Jacob Burckhardt
Der Cicerone
Jacob Burckhardt

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Hera, die Schwester und Gemahlin des Zeus, bedurfte einer entsprechend großartigen Persönlichkeit, in welcher die Königin der Götter zu erkennen sein sollte. Die reife Schönheit eines mächtigen Weibes ist denn auch nie bedeutender dargestellt worden als in diesem Typus, der doch zugleich eine unbegreifliche Jugendlichkeit ausspricht. Die Statuen sind meist spät, verraten aber ein herrliches Vorbild, wie z. B. die kolossale in der Sala rotonda des Vatikans. (Kleineres Exemplar in der Villa Borghese, Zimmer der Juno; ein anderes in der Galeria delle statue des Vatikans; noch ein anderes, mit modernem Kopf, im Museum von Neapel, Halle der Flora.) Das nasse Anliegen des feinen Untergewandes ist bisweilen allzu absichtlich dazu benutzt, die bedeutenden Formen des Oberleibes hervortreten zu lassen; sonst aber wird die milde Majestät des bediademten Hauptes und die imposante Stellung, womit der Körper sich nach der Rechten ausladet, immer die Herrscherin auf das deutlichste erkennen lassen.

Eine eigene Aufgabe gewährte dem römischen Bildhauer die Juno Lanuvina. (Kolossalstatue ebenfalls in der Sala rotonda des Vatikans.) Als Schützerin der Herden hat sie Haupt und Leib mit einem Tierfell bedeckt; mit dem (restaurierten) Speer in der Hand schreitet sie zu gewaltiger Abwehr aus. Ohne Zweifel hat der Bildner ein uraltes Tempelbild von Lanuvium in dem Stil griechisch-römischer Zeit reproduzieren müssen; die Züge aber sind junonisch.

Diese göttlichen Züge lernt man nun weit besser als aus irgendeiner Statue aus zwei berühmten Kolossalköpfen kennen. Der eine die Juno im Hauptsaal der Villa Ludovisi in Rom, erschien einst Goethe »wie ein Gesang Homers«, und in der Tat wird die Seele griechisches Maß und griechische Schönheit selten so vernehmlich zu sich reden hören. Der andere, im Museum von Neapel (Halle des Tiberius), gibt in schöner frühgriechischer Arbeit einen ältern, strengern Typus wieder, dem zur vollen Majestät noch die Anmut fehlt, aus einer Zeit, da die griechische Kunst noch nicht ihre volle harmonische Größe erreicht hatte; es ist noch die homerische, erbarmungslose HeraWovon ein gemilderter Nachklang auch in der obenerwähnten borghesischen Statue zu erkennen ist. , während aus der Ludovisischen eine königliche Milde hervorblickt. Verweilen wir noch bei diesem Haupte, sooft und solange die Strenge des Besitzers die Tür offen läßt! Die göttliche Anmut liegt wesentlich in der Linie des Mundes und in den nächstliegenden Teilen der Wangen, auch in den nur mäßig großen, mild umrandeten Augen (wie hart und scharf sind die Augenlider der neapolitanischen!). Das einzige Leiden ist die Restauration der Nasenspitze, welche man sich auf irgendeine Art verdecken möge.

Von diesem hohen Typus führen verschiedene Pfade abwärts in das Kluge und Schlaue, in das bloß Liebliche, selbst in das Buhlerische. Eine beträchtliche Anzahl von Büsten geben die Belege hierzu. Wir nennen bloß diejenigen, welche sich zugleich noch merklich an die hohe Grundgestalt anschließen.

In demselben Hauptsaal der Villa Ludovisi: eine tüchtige römische Juno mit Schleier, Diadem und gewirktem Unterkleid. Im Vorsaal: eine geringere aus römischer Zeit, und ein uralter, sehr kolossaler Kopf. – Ein schöner und milder römischer Kopf im Braccio nuovo des Vatikans. – Ein anderer in der obern Galerie des Museo capitolino. – Eine freundlich-galante Juno im Museum von Neapel (Halle des Tiberius, in der Nähe der berühmtern). – Eine der strengern, aus römischer Zeit, in den Uffizien zu Florenz (Halle d. Hermaphr.). – Eine sehr schöne, vielleicht griechische Büste, flüchtig gearbeitet, sehr abgerieben und durch eine moderne Nase abscheulich entstellt, findet sich im Dogenpalast zu Venedig (Sala de' Busti). Am Diadem Palmetten und zwei Greifen.

Die eigentliche Matrone unter den Göttinnen, die mütterliche in vorzugsweisem Sinne war einst Demeter. Die frühere Kunst gab ihr daher, neben dem Jugendlichen, was allen Göttinnen eigen ist, zwar nicht die königliche Würde der Hera, aber doch eine hohe Gravität, einen gewaltigen Gliederbau und eine völlige Bekleidung (selbst bisweilen einen Schleier). So finden wir sie in der grandiosen (in den Attributen ergänzten) Kolossalstatue des Vatikans (Sala rotonda) dargestellt; ihre Stellung ist die so mancher Statuen des altern Typus: mächtiges Vortreten des einen Fußes (auf welchem der Körper ruht), Nachziehen des andern, also beinahe ein Vorschreiten, wie sie insbesondere der wandernden Göttin geziemt, die ihre verlorene Tochter sucht.

Ein späterer Typus zeigt die Göttin ohne das Matronenhafte, vielmehr mit dem süßesten Reiz eines schlank zu nennenden jungen Weibes angetan. Nur die Ähren in der Hand deuten an, um wen es sich handelt. Dieser Art ist die Statue der Villa Borghese (Zimmer der Juno). Ganz ungesucht und mühelos scheint hier der Bildhauer das herrlichste denkbare Gewandmotiv als Ausdruck des edelsten Leibes, und die stille, sinnende Schönheit eines Kopfes erreicht zu haben, der zwischen Aphrodite und den Musen die Mitte hält.

An diese Statue erinnert eine schöne, als Flora restaurierte Gewandfigur im Vatikan (Galeria delle Statue), die ihr jedoch nicht gleichkommt. Dagegen könnte die als Hygiea restaurierte Statue im Dogenpalast zu Venedig (Sala de' Busti) eher eine Demeter jenes ältern Typus gewesen sein.

Zu den reichen, vollen, mütterlichen Bildungen gehört auch Isis, die schon zur griechischen Zeit aus dem ägyptischen Götterkreis in die klassische Kunst hereinkam. Fast junonisch herrlich erscheint sie uns in dem prächtigen Kolossalkopf der Villa Borghese (Hauptsaal); mehr jungfräulich in einem reizenden Köpfchen des Vatikans (Büstenzimmer; statt des Lotos ein Lockenbund über der Stirn). Die vollständigen Statuen werden bald für die Göttin selbst, bald für eine bloße Priesterin ausgegeben; ein Zweifel, welcher deshalb unlösbar bleibt, weil überhaupt Priester und Priesterin beim feierlichen Opfer das Kostüm ihrer Gottheit trugen. Isis ist in dieser Beziehung sehr leicht zu erkennen an dem Sistrum (wo es nicht restauriert ist), einem birnförmig gebogenen, mit einigen Drähten oder Stäbchen durchzogenen Lärminstrument von Erz, und an dem vor der Brust zusammengeknüpften Fransengewand. Eine späte, aber noch sehr schöne Statue im Museo Capitolino (Zimmer des sterbenden Fechters); zwei geringere im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore).

Von dem Gott des Kampfes, den die römische Kunst überdies als Vater des Romulus zu verherrlichen hatte, besitzt man auffallenderweise keine völlig sichere Statue von guter Arbeit. Im untern Gang des kapitolinischen Museums steht ein prächtig geharnischtes und behelmtes Kolossalbild, dessen Züge wohl den Sohn des Zeus zu verraten scheinen, das aber eben seiner pomphaften Bekleidung wegen doch wohl eher ein Porträt heißen mag. (Es galt früher für Pyrrhus.) Die gute nackte Statue eines reifen, fast stämmigen Mannes mit Helm und kurzem Mantel, im großen Saale desselben Museums, ist wohl unstreitig ein Mars, aber mit dem Angesicht Hadrians. Die mehrfach (z. B. gerade hier) vorkommende Gruppe von Mars und Venus ist durchgängig von später Arbeit und stark restauriert. Selbst die herrliche Statue der Villa Ludovisi wird von manchen als Achill in Anspruch genommen, mag aber einstweilen als ein ruhender, zur Milde gestimmter Kriegsgott gelten; mit dem Schwert in der Hand, den Schild zur Rechten, sitzt er auf einem Fels, den linken Fuß auf einen Helm gestützt; vor ihm ein Amorin; sein Typus ist im ganzen dem des Hermes ähnlich, nur mit männlich strengern, härtern Zügen, zumal im untern Teile des Gesichtes. Die Stellung wunderbar leicht, von allen Seiten die schönsten Linien darbietend. Man glaubt auf ein Original des Skopas schließen zu dürfen. – In der Nähe die Statue eines ebenfalls nackten, auf dem Boden sitzenden Helden, welche eine belehrende Vergleichung des bloß Heroischen mit dem Göttlichen des Ares gewährt.

In vollständiger Rüstung, ausschreitend und mit einer Waffe ausholend, ist Mars hauptsächlich in den etruskischen Erzfiguren dargestellt. (Museo etrusco des Vatikans: der bekannte Mars von Todi; Uffizien in Florenz, zweites Zimmer der Bronzen, 2. Schrank: mehrere kleine Figuren dieser Art; doch auch ein ganz kleiner verstümmelter Mars des schönen Typus.)

Die antike Mythologie gewährte der Kunst oft an einer und derselben Gottheit viele Seiten und Charakterzüge, die sich darstellen ließen, je nachdem die verschiedenen Entwicklungsperioden des Griechentums, auch wohl die lokalen Mythen, eine göttliche Gestalt verschieden hatten bilden helfen. Endlich aber pflegt sich die Kunst einer jener Seiten entschieden zu bemächtigen und die andern zu vergessen oder nur als Anklänge leise anzudeuten.

Reichlichen Beleg hierfür liefert Hermes. Ursprünglich ein unterirdischer Gott des Gedeihens und des Segens ward er später der Herr des Gewinns und Verkehrs, ein Bote der Götter, wandelnd vom Olymp bis zur Unterwelt, nach welcher er auch die Menschenseelen geleitet. Kaum eine Gottheit wurde häufiger gebildet; an allen Straßen begegnete man einem Pfeiler mit seinem bärtigen Haupt, so daß dergleichen Pfeiler mit Köpfen überhaupt den Namen »Hermen« erhielten, gleichviel wen sie darstellten. Da er aber als Gott des Gedeihens auch der Schützer der Gymnasien war, so wurde später aus dem raschen, rüstigen Götterboten das Ideal eines nur mit dem kurzen Mantel (Chlamys) bekleideten Jünglings der Ringschule, und bei diesem Typus hielt die Kunst stille. Von seiner Botenschaft her blieb ihm bisweilen ein Ansatz von Flügeln an den Fußknöcheln, auch wohl am Haupt, sowie der Reisehut; von seinem Heroldsamte bisweilen der Schlangenstab; von seiner Eigenschaft als Kaufmann der Geldbeutel in der Linken; – allein auch ohne dies alles ist und bleibt er Hermes, und zwar gerade in den besten Beispielen.

Weit die erste Stelle nimmt unter diesen der vatikanische Hermes (Belvedere) ein; derselbe, welcher früher unbegreiflicherweise als »vatikanischer Antinous« bezeichnet wurde. Es ist ein ewig junges Urbild der durch Gymnastik veredelten Leiblichkeit, wie die breite, herrliche Brust, die kräftigen und doch feinknochigen Glieder, die leichte, ruhige Stellung dies vernehmlich ausdrücken. Allein in der ganzen Gestalt waltet ein wahrhaft göttlicher Sinn, der sie über jene Einzelbedeutung weit emporhebt. Sie hat, ich möchte sagen, ein höheres, zeitloseres Dasein als alle menschlichen Athleten, in welchen die Wirkung der letztvorhergegangenen, die Erwartung der nächsten Anstrengung mit angedeutet scheint. Und welch ein wunderbares Haupt! Es ist nicht bloß der freundlich sanfte, feine Hermes, sondern wahrhaftig der, welcher »den obern und den untern Göttern wert« ist, der Mittler der beiden Welten. Darum liegt auf diesem Jünglingsantlitz ein Schatten von Trauer, wie es dem unsterblichen Totenführer zukommt, der so viel Leben untergehen sieht. Die süße, jugendliche Melancholie, welche im Antinous zweideutig gemischt waltet, ist hier mit vollkommener Reinheit ausgedrückt.

Die Statue ist stark verstümmelt, geglättet und zweifelhaft restauriert. Möge sie wenigstens fortan bleiben wie sie ist. (Eine viel geringere Wiederholung im großen Saal des Pal. Farnese.)

Noch mancher treffliche Hermes sieht in den römischen Galerien, allein keiner, der diesem irgend nahekäme. Zur Vergleichung diene z. B. der Hermes mit der Inschrift INGENVI (Vatikan, Galeria delle statue), und derjenige des Braccio nuovo, gute römische Arbeiten. Im letztgenannten Teile des Vatikans stehen (hinten) auch zwei bemäntelte Hermen, deren Köpfe wirklich Hermes vorstellen. – Im großen Saal des kapitolinischen Museums glaubt man in der Statue eines vorgebeugten Jünglings, welcher (in der jetzigen Restauration) den Zeigefinger der Rechten wie horchend erhebt, und den linken Fuß auf ein Felsstück setzt, einen Hermes zu erkennen. Es ist ein stattliches, lebensvolles Werk, etwa aus hadrianischer Zeit. – Ein römischer Hermes, wenigstens mit einem Nachklang jener schönen Trauer, im Hauptsaal der Villa Ludovisi.

Im Museum von Neapel, Abteilung der großen Bronzen, bieten zunächst zwei Köpfe eine interessante Parallele dar. Der eine, altertümlich streng, mit einer Reihe von Löckchen wie Korkzieher, zeigt uns den kalten konventionellen Ausdruck des frühern griechischen Typus, während der andere sich der seelenvollen Schönheit des vatikanischen Gottes nähert. Dann findet sich hier die unvergleichliche Statue des angelnden Hermes. Er hat schon lange gesessen und ist darob etwas eingesunken; allein sein Blick sagt, daß er noch lauert, und seine ganze leichte Stellung und der Bau seiner Glieder läßt ahnen, mit welcher Elastizität er aufspringen wird. Die Kunst wird seine sitzende nackte Jünglingsfigur mehr schaffen, ohne dieses Erzbild wenigstens mit einem Blick zu Rate zu ziehen. Ist es aber wirklich Hermes? Was er an den Füßen angeschnallt hat, sind keine Sandalen, sondern Flügel, die ihm also nicht von Hause aus angehören; sodann hat sein Kopf wohl den Hermestypus, aber auf einer niedrigern Stufe, und vollends geben ihm die abstehenden Ohren etwas Genrehaftes. Vielleicht haben wir irgendeinen unbekannten Mythus oder auch nur einen unergründlichen Scherz vor uns.

In den Uffizien zu Florenz kann eine ausgezeichnet wohlerhaltene römische Statue (im ersten Gang) gerade zum Beleg des Gesagten dienen, insofern hier die Flügel unmittelbar über dem Knöchel aus dem Fuß herauswachsen. Von viel größerer Bedeutung ist der leider sehr stark, und zwar als Apoll restaurierte sitzende Hermes im zweiten Gange. Der Gott ist sehr jugendlich, etwa fünfzehnjährig gedacht, aber in größerm Verhältnis ausgeführt, so daß man ihn in seinem verstümmelten Zustande leicht verkennen konnte, indem seine spätere gymnastische Bildung hier nur leise angedeutet ist. Ein Blick auf den ebenso jugendlichen Apoll, etwa den Sauroktonos, zeigt freilich den gründlichen Unterschied; hier wollen alle Formen nur das leichteste Dasein ausdrücken, während im Hermes die Rüstigkeit und Elastizität ein wesentlicher Zug ist, selbst wo er ruht wie hier. (Schöne römische Arbeit; in der Nähe eine ähnliche, viel geringere Statue mit dem echten Hermeskopfe; die Lyra, deren Erfinder Hermes war, ist hier antik.) – Noch knabenhafter und fast genreartig ist Hermes dargestellt in einer Statue der Inschriftenhalle ebenda, einem guten römischen Werke. Er steht auf einen Stamm gelehnt; im ursprünglichen Zustande hielt er etwas mit der rechten Hand, auf die seine Blicke gerichtet sind. – Ob der gute römische Torso von Basalt (in der Halle des Hermaphr. ebenda) einen Hermes oder einen Satyr vorstellte, ist schwer zu entscheiden.

Vom Geschlecht des Hermes als Schützers der Ringschulen sind alle Athleten griechischer Erfindung. Man erwarte hier nicht den zum Gladiator abgerichteten römischen Sklaven. Der griechische Jüngling übte sich in allen Gattungen der Gymnastik freiwillig, weil ihm die gleichmäßige Ausbildung des ganzen Menschen Lebenszweck war. Und so stellte ihn die Kunst dar, edel bewegt oder edel stehend, elastisch ohne alles Tänzerliche, mit irgendeiner äußern Andeutung des eigentlich Gymnastischen: der ganze Leib aber ist in allen Teilen durchgearbeitet und der Weichlichkeit abgerungen, ohne doch in der reichen Muskulatur irgendwie absichtlich zu erscheinen. Eine innere Schwungkraft scheint ihn zu beleben. Der in der Regel kleine Kopf mit kurzem Haar sitzt frei und schön auf dem Nacken; der Ausdruck ist ernst und sanft und klingt sehr deutlich an den des Hermes an.

Im Braccio nuovo des Vatikans bereiten die Athleten der Halbrotunde, mittelgute Arbeiten, auf den vor drei Jahren gefundenen »Apoxyomenos« am Ende des Saales vor. Wenn die Kenner in demselben auch nicht das berühmte Original des Lysipp finden und im einzelnen manches tadeln wollen, so bleibt die Statue doch eine der besten dieser Art. Die so schwer auf schöne Weise zu gebende Bewegung der Arme und die dadurch begründete Linie des Körpers sind hier Wunder der Kunst.

Sehr reizende Motive gewähren sodann die Diskobolen oder Scheibenwerfer; sei es, daß sie gebückt im Augenblick des Werfens, oder stehend und sich zum Wurf vorbereitend gebildet wurden; immer geschah es mit dem höchsten, durch die ganze Gestalt verbreiteten Ausdruck des Momentes. Der Vatikan enthält (in der Sala della biga) sehr ausgezeichnete Beispiele, einen stehenden, mit Auge und Gebärde sein Ziel messenden, nach Naukydes, und einen gebückten, nach Myron; von letzterm ein noch schöneres Exemplar im Palast Massimi zu Rom. Ein sehr zusammengestückelter stehender, von ursprünglich guter Arbeit, im Braccio nuovo des Vatikans. Eine geringere Wiederholung des myronischen in den Uffizien, zweiter Gang.

Bei weitem am häufigsten aber sind ruhig stehende Athletenbilder, ohne Andeutung einer besondern Tätigkeit. Bei ihrer oft stark restaurierten Beschaffenheit und dem meist geringen Wert ihrer Ausführung (als Dekorationsfiguren) ist es nötig, sich zu erinnern, daß man doch vielleicht manches Nachbild nach jenen Hunderten der schönsten Athletenstatuen im Hain von Olympia vor sich hat. – Zu diesen ruhig stehenden Athleten gehört vielleicht, wie wir sehen werden, der sog. kapitolinische Antinous. Andere Arbeiten von Wert: der Athlet mit Salbgefäß in der Galeria delle statue des Vatikans; der schlanke, kurzhalsige, einem altertümlich strengen Original nachgebildete, im großen Saale des kapitolinischen Museums; der das Stirnband Umlegende (Diadumenos) im großen Saal des Palastes Farnese, nach einem berühmten Motiv. – Vier Athleten im ersten Gang der Uffizien zu Florenz, zum Teil willkürlich restauriert und von jeher nicht viel mehr als Dekorationsarbeit, aber vielleicht nach Originalen der großen alten Zeit, worauf der breite, gewaltige Typus und besonders die Bildung des Kopfes und Halses hinweist. Ein ähnlicher im Pal. Pitti (inneres Vestibül oberhalb der Haupttreppe).

Von den Bronzen des Museums von Neapel (Abteilung der großen Bronzen) gehören außer mehrern schönen Köpfen hierher die beiden trefflichen Statuen der gebückt laufenden Jünglinge. Bei Werken von so lebensvoller, wenn auch einfacher Arbeit hat der geringste Zug seine Bedeutung. Es wird also eine sehr aufmerksame Betrachtung wohl dahin gelangen, zu entscheiden, ob eigentliche Wettläufer, oh Diskuswerfer, die ihrer entrollenden Scheibe nachblicken, ob endlich Ringer gemeint sind, welche sich den Punkt des Angriffs ersehen. Kenner des jetzigen Ringkampfes versichern das letztere

Ein sehr tüchtiger bronzener Athlet, der sog. Idolino, steht in den Uffizien (zweites Zimmer der Bronzen) auf einer prächtigen Basis aus der Renaissancezeit, von Verocchio oder Settignano. – Ebendaselbst (6. Schrank) die Statuette eines Ringers in voller Bewegung; am aufgehobenen rechten Ellbogen ist noch die Hand seines fehlenden Mitringers erhalten.

Diese wahrscheinlich erst aus römischer Zeit stammenden Exemplare lassen auf die Verehrung schließen, welche jenen ebenfalls ehernen Athletenbildern der griechischen Kampfstätten noch immer gewidmet wurde. Die spätere Skulptur muß nach den Siegerstatuen von Olympia wie nach einer Sammlung von Urkunden der Kraft und Anmut emporgeblickt haben.

Die beiden Ringer in der Tribuna der Uffizien zu Florenz werden bei Anlaß der Gruppen behandelt werden.

Bekanntlich nahmen, wenigstens in Sparta, auch die Mädchen an gewissen Wettkämpfen teil, und es ist zu glauben, daß sich die Skulptur die darstellbaren Motive nicht entgehen ließ, welche dabei zum Vorschein kamen. Erhalten ist, wenigstens in guter alter Kopie, eine zum Auslauf bereite Wettläuferin (im obern Gang des Vatikans); eine graziöse, nichts weniger als amazonenhafte Gestalt, in welcher das Jungfräuliche vortrefflich ausgedrückt ist. Die kurzgeschnittenen Stirnhaare gehörten zur Sache; auch die Büste ist so ausgeweitet, wie der Wettlauf es erfordert, die Beine von einer fast scharfen Ausbildung.

Überaus traurig ist der endliche Ausgang des Athletenbildens. Das kaiserliche Rom begeisterte sich nämlich so sehr für die Wagenführer seiner Zirken und die Gladiatoren seiner Amphitheater, daß deren leibhafte Abbildungen mit Namensbeischrift Mode wurden. Dieser Art sind schon die Mosaikfiguren aus den Caracallathermen in einem obern Saale des Laterans und vollends die aus dem 4. Jahrhundert stammenden im Hauptsaal der Villa Borghese. Selbst an Sarkophagen (z. B. einem im ersten Gang der Uffizien) kommen Wagenführer mit Namen vor. Auch die alten Griechen waren von der persönlichen Darstellung bestimmter Athleten ausgegangen, allein sie hatten dieselbe auf eine allgemeine Höhe des Schönen gehoben und sie bald nur als vielgestaltige Äußerungen des Schönen dargestellt.

Es kann nicht befremden, daß die Statuen von hellenischen Kriegern bisweilen schwer von den Athletengestalten zu trennen sind. Über eine der berühmtesten Statuen des Altertums, den borghesischen Fechter (im Louvre), hat man sich lange Zeit nicht ganz einigen können, ob darin ein Ringkämpfer oder ein Krieger zu erkennen sei; die Stellung spricht für das letztere, die Formen des Körpers aber sind die der vollendetsten Athletik, wie sie kaum an einer andern Statue vorkommen. (Von einem römischen Gladiator kann gar nicht die Rede sein.) Eine Anzahl von Statuen aber stellen ohne Zweifel wirkliche Krieger dar, mögen sie nun besonders gearbeitet sein oder irgendeiner Schlachtgruppe angehört haben. Ersteres gilt wohl von dem schönen, ausruhend auf der Erde sitzenden Krieger der Villa Ludovisi (Hauptsaal), von griechisch scheinender Arbeit, der wir schon bei Anlaß des nahen Ares erwähnten. Vier Marmorbilder des Museums von Neapel (erster Gang, leider wie so manches aus der alten farnesischen Sammlung stark überarbeitet) waren vielleicht eher Teile einer Gruppe, und zwar am ehesten einer Giebelgruppe, wie ihre ausschließliche Berechnung auf die Vordersicht andeutetEiner Gruppe gehörte auch wohl der schlecht restaurierte kniende Krieger in den Uffizien zu Florenz (zweiter Gang) an, ehemals vielleicht ein gutes Werk. . Einer dieser Kämpfer sinkt tödlich verwundet zusammen; einer, mit besonders schön entwickeltem Körper, ist im Anspringen begriffen; ein dritter legt aus; ein vierter, sehr jugendlich und mit kurzem Mantel bekleidet, scheint sich, bereits verwundet, zu verteidigen. Die Motive sind sämtlich von höherm Werte als die übrigens noch immer gute Ausführung; es sind schöne griechische Einzelgedanken aus einer jener Kampfszenen, die das bedeutendste Faktum in einer geringen Anzahl von Figuren gleichsam verdichtet und konzentriert darstellen mußten. Daß das Urbild ein sehr altes war, beweist der einzig echt erhaltene Kopf des zweiten, dessen regelmäßige Haarlöckchen und starkes Kinn noch unmittelbar an die Ägineten erinnern. – In demselben Gang finden sich noch mehrere Kriegerstatuen teils von geringerm Wert, teils von überwiegend modernen Bestandteilen. – In der Halle des farnesischen Stieres findet sich auch eine jener seltenen Statuen aus dem trojanischen Heldenkreise (kolossal, schon in antiker Zeit (?) restauriert und mit einem Bildniskopf versehen); der fast nackte Krieger trägt einen toten Knaben, den er an dem einen Fuße hält und über die Schulter hängen läßt, eilig aus dem Kampfgewühl; es ist wahrscheinlich Hektor, der dem Achill die Leiche des Troilos entrissen. Hier ist die Bildung allerdings keine athletische mehr, sondern eine im höhern Sinn heroische, soweit die antike Beschaffenheit sich erkennen läßt; die Bewegung und das Motiv der beiden Körper verraten ein vortreffliches Urbild. – Noch viel berühmter aber muß eine oft wiederholte Gruppe: Aiax (unter anderm Menelaos) mit dem Leichnam des Patroklus gewesen sein, welche bei Anlaß der Gruppen zu besprechen sein wird.

Der trefflichste Achill ist mit der altern borghesischen Sammlung in den Louvre übergegangen. Vielleicht ist mit einer tüchtigen Heroenstatue der Villa Albani (Vorhalle des Kaffeehauses) Achill gemeint. – Einen wunderschönen Kopf des Achill, von griechischer Arbeit, findet man im Camposanto zu Pisa (N. 78).

Von Odysseus haben wir nichts Sicheres, als die kleine Statue des Museo Chiaramonti (Vatikan), welche ihn darstellt, wie er dem Zyklopen die Schale reicht. Eine stramme, kräftige Figur; in den Zügen mehr der Energische, Vielduldende als der Schlaue.

Als Bildnisstatue eines Kriegers aus der historischen Zeit ist jedenfalls der Alcibiades in der Salla della biga des Vatikans zu betrachten, auch wenn die Benennung sehr zweifelhaft bleiben sollte. Es ist ein sehr schöner Akt der Verteidigung; der Beschauer erwartet, daß sie erfolgreich sein werde, weil in der ganzen Gestalt nicht nur physische Macht, sondern hohe geistige Entschiedenheit waltet.

Auf die Krieger folgen die Jäger, und zwar zunächst ihr mythisches Urbild, Meleager. Die berühmte vatikanische Statue (Belvedere), ein vorzügliches Werk der Kaiserzeit, wenn auch nicht in allen Teilen gleichmäßig belebt, gibt uns diesen Typus in seiner vollkommenen Ausbildung, sehr dem Hermes genähert, selbst in Gestalt und Zügen des jugendlichen Kopfes, und doch wieder wesentlich von ihm verschieden. Die Jagd verlangt und bildet einen Körper anders und einseitiger als die Athletik; ihr genügt das Schlanke und Rasche; eine für jede Probe durchgearbeitete Muskulatur wäre überflüssig. So schön und leicht nun diese Gestalt dasteht, so unbeholfen und zweideutig ist die Stützung unter dem linken Arm (Eberkopf und Tronco). Vielleicht hatte der Künstler ein ehernes Urbild vor sich und mußte sich in Marmor helfen, wie er konnte. Eine kleine Wiederholung von rosso antico im Museum von Neapel (Halle der farbigen Marmore). Eine stark überarbeitete lebensgroße Statue im Hauptsaal der Villa Borghese.

Weit von dieser Auffassung entfernt und durch den Kontrast belehrend: die Statue eines Jägers im großen Saal des Museo capitolino. Hier handelt es sich nicht um einen mythischen Heros, sondern nur um einen besonders geschickten und begünstigten römischen Jagdsklaven, der denn auch wie er war, von der Hand eines guten Künstlers (vielleicht der augusteischen Zeit), vor uns steht. Ob »Polytimus der Freigelassene«, wie an der Basis zu lesen ist, auf den Jäger, Bildhauer oder Eigentümer geht, wollen wir nicht entscheiden.

Wenn sich in jeder Gottheit irgendeine Seite des griechischen Wesens ideal ausdrückt, so ist Pallas Athene eine der höchsten Versinnlichungen dieser Art. Aus der Lichtjungfrau, welche die dämonischen Mächte bekämpft und das Haupt der besiegten Gorgo an der Brust trägt, war schon bei Homer und Hesiod eine Schützerin jeder verständigen und kräftigen Tätigkeit, die Begleiterin, der Genius des »Griechen als solchen« geworden, wie wir den vielduldenden Odysseus wohl nennen dürfen; sie ist der Verstand des Zeus und aus seinem Haupte geboren. Weder der Peloponnes noch Ionien hätten sie herrlich genug gebildet; als Schutzherrin von Athen erhielt sie ihren Typus durch die größten Künstler dieser Stadt, vorzüglich durch Phidias; aus ihrer Gestalt scheint Athen selber vernehmlich zu uns zu sprechen.

Die ältere Kunst hob an ihr wesentlich das Kriegerische hervor; erregt, selbst stürmisch schreitet die bewaffnete, strenge Jungfrau mit ihren fast männlichen Formen und Gebärden einher. So die schon erwähnte hieratische Statue in der Villa Albani (Reliefzimmer). – Eine späte Nachahmung eines ruhigern Tempelbildes, im Hauptsaal der Villa Ludovisi, interessiert hauptsächlich durch den Künstlernamen: Antiochos von Athen.

Einen viel entwickeltern Typus, in welchem indes noch immer die kriegerische Stadtherrscherin vorwaltet, finden wir in einer Statue des Museums von Neapel (Halle der Flora) ausgedrückt. Das Haupt, von mächtigen, fast junonischen Formen, trägt einen Helm, dessen reicher Schmuck samt der umständlich behandelten Ägis der ganzen Gestalt noch etwas Buntes gibt. Man vergleiche mit dieser Statue die in der Intention übereinstimmende im Hauptsaal der Villa Albani, welche bei sehr vorzüglicher griechischer Arbeit noch etwas Heftiges und Befangenes hat; die Statur untersetzt, der Helm, in Form eines Tierfelles, wie eine Haube anliegend. (Eine schöne kleine Bronze der Uffizien: Bronzen, zweites Zimmer, 1. Schrank, zeigt ähnliche Auffassung.) Sehr eigentümlich als kriegerisches Mädchen, erscheint Pallas in einer schön gedachten, aber nur mittelgut ausgeführten Statue der Uffizien (Verbindungsgang), das vortrefflich übergeworfene, mit der Linken an der Hüfte festgehaltene Gewand reicht nur bis an die Waden. Der echte, wenigstens alte Kopf schaut, seit das Halsstück neu eingesetzt ist, etwas sentimental aufwärts.

Die volle Herrlichkeit der Göttin spricht sich jedenfalls erst in demjenigen Typus aus, welcher in zwei (nicht sehr voneinander abweichenden) Statuen erhalten ist: der Pallas Giustiniani im Braccio nuovo des Vatikans, und der Pallas von VelletriEine andere Pallas von Velletri im Louvre; es ist die kolossale mit erhobenem rechten Arm. in der obern Galerie des kapitolinischen Museums. In langem einfach gefalteten Gewand und Mantel steht sie ruhig da; von den Waffen hat die letztgenannte Statue sogar nur den schlichten hohen Helm und den Speer. Ihr länglich ovales Antlitz mit dem strengen Blick und Mund ist bei hoher Schönheit weit entfernt von aller Bedürftigkeit, von aller Liebe; das unbeschreiblich Klare ihrer Züge wirkt indes doch nicht wie Kälte, weil eine göttliche Macht darin waltet, die Vertrauen erregt. Gerade die gänzliche Einfachheit der ganzen Darstellung läßt diesen Ausdruck so überwältigend hervortreten. – Ob wir hier einen der Typen des Phidias oder einen etwas spätern vor uns haben, mag unentschieden bleiben – jedenfalls wird man den Künstler glücklich preisen, der das Wesen der Pallas Athene zuerst so empfand. (Die Pallas von Velletri in der Arbeit ungleich; die giustinianische leider stark geglättet. Eine ähnliche Figur, von guter römischer Arbeit, mit modernem Kopfe, im Pal. Pitti zu Florenz, inneres Vestibül oberhalb der Haupttreppe.)

Eine Menge einzelner Büsten der Göttin halten im ganzen diesen spätern, ruhigen Typus fest. Man wird im Braccio nuovo des Vatikans eine sehr schöne, in der Höhe stehende vielleicht nicht sogleich als modern erkennen; der Kopf ist aber in der Tat einem antiken Bruchstück zuliebe hinzugearbeitet. – Im Museo Chiaramonti eine Kolossalbüste mit eingesetzten Augen und Drahtwimpern, etwas leere römische Prachtarbeit. Ebendort ein kleines gutes Köpfchen. In den Büstenzimmern eine vortreffliche große Büste. Im Museum von Neapel (Halle des Jupiter) zwei gute Büsten.

Von der kriegerisch gerüsteten Pallas geradezu entlehnt wäre der Typus der Göttin Roma, wenn wir die einzige vorhandene Statue über dem Brunnen auf dem Kapitol wirklich als solche in Anspruch nehmen dürfen. – Ganz sicher ist dagegen das Relief an der Palasttreppe der Villa Albani; die schlanke, amazonenhafte Roma, in kurzem Gewand bis an die Knie, das Haupt behelmt, thront hier auf Trophäen. Bei nicht eben geistvoller Ausführung ist sie als die stets rüstige, sprungfertige Siegerin doch glücklich charakterisiert. – Die sitzende Kolossalstatue im Garten der Villa Medici soll ebenfalls eine Roma sein. Bei diesem Anlaß sind noch einige andere lokale Personifikationen zu nennen.

Auch die Provinzen wurden bisweilen an Siegesdenkmalen charakterisiert. Von größern Bildwerken dieser Gattung sind uns nur eine Anzahl Hochrelieffiguren erhalten (eine im untern Gang des Museo Capitolino, eine im Hof des Konservatorenpalastes, mehrere im Museum von Neapel, Halle des Jupiter), leblose römische Dekorationsarbeiten. An einem berühmten Altar aus Puteoli (Museum von Neapel, Halle des Tiberius) sind vierzehn asiatische Städte als allegorische weibliche Figuren dargestellt, wobei die Kunst sich begreiflicherweise sehr auf die Attribute stützen mußte; überdies ist der Marmor sehr verwittert. – Dies alles kommt kaum in Betracht neben einer kleinen, wunderschönen Figur des Vatikans (oberer Gang), welche die Tyche oder Stadtgöttin von Antiochien vorstellt. Ganz bekleidet sitzt sie mit aufgestütztem Arm und übereinandergeschlagenen Füßen auf einem Fels, unter ihr die nackte Halbfigur des Flußgottes Orontes. (Nachahmung eines Werkes aus der Diadochenzeit.) Hier endlich ist vor allem ein schönes lebendes Wesen dargestellt und die geographische Symbolik untergeordnet. In Antiochien, wo das Urbild stand, wußte ja doch jedermann, welche Göttin gemeint war. (Zwei kleine Bronzewiederholungen in den Uffizien, zweites Zimmer d. Br., 4. Schrank.)

In eigentümlicher Seitenverwandtschaft zu Pallas Athene stehen, dem Typus nach, die Amazonen, deren höchste Ausbildung ja vielleicht wesentlich demselben großen Bildner angehört, welchem das höchste Ideal der Stadtgöttin von Athen seine Züge verdankt, Phidias. Der herrliche Gedanke, männliche Kraft in weiblichem Leib darzustellen, gehört ganz der Zeit der hohen Kunst an, so wie die zierlich und buhlerisch gewordene Kunst sich charakterisiert durch die Schöpfung des Hermaphroditen, welcher durch die Vermengung des sinnlich Reizenden der beiden Geschlechter ein vermeintlich Höheres repräsentieren soll. – Die Sage von dem kriegerischen asiatischen Frauenvolk und von seinen Kämpfen mit den griechischen Helden gab nur den Anlaß zu dem hohen künstlerischen Problem, welches Polyklet, Phidias, Ktesilaos, Dositheus u. a. jeder auf seine Weise löste. Ausgeschlossen blieb wie bei Pallas in dem strengen ovalen Kopf jeder Ausdruck des Liebreizes; bei aller Entfaltung der Kraft gehen aber doch die Formen nie über das Weiche und Weibliche hinaus. Das leichte aufgeschürzte Gewand deckt nur einen Teil der Brust und die Hüften bis zum Knie; es fließt so um die Gestalt, daß jede Nuance der Bewegung sich darin klar ausdrückt. Dies war sehr wesentlich, denn das Heroische ließ sich im Weibe, wenn es schön bleiben sollte, überhaupt nur als Rüstigkeit, Bewegungsfähigkeit darstellen. – Bei den einzelnen auf uns gekommenen Motiven ist nie zu vergessen, daß die Künstler diese Heroinnen als Gattung, als Volk dachten, und daß wir lauter Episoden eines größern Ganzen vor uns sehen. Das schönste Motiv, die den Speer zum Sprung aufstützende Amazone des Phidias, kann man leider nirgends rein genießen, indem sie (Exemplare im Braccio nuovo und in der Galeria delle statue des Vatikans, sowie im Museo capitolino, Zimmer des sterbenden Fechters) statt des Speeres mit einem Bogen restauriert zu werden pflegt, doch bleibt der Ausdruck und die imposante Haltung des Kopfes, und in dem Körper das so kräftige und zugleich so anmutige Sichanschicken zum Sprunge. – Die verwundete Amazone des Ktesilaos, in einer Wiederholung des Sosikles, im großen Saale des Museo capitolino.

Eine interessante kleine Bronzewiederholung der Amazone des Phidias findet sich in den Uffizien (Bronzen, zweites Zimmer, 2. Schrank; mit restauriertem Arm.)

An der bekannten Statuette des Museums von Neapel (große Bronzen), welche eine behelmte kämpfende Amazone zu Pferd darstellt, ist der Typus nur wenig zu erkennen.


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