Jacob Burckhardt
Der Cicerone
Jacob Burckhardt

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Zweiter Teil
Skulptur

Nur schwer und allmählich öffnet sich dem Laien das Verständnis für die Skulptur. Die Gesetze und Bedingungen, unter welchen sie das Schöne hervorbringt, sind so vielfältig und liegen zum Teil so versteckt, daß sehr viel Zeit, Übung und Verkehr mit Bildhauern dazu gehört, um sich auch nur in den Vorhallen dieser Kunst zurechtzufinden. Viele unter den antiken Werken sprechen freilich so laut und von selbst, daß auch der gleichgültigste Beschauer auf irgendeine Art davon angeregt wird; daneben bleibt aber vielleicht das Allertrefflichste unbemerkt, wenn Auge und Sinn nicht eine gewisse Vorschule durchgemacht und nach bestimmten Vorsätzen suchen und forschen gelernt haben.

Es gibt einen Weg zum Genuß an der Hand der antiken Kunstgeschichte. Sie lehrt epochenweise, wie das Schöne geworden, welchen Zeiten, Schulen und Künstlern die Schöpfung und Ausbildung der wichtigsten Elemente desselben angehört; sie weist in den wenigen vorhandenen Urbildern und in den zahlreichern Wiederholungen diese ihre Resultate oft mit völliger Sicherheit nach. Allein diese setzt beträchtliche Studien und einen bereits sehr geschärften Blick voraus. Wer unvorbereitet aus dem Norden in die Galerien Italiens tritt, wird sich die Schätze derselben auf eine andere Art aneignen müssen.

Die Griechen verlangten von ihren Künstlern nicht Originalität im heutigen Sinne, d. h. nicht ewig abwechselnde Aufgaben und Darstellungsweisen; wenn für irgendeinen Gegenstand der höchste Ausdruck einmal gefunden war, so genügte es Jahrhunderte hindurch, diesen frei zu reproduzieren oder auch ohne weiteres zu wiederholen. Es bildeten sich stehende Typen oder Darstellungsweisen, und (was momentane Stellung oder Bewegung anbetrifft) stehende Motive. An diese halte sich der Laie, ihnen suche er zunächst das Mögliche abzugewinnen. Das geschichtliche Interesse wird sich mit der Zeit von selbst hinzufinden, wenn man unter den verschiedenen Exemplaren derselben Darstellung das Bessere und das Geringere, das Frühere und das Spätere miteinander vergleichen gelernt hat. Eine Anzahl glänzender Ausnahmen abgerechnet, besteht der ungeheure Vorrat der Museen Italiens nicht aus Originalwerken altgriechischer Künstler, sondern aus Werken der römischen Zeit vom letzten Jahrhundert der Republik abwärts. Zum Teil sind es Originalarbeiten der betreffenden Zeit, wie z. B. die Bildnisstatuen und Brustbilder von Römern, die Bildwerke der Triumphbogen und Ehrensäulen usw.; in weit überwiegender Masse aber finden sich die Wiederholungen älterer idealer Typen und Motive, meist von griechischer Erfindung. Die ausführenden Künstler selbst sind fast sämtlich unbekannt, doch gibt man sich gerne der Vermutung hin, daß bis tief in die Kaiserzeit hinein eine treffliche Kolonie griechischer Skulptoren in Rom und Italien geblüht habe. Immerhin müssen wir uns darein fügen, aus der Blütezeit der griechischen Kultur eine Menge bloßer Künstlernamen fast ohne Denkmäler, aus den letzten Zeiten des Altertums dagegen eine gewaltige Menge von Denkmälern fast ohne Künstlernamen zu kennen. – Der Unterschied zwischen griechischer und römischer Kunst wird, wie aus dem Gesagten erhellt, zwar im ganzen sehr bemerklich, an dem einzelnen Denkmal aber nicht immer leicht nachzuweisen sein.

Die ehemalige Bestimmung und Aufstellung dieser Bildwerke war eine sehr verschiedene und entsprach wohl im ganzen ihrem Werte oder ihrer äußern Beschaffenheit, Die Kolossalstatue gehörte ins Freie, wo sie sich herrschend selbst zwischen mächtigen Bauten geltend machen konnte. Selten kommen eigentliche Kultusbilder vor, während der übrige Schmuck der Tempel, die Reliefs ihrer Friese, die Statuen ihrer Giebel und Portiken in Menge übriggeblieben sind. Die Bildnisse stammen wohl aus den Vorhallen der Reichen und Vornehmen, zum Teil auch von öffentlichen Plätzen, während das ganze Privathaus und die Villa des Wohlhabenden noch außerdem reiche Fundorte von Göttern, Heroen, Brunnenfiguren und andern idealen Gestalten geworden sind. Bei Altären und Sarkophagen ergibt sich die Herkunft schon aus der Bestimmung; marmorne Kandelaber und Vasen mochten ebensowohl zu heiligem Gebrauch in Tempeln als zur Zierde in Palästen dienen; Hermen standen wohl meist im Freien, namentlich in Gärten. Endlich lieferten die römischen Thermen das Köstlichste, selbst Prachtarbeiten griechischer Kunst, wie z. B. den Laokoon; nur mit Mühe kann sich die Phantasie ein Bild entwerfen von der Fülle plastischen Schmuckes, welche diese Stätten des öffentlichen Vergnügens, welche auch Theater, Zirken und öffentliche Hallen verherrlichte. – Für so verschiedene Zwecke wurden begreiflicherweise auch sehr verschiedene Kräfte in Anspruch genommen, und es ist ein großer Unterschied der Behandlung zwischen dem Hauptwerk eines wichtigen Saales in kaiserlichen Thermen oder Palästen, und der Statue, welche für das hohe Dach eines Portikus oder die entfernten Laubgänge eines bescheidenen Gartens geschaffen wurde. Zu gleicher Zeit meißelten vielleicht der Künstler und der Steinmetz nach demselben Vorbilde, und der eine brachte ein Werk voll des edelsten Lebensgefühles, der andere eine auf die Ferne berechnete Dekorationsfigur zum Vorschein. Und dennoch wird auch die letztere, so roh und so spät sie sei, den göttlichen Funken des griechischen Genius, der in der Erfindung waltet, nie ganz verleugnen können.

Noch auf eine weitere Verkettung von Umständen, welche den Genuß antiker Bildwerke oft sehr beeinträchtigen, muß hier vorläufig aufmerksam gemacht werden. Nur äußerst wenige Statuen nämlich sind ganz unverletzt gefunden worden; die meisten haben sehr bedeutende Restaurationen aus den letzten Jahrhunderten. Das ungeübte Auge unterscheidet gar nicht so leicht, als man denken sollte, das Neue von dem Alten. Nun gehören gerade die sprechenden Teile, Kopf, Hände, Attribute, oft nur dem Hersteller an, und dieser hat lange nicht immer das Richtige getroffen; er gibt z. B. einer ehemaligen Flora Kornähren und einer ehemaligen Ceres Blumen in die Hand; er restauriert einen Mars als Merkur und umgekehrt. Der Laie darf daher die bessern literarischen Hilfsmittel, welche dergleichen Täuschungen aufdecken, nicht verschmähen, wenn er zu einiger Kenntnis dieses Gebietes gelangen will. Bisweilen mußte nach einem verhältnismäßig geringen, aber an Kunstwert ausgezeichneten Rest das Ganze einer Statue neu gedacht und danach das viele Fehlende ergänzt werden. Dieser Art sind z. B. Thorwaldsens unübertreffliche Restaurationen an mehrern von den äginetischen Figuren sowie am barberinischen Faun in der Münchner Glyptothek: auch der rechte Arm des Laokoon (von wem er auch sein möge) gehörte zu den größten Aufgaben in diesem Fache.

Wie aber, wenn man an vielen Statuen zwar antike, aber nicht ursprünglich dazugehörige, sondern anderswo gefundene Köpfe anträfe? Diese Ergänzungsweise ist z. B. gerade in den römischen Museen sehr häufig und läßt sich insgemein schwer, ja in einzelnen Fällen ohne besondere Nachrichten ganz unmöglich entdecken. Vor dem opfernden Römer z. B., der die Toga über das Haupt gezogen hat (Vatikan, Sala della Bigia), wird niemand von selbst auf einen solchen Gedanken geraten.

Soweit die modernen Galerieverwaltungen und Restauratoren; man kann ihre Tätigkeit und ihr Glück nur bewundern, wenn sie so das Rechte treffen, wie in dem letztgenannten Fall. Allein schon im Altertum kamen Dinge analoger Art vor. Nicht nur wurden bei politischen Umschwüngen und Regierungswechseln die Köpfe von Bildnisstatuen abgeschlagen und neue aufgesetzt, sondern die Bildhauer müssen wenigstens in der römischen Zeit viele kopflose Statuen im Vorrat gearbeitet haben, welchen erst nach geschehener Bestellung ein Porträtkopf aufgesetzt wurde. Dies stimmte trefflich zu der seit Alexander aufgekommenen Sitte vieler Großen, sich in Gestalt einer Gottheit abbilden zu lassen, und vollends zu der spätrömischen Gewohnheit, die Statuen aus mehrern Steinarten zusammenzusetzen. Es war am Ende ganz gleichgültig, welcher Marmorkopf in die alabasterne oder porphyrne Draperie hineingesenkt wurde.

Dies alles darf den Beschauer zu einiger Vorsicht stimmen. Es ist Echtes und Wohlerhaltenes genug vorhanden, um bei fortgesetzter Beobachtung zu einem ausgebildeten Urteil zu gelangen. Wer an irgendeiner Restauration Anstoß nimmt, bemühe sich, eine bessere auszudenken; gewiß eine der edelsten Tätigkeiten, zu welchen der Anblick antiker Werke den sinnenden Geist anregen kann,

Den Restauratoren wird begreiflicherweise ihr Geschäft häufig sehr erleichtert durch das Vorhandensein besser erhaltener Exemplare desselben Werkes. Über die Herstellung z. B. des Satyrs mit dem Beinamen des »Berühmten« (periboetos), der sich in allen Sammlungen, oft mehrfach, vorfindet, kann gar kein Zweifel obwalten. Für manches aber sind die Künstler auf Analogien, namentlich auf die Reliefs beschränkt, wo sich wenigstens der Typus derjenigen Gestalt, die sie unter den Händen haben, vollständig vorfindet. Für Einzelbildung und Bewegung namentlich der Arme und Beine ist natürlich jeder auf sein Gefühl und sein Studium der Alten angewiesen.

Marmorne und andere steinerne Zieraten, wie Kandelaber und Vasen, sind, wie oben bemerkt, oft zu zwei Dritteilen nach irgendeinem Fragment restauriert; von den Vasen ist namentlich der Fuß nur selten alt, die Henkel und der obere Rand meist nach Maßgabe der Ansätze ergänzt. Reliefs sind bisweilen nach geringen Ansätzen von Füßen, Geräten, Gewandsäumen u. dgl. um mehrere Figuren vermehrt worden.

Je neuer die Auffindung und Restauration eines Werkes ist, desto gewissenhafter (im allgemeinen gesprochen) wird man dasselbe behandelt finden. Die großen Fortschritte der Altertumswissenschaft und des vergleichenden Studiums seit hundert Jahren haben hier den heilsamsten Einfluß ausgeübt. Die Restaurationen früherer Künstler, z. B. in der alten farnesischen und mediceischen Sammlung, waren oft nicht bloß an sich stilwidrig und selbst sinnlos, sondern leider auch mit einer Überarbeitung und Glättung des ganzen Werkes verbunden, welches man mit den neuen Zutaten in Harmonie bringen wollte. Da die Antiken damals nicht zur Belehrung in öffentlichen Museen, sondern als Zierat in den Palästen der Großen aufgestellt wurden, so verlangte man durchaus den Eindruck eines unversehrten Ganzen. Eine Menge Torsi, die man jetzt als Fragmente aufstellen würde, sind in jener Zeit zu vollständigen Statuen restauriert worden. Die mediceische Sammlung enthält deren besonders viele.

Die Typen oder Darstellungsweisen der Gestalten der alten Kunst, namentlich der Götter und Heroen, erhielten ihre bleibende Ausbildung in der höchsten Blütezeit des Griechentums, im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., von Phidias bis Lysippus. Auch später zwar kam noch manche einzelne neue Gestalt, manche mehr auf das Zierliche gerichtete Auffassungsweise hinzu, und selbst die Zeit Hadrians schuf noch aus dem Bilde eines Menschen das Antinous-Ideal; doch überwiegen bei weitem die aus jener frühern großen Epoche überkommenen, mehr oder weniger frei wiederholten Typen.

Daneben erhielt sich aus den Zeiten vor Phidias, ja zum Teil aus hohem Altertum ein früherer, feierlich-befangener Stil, der sog. hieratische oder Tempelstil. Werke aus der alten Zeit der wirklichen Herrschaft desselben sind in Italien äußerst selten; außer den Metopen des Tempels von Selinunt und andern sizilischen Bruchstücken wird man etwa noch das Relief eines verwundeten Kriegers im Museum von Neapel (Nebenraum des dritten Ganges) und dasjenige der Leucothea in der Villa Albani zu Rom (Zimmer des Reliefs) namhaft machen können. Sehr häufig sind dagegen die später und absichtlich in diesem Stil gearbeiteten Skulpturen, namentlich die Reliefs an Altären; auch Statuen dieser Art kommen nicht selten vor, und für gewisse Typen, wie z. B. für den bärtigen Bacchus, blieb die hieratische Darstellungsart sogar die allein herrschende. Was konnte die Griechen und später die Römer bewegen, neben ihrer freien und großen Kunst diese befangenere Gattung mit Willen festzuhalten? Zuerst war es gewiß die Ehrfurcht vor den Zeremonien, welche sich seit unvordenklichen Zeiten an Götter, Weihgeschenke und Altäre dieses Stiles geknüpft hatten. Später erhielt derselbe den Reiz des Altertümlichen und Einfachen, und die Kunst bemühte sich, hier innerhalb absichtlicher Schranken eine eigentümliche Aufgabe in Umriß und Modellierung zu lösen. Zuletzt wurde daraus eine Sache ästhetischer Feinschmeckerei, ja vielleicht einer bewußten Reaktion gegenüber dem überladenen unruhigen römischen Relief. Vielleicht sind die meisten erhaltenen Werke im Tempelstil nicht älter als das Kaiserreich, und man hat namentlich die Zeit Hadrians dafür im Verdacht, schon weil sie sich außerdem die Nachahmung des ägyptischen Stiles mit so vielem Eifer hingab.

Die Kennzeichen des Tempelstiles prägen sich leicht ein. Das Gesetz des Kontrastes der Gliedmaßen, welches erst der Stellung des Leibes Freiheit und Anmut gibt, wird hier geflissentlich beiseite gesetzt und statt dessen die möglichste Symmetrie der beiden Schultern, Arme, Lenden usw. erstrebt. Die Bewegungen sind steif und entweder gewaltsam oder überzierlich, so daß die Götter auf den Fußspitzen gehen, Fackeln und Stäbe nur mit zwei Fingern anfassen u. dgl. Das Haar ist in unzählige symmetrische Löckchen geordnet; die Gewandung besteht in vielen höchst regelmäßigen Fältchen, welche an jedem Saum oder Aufschlag als Zickzack von genau ebensovielen Ecken auslaufen. Der Ausdruck der Köpfe, wo sie groß genug gebildet sind, besteht in einem kalten, maskenhaften Lächeln; die Stirn ist flach, die Ohren hoch oben, die Mundwinkel aufwärts gezogen, das Kinn auffallend stark. (Man vergleiche die Abgüsse der echten altgriechischen Giebelgruppen des Tempels von Ägina in der lateranischen Sammlung mit den spätem Nachahmungen dieses Stiles: die schreitende PallasWenn diese nicht doch uralt ist. in Villa Albani (Zimmer der Reliefs, wo noch mehrere der Art); mehrere Köpfe in der Galeria geografica des Vatikans; – der schreitende Apoll mit dem Reh auf der Hand im Museo Chiaramonti ebenda; – die schreitende herkulanensische Pallas im Museum von Neapel (zweiter Gang) mit modernem Kopf – eine Bronzestatuette ebenda (kleine Bronzen, drittes Zimmer); – die halb ägyptische, halb hieratische Isisstatuette ebenda (ägyptische Halle);– die schreitende Artemis mit rotbesäumtem Kleide ebenda (in einem verschlossenen Zimmer hinter der Halle des Tiberius).

Im Relief verlangte der Tempelstil die möglichste Symmetrie selbst in der Bewegung und eine gleiche Entfernung gleichbedeutender Figuren voneinander. – Unter den schönern Arbeiten dieser Art sind zu nennen: ein Altar mit bacchischen Figuren und ein (vielleicht doch uraltes?) Relief der drei Grazien im Museo Chiaramonti (Vatikan); – ein viereckiger Zwölfgötteraltar im sog. Kaffeehaus der Villa Albani; – eine Platte mit vier Göttern im Zimmer der Reliefs ebenda; Apolls Erscheinung beim Tempel zu Delphi, über der Tür des Hauptsaales ebenda; – ein runder Zwölfgötteraltar in der obern Galerie des kapitolinischen Museums, u. a. m.

Wie will man aber beweisen, daß diese Arbeiten nicht wirklich uralt, sondern bloße Nachbildungen in einem veralteten Stile sind? Es dauerte in der Tat lange, bis die Archäologie in dieser Sache klar sah. Jetzt kann sich jedes fähige Auge überzeugen, daß die betreffenden Bildhauer eben doch nicht allen Reizmitteln der Kunst ihrer Zeit entsagen mochten, daß sie die Härte der alten Muskulatur, den sonderbaren Ausdruck der Köpfe wesentlich milderten und daß auf diese Weise ein sehr merklicher Widerspruch zwischen der altertümlichen Auffassung und der weichen Ausführung in das Werk hineinkam. Bisweilen wird es dem Beschauer noch leichter gemacht, wenn z. B. eines der erwähnten Reliefs (im Hauptsaal der Villa Albani und anderswo), welches Apolls Trankopfer nach dem Siege im Kitharspiel darstellt, einen korinthischen Tempel zum Hintergrunde hat. Hier springt der Anachronismus in die Augen, weil jedermann weiß, daß diese Säulenordnung ungleich spätern Ursprungs ist, als dieser Skulpturstil zu sein vorgibt. In den Typen der Götter herrscht nun hier, wie sich von selber versteht, eine ältere Art. Die männlichen Gestalten erscheinen in der Regel bejahrt, selbst Hermes und Dionysos bärtig, die Bekleidung ist im ganzen vollständiger und anders anschließend; mancher einzelne Schmuck macht sich geltend, dessen die vollendete Kunst entbehren konnte. Das Nähere muß hier übergangen werden.

Lange Zeit nannte man diesen Stil mit Unrecht den etruskischen. Allerdings kam er in den Fundorten Etruriens, das überhaupt eine früh überlieferte griechische Kunstübung merkwürdig festhielt, ebenfalls und zwar nicht selten zum Vorschein; allein dies beweist nichts gegen seinen allgemeinen griechischen Ursprung. Wir werden bei Anlaß der Vasen auf eine ähnliche Erscheinung stoßen.

Die etruskische Kunst selber übergehen wir, da sie mehr nur lehrreiche Seitenbilder zur Geschichte des Schönen als einen unmittelbaren Genuß desselben gewährt. Nur mittels einer langen, zweifelreichen Forschung könnten wir uns und dem Leser klarmachen, was und wie vieles hier der alten religiösen Gebundenheit, dem eigentümlichen Volksgenius, den uralten griechischen Kultureinflüssen, der spätern Einfuhr griechischer Kunstwerke und Einwanderung griechischer Künstler, endlich der Mitleidenschaft unter den Schicksalen und dem Zerfall der römischen Kunst angehört. Die meist kleinen und sehr zahlreichen Gegenstände, um welche es sich handelt, sind z. B. im Vatikan zu einem besondern Museo etrusco vereinigt; mehreres vom wichtigsten findet sich in den Uffizien zu Florenz (verschlossener Gang gegen Ponte vecchio hin; und zweites Zimmer der Bronzen); auch im Collegio Romano zu Rom, in den Sammlungen von Volterra und Cortona, sowie im Museum von Neapel (letztes Zimmer der kleinen Bronzen) steht viel Etruskisches beisammen.

Wer die Hauptfundorte, jene alten Nekropolen von Toscanella, Cervetri, Vulci, Chiusi usw. bereist, wird wohl noch manches an Ort und Stelle in Privatbesitz antreffen und sich außerdem einen Begriff von dem prachtvollen Begräbniswesen jenes rätselhaften Volkes machen könnenWenn jemand im Museo etrusco beim Anblick der Terrakottenköpfe mit der langen Oberlippe und dem eigentümlich starren Kinn an die Nationalphysiognomie vieler Engländer erinnert wird, so wollen wir bekennen, daß es uns und andern auch so gegangen ist. . – Was diese und andere Sammelpunkte dem Forscher des Schönen immer sehr wert macht, sind die vielen einzelnen Reste und Elemente griechischer Kunst, welche er zwischen und an den etruskischen Reliquien wahrnehmen wird. Mit dem Museo etrusco des Vatikans ist z. B. eine herrliche Sammlung von gemalten Vasen verbunden, welche vielleicht kaum zur Hälfte etruskischen Fundorten und nur geringstenteils eigentlich etruskischer Kunst, vielmehr fast durchgängig griechischen Tonmalern angehören; der große Saal des Museo aber enthält unter andern Schätzen eine ovale eherne Lade mit Amazonenkämpfen in ReliefBei diesem wunderschönen Toilettengerät, welches einer vornehmen Etruskerin in das Grab mitgegeben wurde, erinnert man sich gerne an die berühmte Lade des Kypselos, deren vermutliche Gestalt (nach der Beschreibung bei Pausanias) so viel zu denken gibt. und eine Auswahl von Spiegeln mit eingegrabenen Linearzeichnungen schönen griechischen Stiles. Vollends möchte die runde Lade (oder Cista) des Collegio romano, mit der Landung der Argonauten, alle Linearzeichnungen des griechischen Altertums übertreffen. In Florenz enthält der genannte Seitengang der Uffizien unter der größten vorhandenen Sammlung etruskischer Aschenkisten einige (z. B. die erste links) mit Reliefs von griechischer Schönheit.

Die Anordnung der antiken Skulpturen nach Typen, welche nunmehr folgt, soll keineswegs als die einzig mögliche oder als besonders methodisch gelten, sondern nur als derjenige Leitfaden, welcher am leichtesten in die Sache hineinführt. Der Wert der plastischen Ausführung, welchen der Nichtkünstler doch erst nach längern Studien richtig beurteilen lernt, ist nicht unser Hauptmaßstab bei der folgenden Aufzählung; der Gedanke, das Motiv müssen hier wichtigere Rücksichten bleiben. Wir werden uns nicht scheuen, selbst sehr geringe und späte Arbeiten zu nennen, sobald sie zufällig die einzigen bekannten oder zugänglichen Exemplare vorzüglicher alter Kunstgedanken sind. Mit diesen, selbst in ihrer dürftigsten Äußerung, wo keine bessere vorhanden ist, suche man um jeden Preis das Gedächtnis zu bereichern, ohne deshalb den Blick auf die Ausführung hintanzusetzen.

Wir beginnen unsere Andeutungen billig mit dem Vater der Götter und der Menschen, in dessen Gestalt ja der Hellene gewiß das höchste an Macht und Herrlichkeit ausgedrückt haben wird. Von demjenigen Gesamtbilde allerdings, dessen Anblick die Griechen zur Bedingung jedes glücklichen Lebens machten, von dem olympischen Zeus des Phidias, sind uns nur kümmerliche Reminiszenzen erhalten. Eine solche erkennt man z. B. in dem kolossalen Jupiter aus dem Hause Verospi (Vatikan, am Ende der Büstenzimmer), welcher mit nacktem Oberleib, den Donnerkeil in der Rechten (statt der Siegesgöttin bei Phidias) und den Szepter in der linken thront. Von dem Haupte des Zeus aber, wie es der Meister gebildet, ist glücklicherweise ein ziemlich nahes Abbild auf unsere Zeit gerettet in der berühmten Büste von Otricoli (Vatikan, Sala rotonda). Hier erkennt man jenen Ausdruck wieder: »friedlich und ganz mild«, das erhabene Haupt in Gnade und Erhörung geneigt mit leisem Lächeln. Von den Locken war genug vorhanden, um das Fehlende (auch das ganze Hinterhaupt) trefflich zu restaurieren. Die Züge sind in der Tat keines Menschen Züge; vielmehr erscheinen diejenigen Elemente des Antlitzes, welche zu bestimmten Zwecken des Ausdruckes dienen, nach höhern Gesetzen verändert und hervorgehoben. So dient die Verdichtung in der Mitte des Stirnknochens (oder der Stirnhaut) dazu, das gewaltigste Wollen und die zugleich höchste Weisheit anzudeuten. Die Augen, von ganz wunderbarem Bau, liegen tief und treten doch hervor; die Nase (etwas restauriert) bildet mit der Stirn nicht einen einwärts-, sondern einen leise auswärtstretenden Winkel, worin die Leidenschaftslosigkeit ausgedrückt liegt. (Dieses anscheinende Paradoxon kann hier nicht entwickelt werden; ich verweise nur auf den griechischen Kunstgebrauch des Gegenteils, der Stülpnase, z. B. bei den Barbaren und den Satyrn, wozu beim Silen noch die aufwärts hervortretende Stirn kommt.) Die Lippen endlich (leider auch nicht ganz alt) vereinigen Süßigkeit und Majestät in einem Grade, wie kein irdischer Mund. – An diesem Haupt sind nun Locken und Bart von höherer Bedeutung als an irgendeinem andern. In ihnen wallt und strömt gleichsam eine überschüssige göttliche Kraft aufwärts und abwärts. Die Stirnlocken namentlich sind bei mehrern göttlichen Gestalten wie ein Sinnbild geistiger Flammen. Dieser Zeus wäre mit glatten oder kurzen Haaren nicht mehr Zeus, wie Apoll ohne seinen Krobylos (Lockenbund über der Stirn) nicht mehr Apoll wäre.

Was sonst von Zeusköpfen vorkommt, steht tief unter diesem Werke. So z. B. selbst der schöne im Museum von Neapel (Halle des Tiberius), wo sich auch (Halle des Jupiter) die kolossale, etwas dekorationsmäßig behandelte Halbfigur des Zeus aus dem Tempel von Cumä befindet. (Die Nase schlecht restauriert; Haar und Bart gewaltig und meist alt.) Noch ein schöner Kopf in der Villa Albani (Vorhalle des Kaffeehauses); ein anderer, sehr kolossaler, in den Uffizien zu Florenz (Halle der Niobe); ein tüchtiger römischer in der Galerie von Parma.

Von den Brüdern des Zeus gleicht ihm am meisten Hades oder Pluto, der Herr der Unterwelt, in seiner spätem (doch immer noch griechischen) Personifikation als Serapis, mit dem Scheffel (modius) auf dem HauptAls eigentlicher Pluto: z. B. in einer rohen Statue der Villa Borghese (Faunszimmer). . Eine schöne Büste (in der Sala rotonda des Vatikans) läßt uns das Zeusideal, aber mit einem düstern Zuge der Trauer erkennen. Unter den dichten Locken treten die sanft blickenden Augen tief einwärts. Kein Entsetzen, nur ein leiser Schatten der ewigen Nacht sollte über den Beschauer kommen. Überdies war ja Serapis in seiner spätern Bedeutung auch ein Genesungsgott und vertrat sogar die Stelle des Asklepios. (Eine geringere Büste, von Basalt, im Zimmer der Büsten; ungleich besser diejenige der Villa Albani im sog. Kaffeehause.) (Eine fleißige, kleine Bronze in den Uffizien, zweites Zimmer d. Br., Eckschrank rechts.) Noch ein schöner, sanfttrauriger Kopf in der Galerie zu Parma.

Mit Serapis wurde in späterer Zeit, wie gesagt, der Heilgott Asklepios identifiziert, der auf diese Weise zu ganz zeusähnlicher Bildung gelangte – abgesehen natürlich von seinem besondern Attribut, dem Schlangenstab, auf den er sich mit der einen Schulter stützt. – Die Statuen sind meist von geringer Arbeit; so die schwarzmarmorne im großen Saal des kapitolinischen Museums. Vielleicht die beste von allen im Museum von Neapel, zweiter Gang. Der schöne Asklepios im Braccio nuovo des Vatikans trägt die sehr feinen, besonnenen Bildniszüge irgendeines berühmten Arztes, vielleicht eines Leibarztes des Augustus. – Von den beiden im zweiten Gang der Uffizien zu Florenz gleicht der eine dem neapolitanischen; der andere ist offenbar eine Porträtstatue, wie schon die hohen Schultern andeuten und wie die individuelle Stellung es noch wahrscheinlicher macht. Das übrige hat der Restaurator getan. – Auch in dem Asklepios im Palast Pitti (inneres Vestibül oberhalb der Haupttreppe) könnte man eher einen griechischen Philosophen erkennen; mit nacktem Oberleib, den linken Ellbogen auf eine Keule gelehnt, mit der linken Hand, die eine Rolle hält, den Bart berührend, die Rechte auf die ausgeladene Hüfte gestützt, schaut er mit dem Ausdruck des Sinnens vorwärts. Die Arbeit ist einfach und noch sehr tüchtig.

Wer sich weiter überzeugen will, wie die griechische Kunst ideale Verwandtschaften auszudrücken und mit typischen Unterschieden zu verschmelzen wußte, vergleiche den Kopf des Poseidon (Vatikan, Museo Chiaramonti) mit dem otricolanischen Zeus. Die angebornen Züge sind bei beiden Brüdern dieselben, aber der Ausdruck des Meergottes ist unruhig, düster bis zu einem Anflug von Zorn, das Haar wirr und feucht. (Eine vollständige, aber in der Arbeit sehr unbedeutende Statue im Vatikan, Galeria delle statue; eine andere im Museum des Laterans.) Auch die übrigen Götter der größern Wasser, also mit Ausnahme der Tritonen und der Quellgottheiten, sind großenteils von Zeus' Geschlecht und gleichen ihm, nur ins Befangene und dann bald in das wohlig Genießende, bald ins Schreckliche oder ins Bekümmerte hinein. Sie haben sein gewaltiges Haar, aber nicht wallend, sondern feucht darniederhängend; seine in der Mitte erhobene Stirn, aber niedriger; seinen Bart, aber nicht lockig, sondern naß und oft mit Schuppen, ja mit kleinen Fischen durchzogen; seine großartigen Lippen, aber mit borniertem Ausdruck. Ihr Bau (wo es nicht bloße Köpfe oder Masken sind) ist überaus mächtig und breit und entwickelt sich in ihrer liegenden, etwas aufgelehnten Stellung ganz besonders majestätisch.

Die schönste dieser Gestalten ist der Nil (im Braccio nuovo des Vatikans), wahrscheinlich aus der Zeit des Augustus, welcher bekanntlich erst Ägypten unterwarf. Beneidenswerte Symbolik der Alten, welche die 16 Ellen, um die der Nil alljährlich zu wachsen pflegt, durch 16 der niedlichsten Genien personifizieren durfte! Heiter klettern sie an dem Gott herum und spielen mit seinem Krokodil und Ichneumon; eine guckt sogar oben aus seinem Füllhorn heraus; ihre Schalkhaftigkeit ist gleichsam nur ein anderer Ausdruck für die stille Seligkeit des gewaltigen Stromgottes.

Die treffliche vatikanische Statue des Tigris (Sala a croce greca) erhält durch den von Michelangelo oder einem seiner Schüler restaurierten Kopf ein besonderes Interesse des Kontrastes.

Im Hof des kapitolinischen Museums liegt als Brunnengott der kolossale Marforio (wahrscheinlich ein Rhenus aus der Zeit Domitians). Er trägt die Züge des Zeus, aber in das Bornierte umgestaltet; Leib und Beine sind (absichtlich) viel zu kurz für den gewaltigen Oberkörper. – Die beiden Wassergötter an der Treppe des Senatorenpalastes auf dem Kapitol und die beiden in der untern Vorhalle des Museums von Neapel sind teils gute, teils leidliche Dekorationsarbeiten.

Der düstere Ausdruck erscheint bedenklich geschärft und deutet auf Sturm in dem florentinischen Kopfe des Oceanus (Uffizien, Halle der Niobe); er geht über in das Erschrockene, ich möchte sagen Ausgescholtene, in der höchst kolossalen Maske eines Wassergottes im Museo Chiaramonti im Vatikan; eine ähnliche in Villa Albani (Nebenräume rechts). Auch dem Oceanus (Büste in der Sala rotonda des Vatikans, mit Trauben im Haar, Delphinen im Bart, Schuppen an Brauen und Wangen) ist sichtbar nicht ganz wohl zu Mute. Schon ruhiger ist der Ausdruck der zwei kolossalen Masken in Villa Albani hinter dem Kaffeehaus.

Ein merkwürdiges Gegenbild zu Zeus bildet die frühere, aber von der Kunst fortwährend, und zwar annähernd oder ganz im Tempelstil festgehaltene Darstellung des bärtigen Dionysos. Neben Zeus, dem Gott der sittlichen Weltordnung, stellt sich hier ein König und Gott der Naturfreude mit einem Ausdruck seligen Genusses, dem wir freilich im Leben bei Männern reifern Alters kaum je begegnen, der aber doch seine volle innere Wahrheit hat. Die breiten, wohlgerundeten (doch keineswegs plumpen) Formen und der stilljoviale Ausdruck des Kopfes, der heitre Blick, die charakteristischen gleichmäßigen Hauptlocken mit der Binde, sowie der ebenfalls gelockte Bart – dies alles ist schon in den Hermen oder Büsten zu erkennen, deren viele Tausende in den Gärten und Häusern der Alten gestanden haben müssen. (Eine ganze Anzahl: im Garten usw. der Villa Albani; – vier im Palast Giustiniani zu Rom, unten; – mehrere, darunter auch wohl Büsten des bärtigen Hermes, in der Galeria geografica des Vatikans.) (Vieles davon ist sehr rohe Arbeit.) Ein Priester dieses Bacchus, wie üblich mit den Zügen und dem Kostüm des Gottes selber dargestellt, findet sich in Villa Albani (rechts vom Palast am Ende der Nebengalerie). Auf eine geheimnisvolle Höhe gehoben, treffen wir diesen Typus wieder in einer berühmten vatikanischen Statue (Sala della biga) mit dem Namen des (wahrscheinlich Künstlers): Sardanapallos. In ein herrliches weites Gewand gehüllt, mit der rechten auf ein Szepter gestützt (dies unvollständig restauriert), schaut der bejahrte Dionysos voll hoher, innerer Wonne in die von ihm beherrschte Welt. (Nahe mit diesem Werk verwandt, aber ungleich geringer: Kopf und Brust eines bärtigen Bacchus im Museum von Neapel, Halle des Tiberius.)

Von den Söhnen des Zeus, abgerechnet die eigentlichen Götter, ist der mächtigste Herakles. In seinem Antlitz ist auch noch etwas übriggeblieben von den Zügen seines Vaters, namentlich in der Stirn (sehr auffallend in einem Kopfe des verklärten Herakles; Vatikan, Büstenzimmer); sonst herrscht darin eine jeder Mühe gewachsene Kraft und Leidenschaft vor. (Letztere in der Adlernase bisweilen angedeutet.) Seine höchste und bleibende Kunstform erhielt Herakles durch den großen Lysippos, zu Alexanders Zeit. Wir lernen sie kennen vor allem in dem weltberühmten Torso des Atheners Apollonios (am Eingang des Belvedere im Vatikan). Nach dem Hymnus Winckelmanns und den bekannten Streitfragen über die vermutliche Urgestalt des WerkesMan denkt sich Herakles emporschauend gegen eine zu seiner Linken stehende Hebe. wage ich nur, den Beschauer auf die ungemeine Leichtigkeit und Elastizität dieser Bildung, auf den Ausdruck der höchsten Kraft ohne Schwere aufmerksam zu machen.

Liegt hierin eine Andeutung, daß Herakles verklärt, etwa in seiner Verbindung mit Hebe, der ewigen Jugend, abgebildet sei, so spricht der farnesische Herakles (Kolossalstatue des Atheners Glykon im Museum von Neapel, Halle des farnesischen Stieres) einen ganz andern Sinn aus. Hier ist es der noch in Kämpfen und Wanderungen begriffene, nur für einen Augenblick ausruhende Held, mit den erbeuteten Äpfeln der Hesperiden (diese samt der rechten Hand restauriert, wohl richtig). In der wahrhaft gewaltigen Muskulatur, in dem ungeheuern, namentlich der Arm- und Schulterbildung wirkt noch die letzte Anstrengung nach; um so stärker erscheint der Ausdruck der Ruhe durch das Aufstützen auf die Keule links und die Ausschwingung des Leibes rechts, sowie durch die Senkung des Hauptes und die reine Horizontale der Schultern charakterisiert, während Stellung und Gestalt der Beine dem Ganzen doch die Leichtigkeit eines Hirsches geben. Die Arbeit ist mit derjenigen des Torso allerdings nicht zu vergleichen. Am Kopfe sehr starke Restaurationen.

Unzählige, meist spätere Arbeiten stellen den Heros und seine Mythen dar; auch z. B. als kleine Bronzefigur kommt er sehr häufig vor. (Uffizien, zweites Zimmer d. Br., 3. Schrank.) In der Sala degli Animali des Vatikans allein sind vier Taten des Heros in nicht ganz lebensgroßen Gruppen dargestellt. In der Villa Borghese ist ein ganzes Zimmer solchen Überresten geweiht; man trifft Herakles als Herme, als Kind, auch als Knecht der Omphale, in ihren weiblichen Gewändern. Im Museum von Neapel (zweiter Gang) findet sich das von irgendeiner guten Gruppe des Mars und der Venus entlehnte Motiv auf Herakles und die heroische Siegerin übertragen; ein sehr artiges römisches Werk.

Herakles, der als Stellvertreter des Atlas den Weltglobus trägt im Museum von Neapel (Halle der berühmten Männer), ist eine gute, aber stark ergänzte Arbeit. Die unten zu besprechende Gruppe des Herakles mit Antäus gibt den Helden mehr fleischig als muskulös und entfernt sich wieder um eine Stufe weiter von dem verklärten Herakles als die meisten übrigen Bildungen. (Hof des Pal. Pitti.)

Endlich blieb ein wesentlich genrehafter Moment, der den Zeussohn in rein physischer Gewaltigkeit darstellt, der kleinern Bildung in Erz vorbehalten. Ich meine die köstliche Bronze des »trunkenen Herakles« im Museo zu Parma. An dieser rückwärts taumelnden von allen Seiten glücklich gedachten Figur erkennt man das ganze Muskelwesen des farnesischen Herakles, nur im Dienste einer ganz andern Macht, als bei den zwölf Arbeiten. Gefunden in Veleja, und doch vielleicht griechischen Ursprunges.

Es war nicht mehr als billig, daß auch die vorzugsweise sogenannten »Zeussöhne« (Dioskuren) Kastor und Polydeukes in ihrem Typus an den Vater erinnerten. Dies ist in der Tat der Fall mit den beiden weltberühmten Kolossen auf dem Platze des Quirinals in Rom; die Bildung von Stirn, Lockenansatz, Nase und Lippen ist deutlich dem Zeusideal entnommen, wovon man bei Betrachtung der Abgüsse sich am besten überzeugen kann; nur erscheint alles in den jugendlichen und heroischen Charakter übertragen. – Bekanntlich galten diese Rossebändiger einst als Arbeiten des Phidias und Praxiteles; gegenwärtig betrachtet man sie aus überzeugenden Gründen als römische Nachahmung nach einer Gruppe vielleicht aus der Schule des Lysippos, und gibt starke Willkürlichkeiten in der Einzelbehandlung zu, z. B. im Ansatz der Hälse. – Ihre Bildung im ganzen vereinigt mit unbeschreiblicher Wirkung das Schlanke und das Gewaltige; ihre momentane Bewegung spricht wunderbar schön aus, wie es für sie eine leichte Mühe sei, die bäumenden Pferde zu lenken; Stallknechte mögen das Tier zerren und sich aufstemmen, Dioskuren bedürfen dessen nicht. Die Pferde sind auch verhältnismäßig kleiner gebildet, wie sich überhaupt in der alten Kunst der Maßstab mehr nach der relativen Bedeutung der Figuren als nach ihrem physischen Größenverhältnis richtet. – Ehemals standen sie parallel, ohne Zweifel mit Recht; ihre jetzige Gruppierung mit der Brunnenschale und dem Obelisken paßt vielleicht besser zum Platze.

Die beiden Dioskuren der Kapitolstreppe, sonderbar bedingte WerkeWahrscheinlich für einen ganz bestimmten Standort berechnet. – Es wäre sehr wünschenswert, über das perspektivische Gesetz, welches solchen Anomalbildungen zugrunde liegt, eine zusammenhängende Belehrung zu erhalten, und zwar von einem Bildhauer. aus noch ziemlich guter Zeit, scheinen ganz geschaffen, um den Wert der quirinalischen ins hellste Licht zu stellen.


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