sinkt aus den Händen der Heiligen; alles lauscht dem oben in den Lüften nur angedeuteten Engelchor. Dieser wunderbar improvisierten obern Gruppe gab Raffael den Gesang, dessen Sieg über die Instrumente hier dem an sich anmalbaren Sieg himmlischer Töne über die irdischen mit einer wiederum bewunderswerten Symbolik substituiert wird. Cäcilia ist mit großer Weisheit als reiche, auch sinnlich gewaltige Bildung gegeben; nur so (z. B. nicht als nervös interessantes Wesen) konnte sie den Ausdruck des vollen Glückes ohne Aufregung darstellen. Auch ihre fürstliche Kleidung ist gerade für den hier gewollten Zweck wesentlich und steigert eben jenen Ausdruck der völligen Verlorenheit in ruhigem Entzücken. Paulus, innerlich erschüttert, stützt sich auf das Schwert; die gefaltete Schrift in seiner Hand deutet an, daß in Gegenwart der himmlischen Harmonien auch die geschriebene Offenbarung als eine erfüllte schweigen dürfe. Johannes, in leisem Gespräch mit S. Augustin, beide verschieden erregt zuhörend. Magdalena endlich ist (offen gesagt) absichtlich teilnahmslos gebildet, um die leise Skala des Ausdruckes in den vier übrigen dem Beschauer recht zum Bewußtsein zu bringen, übrigens eine der großartig schönsten Figuren Raffaels. Die wahren Grenzen, innerhalb welcher die Inspiration mehrerer darzustellen ist, sind in diesem Bilde mit einem Takt festgehalten, welcher den spätern Pfingstfestmalern völlig fremd ist.

(Leidlich erhalten und restauriert, mit Ausnahme der roh übermalten Luft. Hr. Alboresi in Bologna besitzt eine Wiederholung der Hauptfigur, welche von glaubwürdiger Seite als erste, höchst vortreffliche Probe von Raffaels eigener Hand bezeichnet wird.)

Das dritte Gemälde, das letzte Raffaels, welches er unvollendet hinterließ (1520), ist die Transfiguration, in der vatikanischen Galerie. Hier wird durch einen dramatischen Gegensatz, den man ungeheuer nennen darf, das Übernatürliche viel eindringlicher dargestellt, als alle Glorien und Visionen der ganzen übrigen Malerei dies vermocht haben. Allerdings sind zwei ganz verschiedene Szenen auf dem Bilde vereinigt, ein Wagestück, das wahrlich nicht jedem zu raten wäre; es geschah eben nur hier und nur zu diesem Zwecke. – Unten am Berg die Leute, welche den besessenen Knaben gebracht haben, und die Jünger, ratlos, mitleidig, aufgeregt, selbst im Buch nach Hilfe suchend, auch lebhaft empordeutend nach dem Berg, auf welchen ihr Meister gegangen; der Besessene selbst vor allem merkwürdig als eine der wenigen Gestalten aus dem Gebiete der Nacht, die Raffael geschaffen und die beim entsetzlichsten Ausdruck doch seine hohe Mäßigung so glanzvoll verrät; die jammernde Frau auf den Knien vorn ist gleichsam ein Reflex des ganzen Vorganges.

Niemand von ihnen allen sieht, was auf dem Berge vorgeht, und der Bibeltext erlaubte es auch gar nicht; die Verbindung beider Szenen existiert nur im Geiste des Beschauers. Und doch wäre die eine ohne die andre unvollständig; es genügt, die Hand vor die obere oder vor die untere zu halten, um zu erkennen, wie sehr das Gemälde ein Ganzes bildet. – Oben schwebt Christus, und wie durch eine magnetische Kraft zu ihm hingezogen schweben auch Moses und Elias; ihre Bewegung ist keine selbständige. Unten liegen die geblendeten Jünger und links erblickt man die heil. Diakone Stephanus und Laurentius, wahrscheinlich nur als Patrone der Kirche, für welche das Bild ursprünglich bestimmt war. – Form und Ausdruck des Christus sprechen eines jener großen Geheimnisse der Kunst aus, um welche sich bisweilen lange Jahrhunderte vergebens bemühen. Das Bild, welches sich die gläubige Phantasie von der Verklärung auf dem Berge Tabor macht, ist absolut nicht darstellbar, weil ein helles Leuchten der Gestalt, d. h. eine Aufhebung alles Schattens, also auch aller Modellierung des Körpers dabei vorausgesetzt wird; Raffael substituierte das SchwebenNoch bei Giov. Bellini, in jenem wichtigen Bilde (S. 783, c) des Museums von Neapel sind Christus, Moses und Elias auf dem Berge stehend dargestellt. . Ferner wird die Verklärung ausschließlich als Machtäußerung in bezug auf die Anwesenden gedacht; Raffael dagegen strebte nicht nach dem Ausdruck der höchsten Herrlichkeit, welcher am Ende in einer kalten Symmetrie erstarren müßte, sondern nach dem der höchsten Seligkeit; sein Christus ist ganz Wonne und damit schon von selbst herrlicher, als er durch den Ausdruck der Macht irgend hätte werden können; er ist es, selbst abgesehen von den kolossalen Kontrasten zu den befangenen Jüngern und gar zu der Szene des Jammers unten. Sein emporgerichteter Blick erscheint durch die Vergrößerung und weite Distanz der Augen außerordentlich verstärkt; Raffael ging hierin nicht weiter als die Griechen auch, bei welchen ziemlich oft die Normalbildung irgendeiner charakteristischen Schärfung weichen mußEine ähnliche Behandlung der Augen kommt auch in der Sixtinischen Madonna vor, sonst aber vielleicht bei Raffael nirgends; er sparte solche Mittel für die äußersten Fälle. In einem der heiligen Diakone auf der Transfiguration rührt diese Bildung wohl von der Hand eines Schülers her. . – Wem nun dieser Christus noch immer nicht genügt, der suche erst darüber ins klare zu kommen, woran es fehle, und was man von der Kunst überhaupt verlangen dürfe. Es ist möglich, daß in manchen Gemütern z. B. der Weltrichter des Orcagna, der Cristo della moneta Tizians, der Christus in Raffaels Disputa andre und stärkere Saiten des Gefühls berührt, tiefere Ideenfolgen erweckt, allein für eine Verklärung auf Tabor gab der Meister hier eine so hohe Form, daß wir froh sein müssen, ihm irgendwie folgen zu können. – Die Ausführung gehört in der untern Hälfte wohl fast ganz den Schülern an, entspricht aber gewiß im ganzen Raffaels Absicht, mit Ausnahme natürlich der nachgedunkelten Schatten. Die ungemeine Kraft der Farbe, verbunden mit der fast venezianischen Harmonie wenigstens in der obern Gruppe, zeigt, daß Raffael bis zum letzten Augenblick seines Lebens neue Mittel der Darstellung zu bewältigen suchte. Als Künstler von Gewissen konnte er gar nicht anders. Wer ihm daraus einen Vorwurf macht und von »Abfall« redet, kennt ihn nach seinem innersten Wesen nicht. Das ewig große Schauspiel, wie Raffael sich als Künstler konsequent ausbildet, ist schon an sich mehr wert, als irgendein Verharren auf einer bestimmten Stufe des Idealen, z. B. auf dem Darstellungsprinzip der Disputa, sein könnte. Und überdies verharrt man nicht ungestraft; die »Manier« wartet schon vor der Tür.

Von der Bestellung des Bildes wissen wir nichts Näheres. Es ist möglich, daß Kardinal Giulio de' Medici nichts verlangte als einen Salvator mit S. Stephanus und S. Laurentius, und daß Raffael alles übrige hinzutat. Schon Fra Bartolommeo hatte in seinem herrlichsten Bilde (S. 834, f) den Salvator zwischen vier Heiligen von freien Stücken als den Auferstandenen dargestellt; Raffael stieg eine Stufe höher und gab den Verklärten. Eine Seite weiter im Evangelium steht die Geschichte von dem besessenen Knaben – welch ein Augenblick mochte das sein, da dem Künstler der Gedanke an eine Verbindung beider Szenen aufging!

Die Porträts der römischen Zeit Raffaels bilden eine Reihe ganz anderer Art als diejenigen des Tizian, des Van Dyck u. a., welche vorzugsweise als Porträtmaler berühmt waren. Zwischen den größten Historienbildern und Fresken gemalt, sind sie in der Auffassung höchst verschieden; jedes trägt den Abglanz derjenigen Stimmung, welche in dem betreffenden Augenblick den Historienmaler beseelte. Bekanntlich war er auch in den Fresken nichts weniger als sparsam mit Bildnisfiguren.

Von den in Italien befindlichen Bildnissen ist zuerst zu nennen: Papst Julius II. (Im Pal. Pitti; das Exemplar in der Tribuna der Uffizien gilt als alte Kopie, und ist es auch mit Ausnahme des Kopfes, dessen hohe Vortrefflichkeit wohl nur durch Raffaels eigene Arbeit sich erklärten läßt.) Die malerische Behandlung ist wunderbar schön und in aller Einfachheit reich; der Charakter so gegeben, daß man die Geschichte des gewaltigen Greises erst durch dieses Bild recht verstehen lernt.

Leo X., mit den Kardinalen de' Rossi und Giulio Medici. (Im Palazzo Pitti.– Die Kopie des Andrea del Sarto im Museum von Neapel, vgl. 850, a, wird an Ort und Stelle noch immer für das Original ausgegeben, während außerhalb Neapels schon längst jeder Zweifel in dieser Beziehung verstummt ist.) Etwas über natürliche Größe, so daß z. B. die nobeln Hände des Papstes nicht so klein scheinen, als sie im Verhältnis gemeint sind. Die Begleitung durch zwei Kardinäle schon bei frühern Papstbildnissen nachweisbar. Der Charakter Leos X. hier und in den Fresken gewährt eine merkwürdige Parallele, was auch für Julius II. gilt. Durch Lichtwechsel und Stoffbehandlung bilden die vier verschiedenen Rot eine ganz harmonische Skala. Hinten eine ernste Architektur. Die Zutaten (Glocke, Buch, Vergrößerungsglas) leise, aber wesentliche Winke zur Charakteristik.

Kardinal Bibbiena (im Pal. Pitti); das Verlebte und Kränkliche großartig und geistvoll gegeben; in der vornehmen Liebenswürdigkeit eine Parallele zu Van Dycks Kardinal Bentivoglio (ebenda), welcher bei weitem absichtlicher erscheint.

Fedra Inghirami, ein römischer Prälat und Altertumsforscher. (Pal. Pitti.) Der Thersites Raffaels; gegenwärtig würde er wie alle Schielenden entweder im Profil oder mit Übergehung des SchielensGuercino malte in seinem eigenen Porträt (Uffizien) das eine Auge in den tiefsten Schatten. gemalt werden; Raffael aber umging das Charakteristische nicht, sondern gab dem starren Auge diejenige Richtung und Form, welche das geistige Forschen auszudrücken imstande war. Die starke Beleibtheit ist möglichst edel dargestellt, die Hände nur die eines vornehmen Geistlichen. Wahrscheinlich ein Denkmal kollegialischer Achtung, aus der Zeit, als Raffael die römischen Altertümer studierte.

»Bartolus und Baldus«, richtiger: Navagero und Beazzano (Palazzo Doria in Rom). Zwei schwarzgekleidete Halbfiguren auf einem Bilde; trotz neuerer Zweifel wohl unbedingt echt. Wer konnte zwei bedeutende Männer bewegen, sich zusammen malen zu lassen, wenn der Künstler nicht entweder ein Andenken für sich oder für einen Höhern, etwa für den Papst verlangte? Mehr als in den übrigen Bildnissen herrscht hier der Stil eines historischen Denkmals, eine freie Größe, welche zu jeder Tat bereit scheint und in jedem Geschichtsbilde ihre Stelle fände. Die Ausführung, soweit sie unberührt geblieben, ist höchst gediegen.

Der Violinspieler (Palazzo Sciarra in Rom). Raffael malte im Jahre 1518 gewiß keinen Virtuosen auf dessen Bestellung. Wahrscheinlich ein Günstling des überaus musikliebenden Leo X. Im höchsten Grade interessant, so daß die Phantasie den Lebensroman dieses Unbekannten von selbst aufbaut. Der Pelz, welchen der junge Mann nötig hatte, ist mit Raffinement behandelt.

Von dem Porträt der Johanna von Aragonien sind alle bessern Exemplare im Norden. Einem unbekannten Nachfolger Lionardos hatte die prachtvolle Repräsentation, welche die Seele dieses Porträts ausmacht, so eingeleuchtet, daß er es, mit dem stereotypen Idealkopf seiner Schule, wiederholte. Dies ist das Bild im Pal. Doria zu Rom. Es stellt nicht mehr jene bestimmte Dame vor und ist nicht von Lionardo, gibt auch weder die Lichtwirkung noch die Nebensachen des besten Originals (im Louvre) irgend genau wieder. Der süße und milde Kopf will gar nicht mehr zu all dem Pomp von Seide und Sammet und zu der gebietenden Haltung passen.

Die Improvisatorin Beatrice (vermeintliche Fornarina, in der Tribuna der Uffizien, datiert 1512). Ein Wunder der Vollendung und des Kolorits, aus der Zeit der Madonna di Foligno. Scheinbar ein Idealkopf, bis man bemerkt, daß ein nicht ganz schönes Verhältnis des Mundes und Kinnes durch glückliche Schiebung verheimlicht wird. Längere Zeit dem Seb. dal Piombo zugeschrieben, jetzt wohl ohne Widerspruch dem Raffael vindiziert. Vorzüglich schön erhaltenDas gleiche Weib ist wohl dargestellt in einem schönen Bilde, welches in der Galerie zu Modena dem Giorgione beigelegt wird; nur ist das Haar hier goldfarbig, mit einer Blume darin. Mir erschien das Bild wie ein Palma vecchio. An der Brustwehr die Chiffre V. .

Die wahre Fornarina, Raffaels Geliebte. (Das als eigenhändig anerkannte Exemplar, mit starken Restaurationen, im Pal. Barbarini zu Rom; Wiederholungen von Schülern im Pal. Sciarra und im Pal. Borghese.) Der Komposition nach unverhohlen ein sehr schönes Aktbild; die Haltung der Arme und der Kopfputz sind vom Maler verordnet und wollen nicht die Individualität charakterisieren. Der Typus, von der lange dauernden römischen Schönheit, ist in mehrern historischen Kompositionen Raffaels frei benutzt, ohne daß man an eigentliches Modellsitzen zu denken hätteDie sehr schönen Porträts des Cavaliere Tibaldeo und des Kardinals Passerini im Museum von Neapel werden Raffael gegenwärtig abgesprochen. – Der fälschlich benannte Cesare Borgia im Pal. Borghese zu Rom könnte wohl (S. 807, d) ein ganz vortreffliches deutsches Bild sein. – Das weibliche Porträt in der Stanza dell' educazione di Giove des Pal. Pitti, Nr. 245 gleicht wohl etwas der Sixtinischen Madonna und auch der echten Fornarina, ist aber dergestalt übermalt, daß man kaum mehr als die Zeit des Kostüms bestimmen kann, welche allerdings dem Anfang des 16. Jahrhunderts entspricht. Natürlich trägt in den italienischen Galerien noch manches Bild den großen Namen mit Unrecht. Das Bild im Pal. Pallavicini zu Genua ist eine ehemals gute, mit neuern Akzessorien vergrößerte Schulkopie der Madonna des Museums von Neapel (réveil de l'enfant).

In der Madonna di San Luca (Sammlung der gleichnamigen Akademie zu Rom) gilt nur ein Teil des Lucas als Raffaels eigenhändige Arbeit, der Rest kaum für seine Erfindung. – Maria Krönung (in der vatikanischen Galerie das spätere Bild) ist notorisch von Giulio Romano und Francesco Penni ausgeführt. Ersterer hat im obern Teil offenbar einen raffaelischen Entwurf wenigstens partiell benutzt; man erkennt Anklänge, die an die Vierge de François I. erinnern. Letzterer dagegen hat die untere Gruppe der Apostel selbst erfunden. Mit der untern Gruppe der Transfiguration verglichen, zeigt sie noch einmal auf das bündigste den Abstand zwischen dem Meister und dem Schüler. – Der Raffael in der Galerie von Parma scheint mir eine parmesanische, etwa von Girolamo Mazzola herrührende Reproduktion des Vierheiligenstiches von Marc Anton, wobei der Johannes demjenigen des Correggio in der Tribuna von S. Giovanni genähert wurde. – Aber schon der Stich selbst ist schwerlich nach »einer Zeichnung Raffaels« gemacht, wie Vasari sagt, sondern viel eher ein Pasticcio des Marc Anton nach einzelnen Figuren aus der Disputa, der zweiten vatikanischen Assunta und den Aposteln von S. Vincenzo alle tre fontane. – Der Raffael in der Galerie von Modena ist ein geringes Bild eines Schülers des Perugino.

. Unter den monumentalen Aufträgen, welche Raffael für Julius II. und Leo X. ausführte, nehmen die Malereien in den Zimmern des Vatikans (le stanze) den ersten Rang ein. Bei dem unerschöpflichen Reichtum dieser Werke, bei der Unmöglichkeit, ihren Inhalt oder gar ihren Wert kurz in Worten darzulegen, beschränken wir uns auf eine Reihe einzelner Bemerkungen und vermeiden dabei im ganzen dasjenige, was die Handbücher ergeben und was der Anblick von selbst lehrt.

Die Räume existierten schon und waren bereits teilweise (von Perugino, Sodoma u. a.) ausgemalt, als Raffael dafür berufen wurde. Sie sind von nichts weniger als musterhafter Anlage, sogar unregelmäßig (man beachte z. B. das Gewölbe der Camera della Segnatura) und in betreff der Beleuchtung nicht günstig. Man besieht sie gewöhnlich nachmittags; doch hat der Vormittag auch gewisse Vorteile, und das Öffnen der hintern Fensterladen macht einen wesentlichen Unterschied.

Die Technik ist eine außerordentlich verschiedene. Einer guten Autorität zufolge soll besonders die Disputa und die Schule von Athen in sehr vielen Partien al Secco übergegangen sein; doch sind es der Hauptsache nach sämtlich Fresken; die beiden einzigen in Öl auf die Mauer gemalten Figuren der Justitia und Comitas im Saal Konstantins wurden nicht, wie man sagt, von Raffael eigenhändig, sondern erst nach seinem Tode ausgeführt. Allein innerhalb des Fresko, sowohl dessen was der Meister, als dessen was die Schüler malten, herrscht der stärkste Unterschied der Behandlung, oft im nämlichen Bilde. Raffael tat sich nie genug und suchte der schwierigen Malweise stets neue Mittel der Wirkung abzugewinnen. Von den vier großen Fresken der Stanza d'Eliodoro ist jedes in einem andern Kolorit durchgeführt; den Gipfel des Erreichbaren glaubt man zu erkennen in den unbeschädigten Teilen der Messe von Bolsena, und doch wird niemand den Heliodor und die Befreiung Petri in ihrer Art weniger vollkommen gemalt nennen. Die Erhaltung ist im Verhältnis zum Alter eine mittlere, ausgenommen die der Sockelbilder, welche Carlo Maratta im wesentlichen neu malen mußte, und einiger, durch Risse schwer bedrohten Deckenbilder. Das größte Unheil in den Hauptbildern ist durch stellenweises Putzen und besonders durch ganz rücksichtsloses Durchzeichnen entstanden. Die beste Weise, diesem zu begegnen, wäre die genaue, offizielle Aufnahme und Herausgabe der Umrisse, wofür es hohe Zeit wäre. Rom ist für die Fortdauer dieser Gemälde, selbst für ihr Fortleben im Abbild, dem ganzen Abendland und allen künftigen Jahrhunderten verantwortlich. Eine Restauration wäre nur zu beklagen und würde viel mehr kosten als eine Sammlung von Calquen. – Wie weit die schönsten jetzigen Kupferstiche im Eindruck unter den Urbildern bleiben, zeigt der erste Blick auf letztere.


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